Sonntag, 7. Dezember 2008
Götz Aly als der 68er, der zu sich selber kommt
Sehr interessant und zugleich völlig daneben mutet mir dieser Text ais der Zeitschrift Prodomo an, der einerseits Götz Aly zutreffend im Umfeld der Materialien für einen neuen Antiimperialismus, ihrer Vorgängerzeitschrift Autonomie Neue Folge und der "anderen Arbeitergeschichte" einordnet und deren operaistische Weltsicht mit der Fronstellung "Das Leben gegen die Maschine" (bzw. die "Fabkrikgesellschaft") zutreffend skizziert.


https://prodomo.50webs.net/9/der_kampf_geht_weiter.html


Etwas zu idealtypisch allerdings, wie alles, was aus der antideutschen Ecke kommt, ist das alles holzschnittartig vereinfacht. Dass Detlef Hartmann ein unorthodoxer Marxologe ist, der an den Marxorthodoxen kritisiert, dass Marx kein Marxist gewesen wäre und kein Leninist geworden wäre kommt hier nicht vor. Die Frontstellung Leben vs. Maschine und Subjektivität vs. kapitalistische Zweckrationalität ist für Hartmann Ergänzung zur Werttheorie und zur Entwicklung des tendenziellen Falls der Profitrate. Stehen bei den Wertkritikern nur und ausschließlich die Bewegungsgesetze des Kapitals im Vordergrund, so ist dies im wahrsten Sinne zu Kurz gedacht. Bei den Materialien und Autonomie steht die proletarische Subjektivität im Vordergrund, weil ihrer Auffassung nach noch immer Klassenkämpfe der Motor der Geschichte sind. Der Begriff des Klassenkampfs ist hier sehr weit gefasst. Noch Krankfeiern, Werksabotage, maximales Ausnutzen von Urlaubsrgelungen und Kuren gelten als (wünschenswerte) Selbstbehauptung von Eigen-Sinn, die in einem extrem multifaktoriellen Modell neben offenen Kämpfen im Weltmaßstab die Kapitalentwicklung und -Entfaltung immer wieder blockieren und daher Dinge wie die neoliberale Offensive überhaupt erst nötig machen. Diese historisch-materialistische Seite der Materialien kommt bei Prodomo nicht vor.



Wie auch, sie würde der denunziatorischen Stoßrichtung des Artikels zuwiderlaufen. Die Einordnung der Shoah in die allgemeine NS-Bevölkerungspolitik, zu der auch die "Euthanasie", die Zwangssterilisierung der "Rheinlandbastarde" (Nachkommen schwarzer und arabischer französischer und belgischer Soldaten und deutscher Frauen) und die geplante Verschiebung und Neuzusammensetzung der gesamten Bevölkerung Osteuropas im "Generalplan Ost" gehören bedeutet, die schon von Horkheimer und Adorno beschriebene Angelegtheit der NS-Verbrechen in der instrumentellen Vernunft und der kapitalistischen Rationalität in der praktischen Umsetzung zu analysieren.

Die Shoah wird zur extremsten Steigerung der industriellen Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft buchstäblich bis auf die Knochen. Für Kettner liegt in dieser Sichtweise eine Relativierung der Shoah. Jeder Versuch, diese rational aus der Verwertungslogik des Kapitals zumindest des nationalsozialistischen Deutschlands zu betrachten gilt hier als Verharmlosung des Antisemitismus und damit letztendlich als eine Sichtweise, die selber mit strukturellem Antisemitismus einhergeht.
Ich würde in diesem Zusammenhang ja mal die Frage aufwerfen, ob diese rein moralisch bzw. quasi theologisch argumentierende grundsätzliche Ablehnung, über eine kapitallogische Begründung der Shoah nachdenken zu dürfen, nicht ihrerseits nichts Anderes ist als eine Verharmlosung der destruktiven Impulse im Kapitalismus, zumindest in seiner imperialistischen Form.

Kettner scheut nicht davor zurück, den Matrialien für einen neuen Antiimperialismus und hier besonders Detlef Hartmann Antisemitismus zu unterstellen, Beleg: Das Kapitel "Das US-imperialistische System von Bretton Woods als Vollstrecker der nationalsozialistischen neuen Ordnung" in der Autonomie 14. Der Titel selbst wird als Beleg für die bei Antiimps verbreitete Gleichsetzung von US-Imperialismus und Nationalsozialismus und die Denunzierung Israels als "faschistischer Staat" genommen. Nur steht das da gar nicht drin, das Kapitel beschäftigt sich empririsch mit der Adaption von NS-Wirtschaftsplanung zur ökonomischen Inwertsetzung des Balkans aus den 30er Jahren durch Strategen von Weltbank, IWF und Rockefeller-Stiftung in der Nachkriegszeit zur Organisation westlicher Entwicklungspolitik, ein Strang, der später von Susanne Heim und Ulrike Schaz in dem Band "Berechnung und Beschwörung" zur Bevölkerungspolitik aufgegriffen wurde, in dem diese die vor allem in den 60er und 70er Jahren betriebenen Massensterilisationen z.B. in Indien als Anknüpfung an NS-Eugenik begriffen. Eines zeigt Kettner deutlich: Er ist nicht in der Lage, historische Werke als historische Werke zu lesen. Die Frage, ob Alys Ansatz für die Geschichtswissenschaft Erklärungswert hat, und wenn das nicht der Fall wäre, welcher Ansatz stattdessen, wird von ihm gar nicht erst gestellt.


Stattdessen geht es ihm um moralische Denunzierung - Aly betreibt Holocaust-Relativierung, Hartmann argumentiere antisemitisch, also ist der ganze neue Antiimperialismus, genauso wie der "alte" Antiimperialismus der Antiimps strukturell antisemitisch. Das Ganze wird dann nicht politisch erklärt, sondern küchenpsychologisch: Aly bedient über die Jahrzehnte immer wieder die Gemütslage der 68er, die, ebenso wie "die Linken", als ein monolitihisches Kollektiv ohne innere Widersprüche oder Konflikte gesehen werden. "Wenn die Kränkung noch frisch ist, dann kann man die Chancen dieses Interpretationsangebots noch nicht wahrnehmen. Vielleicht werden sie es eines Tages verstehen und es ihm danken." ---- Ein solcher Satz negiert in diesem Kontext, dass politische Theoriebildung außerhalb psychohygienischer Funktionen überhaupt einen Sinn hätte. Dass Aly heute zu einem bedingungslos affirmativen Apologeten des postmodernen Kapitalismus geworden ist, der den Antideutschen ziemlich nahe steht, während Hartmann&GenossInnen unverändert sozialrevolutionäre Positionen vertreten, dass wird von ihm völlig unterschlagen. Für Kettner steht Aly, einer der seltsamsten politischen Umschwenker der deutschen Linken, in einer ungebrochenen Kontinuitätslinie.


QED: Wer sich über die Kerngedanken hinter den Materialien, dem neuen Antiimperialismus oder Hartmann informieren möchte tue das wohl besser hier:

https://projekte.free.de/dada/dada-p/P0000738.HTM

https://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/persp_dh.html


https://www.trend.infopartisan.net/trd1105/t151105.html

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Seien wir ehrlich
ein Götz Aly hat gemerkt, dass sich der Wind dreht und sich mit denunziatorischer Kritik an den 68ern mehr Kohle machen lässt als mit der wissenschaftlichen Erklärung des Phänomens und seiner Folgen.

Seine Handlungsweise ist eine konkrete HARTZ IV-Vermeidungsstrategie und daher nichtmal richtig zu verurteilen.

Es sei denn, dieser Renegat wäre ein verbeamteter "Lehrer". Das ließe die Geschichte in einem wesentlich schlimmeren Licht erscheinen.

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Er bedient zielgruppengerecht sein Publikum. Als intellektuell fragwürdig und moralisch haltlos würde ich das aber schon bezeichnen.

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"Sein Publikum"
Wer ist das? Springer et al? achgut.com? politicallyincorrect.de? Im wissenschaftlichen Diskurs hat der ja wohl nichts (mehr) verloren.

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Täusch Dich da nicht. Er wird zu vielen Veranstaltungen eingeladen und ist öfter mal im Fernsehen. Und vielleicht demnächst regulärer Professor.

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so schlimm steht's schon?
na dann lass uns adenauer preisen und seinen globke. kiesinger rehabiliteren und klarsfeld auf dem scheiterhaufen verbrennen, fjs als den größten demokraten seiner zeit verehren und carl schmitt zu DEM staatstheoretiker aller zeiten ergeben.

mahlzeit.

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Das ist zu rückwärtsgewandt. Das Publikum dürfte eher die eigene 68er bis Hausbesetzervergangenheit am Kaminfeuer rühmen UND begründen wollen, warum man heute mit den Verhältnissen zufrieden ist.

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Na, @jolly r., da sitzt Du aber mit dem KiesingerGlobke-Ticket im völlig falschen Zug. ;-)

Götz Aly soll den (theoretischen) Überbau dafür liefern, daß die mittlerweile wohlhabend gewordenen (Wohlstands-)Linken auf das Teilen mit den Arbeitermassen verzichten dürfen ... Hans Mommsen war der oldschool-Antikapitalismusantifaschist; Aly ist sozusagen der *rot-grüne* Geschichtsinterpret.

... und wenn ich viel Zeit habe, erkläre ich Dir auch, warum nicht Marx, sondern Schmidt die Vorlage für die realexistierenden Vergangsheitsbewältigungsformen liefert. :-)

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Herold earned 100 Points
Exakt, 100% ACK.

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Und das Antideutschtum liefert dann den Kindern der Wohlstandslinken die Legitimation dafür, weiterhin den Antifa-Habitus zu pflegen und sich mit der eigenen Elterngeneration zu reiben, sich aber ebenfalls von den Massen, MigrantInnen und sonstigen Bezugsgruppen linker Solidarität zu entsolidarisieren. Politische Haltung als reines Selbstdarstellungsprojekt ohne Auswirkungen.

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das a-d-tum der kinder muss sich gar nicht erst entsolidarisieren; es läuft völlig ohne "Massen, MigrantInnen und sonstigen Bezugsgruppen linker Solidarität". ganz von alleine. ein wunder!
(woher sollten sie auch solche leute kennen?)

genau genommen reicht auch schon selbstspiegelung statt selbstdarstellung ("ich und mein horkdorno sehen doch gut aus, oder?")

mit der größten ernsthaftigkeit vorgetragener vollschmuh, es wird immer schlimmer (und ich bin wahrlich wenig theoriegestählt, habe ein gutmütiges wesen und schaue es mir nur aus dritter reihe an!)

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Echt, so schlimm? @ "woher sollten sie auch solche leute kennen?" ---- Meine Erfahrungen in der Linken hängen noch zentral damit zusammen, dass man sich mit "solchen Leuten" zusammensetzt und gemeinsam mit denen Perspektiven entwickelt. Dass das bei diesen ganzen Distinktionslinken nicht so ist ist mir schon klar, aber welches Ausmaß diese Selbstbezogenheit erreicht wohl noch nicht.

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Wer sich nicht auf Zukurzgekommene bezieht, die in irgendeiner Weise unterstützt werden und auch nicht die eigenen ökonomischen Interessen aus der Perspektive unten gegen oben artikuliert ist nicht links. Punkt.

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Who´s left?
Das siehst Du so und das sehe ich so, aber auf den größten Teil der Leute, die sich selber als links definieren dürfte das überhaupt nicht zutreffen.

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@workingclasshero, Dienstag, 9. Dezember 2008, 11:31
das hätte ich eben auch so gesehen.

@che Dienstag, 9. Dezember 2008, 08:46:
wer sich divusse wie grigat anschaut, braucht sich nicht zu wundern, wenn das vom fußvolk so übernommen wird - nur purzeln dabei alle begriffe auch noch munter durcheinander

aber ich habe eine solidarisierung vergessen, die es dann doch gibt (ihr ahnt es schon). neulich schrieb ein an sich vernunftbegabter mensch, den ich schon länger persönlich kenne und mit dem ich früher schon herrlich besoffen in der ecke gelegen habe zu dem hässlichen vorfall in der hu nach den schülerstreikdemos:
"muss alles in allem sagen, dass ich diese Demonstration und insbesondere seine Parolen als ebenfalls etwas betrübend ansehe. Hiermit meine ich vorrangig "Geld für Schule - nicht für Banken" und "Bildung nicht nur für Reiche". Die anderen Aussagen kenne ich leider nicht. Bei allem Respekt für den Streik, finde ich diese Form der Personalisierung der Kritik, wenn es darum geht, die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse anzugreifen, für enorm verkürzt und unreif. Der Weg von Banken und Reichen zu Spekulanten ist nicht weit und damit sind wir bei einer solchen Betrachtung sehr schnell beim "raffenden Kapital"
usw.usf.
das ist doch irgendwo mächtig was schief gelaufen, oder?

müßig zu sagen, dass die wege irgendwann auseinander liefen. das letzte mal sahen wir uns auf nem kongress, für den die person maßgeblich verantwortlich zeichnete. es war sehr viel arbeit. meine leute und ich haben sie gesehen und gemacht, andere saßen direkt daneben mit der peergroup vor dem rechner und feilten an wasweißich. für nix zu gebrauchen.(und der resolutionsoutput ist auch unlesbar)

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Ja, und dann diese ganzen Pop- und Distinktionslinken wie Bosic und so, die unter "Linkssein" eine elitäre Lebenshaltung verstehen, die sich nur Upermiddleclasskids leisten können. Man weiß nicht, ob man das putzig oder gefährlich finden soll.

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an einigen stellen erstaunlich kongruent zum selbstverständnis der "digitalen boheme"...

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ach ja ... "Das US-imperialistische System von Bretton Woods als Vollstrecker der nationalsozialistischen neuen Ordnung" ... hatten 1991 darüber diskutiert, ob Anschluss der DDR und 2. Golfkrieg Ausdruck der im Artikel genannten Tendenzen sind oder nicht, damals wurde über sich mir solchen Texten in der Szene noch ernsthaft beschäftigt, heute dienen "Texte" eher der Markierung von Territorien

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Distinktionsverhalten qua Jargon anstelle inhaltlicher Diskussion. Wenn man das ernst nimmt, was die nette Bitch oben konstatiert ist das ja dann nur noch folgerichtig.

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In der Vorphase des 1. Golfkriegs diskutierten wir die damals von der Autonomie-Redaktion herausgegebene Interim-Sondernummer zu diesem Krieg vor dem Hintergrund der Autonomie 14 und machten daraus ein Mobilisierungsflugblatt von 8 Seiten Länge, das dann bundesweit nachgedruckt wurde. Enthielt so schöne Zwischenüberschriften wie "Die Philosophie des abgelegten Schleiers" (Zur Lage der Frauen im Irak), "Internationale Heimatkunde" (Zum Verhältnis des arabischen Nationalismus zum Westen), "Das Recycling des Petrodollars", "Die UNO als parlamentarischer Arm des Dollar oder warum macht der Russe nichts" und "Golf GTI (Globaler Transatlantischer Imperialismus)". Schade, dass ich das nicht mehr habe!

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werde mal die Augen danach offenhalten und es bei Gelegenheit einscannen ... ansonsten gab es ja damals noch die Wildcat-Beilage zum Thema, welche das Ganze als "Angriff auf das Proletariat in den erdölproduzierenden Ländern" verstehen wollte

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Obwohl Wildcat-Stammleser habe ich davon nichts mitbekommen.

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jenes teil: http://www.wildcat-www.de/wildcat/54/w54assas.htm

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Doch, kenne ich doch, das Teil. Die Wildcats saßen ja am Nebentisch, als wir die Interim und unseren Text diskutierten.

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Sehe einen Aufbau solcher Theorie-Gebäude als grundsätzlich problematisch an.
Kapitallogische Begründung der Shoa.
Por el amor de Diós (um himmels willen). Hats nicht auch im Inka- oder Aztekenreich Arbeitslager gegeben? Oder in explizit anti-kapitalistischen Gebilden wie unter den Roten Khmer?
Solche Diskurse sind von einer Selbstreflektion gefährdet. Für Außenstehende wird dann ein Einstieg schwierig. Und solche Theoriegebäude werden imnsho sowieso immer von der Empirie unterspült. Und die Begriffe führen ein Eigenleben, dass dann ein wahres Verständnis eher versperrt.
Der Kampf der Maschine gegen "das eigentliche Leben" ist eine schöne romantische Idee. Nix dagegen. Wir haben damals so ähnlich gedacht ohne Autonome zu sein. Denk aber, dass es an jedem Produktionsort der Menschheit seit dem Neandertal immer eher spielerische und soldatische Charaktere gab und gibt. Es wirkt auf mich mit Verlaub ein wenig hysterisch und größenwahnsinnig in Hinblick auf die Fähigkeit des menschlichen Verstandes komplexe Systeme wie Haßwellen, die zur Shoa geführt haben, wirklich zu verstehen. Oder auch ein endgültiges Verständnis der 68er zu erreichen.
Oder vielleicht sind solche Gedankengelände effizient, um Ideen überhaupt zu vermitteln. Ich les ja Hartmann mit Interesse. Ich finds maßlos übertrieben, aber wirklich ärgern tuts mich wider erwarten auch nicht und beeinflußt werd ich damit natürlich auch. Selbstverständlich in eine difuse Richtung.

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Ach Salzherz, wenn du explizit von Geschichtlichkeit nichts wissen willst (nach dem Motto "die Menschen waren schon immer so und werden sich auch nie ändern") und Verstehenwollen als größenwahnsinnig abtust - wie soll man da wohl noch argumentieren? Dass es "im Neandertal" keine soldatischen Charaktere geben konnte? Dass persönliche Charaktereigenschaften für die Erklärung historischer oder gesellschaftlicher Phänomene i.A. ohne Belang sind? Oder sollte man, statt solche Banalitäten anzuführen, besser gleich konstatieren, dass dort, wo der Wille zum Verstehen fehlt, auch die besten Argumenten Perlen vor die Säue sind?

Abgesehen davon ist es hanebüchen, die Shoa aus der Kapitallogik erklären zu wollen. Die Shoa war eben nicht die "extremste Steigerung der industriellen Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft", sondern deren Vernichtung. Tote produzieren keinen Wert mehr. Es gab ja auch unter den Nazis immer wieder Konflikte um die Frage "Ausbeutung vs. Vernichtung", wobei sich bekanntlich letztere Option durchsetzte. Und auch die Ausbeutung durch Zwangsarbeit entspricht ja nicht einfach der Kapitallogik (obwohl es da deutlichere Bezüge gibt), eben weil der freie Lohnarbeiter dabei fehlt.

Damit will ich aber keinesfalls alles verwerfen, was Hartmann zum NS geschrieben hat (schon weil ich's nicht weiter kenne).

PS: Eugenik war und ist (im Gegensatz zu Euthanasie) keineswegs etwas originell oder spezifisch nationalsozialistisches, insofern besteht erstmal kein Grund, Massensterilisationen in Indien mit Rückgriff auf den NS zu erklären (es sei denn, die hätten sich dort explizit auf Naziideologie bezogen).

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Der Salonmarxologe erklärt
Die Behauptung "die Ausbeutung durch Zwangsarbeit entspricht nicht einfach der Kapitallogik, weil der freie Lohnarbeiter dabei fehlt", stellt diesselbige auf den Kopf.

Nur zur Erinnerung: Der Lohnarbeiter ist frei, weil er a) feudalen Schranken und Abhängigkeitsverhältnissen nicht mehr unterworfen ist (was die Liberallalas gerne abfeiern), und weil er b) von über die Ware Arbeitskraft hinausgehendem revenuerelevantem Eigentum befreit wurde, und zwar gewaltsam im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation (was die Liberallalas nicht so gerne hören).

Der entscheidende Punkt für die Kapitallogik ist hierbei die Trennung des Arbeiters von allen Revenuequellen (mit Ausnahme seiner Arbeitskraft). Allein dieser Punkt ist zwingend für die Kapitalverwertung. Dass dem Kapitalismus im Allgemeinen die Zirkulation der Ware Arbeitskraft entspricht, bedeutet nicht, dass es dem Kapital nicht scheißegal ist, ob der mehrwerterzeugende Malocher nach Arbeitsende in die Kneipe oder ins "Arbeit macht frei"-Lager geht. Entscheidend ist, dass die Verwertung brummt, egal wie. So geht die Logik.

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Und in diesem Sinne ist Zwangsarbeit bis zum Tode, bei der selbst noch die Knochen der Ermordeten verwertet werden sehr wohl die äußerste Steigerungsform der Ausbeutung. Die übrigens unter einer Sklavenhaltergesellschaft, nämlich der römischen, Usus war: In römischen Goldbergwerken wurden die Sklaven angekettet und unter Peitschenhieben zu einer Arbeit angehalten, die nicht befristet war. Keine Schichten, sondern Arbeitseinsatz bis zum Zusammenbruch, nach dem Aufwachen gings weiter. Keine geregelten Mahlzeiten. Manche überlebten Wochen, andere Monate. Das Sonnenlicht sah niemand wieder, alle paar Tage fuhr ein Karren voller ausgemergelter Leichen raus. Dieses menschenverschleißende, Arbeitskraft überhaupt nicht erhaltende Prinzip hatten die Römer sich für renitente Barbaren ausgedacht, es prägte in Kombination mit dem Tartaros der griechischen Mythologie die christliche Vorstellung von der Hölle.

Nur die industrielle Methode und das Vergasen im großen Stil waren bei der Shoah einzigartig, Vernichtung durch Arbeit gab es auch anderswo, und sehr wohl mit ökonomischer Vernutzung.

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So ist es. Marx sagt irgendwo, in der Antike wurde ein hochgebildeter für teuer Geld erstandener Hauslehrer-Sklave pfleglich behandelt, aber wenn ein Zuckerrohr-Plantagenbesitzer mit 3 Ernten pro Jahr das vorgeschossene Kapital bereits in 1 Jahr vervielfacht hat, dann bedeutet das für die Sklaven den raschen Tod durch Arbeit, also die selbe Anwendung der Arbeitskraft wie in den von Dir erwähnten Goldminen.

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Ok, dem Unternehmen (IG Farben bspw.) isses egal, wohin seine Arbeiter nach Arbeitsende gehen, Hauptsache sie arbeiten und sind billig. Aber die Existenz der KZ überhaupt entspringt eben nicht einfach der Kapitallogik, auch wenn die ne Rolle spielt. In vielen Fällen war die Ausbeutung in den KZ nicht wertschöpfend, etwa für Führergroßbauten. Die Arbeitsbedingungen waren häufig sehr ineffizient, es wurde bewusst auf Maschinen ect. verzichtet, die Unterernährung schwächte die Arbeitskraft mehr, als sie Kosten sparte, für die Ausbeutung widersinnige Schikanen und Quälereien taten ihr übriges - alles nicht sehr kapitallogisch. Ist eigentlich recht einfach damit zu erklären, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft nur 1 Zweck der ganzen Chose war, und nichtmal der wichtigste.

Im Übrigen ist auch die zweite Seite der doppelten Freiheit des Arbeiters für die Kapitalverwertung wichtig. Kapitalisten wollen möglichst billige und möglichst viel und gut arbeitende Arbeiter, aber keine Sklaven. Sklaven kann man nicht entlassen und bei Bedarf wieder einstellen, man muss sich um ihre Reproduktion selber kümmern, sie können i.d.R. ausschließlich extrinsisch motiviert werden (also durch direkten Zwang), was nicht so besonders effektiv ist...

Und die von Che angeführten antiken Beispiele (wie ähnlich schon die von saltoftheheart genannten Arbeitslager) zeigen doch nur, dass a) die NS-Zwangsarbeit eher der Sklaverei als freier Lohnarbeit ähnelt und b) nicht alle Ausbeutung der Kapitallogik folgt. (In der Antike gab's auch schon Kapitalverwertung, aber das war eben eher eine Randerscheinung und nicht gesellschaftsbestimmend.)

PS: Eine christliche Höllenvorstellung, die Zwangsarbeit beinhaltet, wäre mir neu.

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@"Eine christliche Höllenvorstellung, die Zwangsarbeit beinhaltet, wäre mir neu." ---- Nicht die Arbeit an sich: In Höhlen und Stollen unter der Erde gequält werden und die Sonne nie mehr wiedersehen.

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is quatsch
zitterwölfe kommen imma ans licht

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Zuerst hast Du gesagt: "die Ausbeutung durch Zwangsarbeit entspricht ja nicht einfach der Kapitallogik, eben weil der freie Lohnarbeiter dabei fehlt." Darauf habe ich repliziert.

Nun sagst Du – Achtung, Gegenstandswechsel! –, "die Existenz der KZ überhaupt entspringt eben nicht einfach der Kapitallogik", was aber keiner behauptet hat. Du sagst weiter: "In vielen Fällen war die Ausbeutung in den KZ nicht wertschöpfend", was ebenfalls niemand gesagt hat, aber die Ausbeutung von KZ-Häftlingen in den Fabriken außerhalb der KZ war grandios wertschöpfend, sonst hätten nämlich die Unternehmen keine Millionen Reichsmark an die Arbeitnehmerverleih- und Zeitarbeitsfirma namens SS gezahlt.

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Hier wurde sogar versucht (bzw. der Versuch zitiert), die Shoa aus der Kapitallogik zu erklären, und dagegen habe ich mich gewandt, und erst im Nachsatz kam die Zwangsarbeit. Wenn dann hättest du also schon viel früher "Gegenstandswechsel!" schreien müssen.

Und ja, die Zwangsarbeit in den Fabriken, der Landwirtschaft usw. entsprach der Kapitallogik und bescherte vielen Unternehmen märchenhafte Gewinne. Nur ist damit noch nicht erklärt, warum es überhaupt Zwangsarbeit im NS gegeben hat.

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Ich weiß nur nicht, ob es da eine monokausale Antwort geben kann. Ich arbeite da ja lieber mit Annäherungen und perspektivischen Fluchtpunkten. Und da trägt der Ansatz der "Ökonomie der Endlösung" ein Stück weit, aber eben nicht vollständig. Ob das Ganze gesamtökonomisch, also im Sinne eines Kosten-Nutzen-Verhältnis "Sinn" machen würde ist noch einmal eine völlig andere Frage. Die Vorstellung, der Kapitalismus insgesamt entwickle sich logisch, effizient und für sich sinnvoll wurde gerade recht überzeugend durch die Finanzkrise in ihrer Absurdität vorgeführt. Und andererseits lässt sich wohl auch einfach sagen, dass Zwangsarbeit in die Gouvermentalität faschistischer Regime passt und zum Anderen auch schon vom Kaiserreich im Ersten Weltkrieg praktiziert wurde. Auch die Rassenhygiene ist im Kaiserreich bereits angelegt.

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Zitat che: "Dieses menschenverschleißende, Arbeitskraft überhaupt nicht erhaltende Prinzip hatten die Römer sich für renitente Barbaren ausgedacht"
Du sagst es- das Ganze zielt nicht auf die Maximierung der Arbeitsleistung wie es zB bei Cato dem Älteren durchkommt sondern auf Abschreckung. Das ist eher Todesstrafe auf Raten.

Sklaverei kann nur begrenzt vernutzend existieren wenn sie auf dauer angelegt sein soll- denn sonst würde Spartakus jeden Dienstag den Aufstand proben.
Und hier kommen wir zum Knackpunkt: dermassen extrem Ausgenutzte, denen klar ist, dass sie nur begrenzt lange überleben, egal was sie tun oder nicht tun, bergen das Risiko dass es irgendwann heißt: "its better to burn out then to fade away".


Aber um mal auf die Ökonomie der Vernichtung zurückzukommen: ein norwegischer Kollege behauptete mal (allerdings im beschwipsten Zustand) dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte, wären alle Verwaltungsbeamten an die Ostfront geschickt worden.

Das Ausmass der Vernichtung der Shoah ist unökonomisch. Der Völkermord frisst Ressourcen, die militärisch benötigt worden wären.
Und damit wäre klar, dass es sich hier um mehr als pure Kapital- und Verwertungslogik handelt.

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Z.B. gibts übrigens eine ziemlich berühmte Untersuchung, gemäß der kubanische Zuckerrohrsklaven im 19. Jhdt. eine wesentlich bessere Ernährung erhielten als kubanische Arbeiter heute. Die Intention der guten Ernährung war nicht nur die Verhinderung von Aufständen sondern v.a. auch die Optimierung der Arbeitskraft.
Ich sag damit nicht, dass ich für die Zuckerrorhrsklaverei wäre. Einer meiner politischen Helden, Antonio Maceo, hat schliesslich einige Centrales konkret niedergefackelt.
Nur ist das Ausbeuten bis auf die Knochen nicht unbedingt die Idee einer Marktwirtschaft. Selbst nicht einer, in der Sklaverei erlaubt ist.
Andere kapitalistische Elemente wirkten sich erschwerend für die Sklaven aus. Vor allem der zunehmende Absentismus des senioralen Eigentümers und die Einsetzung von "Manager"-Verwaltern. Diese bestraften oft härter und führten rigider.

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Ah, Cassandra, schön, Dich auch mal zu lesen!
So langsam wird das ein Familientreffen. Demnächst kommen wahrscheinlich noch unsere alten Fachschaftsräte ;-)

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"Das Ausmass der Vernichtung der Shoah ist unökonomisch." Stimmt – das "3. Reich" als ganzes ist es aber nicht. –

Mir war schon immer suspekt, wenn versucht wurde, die Shoa 'abzuleiten' oder sonstwie 'vollständig zu erklären'. Möglicherweise ist das Mißverständnis entstanden, ich würde das versuchen wollen.
Es bleibt ein nicht erklärbarer Rest, dem ins Auge zu sehen der Wahrheit näher kommt, als die Ableitungen und Komplettanalysen. –

Verwertungslogik heißt übrigens nicht, dass alle Subsysteme der gesellschaftlichen Oberfläche in direkter Analogie zum Kapitalbegriff sich darstellen.

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@noergler:
"Das Ausmass der Vernichtung der Shoah ist unökonomisch." Stimmt – das "3. Reich" als ganzes ist es aber nicht. – "

klares "jein" von mir. Denn man könnte argumentieren, dass der militärische Zusammenbruch wirtschaftlich bedingt war (ohne Munition nix schiessen) und dann muss man die Wirtschaftlichkeit des dritten Reiches insgesamt schon anzweifeln. Wenn massiv Kräfte und Ressourcen gebunden werden entfallen sie an der Front.

"Mir war schon immer suspekt, wenn versucht wurde, die Shoa 'abzuleiten' oder sonstwie 'vollständig zu erklären'."
ich möchte nicht bezweifeln, dass das geht, aber ich kann es nicht und habe auch noch niemanden getroffen, der es konnte. Monokausal greift jedenfalls auf keinen Fall.

"Verwertungslogik heißt übrigens nicht, dass alle Subsysteme der gesellschaftlichen Oberfläche in direkter Analogie zum Kapitalbegriff sich darstellen."
Schon klar, aber irgendwann wird der Verwertungsgedanke zum bestimmenden Faktor. Und das passiert hier nicht.

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Qsaltoftheearth: ich bin auch nicht wirklich für die Wiedereinführung der Sklaverei :)

Man muss allerdings zugeben dürfen, dass ein extrem vernutzender Kapitalismus die Elendsauswirkungen von feudaler Leibeigenschaft durchaus übertreffen kann. Der menschlichen Grausamkeit sind halt kaum Grenzen gesetzt.

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Das "3. Reich" war kapitalökonomisch ein Riesenerfolg sondergleichen, ein echter Kracher:

- Die großen Kapitalien waren hinterher größer als vorher.
- Der Nachkriegserfolg von Hugo Boss, Porsche und zahllosen anderen beruht auf dem durch Zwangsarbeiter erwirtschafteten Kapitalstock.
- Kriegszerstörung und Demontage der Industrieanlagen schufen Platz für modernisierte Verwertungszyklen; jetzt wurde akkumulierbarer Mehrwert produziert, dass es nur so raucht. Undenkbar, dass D ohne Hitler wirtschaftlich heute so glänzend dastünde.
- In den USA entstand durch die Kriegswirtschaft der "militärisch-industrielle Komplex" (Eisenhower), dessen seitherige betriebswirtschaftliche Ergebnisse als Verwertungsorgie zu bezeichnen noch gelogen wäre.

Soviel zum Thema der Relevanz des "3. Reichs" für die Kapitalverwertung.
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"aber irgendwann wird der Verwertungsgedanke zum bestimmenden Faktor. Und das passiert hier nicht."
Aus den Knochen der durch Gas Ermordeten Seife herzustellen scheint mir ein sehr starker Verwertungsgedanke zu sein.
Ich höre schon das Gegenargument: 'Die Juden wurden ermordet wegen Antisemitismus, nicht wegen Seife.'
Aber wenn vorne Antisemitismus reingesteckt wird, und hinten kommt Seife raus, dann gewinnt der "Verwertungsgedanke", den niemand dachte, Relevanz.
So ist das nun mal im Kapitalismus: Seine Gesetze vollziehen sich "hinter dem Rücken" (Marx) der Akteure: "Sie wissen es nicht, aber sie tun es." (Marx)

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Zum wirtschaftlichen Erfolg der BRD tragen allerdings auch die Marshall-Millionen bei. Denn sonst wären anstelle der plattgebombten Industriezentren keine neuen gebaut worden. Das liefe dann auf den Morgenthau-Plan hinaus.

Dass Hugo Boss sich mit Uniform-Design eine vergoldete Nase verdient hat will ich gar nicht bestreiten, oder dass Zwangsarbeit signifikant zum Nachkriegserfolg beigetragen hat. Alles keine Frage. Wo aber für ein Kernanliegen des 3. Reiches (denn das war die Shoah) so massiv Ressourcen gebunden werden, die anderswo kriegswirtschaftsrelevant eingesetzt werden können steht dahinter "einfach" der Wille zur Vernichtung, und nicht nur ein amoklaufender Kapitalismus. Klar, damit konnte man auch nach '45 gut Kohle machen, das heisst dann glaube ich "Kontinuitäten", oder ;)

Der menschlichen Grausamkeit sind keine Grenzen gesetzt und sich zu überlegen, wie man noch Leichen verwerten kann ist schon ziemlich pervertiert. Aber trotzdem: die Shoah war unökonomisch. Um es mal ganz plumb zu fassen: statt sinnlos überschwere Steine von A nach B zu schleppen und dabei irgendwann tod umzufallen hätte man jüdische Zwangsarbeiter auch Eisenbahngleise für die Wehrmacht verlegen lassen können. Ist teilweise passiert, ich weiss, aber sinnloses Steineschleppen verschleist halt besser. Und hier ist das 3. Reich unökonomisch, es vernutzt seine Arbeitskräfte (von freiwilligen Arbeitskräften rede ich hier nicht!) statt den Grenznutzen Ernährung-Kleidung-medizinische Versorgung-Ruhe auszureizen und damit produktiver zu werden.

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hallo ihr antisemiten
offensichtlich is keinem klar das die verbreitung der legende von juden zu seife eine tiefe antisemitische komponente hat egal in welchem zusammenhang ich die legende verwende.

nehmen wir ma an ein gläubiger antisemit wie goebbels sollte sich mit so einer seife waschen sozusagen jude pur als duschgel oder so.
ja der mann blieb 1000 jahre ungewaschen so hätt der sich gefiest.

das is die lustige seite die andere is schon etwas ernsterer natur.

das ganze hat ne metaebene so wie die verwandlung von wein zu blut in der kath. kirche.

aus dem unreinen juden wird etwas reines. die vernichtung des juden sozusagen eine religiöse handlung.

und das verbreite ich ob gewollt oder ungewollt wenn ich diese legende mir zu eigen mache für kapitalismuskritik oder welch hehre andere gründe auch immer.

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Das mit der Antisemitin nimmst du bitte zurück. Abgesehen davon solltest du vielleicht deine Kenntnisse in den unterschiedlichen Abendmahltheorien auffrischen. Bei den Reformierten Kirchen wandelt sich nämlich gar nichts.

Die Verwendung von Leichenfett ist zumindest für Auschwitz belegt. Ja, das ist ziemlicb ekelig, geb ich jederzeit zu.

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Wie antisemitisch bin ich?
Dass Du, dsdk, der einzige nicht antisemitische Deutsche bist, wird Dir zwar Schwierigkeiten mit den "Antideutschen" bereiten, die diesen Anspruch ebenfalls erheben, und auch Henryk mit dem Herrentäschchen wird dies als Eingriff in seine Kernkompetenz werten, dies soll jetzt aber nicht mein Problem sein. Vielmehr möchte ich Deine Expertise in Sachen Anti-Antisemitismus nutzen, um zu fragen, wie tief ich im Sumpf des Antisemitismus stecke, wenn ich etwa die Legende vom herausgebrochenen Zahngold verbreite, denn das kann nicht sein, weil: hat der Jude im Mund gehabt – eklig!
Auch Sammlung und Verwertung der Kleidung nach Aufnahme ins KZ sind Märchen, da doch nicht einmal der Kochwaschgang mit dem "Weißen Riesen" den Juden aus den Klamotten wieder herausbekäme – eklig!
Ebenso ist die Arisierung der pfälzischen jüdischen Weingüter durch Gauleiter Bürkel eine Erfindung antisemitischer Märchenerzähler, weil Wein vom Juden in den arischen Körper hineinlassen – eklig!
Und der günstige Immobilienerwerb, weil der Jude seine Flucht vorbereitete: kann nicht sein, da solche Wohnungen judenkontaminiert und eklig sind.

Wie antisemitisch also ist man, wenn man derartige Dinge kolportiert?

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cassandra das war ironisch
ich bin nich im wohlfahrsausschuss und das mit den christlichen kirchen hab ich brav geändert weil ich den katholischen antisemitismus in polen im koppe hatte.

bei mysterium hätte ich fast alle im boot gehabt.

mit dem leichenfett haste sicher auf das affidavit von höss angespielt.
das hat abba ne völlig andere qualität ob da fett abgeschöpft wurde um die verbrennung in den gruben zu beschleunigen oder

ob ich juden zu seife kolportiere.

da mach ich mich unwissentlich zum handlanger antisemitischer gestalten. da is keiner vor gefeit. unwissenheit is kein privileg von zitterwölfen.

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Na prima, dass wir uns jetzt alle wieder lieb haben ;)

Ironie im Internet ist immer heikel- ich kann dich nämlich nicht sehen.

Ich habe mich beim Leichenfett auf Berichte von Häftlingen der Sonderkommandos bezogen. Ich hab das grad nicht zitierfähig hier, weil ich das Buch zurückgegeben habe, aber die Berichte, dass sie das Fett auffangen mussten exitieren. Ist natürlich alles x Jahrzehnte später schwer zu beweisen, aber generell habe ich keinen Grund, an der Aussage zu zweifeln.
Wenn ich mich richtig erinnere ist das Fett auch aus dem Verbrennungsbereich abtransportiert worden lt diesen Aussagen.

Das Ganze empfinden wir heute als mega-ekelig. Aber Leichenfett war zumindest in der Frühen Neuzeit relativ gebräulich, die Henker hatten den Verkauf als Zusatzeinnahmequelle (ja, ich weiss, dass 1933 nicht in der Frühen Neuzeit liegt)

Aber die Jungs und Mädels in der FNZ haben sich eh nicht gewaschen, da müssen wir uns um Seife-oder-nicht keine Sorgen machen *Ironie*

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noergler,
ich weiss zwar nicht was das mit meinem deutschen pass zu tun hat aber ich gehe gerne drauf ein:

antisemiten sind nich besonders glaubwürdich. die rassenhygiene hatte das abba schon vorausgesehen und neben juden zigeuner homosexuelle den asozialen eingeführt.

nehmen wir eine jüdische villa in berlin und dann zieht die gestapo da ein. das is doch wahnsinn. die geballte kompetenz des wahrhaften deutschen in einer kontaminierten hütte schlimma als tschernobyl. skandal
darum ham die auch den kriech verloren.

abba is ne interessante frage?
wie glaubwürdig is der antisemit?

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cassandra,
Himmler,
Schreiben an Gestapochef Heinrich Müller vom 20. November 1942:

Sie haben mir dafür zu garantieren, dass an jeder Stelle die Leichname dieser verstorbenen Juden entweder verbrannt oder vergraben werden, und dass an keiner Stelle mit den Leichnamen etwas anderes geschehen kann.

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du verstehst da was nich. an die seifenlegende glauben immer noch 90% der polen und das lässt nix gutes erahnen.
du verstehst den hinterfotzigen antisemitismus nicht der sich dahinter verbirgt weil deine erfahrungswelt wie auch die von noegler nicht identisch is wie z.b. von einem erzkatholischen polen.

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werden ja auch verbrannt, und was der Reichsheini nicht weiss, macht ihn nicht heiss.

Wie gesagt, ich meine mich zu erinnern, dass die Überlebenden der Sonderkommandos berichteten, das Fett sei sei auch abtransportiert worden.

Just for the record: ich hab irl einen polnischen Nachnamen und bin katholisch :) zwei meiner äusserst charmanten Widersprüche.

Das Antisemitismus auf die widersinnigsten Ideen kommt- klar. Wie übrigens jeder andere Rassismus auch. Irgendwie schaffen es Türken ja auch, einerseits von Sozialhilfe ein Schlaraffenleben hier zu führen und andererseits den Deutschen jeden Job und auch noch die Mädels wegzuschnappen. Einfach perfide. Oder unlogisch vom Denker. Das möge jetzt jeder selbst entscheiden.

Antisemitisch wird die Seifen-Geschichte wenn der Hintergedanke ist: "na ja, das einzig sinnvolle was man mit so einem anfangen kann, ist der wenigstens mal zu irgendwas nütze" Ansonsten spricht es erstmal nur für das Fallen jeder moralischen Schranke beim selbsternannten Herrenvolk

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cassandra du hast das nich verstanden
um das gruselige fett gehts doch gar nich ob es da war oder nicht und wo es entsorgt wurde is doch völlig ohne belang.

ne was du da als antisemitsch siehst greift zu kurz.

hinter der seifengeschichte steht:

der jude ist dreckich und wird in was reinliches verwandelt. ein mysterium was natürlich nur funktioniert wenn ich davon ausgehe das der jude dreckich is.

(die restknochen wurden übrigens zermahlen)

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Ich sehe trotzdem nicht unbedingt,
dass man sich dem Glauben an diesen Mythos automatisch und unhinterfragt anschließt, wenn man diese Seifen-Kiste thematisiert. Die Anerkennung der Tatsache, dass es Menschen gibt, für die der Gekreuzigte bei der Eucharistiefeier nicht nur symbolisch präsent ist, macht einen ja auch noch nicht zum Katholiken.

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ich hab von mark nix anderes erwartet
.

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Eigentlich geht es hier doch gar nicht um Seife, oder? Also lassen wir die mal in der Kiste.
Es geht um die Frage, ob Verwertungsinteressen im Vordergrund der Motivation für die Shoah standen. Und hier sage ich nein, tat es nicht. Es war eher so, dass, als sie denn tot waren, man mit den Leichenbergen da stand. Die Massenerschießungen im Baltikum finden noch halbwegs unökonomisiert statt. Da werden zwar danach die Häuser samt Inventar ausgeplündert und die Kleidung eingesammelt, aber das war es auch.

Also ich bleib dabei: mehr als ein Amoklaufender Kapitalismus.

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Das Lager Auschwitz war Vernichtungs- und Arbeitslager. Die Selektion an der Rampe hatte keine andere Funktion, als die Trennung von Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen. Die Arbeitsfähigkeit/Verwertungseignung war also von Anbeginn an eine wichtige Sache; warum sonst selektieren?

Das KZ Auschwitz III befand sich weitab des ersten Lagers in der Nähe des Buna-Industrieareals (IG Farben), um die Arbeitskräfte nicht durch lange Märsche zu beanspruchen. Das entspricht dem Verwertungsgedanken und widerspricht dem Programm der Vernichtung durch Arbeit. Ebenso wurde in vielen anderen Auschwitz-nahen Betrieben verfahren, darunter Krupp.

Ganz im Sinne des Verwertungsgedankens gab es dafür sogar eine eigene Behörde: das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt. Dessen Aufgabe bestand in der Organisation der Leiharbeit und in der Verwertung der den Häftlingen abgenommenen Kleidung und Wertgegenstände.

Dass eine der sieben durch Lochkartensysteme EDV-mäßig erfaßten Häftlingsgruppen (Juden waren eine dieser sieben Gruppen) "Arbeitsscheue" waren, unterstreicht die Hochrangigkeit der kapitalkonformen Verwertung der Arbeitskraft im NS-System. Wenn in Auschwitz Juden und arbeitsscheue Arier unterschiedslos gequält werden, dann ist das ein Faktum, das nicht ignoriert werden kann.

Gewiß blieb generell das Vernichtungsmotiv prioritär. "Die Vernichtung der jüdischen Rasse" war immerhin proklamiertes Staatsziel. Aber die Kraft des Verwertungsmotivs bricht sich, wie gesehen, gleichwohl ständig Bahn. Die SS wollte erst gar keine Arbeitskräfte vermieten, weil die minderwertige Rasse in unseren deutschen Betrieben nichts zu suchen hat. Dann aber waren der Druck der Werksleitungen und der Lockruf des Geldes stärker als die rassenideologische Prinzipientreue.

Auch von daher ist die Behauptung, das "3. Reich" sei ökonomisch ein Flop gewesen, nicht zu halten. Die Kosten der Deportation und der Lager wurden sozialisiert, die Gewinne aus der Beschäftigung der Zwangsarbeiter privatisiert.
Auf diese Art funktioniert die Kapitalverwertung doch am besten – bis auf den heutigen Tag.

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Das stimmt alles ganz ohne Frage.

Aber trotzdem stellt sich die Frage, warum nicht die relativ geringen Mehrkosten für eine arbeitserhaltende Ernährung gezahlt wurden. Der Output wäre höher gewesen, und irgendwann (gerade nicht zitierfähig hier- MIST!) drängt das WVHA der SS auch auf eine größere Produktivität der Lager.

Die Ghettos waren nicht produktiv genug um sich selbst zu erhalten. Rein von der Finanzkalkulation waren sie ein Zuschussgeschäft. Deswegen wurden sie auch, trotz teilweise doch recht massiver Proteste der dort produzierenden Firmen, geräumt und ihre BewohnerInnen umgebracht. Das Umbringen betrifft zuerst die nicht Arbeitsfähigen. Aber dann kommen auch die Leute dran, die eigentlich im besten Alter für körperliche Schwerarbeit sind.

Je dringender die Arbeitskräfte gebraucht werden, desto sorgfältiger wird an den Rampen selektiert um doch noch Arbeitsfähighe zu finden. Stimmt- man hatte halt erkannt, das so ein Völkermord plus ein Mehrfrontenkrieg einfach sauteuer sind und Arbeit machen.
Aber gleichzeitig wandern immer noch große Teile der annkommenden Deportierten ins Gas- auch wenn sie doch eigentlich arbeitsfähig gewesen wären.

Auch bei "Vernichtung durch Arbeit" ist das erste Wort immer noch Vernichtung.

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Aber das ganze Vernichtungsprogramm selber begann als Maßnahme zur Schaffung einer durchökonomisierten Bevölkerung. Die Psychiatrieinsassen, Sinti und Roma, "Asozialen" und Jenischen galten als "Ballastexistenzen", als "überflüssige Esser", die im Rahmen eines "Rassenaufwertungsprojekts" zur Schaffung einer genetisch "höherwertigen" Bevölkerung ausgemerzt werden sollten. Die Juden, die vorher "nur" unter drangvoller Enge ghettoisiert oder von Einsatzgruppen ermordet wurden wurden erst später in dieses Projekt einbezogen, das als Maßnahme negativer Eugenik verstanden wurde. Das galt innerhalb der damaligen deutschen Biologie als anerkannte Wissenschaft. Das macht ja jene Abgründigkeit der instrumentellen Vernunft erst aus, wegen der die Dialektik der Aufklärung geschrieben wurde.


"Die Dialektik der Aufklärung schlägt objektiv in den Wahnsinn um. Dieser ist zugleich einer der politischen Realität."

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Ich hatte mal ein Grundschulbuch aus dieser Zeit in der Hand. Da lautete eine Rechenaufgabe, wieviele "Siedlerhäuschen" für den Preis von 1 "Irrenhaus" gebaut werden könnten.
'15 Siedlerhäuschen sind 1 Irrenhaus wert'. Daran hätte man sogar die Wertformanalyse entwickeln können. Marx macht es allerdings mit 20 Ellen Leinwand und 1 Rock. –

Sehr wichtige Darlegung von Che, dass der mörderische Irrsinn die Erscheinungsform einer zugrundeliegenden und ihrerseits in Irrsinn umgeschlagenen Rationalität ist.

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Hey, ich sag ja auch nicht, dass Antisemitismus das einzige war.

Um eine Vernichtung in diesem Ausmaß durchziehen zu können braucht man akzeptierte Opfergruppen. Da bieten sich aufrgund von doch recht verbreiteten Haltungen in großen Teilen der Bevölkerung an: Homosexuelle, Behinderte, etc. Die Liste kennen wir ja alle. Den netten großen blonden kräftigen Paul von nebenan der immer so gut mit holzhackt? Vergiss es, der Junge wird wahrscheinlich nicht nur zurückschlagen wenn du ihn haust, sondern auch noch vermisst. Schlechte Vorraussetzung. Da bieten sich Behinderte, die eh weit weg im Heim sind und bei denen es keiner so richtig mitbekommt wenn man sie auf 0-Kalorien-Wassersuppe setzt doch eher an. oder der nervige Klischeeschwule. Oder der Kerl der eh nie arbeitet.

Mir fehlt leider die Zeit, aber ich habe seit einiger zeit die fixe Idee, dass ein Teil der Marginalisierten auf kontinuierende frühneuzeitliche Unehrlichkeitsdiskurse zurückgehen könnten. Ist nur 'ne Idee, die definitiv mehr braucht als ich bisher reingesteckt habe.

Der Gegensatz zum klassischen Antisemitismus ist, dass die Lösung "Taufe" nicht funktioniert. Aus einer religiösen Gruppe wird eine Ethnie.

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Der springende Punkt bei Autonomie 14 und Materialien für einen neuen Antiimperialismus ist übrigens, dass die davon ausgehen, die Triage-überflüssige-Esser-Logik bestimme auch das Denken westlicher Sozial- und Entwicklungspolitiker und die daraus abgeleiteten Rezepte, und u.a. deswegen werfen ihnen die Antideutschen Shoah-Relativierung vor. Ich denke ja, das umgekehrt ein Schuh draus wird: Bislang sind die Verbrechen des NS einzigartig, aber der Kapitalismus in seiner entfesselten und imperialistischen Form ist durchaus in der Lage, sie zu wiederholen.

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Nach fast 8 Jahren finde ich diesen Thread noch immer einen der besten auf meinem Blog.


Und den hier:

https://che2001.blogger.de/stories/1681319/


Meine Fresse, was hatten wir hier mal für eine Debattenkultur!

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