Dienstag, 3. Januar 2012
Flüchtlingsleben in der Warteschleife
taz 30.12.2011
http://www.taz.de/Serie-Fluechtlingsleben-IV/!84685/

Serie Flüchtlingsleben (IV)
In der Warteschleife

Asylbewerber dürfen nur einen Job annehmen, den kein Deutscher, kein
EU-Ausländer, kein Flüchtling mit gesichertem Aufenthaltsstatus machen
will oder kann. Eine solche Arbeitsstelle zu finden, ist nicht
einfach.von Marco Carini


HILDESHEIM taz | Am Anfang war Hazratullah Abasi voller Elan. Das erste
Jahr, in dem der afghanische Flüchtling wie alle Asylbewerber mit einem
Arbeitsverbot belegt war, war kaum zu Ende, da machte sich der heute
30-Jährige auf die Suche nach einem Job, putzte Klinken vor allem bei
seinen Landsleuten. Nach einigen Wochen hatte Abasi Erfolg: Der
afghanische Geschäftsführer der Hildesheimer Filiale eines Frankfurter
Im- und Exporthandels bot dem Asylsuchenden, der fünf Sprachen spricht,
einen Job an.

So wähnte sich Abasi schon fast am Ziel, musste jedoch bald feststellen,
dass er gerade erst den Startblock verlassen hatte und ein schier
unüberwindbarer Hindernisparcours vor ihm lag. Denn ein Asylbewerber, so
sieht es die deutsche Gesetzgebung vor, darf nur einen Job annehmen, den
wirklich kein Deutscher, kein EU-Ausländer, kein Flüchtling mit
gesichertem Aufenthaltsstatus machen will oder kann. So verschwand der
Antrag des afghanischen Geschäftsmannes in einer Warteschleife, die sich
im Amtsdeutsch "Vorrangsprüfung" nennt.
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Von der Ausländerbehörde wanderte der Antrag ohne Eile zur lokalen
Arbeitsagentur, wurde von dort agenturintern nach Frankfurt, dem
Hauptsitz des Import-Unternehmens, weitergeleitet, wanderte nach
Duisburg, wo geprüft wurde, ob nicht eine bevorrechtigte Person für
diese Arbeit infrage käme, um schließlich über die lokale Arbeitsagentur
zur Ausländerbehörde zurückzugelangen. Resultat: Der Antrag wurde nach
mehreren Monaten mit der Begründung abgelehnt, für diese Arbeit stünden
sicher mehrere geeignete bevorrechtigte Arbeitnehmer zur Verfügung.

Abasi gab nicht auf. Zusammen mit dem niedersächsischen Flüchtlingsrat
überredete er seinen Landsmann, den Antrag nachzubessern, die
Sprachkenntnisse des Bewerbers als besondere Qualifikation gerade für
den angebotenen Job noch stärker zu betonen. Erneut ging der Antrag auf
mehrmonatige Deutschlandreise und seine Widerkehr erbrachte ein schon
nicht mehr erwartetes Resultat: Abasi erhielt eine Arbeitserlaubnis für
genau diese eine Stelle. Sofort informierte Abasi seinen Arbeitgeber in
spe, und erhielt von dem eine niederschmetternde Nachricht. Fast ein
Jahr nachdem er den Arbeitsantrag erstmals gestellt habe, hätte er mit
der Besetzung der vakanten Stelle nicht länger warten können. Abasi käme
zu spät, die Stelle sei leider schon vergeben.

Abasis Schicksal ist Alltag für den Flüchtlingsrat Niedersachsen,
vergleichbare Fälle füllen Regale voller Aktenordner. "Die
Ausländerbehörden haben Angst, dass über einen Arbeits- oder
Ausbildungsvertrag ein zusätzliches Abschiebehindernis entsteht", sagt
Karim Al-Wasiti vom Flüchtlingsrat. So seien die Gesetzgebung und die
bürokratische Praxis darauf ausgelegt, Flüchtlinge, die man wieder
loszuwerden hofft, von Arbeit fernzuhalten und ihnen so wenig
Integrationschancen wie möglich zu bieten.

Das erste Jahr Arbeitsverbot, dann Vorrangsprüfung, und erst nachdem
über einen Asylantrag positiv entschieden wurde oder vier Jahre
vergangen sind, eine realistische Chance auf einen Job. Denn Menschen,
die man nicht los wird, sollen dem Staat nicht auf der Tasche liegen -
sie sollen arbeiten, sonst gibt es Druck. Doch vielen Flüchtlingen fällt
nach Jahren des verordneten Nichtstuns die Rückkehr in die Arbeitswelt
schwer - zu lange mussten sie Qualifikationen ruhen lassen, als dass der
Einstieg in den Arbeitsmarkt ein Selbstgänger wäre.

Der Flüchtlingsrat und viele Partnerorganisationen organisieren mit
Mitteln des europäischen Sozialfonds und des Bundesarbeitsministeriums
mehrere wohlklingende Programme, mit denen Flüchtlinge an den
Arbeitsmarkt herangeführt werden sollen. Fachtagungen,
Integrationsprogramme, Trägernetzwerke. Millionen werden ausgegeben, um
zu beweisen, wie ernst es die Politik mit ihren Bemühungen meint, den
Migranten von gestern zum gesellschaftlichen Leistungsträger von morgen
zu machen.

Doch wer noch unter dem Damoklesschwert einer baldigen Abschiebung
steht, hat keine Chance. Schon die Residenzpflicht, die Asylbewerbern
verbietet, ohne ausdrückliche Genehmigung, den Landkreis ihres Wohnheims
zu verlassen, macht eine Jobsuche so gut wie unmöglich. Und die Praxis,
Flüchtlinge die man auch langfristig nicht abschieben kann, nur mit auf
höchstens drei Monate befristeten Duldungen auszustatten, schreckt jeden
Arbeitgeber ab. Wer will jemandem schon einen Ausbildungsplatz anbieten,
dessen Aufenthaltspapiere in wenigen Wochen ihre Gültigkeit verlieren
könnten?

Diese Erfahrung musste auch die aus Syrien stammende Kurdin Schahnas
Naso machen. Die heute 19-Jährige reiste vor zehn Jahren mit ihren
Eltern und fünf Geschwistern ein, und stürzte sich voller Ehrgeiz auf
eine Schuldbildung, die ihr in ihrem Heimatland als doppelt
Diskriminierte - Frau und Kurdin - versagt geblieben wäre. Schahnas
lernte perfekt Deutsch, übersprang eine Grundschulklasse und legte einen
überdurchschnittlichen Realschulabschluss hin.

Ein Kinderarzt, bei dem sie zuvor ein Berufspraktikum gemacht hatte,
forderte sie auf, sich bei ihm um einen Ausbildungsplatz zu bewerben.
Doch als der Mediziner erfuhr, dass Schahnasas nur eine kurzfristige
Duldung besitzt, fiel ihm überraschend ein, dass er sich doch keine
weitere Auszubildende leisten könnte. "Alle aus meiner Klasse, die
meisten mit viel schlechteren Noten als ich, haben einen
Ausbildungsplatz erhalten, nur ich hatte keine Chance", ärgert sich die
Kurdin, die sich fragt, warum sie sich für gute Schulnoten so
angestrengt habe.

Vielleicht, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie ihr jüngerer
Bruder: Der wurde im vergangenen Februar kurz vor seinem
Hauptschulabschluss nach Syrien abgeschoben, weil er eine "schlechte
Schulprognose" hatte. Dabei war, so beteuert seine Schwester, sein
Abschluss nie gefährdet, hatte er doch nur "eine einzige Fünf in Erdkunde".

Eine Fünf zu viel - nun muss der 17-Jährige - der laut seiner Schwester
in Damaskus für fast vier Wochen im Gefängnis landete und dort
misshandelt wurde, seine mangelhaften Geografiekenntnisse ganz praktisch
verbessern - aus Angst vor weiterer Verfolgung ist er aus Syrien
geflüchtet, befindet sich nun angeblich auf einer Flucht durch halb
Europa. "Was ist das für ein Lan,d wo man wegen einer schlechten Zensur
abgeschoben wird", fragt die Kurdin.

Schahnas Naso hat inzwischen mit Hilfe des Flüchtlingsrats einen
Ausbildungsplatz gefunden. Arzthelferin wird sie nun nicht mehr, dafür
aber Rechtsanwaltsfachangestellte. Und noch immer hangelt sich die junge
Frau von Duldung zu Duldung. Einen dauerhaften Aufenthaltstitel, den ihr
- vor laufenden Kameras - der Hildesheimer Landrat Reiner Wegner (SPD)
vor über einem Jahr in Aussicht gestellt hat, hat sie bis heute nicht
bekommen, von Wegner nie wieder etwas gehört. So bleibt der 19-Jährigen
die Angst vor der Abschiebung, spätestens, wenn sie einmal arbeitslos
werden sollte.

Und Hazratullah Abasi? Der gab die Arbeitssuche nicht auf und war sich
schon mit dem Besitzer eines indischen Restaurants einig, dort
anzufangen. Doch als der Gastronom erfuhr, welch bürokratischer Aufwand
vor die Einstellung gesetzt ist, nahm er die Zusage zurück. Abasi bleibt
damit weiter zum Nichtstun verdammt, nur mit Gutscheinen statt mit Geld
ausgestattet, in einem Raum in der Flüchtlingsunterkunft zusammen mit
Frau und anderthalbjährigem Sohn, statt in der eigenen kleinen Wohnung,
die er aus einem Arbeitslohn finanziert hätte. "Ich brenne darauf, meine
Energie und meine Fähigkeiten einzusetzen, mein Leben selbst zu
finanzieren", sagt der 30-Jährige. Doch das ist offenbar nicht gewollt

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