Donnerstag, 15. April 2010
Politisch korrekt
Lese ich im Zwischennetz den Begriff Political Correctness bzw. Political Incorrect wird mir immer etwas seltsam zumute. Ob das nun das Klerikalfaschistenblog ist, das sich so nennt, oder ob ein paar Blogs weiter davon die Rede ist, dass die bestürzende Mischung aus Rassismus, Homophobie, Antifeminismus und schlichtem Dumpfbackentum, die seit ein paar Jahren scheinbar als normal wahrgenommen wird ein Ergebnis zahlreicher Anti-PC-Kampagnen sei, in fast keinem Fall ist damit gemeint, was ich unter PC und Non-PC verstehe und was in meiner alten Heimat, der autonomen Szene mal unter diesen Begriffen firmierte. In den 1990ern hatten wir lebhafte Debatten um PC und Non-PC, die sich zwar an der Sexismus- und Rassismus-Debatte entlanghangelten, damit aber keineswegs identisch waren. Während heutzutage der Begriff PC fast nur noch distanzierend-abwertend gemeint ist, hatte er für die Szenemehrheit eher eine überwiegend positive Bedeutung, es gab Leute, die sich selbst als PC-Linke einordneten (zu denen ich auf keinen Fall gehören wollte), und es kam auch vor, dass jemand eine Party als "voll PC" bezeichnete. Das meinte nun nicht, die wäre vor lauter politischer Korrektheit langweilig gewesen, sondern hatte eher die Wortbedeutung von "voll cool", "dufte", "klasse" oder "supi", wie das andere Personengruppen in anderen Zeiträumen ausdrückten. Im engen Sinne bezeichnete Political Correctness in meinem Lebensumfeld eine kollektive Szene-Moral, die sich auszeichnete durch einen exzessiven Gebrauch der feministischen Linguistik mit groß I und klein mensch bis ins breiteste Biertischgespräch hinein, ein striktes Verdikt, jemals "ficken" zu sagen oder überhaupt sexuelle Anspielungen zu machen und einen überhaupt extrem diskriminierungsfreien Sprachgebrauch - so diskriminierungsfrei, das Behinderte "anders Gesunde" genannt wurden. Massenweise wurden Musiker boykottiert, weil sie irgendwann einmal etwas Sexistisches geäußert hatten oder geäußert haben sollten, das reichte von Zappa über IceT bis zu Angelic Upstarts, und manche Leute führten ihre persönliche Zensurliste. Dazu gehörte dann auch, dass man kein Fleisch aß, es kursierten durchaus Parolen wie "Get vegan or bloody", die Tendenz des Umschlagens in Tugendterror schien durchaus angelegt. Auf der anderen Seite gehörte ich selbst in ein Lager, das dieses PC-Tum moralinsauer, wenig hilfreich und nervend fand, und insbesondere zusammen mit Flüchtlings, die oft einen beißenden Selbstverarsche-Humor praktizierten ("ich bin so unzuverlässig, weil ich Kurde bin - immer auf der Flucht!") dem einen bewusst politisch unkorrekten Umgangston entgegenstellten und mit der politicalcorrectness Schabernack trieben (Fleisch in der veganen Volxküche servieren, in Situationen, in denen andere "Scheiße" sagten besnders pointiert "verfickt" sagen o.ä.). Ein besonderes Highlight war eine Party, auf der ein Song mit dem Refrain "Hier kommt der Zulu-Mann, der Zulu-Mann, der Zulu-Mann, der zwölfmal hintereinander kann" gespielt wurde. Während die anwesenden Schwarzen und deren weiße PartnerInnen sich scheckig lachten, verschwanden die politisch Korrekten von der Tanzfläche und guckten ganz grimmig. Mehr in die Tiefe gingen dann die Argumente eines Genossen, dass Political Correctness in Deutschland nicht möglich sei. Es handle sich vielmehr um eine Übereinkunft von Umgangsregeln, die zugeschnitten sei auf die Gesellschaften der USA, Kanadas und der Region Greater London. Diese zeichneten sich durch folgende Merkmale aus: Viele ethnische und religiöse Minderheiten, sog. affirmative actions, d.h. Unterstützung dieser Minderheiten durch gruppenspezifische Sonderrechte und Jobquoten, im Allgemeinen bei den religiösen Gruppen eine inbrünstige Volksreligiosität. Die Political Correctness sei sozusagen der interkulturelle Fahrplan für eine solche Gesellschaft und mache als milieuspezifisches Binnenverhalten einer deutschen linken Szene eigentlich keinen Sinn. Die PC in den USA schütze auch keineswegs nur ethnische Minderheiten, Frauen und Schwule: Dass Scientology dort unreglementiert von staatlichen Interventionen machen könne, was sie wolle oder religiöse Fundamentalisten versuchten, den Kreationismus quasi als zu respektierendes Weltbild einzuklagen sei ebenso Bestandteil der Political Correctness, die einen immer wieder neu auszutarierenden zivilgesellschaftlichen Kompromiss zwischen den Interessen unterschiedlichster Gruppen darstelle, aber nichts spezifisch "linkes" ist. Man ging irgendwann uneinig auseinander, politisch wollte man ja das Gleiche, nur über Stilfragen und Moralverständnis wurde man sich nicht einig, ein gewisser Grundkonsens wurde aber auch nie in Frage gestellt.

Und in Anbetracht dieser Erfahrungen muss ich mich regelmäßig wundern, wenn ich im Netz sehe, was da so zum Thema PC zu lesen ist.

... comment

 
Selbst Zappa wurde boykottiert? Unglaublich.

Deine Schilderungen erinnern mich an Göttingen, in der Tat. Wobei ich da eher von Tugendterror sprechen würde, sicher gut gemeintem. PC, da würde ich dem Genossen zustimmen, gibt es in Deutschland nicht, das ist nur noch ein Rechtsaußenkampfbegriff. Wenn man für "Neger" schräg angeschaut wird, ist das nicht wegen politischer Inkorrektheit, sondern wegen Rassismus. Das stört Rassisten, sonst niemanden.

Und wenn PC in den USA so definiert wurde, wie du das schreibst (nichts gegen Scientology sagen dürfen wegen "neu auszutarierender zivilgesellschaftlicher Kompromisse), dann ist das die Selbstaufgabe von Vernunft. Man solle den Begriff PC komplett streichen, damit wird nur Schindluder getrieben.

... link  


... comment
 
Interessante Perspektive.
Ich gehöre einer etwas jüngeren Generation an und wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass jemand diesen Begriff auch als positive Selbstbezeichnung gebrauchen könnte.
Heute begegnet man der "Political Correctness" bzw. "den Politisch Korrekten" eigentlich nur als Objekte der Strohmänner-Diskussionen irgendwelcher Schattenboxer von rechtsaußen, die ihre eigene Unfreundlichkeit als Rebellentum verkaufen wollen.

... link  

 
Tja, und ich kenne Leute, die sich auch heute noch als PC-Linke bezeichnen. Und auch wenn ich nichts von der Political Correctness halte, noch schlechter finde ich es, solche Begrifflichkeiten den Schattenboxern von rechtsaußen zu überlassen.

... link  

 
Naja, ich überlasse denen eigentlich auch ungern Begriffe, aber bei dem hier fehlt mir irgendwie die Motivation. Mirwill ehrlichgesagt nicht ganz klar werden, was daran erhaltenswürdig ist. Für mich steht "PC" für einen eher moralischen Politikbegriff, den ich für wenig zweckmäßig und eigentlich auch nicht wirklich für links halte.

... link  

 
Das geht mir auch so; was ich meinte war etwas vielschichtiger. Sagen wir mal so: Mich kotzt es an, dass Neue Rechte mehr und mehr Begriffe okkupieren und Deutungsmacht über politisch-soziale Sprache erlangen. Jetzt verständlich?

... link  

 
Absolut und ich gebe dir so auch uneingeschränkt recht. Man denke in diesem Zusammenhang nur mal an Wortschöpfungen wie "Gutmensch" oder die ständige Uminterpretation von Orwell's "Neusprech"...

... link  

 
Übrigens ist zum Beispiel der Bloggerinnenname der werten Netbitch noch dem Non-PC-Diskurs jener bewegten Szenezeiten geschuldet. Es gibt da so eine verstreute Clique, die auf befreundeten Weblogs domiziliert ist;-)

... link  


... comment