Sonntag, 2. August 2015
Divide et impera: Fortsetzung des Beitrags
Aus Gründen der Übersichtlichkeit setze ich meinen Beitrag zur Euro-Krise, Sozialabbau und der Herleitung der aktuellen Situation hier in einem seperaten Posting fort, also anknüpfend an das hier:

http://che2001.blogger.de/stories/2517973/

Wenn wir uns die "mobilisierende" Wirkung von HartzIV vor Augen halten ist wichtig, sich dabei im Kontrast mit dem alten Sozialversicherungsystem zu beschäftigen. Vor den Hartz-Reformen bestand das System aus den zwei Komponenten Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Das Arbeitslosengeld entsprach in etwa dem heutigen ALG 1, abgesehen von der Tatsache, dass es über längere Zeiträume ausgezahlt werden konnte, die Arbeitslosenhilfe hingegen einem reduzierten Satz, bei entsprechenden Einkommen allerdings deutlich über Sozialhilfesatz.

Insofern war der hier geäußerte Kommentar von h.z. zum Thema Höhe des Versorgungssatzes, der mich zu dem ganzen Beitrag hier überhaupt motivierte inhaltlich hanebüchener Unsinn.

http://che2001.blogger.de/stories/2510913/#2512592

Bei Geringverdienenden wirkte sich der Unterschied kaum aus, aber bei Personen, die vor der Arbeitslosigkeit 2500 netto verdient hatten bedeutete Arbeitslosenhilfe dann etwa 1700 Euro - bei Nichtwiedereinstellung formaljuristisch im Extremfall ein Leben lang, was angesichts quartalsweiser Überprüfung der Einkommensverhältnisse und Zwangsvermittlung in andere Jobs durch das Arbeitsamt allerdings faktisch ausgehebelt wurde. Wie radikal der Paradigmenwechsel war macht in der Rückschau für mich persönlich ein Gespräch mit einem Rechtsanwalt klar, dem ich 2002 erklärte, dass HartzIV die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugunsten Sozialhilfe für alle Langzeitarbeitslosen einschließlich Eigentumspfändung bedeute. Er weigerte sich zunächst das zu glauben unter Bezugnahme auf seine Klientel (entlassene Werftarbeiter, Kesselbauer und Volksmarinepersonal in Meckpomm): Die Bevölkerungen ganzer Landstriche würden ja ihre Zukunftsplanung rund um die Arbeitslosenhilfe aufbauen. Nun ja, tun sie nicht mehr. Neben der Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen und der Verschärfung des unmittelbaren Arbeitszwangs, auch des Zwangs zu prekärer Arbeit bedeutete HartzIV zugleich auch einen Rechtsbruch: Eine bislang durch Einzahlung in die Sozialkassen garantierte Leistung wurde durch einseitigen Bruch des Versicherungsverhältnis willkürlich aufgekündigt, meines Erachtens der größte Versicherungsbetrug der Geschichte. Was würde wohl geschehen, wenn die Allianz sagen würde, ab jetzt zahlen wir keine Lebensversicherungen mehr aus sondern nur noch die Sterbegeldsumme, weil: Ist so?

Der Staat kann das, weil er eben der Staat ist und über das Gewaltmonopol verfügt.

Der zweite treibende Faktor neben der plötzlichen Aufkündigung jahrzehntelang selbstverständlicher Rechtsgarantien und der Androhung der völligen Verarmung war die zeitgleiche Etablierung eines Billiglohnsektors. Wie auch bei Arbeitslosengeld II, das als bloße Vereinfachung behördlicher Regelungen und Zusammenlegung von Leistungen von Sozial- und Arbeitsämtern begründet und angekündigt worden war, aber tatsächlich eine massive Entrechtung von Menschen bedeutete (als ich in Vor-Hartz-Zeiten arbeitslos geworden eine ganzjährige Weiterbildung zum Webdesigner in Anspruch nahm war das für alle KursteilnehmerInnen noch etwas, das wir als uns zustehendes Recht betrachteten, weil wir dafür Versicherungsbeiträge eingezahlt hatten, es gab mal eine Arbeitslosenbewegung, die Weihnachts- und Urlaubsgeld für Arbeitslose einforderte) basierte dieser auf einer Mogelpackung.

Eine beratende Kommission für eine gesamtdeutsche Verfassung nach dem Zusammenbruch der DDR hatte das Modell einer "negativen Einkommenssteuer" entwickelt, d.h. Beschäftigte in defizitären Branchen wie Bergbau, Werften oder maroden Ostbetrieben sollten erheblich weniger Lohn bekommen als tariflich üblich, die Differenz zum Nettolohn sollte ihnen aber vom Staat zugeschossen werden, so dass sie netto genauso wie nach Tarif verdienten, aber keine Steuern mehr zahlten sondern im Gegenteil der Staat Steuern an sie. Berechnungen zufolge wäre dies wirtschaftlicher und vor allem zum Erhalt konkreter Arbeitsplätze zielführender gewesen als allgemeine Subventionen wie Werftenförderung oder Kohlepfennig. Dieses Modell wurde schrittweise überführt in einen tatsächlichen Niedriglohnsektor mit ethisch oder politisch nicht begründbaren Unterbezahlungen (Die WOB-AG, früher Auto 5000 ist ein Paradebeispiel, wie da ein Vorzeigekonzern des Hochlohnsektors beispielhaft vorangeht und der eigenen Belegschaft den Klassenkampf von oben erklärt). Die Doppelwirkung (Double Action auf Englisch, was ja auch die Wirkungsweise eines Revolvertyps ist) dieser beiden Faktoren liegt auf der Hand: Auf der einen Seite entgarantierte ALGII Menschen von bisher selbstverständlichen sozialen Leistungen und setzte sie einem enormen sozialen Druck bis hin zur Enteignung aus, auf der anderen Seite wurde der intensivierte Zwang zur Arbeit mit Billig-Beschäftigungsverhältnissen verbunden, wie sie bis dahin gar nicht legal waren - sozusagen zurück ins Zeitalter von Schuldturm und Galeerendienst. Auf der hierdurch erst ermöglichten Intensivierung der unmittelbaren Ausbeutung und der Verschlankung der Produktionsprozesse auf partielle Billigproduktion in Segmenten der an sich lohnintensiven exportorientierten industriellen High-Tech-Bereiche basiert der Erfolg des Exportweltmeisters Deutschland und entsprechend die Schwächung der nicht an diesem Organisationsmodell partizipierenden EU-Staaten.

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