Montag, 17. März 2014
Lampedusa in Hanau
Somalische und eritreische Flüchtlinge, die von der Diakonischen Flüchtlingshilfe im Main-Kinzig-Kreis betreut werden, schließen sich zu einer Initiative zusammen: "Lampedusa in Hanau" setzt sich für eine humanere Flüchtlingspolitik ohne ständige panische Angst vor Abschiebung ein.

Die Augen schauen freundlich, äußerlich erscheint der Mann gelassen. Die Panikanfälle erfassen ihn in der Regel des nachts. Oder wenn Post von einer Behörde kommt. Mustafa A., 42 Jahre alt, stammt aus Somalia. Er hat eine traumatische Flucht, Lagerdasein auf Lampedusa und lange Obdachlosigkeit auf dem italienischen Festland sowie eine Odyssee bis nach Hanau hinter sich. Ihm droht die Abschiebung zurück nach Italien, in die Hoffnungslosigkeit. Denn sein Eilantrag auf ein Asylverfahren in Deutschland wurde abgelehnt. A. gehört zu den mehr als 50 somalischen und eritreischen Flüchtlingen, die von der Diakonischen Flüchtlingshilfe im Main-Kinzig-Kreis betreut werden und die sich in einer Initiativgruppe mit dem Namen „Lampedusa in Hanau“ zusammengeschlossen haben. Sie stellte sich dieser Tage der Öffentlichkeit vor.

Lampedusa-Flüchtlinge
Rund 50 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea sind im Main-Kinzig-Kreis gemeldet. 80 Prozent von ihnen sind Männer. Die meisten leiden an Traumata, schlecht behandelten Wunden, viele von ihnen, Männer wie Frauen, erlitten sexuelle Gewalt.

Sie leben in Hanau, Maintal, Bruchköbel und Freigericht.

Die Forderungen: Keine Abschiebung nach Italien oder Malta, Zugang zu einem fairen Asylverfahren. Freiheit, den Aufenthaltsort zu wählen.

Mustafa A. gehört zu den Gründern der Initiativgruppe. Er wie fünf weitere Schicksalsgenossen und -genossinnen berichten den Hanauern, was sie erduldet haben. Seine Leidensgeschichte als Mitglied einer ethnischen Minderheit eskaliert, als er sich in eine Frau aus einer verfeindeten Bevölkerungsgruppe verliebt und sie heimlich heiratet. Verfolgung und Gewalt zwingen ihn zur Flucht. Durch die Sahara, durch Libyen, schließlich auf einem völlig überfüllten Boot nach Lampedusa. Er wird auf seiner Flucht wiederholt misshandelt, beraubt, betrogen, erlebt Hunger, Durst und rassistische Übergriffe.

Als A. in Italien mit einer dreijährigen Duldung aus dem Flüchtlingslager entlassen wird, ist er völlig auf sich selbst gestellt, ohne Aussicht auf Unterstützung oder die Möglichkeit, seinen Aufenthalt auf Dauer zu legalisieren, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. A. ist gelernter Mechaniker und hat sich selbst Englisch beigebracht. Seit vergangenem November ist er in Hessen und bemüht sich, Deutsch zu lernen.

Für Herwig Putsche, den hauptamtlichen Flüchtlingsberater der Diakonischen Flüchtlingshilfe, ist Mustafa A. einer der Betroffenen, die noch Lebenskraft haben. Er erlebe in seinem Alltag schwer traumatisierte Männer und Frauen, die Grauenvolles erlebt haben, die ärztliche und psychologische Hilfe benötigen. „Die können hier erst mal zur Ruhe kommen“, sagt Putsche. Die Flüchtlinge werden betreut, die Städte und Gemeinden stellen Unterkünfte zur Verfügung, spezialisierte Anwälte stehen den Betroffenen zur Seite und versuchen, ihnen das Bleiben zu ermöglichen.

Der behördliche Ablauf setzt Fristen
Allerdings ist diese Ruhephase nicht von langer Dauer. Weil die europäischen Länder übereingekommen seien, erklärt Putsche, die Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken, wo sie erstmals europäischen Boden betreten hätten (Dublin-Verfahren), drohe ihnen die Abschiebung. Alleinstehende Männer wie Mustafa A. gelten nicht als „besonders schutzbedürftig“. Obwohl in Italien oder auch auf Malta, wo ebenfalls viele Boote mit Flüchtlingen landen, grundlegende Versorgungsmängel bestehen. Das würde, betont Putsche, von humanen Hilfsorganisationen immer wieder bestätigt. Immerhin hätten kürzlich drei von ihm betreute Frauen, so Putsche, wegen ihrer Schutzbedürftigkeit positive Bescheide bekommen. Sie könnten jetzt auf ein faires Asylverfahren hoffen.

Doch die Zeit für die Anderen drängt. Der behördliche Ablauf setzt Fristen. Putsche und die Gruppe „Lampedusa in Hanau“ wollen sich für eine humanere Flüchtlingspolitik einsetzen. Und dafür, dass die Flüchtlinge wegen der drohenden Abschiebung nicht ständig in panischer Angst leben müssen. Am liebsten, sagt Putsche, wäre ihm, wenn sich Kirchengemeinden einschalten würden. „Kirchenasyl wäre gut. Das wäre ein Schutz.“


http://www.fr-online.de/zuwanderung-in-rhein-main/fluechtlinge-im-main-kinzig-kreis-hoffnung-auf-leben-ohne-angst,24933504,26577178.html


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