Sonntag, 1. Februar 2015
Treffendes über die singende Sagrotanflasche Helene Fischer
Ich muss zugeben da nicht ressentimentfrei zu sein und durchaus geprägt vom Populärfeminismus der linken Szene, und da geht eine durchgestylte dauerfröhliche Langhaarblondine nunmal gar nicht. Dass Klischee der Antifrau. Zusammen mit Trällermusik, Wiesngeschunkel, Haha-Fröhlichkeit und dieser Adabeimäßigen Omnipräsenz das Gegenteil von Aufklärung. Kein Wunder, dass diese Musik schon von der Polizei auf einer HoGeSa-Demo zur Beruhigung der Massen eingesetzt wurde. Die Huffington Post bringt gut auf den Punkt, was zu Helene Fischer zu sagen ist - und wieso das durchaus eine politische Dimension hat, denn gerade im unpolitischen liegt ja eine politische Integrationskaft des Systems.

http://www.huffingtonpost.de/2015/01/30/helene-fischer-fans-biedermeier_n_6571464.html

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einfach unrichtig oder Verrat
interessant nur, wie zielgerichtet all die Schlagerapologeten in das offne Messer der linken Kritiker laufen. H. Fischer ist insofern ein Selbstläufer. Bei den Hasskommentaren im Netz der Apologeten handelt es sich um Reaktionen auf die Kritiker. Wie gesagt, interessant, das Übererfüllungssoll der Pegida-mäßigen Fischer-Verteidiger im Sinne der Kritiker. Ein gesellschaftliches, -kritisches Moment, nur ein solches, ist es, an welchem es den Kritikern liegt. Der wahre Künstler, der wahre Kunstkritiker erkennt jedoch nur das objektive Moment, das sich, wie jede Wahrheit, als unbezweifelbar wahr demonstrieren lässt. Meinungsverschiedenheiten zw. H. Fischer "Kritikern" - in Anführungszeichen, weil hier überhaupt keine "kritik" berufen ist - & Apologeten beweisen nur, dass sie ihrer Kunst nicht gerecht werden. Damit ist aber bewiesen, dass es sich tatsächlich um Kunst handelt.

das objektive Moment herauszuarbeiten, überlasse ich bersarin. Der wundervolle blonde Schopf, die selten im Bild zu sehenden eher kurzen Beine, die perfekt eingespielte Band, die souveränen Arragements, die, selbst bei einigen Schwierigkeiten, fehlerlos operierende Stimme, der Antagonismus des Rock-Pop-Konzerts mit Tausenden an zujubelnden Fans. - Niemand versteht, um welchen Antagonismus es sich eigentlich handelt. Denn eine Gesellschaftskritik qua eines Ereignisses wie Helene F. ist selber ein Antagonismus. Hierin liegt die Wahrheit von Helene Fischer.

All jene Meinungen auf dem Marktplatz kümmern mich nicht. Es handelt sich um das Pop-Prinzip, das sich durch alle Popgattungen, durch die ganze Pop-Geschichte hindurchzieht. Hier zählen keine Kontroversen, und was andere dazu denken, ist mir egal. Denn Helene Fischer hat es unwidersprechlich demonstriert. Meinungen, Kontroversen und das große Geschnatter und die Balgereien sind nicht die Bohne von Interesse. Mögen sie sich raufen auf dem Marktplatz der Meinungen. Hauptsache ich stehe mit mir selbst und also dem Prinzip des Pop in Einklang. Alles andere ist einfach unrichtig oder Verrat.

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Mit Verrat hat das nix zu tun, aber mit kognitiven Dissonanzen
Ob Helene Fischer Pop ist oder doch nur Schlager ist eine Frage. Eine Andere, ob sie und ihr Publikum miteinander identifizierbar sind. Es gab mal eine Zeit - lang, lang ist es her, und Lang Lang hat bestimmt damit nix zu tun - als der tumbe deutsche Schlager die Musik der braven, angepassten Normaldeutschen war und das ganze Spektrum von Pop bis Rock, von RMB bis Heavy Metal, von Funk bis Punk mit einer rebellierenden Jugendkultur verbunden. Der aktuelle Schlagerpop versöhnt und vertöchtert diese früheren Fronten miteinander, doch haben die selber schon gar keinen Begriff mehr davon. Am Krassesten ist Heino, der mal der Barde der deutschnationalen Szene und des absoluten Spießerkonservatismus war und sich heute mit Rock-Adaptionen über seine eigene Vergangenheit lustig macht. Die Musik von Helene Fischer ist harmlos, ihre Rezeption ist es nicht. Die Adornosche These, dass Massenkultur keine Volkskunst von den und für die Massen mehr ist, sondern reiner Markt, Bedienung von emotionalen Bedürfnissen als Teil der Warenwirtschaft trifft sicher teils-teils auf nahezu alle Formen der massenwirksamen Musikproduktion zu, bei Helene Fischer aber noch mal besonders. Die gibt ja kein einziges Interview, dessen Ergebnisse nicht vorher geplant und geprobt sind. Wenn ein Nino de Angelo, wie kürzlich geschehen, im Radiointerview über die Entstehungsbedingungen seiner Musik, seine Schaffenspausen, seine Selbstzweifel und seinen früheren Kokainkonsum spricht, so hat das Größe. Bei Helene Fischer findet sich nichts davon, sie funktioniert als ihre eigene Marketingmaschine.

Wenn Che allerdings die "Langhaarblondine" als "Antifrau" beschreibt und von eigenen vulgärfeministischen Ressentiments spricht kommt das bei mir nicht besonders gut an. Langhaarblondine bin ich selbst, und ja, ich habe diese Ressentiments in der linken und feministischen Szene weidlich kennengelernt. Wer als Frau etwa so herumläuft, wie es auch playboykompatibel wäre, statt Schlabberhoodies Minirock, Lederjacke, Strapse und High Heels gilt als antifeministisch, als zum Feind gehörig. Ich inszeniere mich als radikale Feministin genau so, weil ich es gerade nicht als antifeministisch betrachte, mich als begehrenswerte heterosexuelle Frau öffentlich darzustellen. Darauf fährt ja der Che selber sogar total ab. Von daher stellt sich die Frage, ob der Helene-Fischer-Hass nicht so eine Art Stellvertreterkrieg ist: Ein unaufgearbeitetes Verhältnis von Mit-und ohne-Gliedern der linken Szene zu schönen Blondinen, das damit zusammenhängt, dass diese im durchaus sexistischen Marketingkontext der Normalos besonders gecastet werden. Dafür, dass das so ist, können sie selber nix.

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Nachtrag
ok,. ah, Che, hab Deinen Text nochmal überflogen, diesmal Wort-für-Wort, Helene als ihre eigene Maktingmashine. Es ist aber immer so im Pop, ohne eigene Martetingmaschine läuft gar nichts, das ist doch das Wesen des Pop! Nur dann, wenn du dich zum Produkt machst, nur dann bist du Pop. Etwas reflektierter finden wir es im camp, Warhol langweilte uns noch ein bisschen, aber alle wussten es vorher, dass es lediglich um die Mache als Mache ging. Darum, ob es Leute gibt, die bescheuert genug sind, sich dafür herzugeben.

Es ist wie eine Zirkusveranstaltung; es sind wirklich nur Idioten, die aus den Formen, die sich leider kontigenterweise so ergeben haben, eine Definition des Pop ableiten wollen.

Es hat mich seit je immer nur verwundert, warum sich irgendwelche Adorniten oder sogar Himself sich einem solchen niedrigen Phänomen zugewendet haben, nur um es zu "destruieren", welch eine Verschwendung dieses Reichtums, überreich an Intelligenz!

Niemand versteht, dass das Wesen des Pop in ebenjener Verschwendung beruht. Vorausgesetzt natürlich, dass es etwas zu verschwenden gibt. Gerade aber im Bereich der Pop-Theorie treffen wir auf die Allergeizigsten, vielleicht sogar Ehrgeizigsten.

Als Pop-Musiker seit 20 Jahren verweigere ich mich gegen solches Schwachmatentum.

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@ziggev:
Äh, wie jetzt, also die Verschwendung von Intelligenz auf die Dekonstruktion des Pop konstituiert diesen Pop geradezu? Ich kann da nicht ganz folgen und wüßte gerne genauer, wer da was verschwendet, damit Pop entsteht.

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@ mark; @ netbitch (hielt ich zuerst für einen Kommentar von Che ...)

Mark: -
ich versuch´s nochmal, vielleicht etwas intelligenter ausgedrückt. Adorniten verschwenden ihre (zumindest was Adorno Himself betrifft) bewundernswerte Intelligenz an ein Phänomen, wenn sie dieselbe nicht einfach verschwenden, sondern tatsächlich zu Ergebnissen zu kommen trachten. Denn sie verfehlen einfach ihren Gegenstand. Die von bersarin nicht selten vorgetragene Forderung, eine gelungene Kritik solle sich im Idealfall an ihren Gegenstand anähneln (ein Wort, wie ich es liebe, bersarn würde möglicherweise eher von mimesis sprechen; bitte aber mitbedenken, das mimesis auch einfach 'Darstellung' bedeutet), ist vielleicht ein Hinweis, wie ich mir "Verschwendung" im positiven Sinne denke. Pop ist zwar nicht gerade "die schönste Nebensache der Welt", aber eben gerade deshalb so schön, weil einfach wesensmäßig so überflüssig.

netbitch: -
wenn Du schreibst: "als der tumbe deutsche Schlager die Musik der braven, angepassten Normaldeutschen war und das ganze Spektrum von Pop bis Rock, von RMB bis Heavy Metal, von Funk bis Punk mit einer rebellierenden Jugendkultur verbunden", dann möchte ich gerne zunächst den "klassischen" deutschen Schlager verteidigen. Es gab damals auch richtig gute Produktionen; ich kenne sogar Jazzmusiker, die ab und an entsprechende Radio-Sender hören, denn damals wurden noch tatsächlich manchmal über 20 Musiker bezahlt, mit anderen Worten: Es spielte ne Big Band und es wurde instrumental am Sound gearbeitet. Außerdem wurde noch zuerst auf die Stimme geachtet, ich nenne Gitte - z.B. "Ich will `Nen Cowboy als Mann". Oder es sei auch an Trude Herr erinnert, die nun sicherlich nicht wg. ihres Aussehens zur Schlagersängerin (gemacht) wurde. Ich kann einfach nicht anders, als Gittes Stimme zu bewundern/genießen.

Daraus, nun diesen "tumben" deutschen Schlager zu kontrastieren mit dem "ganze[n] Spektrum von Pop bis Rock, von RMB bis Heavy Metal, von Funk bis Punk", welche "mit einer rebellierenden Jugendkultur verbunden" gewesen seien, scheint mir eine Pop-Haltung zu sprechen, die ich mit einem Unwort im Pop assoziiere: "Progressive" Rock.

Jetzt machte man (frau? - eigentlich weniger, ich denke gerade an Blondie, es gibt so viele, z.B. die von mir verehrte Gianna Nannini ...) ernsthaft (!) Pop. Soetwas ist aber eine "Konjunktion konträrer Termini" (Contradictio in adiecto).

meine Antwort auf Mark fortführend möchte ich an dieser Stelle eine Erinnerung aus den 90ern und daran, was ich da so aus der Szene der bildenden Künstler hörte, zum Besten geben. Kunst und Kunstkritik stünden in einem paranoiden Verhältnis zueinander. Das stimmt sogar, as far as pop is concerned, denn Pop, also Pop-Art (eigentlich wieder fast ein Widerspruch) war, zumindest wenn wir die (möglicherweise eher spätere) Rezeption mit hineinnehmen, bald eine intellektualistische Angelegenheit. Als intellektueller Hipster durfte "Pop" sich zu Gemüthe geführt werden.

Pop wurde reflektiert - eine absolute Popsünde. Die Popkritik durfte nun "intellektuell" sein - und widersprach damit nichteinmal der, was mE Pop betrifft, über alle Maßen angemessenen Forderung, sie solle sich ihrem Gegenstand "anähneln". Nach diesem Sündenfall konnte es Popmusik geben, die ihrerseits ihrer Kritik nacheiferte, denn schließlich blieb der Widerspruch, dass Pop nun mal keine ernste Angelegenheit ist, bestehen. Meine Zehnnägel biegen sich bei diesem Wort hoch: "Diskurs-Pop".

Ein paranoides Verhältnis: die Intellektuellen-Pose wurde Pop. Es gab "Pop-Diskurs", mit Hornbrille und natürlich todernst betrieben, und es war das tiefste Tal der Trauer ob dieses Verlusts erreicht.

Meine Provokation "Verrat" und "unrichtig" war gegen eine sokratische Haltung des Bestrebens, intellektuell einer Wahrheit dieses Phänomens des Pop auf die Spur zu kommen, gerichtet gewesen.

Um Dir, netbitch, aber ausdrücklich beizupflichten: die "Versöhnung" bzw. "Verschwesterung", die z.z. im Schlagerpop stattfindet, ich denke etwa an Rosenstolz - es werden Elemente eines als "progressiv" sich missverstehenden Rock-Pop, irgendetwas mit "Groundge" oder so, mit trivialsten, nichtssagenden Wohlfühltexten kombiniert - ist womöglich in der Tat einer Kritik adornischen Typus´zuzuführen. Es ist eigentlich aber ein Doppel-Verrat. Ich zitiere es mit vollster Zustimmung:

"... doch haben die selber schon gar keinen Begriff mehr davon"

- Keine/r hat noch einen Begriff davon, was er oder sie da so im "Pop" eigentlich macht. Ich finde es traurig. Heino ist nur noch ein zynischer Reflex und hat selbstredend nichts mehr mit Pop zu tun.

Und ich muss ebenfalls beipflichten - Helene Fischer hat was von Ursula von der Leyen: Wenn das stimmt mit den Interviews und all dem, eine Frau, die sich auf eine solche Weise verkauft, ist einfach nur Porno. Vielleicht deshalb die aggressiven "Verteidigungen" der H. Fischer, weil hier niederste Instinkte mancher Männchen angesprochen worden sind. "Man" braucht die Frau gar nicht mehr selber zu vergewaltigen, das erledigt die Maschinerie der Kulturindustrie, je schöner verpackt, desto perverser, abgründiger das Ganze. Eine Abgründigkeit, mit der auch die "Volks-Musik" spielt (das unschuldige Mädchen usw.). BTW., habe da mal ne Story aus nem Studio gehört, ... (räusper) also die beiden musikantenstadelmäßigen Sängerinnen hätten gewissermaßen ein Subliminal erzeugt, indem sie sich die Mikrophone, also im abgedunkelten Raum, nun, sie hoben die Dirndl-Röcke ... Aber genug davon !!!

Davon also ab glaube ich dennoch, daran festhalten zu können, dass weitenteils nicht erkannt worden ist, dass es sich bei den Live-Auftritten von Helene Fischer selbstverständlich um einen Antagonismus handelt (Massenkonzert und zu Tausenden zujumelnde "Fans").

Ihr "Pop" ist eben nicht "tumb", sondern sie (und die Band) macht einfach keine Fehler. Umso mehr tritt das Antagonistische des ganzen Unternehmens und der einzelnen Elemente hervor. Genauso wie "Wir sind Helden" oder "Rosenstolz" - die ich immer miteinander verwechsele - sich perfektionierten, so nun auch Fischer. Es ist ein Höhepunkt und Tiefpunkt zugleich. D.h., dass wir etwas über Pop lernen können, während ich dagegen bezweifle, ob eine Kulturkritik im klassischen Sinne uns wirklich neue Erkenntnisse bringen wird.

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@ziggev: Okay, da kann ich einigermaßen folgen.

Und dennoch: Bei allen Krampfanfällen, die der Begriff "Pop-Diskurs" in mir auslöst, finde ich nicht, dass es völlig müßig ist, sich den Warencharakter der Erzeugnisse populärer Kultur und ihre Funktionalitäten im spätkapitalistischen System immer mal wieder klarzumachen - auch wenn man dabei über die Inhalte selbst wahrscheinlich nicht allzu viel tiefschürfendes lernen wird. Im Grunde würde ich Dir auch beipflichten, dass man es in den meisten Fällen auch getrost bleiben lassen kann, tieferen Sinn hinter irgendwelchem systemstabilisierenden Tralala entdecken zu wollen.

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arm chair philsosophy
ja, natürlich; ich bin ja weißgott kein Experte in im weitesten Sinne linker Theorie. dennoch aber scheint mir möglicherweise die horkdornische Analyse der Kulturindustrie mit das fruchtbarste, was diese Burschen hervorgebracht haben. natürlich also "sich den Warencharakter der Erzeugnisse populärer Kultur und ihre Funktionalitäten im spätkapitalistischen System immer mal wieder" klarmachen!

Dennoch: Adorno analysiert nirgends in seiner berühmt-berüchtigten "Kritik" am Jazz den Jazz selbst. Er schreibt in funkelnden Worten über Schönbergs Polyphonie, jedoch ohne je begriffen zu haben, dass & in welcher Weise der Jazz als Stil wesensmäßig ployphon ist. (Jazz ist ein Stil, das kommt ebenfalls nie vor; er weiß einfach nicht, worüber er schreibt!) Er schreibt immer bereits über den Jazz (Jazz ist Popmusik) als Produkt der Kulturindustrie, deswegen ja auch sein (ich finde: berechtigter) Hohn über den Jazz-Fan.

Sich den (möglicherweise "notwendigerweise" sich so darbietenden) Warencharakter in diesem Fall des Jazz klarzumachen, bringt also hier überhaupt gar nichts. Die Sache, wenn zuückbezogen auf die realgespielte - auch zur Zeit Adornos Schriften dazu - Musik, wird zirkulär. Er nimmt den Jazz als Beispiel, aber die Durchführung wird dem Phänomen nicht gerecht.

Es ist gewissermaßen arm-chair-philosophy. Der distanzierte, elitäre Intellektuelle lehnt sich im Sessel zurück - und braucht sich mit dem Phänomen nicht mehr zu beschäftigen. Muss natürlich keiner, ich wiederhole: keiner, niemand. Aber hier handelt es sich, so will mir scheinen, um eine Kulturkritik, die auf eine Gesellschaftskritik hinausläuft; - nicht um eine Gesellschaftskritik oder -theorie, die sich als Kulturkritik konkretisiert. Adornos musikalische Terminologie ist nicht ganz der Standardterminologie angepasst und daher, was immer noch den Jazz betrifft, einfach zu ungenau, manchmal einfach falsch.

Warum nun dieses - ich gebe zu: etwas verkürzendes - Palaver über Jazz? Weil sich in Folgediskussionen einfach eine Vielzahl von Missverständnissen, auch, wofür ich z.z. argumentieren möchte, den Pop betreffend, eingeschlichen haben. Allein dass Adornos Volten gegen "den Jazz" noch solange solche hohen Wellen haben schlagen können, zeigt, dass hier etwas grundsätzlich nicht verstanden wurde. Eine Folge davon ist, dass wir mit "Pop-Diskurs", mit Poptheorien überhäuft wurden, die schlicht und einfach mit der Sache nichts zu tun haben. Jedenfalls - und hier hege ich eben einen gewissen Argwohn - habe ich bisher immer wieder redundante, zirkuläre Momente zu entdecken vermeint, die sich selber aber immer noch als Analyse missverstehen, während es sich einfach um Selbstverständlichkeiten handelt.

Der Selbstversuch wird es, das verspreche ich Dir, ans Tageslicht bringen: Versuche ein Instrument zu erlernen! Schon die ersten Fortschritte werden Dir unmissverständlich klarmachen, dass dieses Fortschreiten nichts aber auch gar nichts damit zu tun hat, was Du als naiver Konsument von Produkten der Kulturindustrie Dir zu Gemüthe zu führen glaubst.

-- Manchmal aber doch! Diese Spannung, die es zu entdecken gälte, verdeckt aber eine zu eilfertige Theoriebildung. Und theoretische Vorüberlegungen werden es nie zustande bringen, genau diese Spannung hervorzubringen oder nach sich zu ziehen.

Es wird halt immer gerne sein theoretisches Süppchen gekocht - oft aber ruht sich da lediglich jemand in seinem philosophischen arm-chair aus.

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So falsch ich Vieles finde, was Adorno über Jazz schrieb, und Coltrane, Miles Davis, Ragtime, Swing, Bepop, Hardbop und Free Jazz lassen sich kaum auf einen Leisten spannen, das wäre so wie Mozart mit Wagner mit Ligeti zu vergleichen oder Elvis mit den Doors und Metallica, so habe ich persönlich einen viel engeren Begriff der Popmusik, der auch nichts mit Pop Art zu tun hat. Pop ist für mich jedenfalls nicht Jazz und nur in einem begrenzten Maße Rock. Sondern eher eine von Vornherein auf Kommerzialität, Mainstream-Hörgewohnheiten, gute Verkäuflichkeit und Tanzbarkeit angelegte Musik, die im Ursprung (z.B. Searchers) Rock´n Roll bzw. Beat mit Folkmusik und damals, d.h. in den 1960ern üblicher Tanzmusik (Foxtrott, Twist) verband. Und in der Fortentwicklung dann Disco oder Harmony-Pop, erstere Richtung eine Verbindung aus Philliesound, Soul und "bisherigem" Pop, die durch Remixing am Mischpult oft aus Tonkonserven neu definiert wurde, im zweiten Fall eine Weiterentwicklung und populärere Variante des aus dem Psychedelic Beat hervorgegangenen Synthipop. Alles quasie "entschärfte", auf Massenabtanzbarkeit ausgerichtete Reduktionen komplexerer Musikstile. Und der Schlagerpop dann halt eine Mischung dieser Richtungen mit deutschem Schlager und so was wie DJ Ötzi-Sound.

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Jazz ist ein interessantes Phänomen, mit dem Pop sehe ich da allerdings eher überschaubare Schnittmengen, und was Adorno beim Thema Jazz verpeilt hat, mag zwar ansatzweise vergleichbar sein mit popdiskursiven Irrungen aus dem Theoretiker-Baumarkt. Und trotzdem bin ich da generell etwas im Zwiespalt: So finde ich es grundsätzlich durchaus legitim, sich dem Pop theoretisch und mehr von außen zu nähern. Dass beim Versuch, dieses Phänomen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einzuordnen, gewisse immanente Sachverhalte (etwa der genaueren Machart) unberücksichtigt bleiben, ist das eine - anderseits wird derjenige, der viel von der Machart und von den musikimmanenten Mechanismen versteht, nur selten über diesen Tellerrand hinausblicken und die sedativen Funktionen dieser Unterhaltungssparte reflektieren.

Und da habe ich über die wirtschaftliche Seite noch gar nicht gesprochen. Die Plattenfirmen schweben ja nicht im luftleeren Raum, die immer noch marktbeherrschenden Majors sind Teil von weltweit agierenden Unterhaltungskonglomeraten, Künstler werden heute in komplizierte Vertragswerke eingespannt und im Rahmen möglichst synergieträchtiger Auswertungskaskaden rundumvermarktet. Ich habe mich kürzlich für eine Musikmarkt-Sonderpublikation einer Medienfachzeitschrift seit längerem mal wieder mit den großen Playern im Business beschäftigt und dabei mit Sicherheit mehr gelernt als mir stumpfes Gitarre-Üben im stillen Kämmerlein vermitteln könnte.


Womit ich gegen den Wert des eigenen Spielens und Übens überhaupt nichts gesagt haben will, ich finde es halt nur unter heuristischen Gesichtspunkten nicht alleinseligmachend.

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Dazu soziokulturelle und szenegeschichtliche Perspektiven
In dem Kontext ist auch New Wave mitnichten Pop. Denn die New Wave ging aus dem Punk hervor, einem subproletarischen Frontalangriff auf Pop, insbesondere Disco, und ebenso den damaligen Opera Rock. New Wave brach zwar mit der schwarz-und-kaputt-Antiästhetik des Punk, aber sie war durch diese hindurchgegangen. Avantgardistischen Ansätzen verpflichtete Kapellen wie Kraftwerk, Amon Düül, Tangerine Dream, Einstürzende Neubauten oder Laibach verstanden sich als das Gegenteil von Pop und hatten auch an der Pop-Ästhetik keinen Anteil. Angesichts der Bedeutung, den musikgeprägte Lebenssstile für Jugend- und Junggebliebenen-Subkulturen haben macht hierbei die Musik selber den geringsten Teil des Ganzen aus.

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... och, ach! - jetzt muss ich mich gegen zwei Seiten verteidigen! Gebt mir aber bitte noch etwas Zeit, denn ich glaube, es zeichnet sich eine Linie ab, auf der ich euch beide mit einem Stich auf denselben Faden aufziehen kann (dafür brauche ich aber noch etwas Zeit oder ein gutes Essen ...)

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nun, ich stimme euch beiden in verschiedenem Umfang zu. Wie ich ja schon oben sagte, wäre es falsch, Pop gattungsmusikalisch zu definieren. Desh. würde (und werde ich hoffentlich noch) Ches letzter Einlassung widersprechen. Es ist also richtig, dass für ein richtiges Verständnis dieses Phänomens kuturproduktionsrelevante Aspekte im Sinne Adornos zumindest zu berücksichtigen sind. Kurz, es handelte sich um Marktmechanismen, die dieses Phänomen hervorbrachten. Und, wir können Erkenntnisse über das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft qua Analyse der Geschichte dieses Phänomens gewinnen.

Beispielsweise hat Karl Bruckmaier in einem Interview im dlf zu seinem Buch "The Story of Pop" musikalische Kriterien für "Pop" genannt und landete dann bei Aussagen etwa der Art, dass bereits in vorkolonialer Zeit in Westafrika "Pop" gespielt wurde. (Ich muss entschuldigen, keine Quelle, ich schreibe nur aus der Erinnerung.) Das ist natürlich Unsinn. Jeder, jede bringt, biographisch bedingt, seine oder ihre Vorlieben in den Vordergrund; das ist berechtigt, aber unbefriedigend (wie für mich Ches letzte Äußerungen unbefriedigend sind; das wäre aber nur die polemische Variante meines Widerspruchs - gegen linke Musiksoziolisation gerichtet und ebenso unbefriedigend).

Zu Dietrich Dietrichsens letztlich erschienenem Buch möchte ich - abgesehen von meinen Volten gegen Hornbrillen tragende, todernste Poptheoretiker hier im thread - auf die verstreuten Bemerkungen bei Momorulez zu dem Buch verweisen, der sogar - allerdings unverfängliche! - Andeutungen zu einem möglichen Rassismus Adornos macht.

DD geht, so momo, wieder mal popmusikalisch ungeschichtlich vor, und kann bestimmte afroamerikanische Musikhervorbringungen nicht einordnen, indem er sie ignoriert. Das wundert mich natürlich nicht - momo überzeugte mich aber (dazu kenne ich mich dann doch gut genug aus in der Schwarzen amerikanischen Musikgeschichte).

Def. 1. (zunächst nur aus argumentationsstrategischen Gründen formuliert) Popmusik ist für die Massen einer Industriegesellschaft hergestellte "populäre" Musik. Vom amerikanischen Markt für die Schwarzen abgesehen (wo nicht wenige Blues-Scheiben, nicht wenig Billy Bolliday-Hits z.B. verkauft wurden) gab es zunächst nur planmäßg produzierte, langweilige Sachen, ich nenne es "Schnulzen", kleiner Zeitsprung, im Prinzip Heintje. Mama und Opa und Oma hörten das, dann aber wurde der Teenagermarkt entdeckt! Zuerst hatten die "Plattenbosse", also Tin Pan Alley, das für ne Zirkusveranstaltung gehalten. Einen Witz. Während allerdings in USA die Teenager plötzlich Geld hatten zum Ausgeben, sodass jemand wie Chuck Berry, der eigentliche Erfinder des Rock ´n´ Roll, ganz gut Geld machte, Hits (und Musikgeschichte) schrieb, was ohne den vorher sich etabliert habenden Schwarzen Markt nicht denkbar gewesen wäre (Berry wurde von denselben Leuten protegiert, bei denen Elvis lernte), nahmen in England zu kurz gekommene häßliche weiße proletarische Teds Kinosäle und -sitze zur Musik von Bill Haley - Bill Haley! - auseinander.

Die Pop-Musik im eigentlichen Sinne war geboren. Gemacht für eine (rebellierende) Jugend, die jetzt das Geld hatte, sich sie zu kaufen in der Nachkriegszeit. Ohne dieses Element des Rebellischen - wir denken natürlich auch an die Beatle-Mania, es ging auch um Sex - hätte es niemals zu diesem teenie-spezifschen Markt kommen können.

Fats Domino, der mit dem Fuß auf dem Klavier rumhämmerte, hatte unglaubliche Erfolge, Little Ritchards wurde mit Nonesense zum Star (A wop bop aloop bob awop bam boom). Da konnte natürlich Tin Pan Alley nicht mehr mit.

Trotzdem ein reines Kommerzphänomen. Zuerst war die Kaufkraft der Schwarzen entdeckt worden (sonst würden wir fast nichts mehr von den frühen Blues Sachen kennen, nicht vergessen, die heute noch größten Jazzstars, die veröffentlichten, als Adorno über Jazz schrieb, hatten ihre Hits - in den schwarzen Charts), dann die der Teenies.

Diese Bewegungen, Tennie-Rebellion, der Markt für weiße Teenies, als Voraussetzung dafür der Markt für Schwarze, also der Kommerz, der schwarze musikalische Einfluss kumulierten in den Texten und der Musik von Chuck Berry, der all das genau verstand und Konsumprodukte, Plattenspieler, Autos, Plakate ("she´s so good, she´s looking´ like a model on a cover of a magazin"), Autorennen, Teenagerlangeweile im Zeichen des Kommerzes besang.

Es entstand ein unglaublicher neuer Markt. Und all das, was dann folgte, ist in der strengen, historisch aufgefassten, Bedeutung Pop.

Tin Pan Alley, oder welche mir unbekannten und wahrscheinlich unaussprechlichen Namen sich hinter der heutigen mit Hilfe von Marktforschung etc. nur für den kommerziellen Erfolg produzierten Popmusik verbergen (eben diese Produktionen allein mit Pop zu identifizieren, zeugt für einen geschichtsvergessenen und damit die Sache verfehlenden Popbegriff - und ist damit dem Kommerz selber auf den Leim gegangen), produziert heute wieder nur noch "Schnulzen". Desh. schaue ich so gerne "Deutschland such den Superstar" - um überhaupt noch einmal etwas davon mitzubekommen, was da so gehört wird.

Es gibt keinen teeanagerrelevanten musikalischen Ausdruck der Rebellion mehr. Es ist (fast) alles "Tin Pan Alley". Unterdessen, bevor es zum popmusikalischen Wärmetod kam, hat es aber dennoch bemerkenswertes gegeben. An die Stelle genuin Schwarzer Originalität, Schwarze Originalität, die Voraussetzung für die Teenagerrevolte gewesen war, trat nun einfach nur Originalität, immerhin war der Markt da. Es gab Sachen, die z.T. musikalisch höchstavanciert waren, die aber, außer ein paar Spezialisten, nur verstand, wer - großzügig geschätzt - unter 20 war, und die, das ist das Wichtigste, irgendwie n e u waren. Dazu gehören ein paar Wave Sachen, Post-Punkt, NDW usw.

Wir sind also beim heute letzten Kriterium für Pop im originären Sinne und der strengen Bedeutung: Ein Pop-Song muss in 3,5 Minuten auf den Punkt bringen, wie ein Teenager zu der und der Zeit, die für Teenies immer schnell vorbei ist, fühlt. Vorfabriziertes hilft da nichts, es muss sich irgendwie "neu" anhören.

Insofern, Che, stimme ich Dir natürlich vollkommen zu. Denken wir an Laibach, Einstürzende Neubauten etc., haben wir es mit z.T. wenigstens jugendlicher Rebellion zu tun, die allerdings nichts mehr mit "Musik für Jugendliche" zu tun hatte, denn Pop ist, oder besser war, die einzige Musik, die sich ausschließlich an Teenies richtete und deren spezifische Rebellion zu einem bestimmten Zeitpunkt auf den Punkt brachte. Laibach, Einstürzende Neubauten hatten aber - obwohl die letzteren origiginär aus der 80er-Jahre-Rebellion stammten, die alle erfasste, auch mich mit mit etwa 14 J. - einen universellen "Anspruch".

Und ganz solchem "Anspruch" entsprechend ist Deine Unterteilung in Pop und Nicht-Pop formuliert. Pop aber ist an die Affekte gerichtet, nicht an den Intellekt, dem sich Deine Unterteilung, und die der popgeschichtsvergessenen Szenen, in denen Du dich rumgetrieben hast oder noch rumtreibst, verdankt. In Wahrheit aber hat Pop, wie ich ihn verstehe, den Markt geschaffen, der überhaupt erst die Einstürzenden Neubauten möglich machte.

Oder mal so: Wenn Pop Rebellion ist, dann reicht mir für Pop nicht die Rebellion Pop gegen Pop aus, wobei der letztere, kommerziell verstandene, überhaupt nicht der Pop im strengen Sinne ist und wie er mit Wissen um seine Geschichte richtig verstanden werden muss.

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PS
als wir neulich - letztes oder vorletztes Jahr - am Elbstrand mit unserer Rock und Blues Band ein paar Sachen von Little Ritchards und Chuck Berry spielten, hoben die Teenager-Girlies, die sich unweit im Sand und der Sonne ausgestreckt hatten, instinktiv die Köpfe. - Neugierig hochgerckten Kopfes, war da was?, weil sie das wahrscheinlich gar nicht mehr kannten, etwas, das sie nur ganz für sich allein haben konnten ...

Denn wir spielten die Musik, die ausschließlich für sie - für Teens genau in diesem Alter - gemacht wurde - was es heute gar nicht mehr gibt - - und eben nichts von dem, von dem mark oben berichtet !!

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...nichts von dem, von dem mark oben berichtet !!

Wovon genau berichte ich denn da oben?

Die Gleichung Pop = Teenage mag noch zu Zeiten der Halbstarkenmusik von Bill Haley bis Beatles gegolten haben, aber spätestens seit diese Musik generationenübergreifend kanonisch wurde, kann man Pop mehr oder weniger mit Mainstream ohne Altersbegrenzung gleichsetzen. Und wer sagt denn, dass es seitdem keine spezielle Teeniemusik mehr gegeben hätte? In meiner Jugend waren es z.B. die Bay City Rollers, später kamen die gecasteten Boybands - wobei ich es nicht weiter verfolgt habe, ob nach Tokio Hotel noch irgendwas nennenswertes nachkam. Ich weiß auch nicht, ob irgendjemand über 20 noch Miley Cyrus (oder wie die heißt) hört, und es ist mir ehrlich gesagt auch ziemlich hurz. ;-)

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, eben Pop (da capo!)
mark : hier sind wir gar nicht soweit auseinander!

wovon mark oben berichtet das hier meinte ich:

"sind Teil von weltweit agierenden Unterhaltungskonglomeraten, Künstler werden heute in komplizierte Vertragswerke eingespannt und im Rahmen möglichst synergieträchtiger Auswertungskaskaden rundumvermarktet. Ich habe mich kürzlich für eine Musikmarkt-Sonderpublikation ..."

Und bei den besseren Sachen handelt es sich um makellose Produktionen (was die Musik betrifft). Deshalb schaue ich ja, wie gesagt, so gerne DSDS - weil ich so von der Existenz von z.B. Miley Cyrus (die freilich nicht dazugehört) erfahre. Eben kurz reingehört. Es ist dasselbe Konzept wie noch Anf. 90er (scheint mir nur noch n bisschen verblödeter). Andererseits gibt es aber Sachen, deren Produzenten / Arrangeure offensichtlich musikalisch mit allen - und zwar nicht nur im engeren Sinne explizit popmusikalischen - Wassern gewaschen sind. Nur: wieder! Bei allem handelt sich um bekannte, teilweise uralte Rezepte, manchenteils jedoch übergekonnt kombiniert.

Es fehlt das Moment des Neuen, und damit überhaupt erst die Voraussetzung, durch die die Musik etwas sein könnte, das nur den Teenies gehört. Andererseits, und hier kommen die Analytiker der Kulturindustrie zum Zuge, kaufen die Teenies bekanntlich einfach jedes Marketigkonzept, das nur geeignet genug dazu ist. (siehe, die Stelle oben, wo ich Dich zitiere.)

ich hab auch eben nochmal bei den Bay City Rollers reingehört, fühle mich aber insofern bestätigt, als die doch recht früh angefangen haben und eindeutig in der Rock-Tradition standen, für meine Ohren eben gerade - der Musik, die nur für Teenies gemacht wurde. (Zum Verständnis: Rock begann für mich mit Eddie Cochran.)

Ich habe doch nur argumentiert, dass das, was im weiteren Sinne als Popmusik aufgefasst wird (nicht i.S. von Ches Definition), einen Markt hat, der sich jedoch aus einem ursprünglichen Tennie-Markt herausentwickelt hat. Dass auch Leute über 20 "Pop"-Musik in diesem Sinne kaufen, zeigt nur, dass auch (Fast-)Erwachsene jeden Mist kaufen, auf Image usw. hereinfallen. Der Erfolg von Produktionen, die popgeschichtsbewusst originelles oder gar originäres mit Qualität zustandebringen, wiederlegt nicht meine These.

Tokio Hotel ist ein gutes Beispiel. Es sei daran erinnert, dass Eddie Cochran seinen ersten Hit mit 19 hatte (erste Single-Veröffentlichungen mit 17!). Cochran stand aber für und war selber Teil einer Generation, die ihren Stil gerade erst wie aus dem Nichts erfunden hatte. Tokio Hotel konnte nichts anderes tun, als Formen ihrer Eltern oder Großeltern aufgreifen.

Er hat es geschafft, in einem Song das ganze Lebensgefühl einer Teenager-Generation auf den Punkt zu bringen.

Und dass reifer gewordene Teenies (20-somethings) irgendwann lernten, qualitätsvolle "Halbstarkenmusik" von Mist zu unterschieden (Beatles), wiederlgt mich ebenfalls nicht. Die Stones: Sie hatten Popmusikgeschichtsbewusstsein und griffen auf die Anfänge (Berry) zurück; dass sie keine bloße Teenie-Band waren (was sie zuerst noch durchaus gewesen sind), liegt zu einem eben daran, dass Leute mit Popmusikbewusstsein eben dies erkannten, zum anderen daran, dass sie ein Image für die 20-somethings verkauften (Blut, Schweiß, Sperma).

Seit St. Peppers hat es über Bowie bis zuletzt i.d. 80ern immer wieder Sachen gegeben, deren Qualität - mit oder ohne Image - auch von den in Sachen Pop Gebildeteren erkannt wurde und dennoch auf dem Teenager-Markt funktionierten. Das liegt aber nur daran, dass es bereits etwas wie Pop-Generationen gab.

Die vermeintlich "Pop-Gebildeten" (Pop-Diskurs, Diskurs-Pop) sind, wie ich schon sagte, auf ein neues Image hereingefallen: der intellektuelle Pophörer. Weil nun aber soetwas wie "anspruchsvolle Popmusik", "Intellektuellenpop" eine Konjunktion konträrer Termini ist, wundert es nicht, dass das einzige, was das, das dabei herauskam, mit Pop zu tun hat, Image ist. Kein Geschichtsbewusstsein, nichts Originäres oder Originelles.

Intellektualität wurde Pop! Und damit ist nun wirklich niemandem ein Gefallen getan worden. Adorno-Pop! Das ist zwar eine logische Folge der che´schen Pop-Definition, brachte aber eine Generation von derart geschichtsvergessenen Pop-Dilettanten hervor, dass ich mich in tiefer Trauer darob ganz von dieser Definition des Pop abwendete, mich nur noch auf Qualität und eine die Geschichte des Pop miteinbegreifende Definition konzentrierte.

Die erste am Reißbrett entstandene Band waren, wie ja bekannt ist, die Monkees; insofern sind die Bands, die wir heute Boy-Groups nennen, deren späte Nachfahren. Wer aber kennt noch die Girlie-Groups der 60er? Das war imagemäßig, produktionstechnisch (und von den besten Arrangeuren der Zeit gemacht) und sogar musikalisch neu. Zugleich knietief in der Tradition, eben Pop.

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@Ziggev: Ich kann Dir da in weiten Teilen folgen, habe auch über die Ursprünge des Ganzen noch ein paar Details gelernt, die ich so nicht parat gehabt hätte.

Es fehlt das Moment des Neuen, und damit überhaupt erst die Voraussetzung, durch die die Musik etwas sein könnte, das nur den Teenies gehört.

Wäre ich dickbebrillter Pop-Erklärbär, würde ich bedeutungsschwer nicken und sagen, die Selbstrefenzialität des Systems Pop hat womöglich zu einer Kernschmelze geführt - oder anders gewendet: Die Prophezeiung "Pop will eat itself" hat sich erfüllt. Die letzte halbwegs bedeutende Welle war der Hiphop, und ob es nochmal ein "next big thing" geben wird, ist alles andere als gewiss. ;-)

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... ich fühle mich in Teilen verstanden, und werde jetzt noch sentimentaler ... (schnief)

und, ich gebe zu, wo ich nicht kohärent sein kann, finde ich den Ersatz in der unzerstörbaren Liebe zum heiligen Schund. Ohne camp-Bewusstsein ist es heute, und war es schon für Nick Chon 1969/71, kaum mehr möglich, diese zum Ausdruck zu bringen (Nik Cohn, A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom. Pop- History.) Profane Erleuchtung, stammt das nicht von Walter Bejamin? Und ist der retro-hype, den es bereits seit Anfang der 90er gibt (als ich damals mal in der Techno-Szene gesprächsweise damit anfing, waren die alle bestens informiert), wirklich camp? Es gibt allerdings kaum noch Leute, die das können (ich meine nicht Nirvana, nicht Oasis usw. oder deren Imitate).

Allerdings hörte ich letztes Jahr in HH, Schanzenviertel, ne Band, die C. Berry stilecht nachspielte, aus einem Lokal schallen; ich wette, das waren ausgebildete (Jazz)Musiker.

Es bleiben eigentlich außer Ausnahmen von dieser Regel nur noch die existierenden Abkömmlinge der afroamerikanischen Musik, Hip Hop, der Groove, den ich ja am Hip Hop mag. Assoziation: Die Dave Chapelle-Wutang-Clan-Connection. Chapelle ließ in ner Sendung dann einen Drummer mit Afro-Frisur auftreten, der einen Soul-Sound draufhatte, wie in den besten Zeiten ... Wow!

"die Selbstreferenzialität des Pop" - zunächst: es müsste eben die spezielle Selbstreferenzialität im Pop herausgearbeitet werden. Eigentlich liegt das ja ziemlich auf meiner Linie. Ansonsten kann man das immer auch ohne besondere Kenntnisse sagen. Welche Kunstform ist denn, bitte schön, nicht "selbstreferenziell"?

Die Sache ist eben die, dass es nicht nur die schlechte Selbstreferenzialität gibt (Oasis) - also 60-Punk-Derivate -, sondern dass gute immer noch nicht undenkbar geworden ist. Zum Glück hat ja wenigstens die Schwarze Musik überlebt. (Und Kraftwerk, die Pet Shop Boys, ... sind Geschichte.)

Aber verlassen wir europäische Kontexte und damit vielleicht jene, innerhalb deren wir versuchen zu analysieren. Was Dir vielleicht bekannt ist, ich aber erst zuletzt (die letzten 1-2 Jahre) von westafrikanischen Freunden lernte: Es findet durchaus etwas wie ein Reimport afrikanischer Musik als afroamerikanische nach (West) Afrika statt und hat, z.B. im Salsa oder Roots Reggea, schon lange stattgefunden.

Nicht, dass ich mich da besonders auskennte; aber neulich hämmerte dieser Typ (kein Musiker, ein Schauspieler) derart respektlos-ironisch, gleichsam congenial das Afrikanische zugleich persiflierend und für meine Ohren afrikanisch wie nichts, auf dem Balaphon (das afrikanische Xylphon) ´rum, dass mir das alles einleuchtete und ich es sofort verstand. Er ist allerdings weniger amerikanisch, sondern mehr, sofern nicht afrikanisch, wie mir scheint, französisch, also europäisch geprägt. Hatte was von DADA.

Vielleicht kommt ja hier noch was ... ?

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Hui, zu diesem Thread könnte ich auch noch einiges schreiben.
Es gibt ja durchaus einen theoretischen Zugang zu Pop abseits von Adorno, vor allem die Cultural Studies wären hier zu nennen. Über die bin ich (neben der Musik selbst und der Initialzündung Finanzkrise) erst relativ spät zu links(radikalem) Gedankengut gekommen.
Hier geht es ja vor allem um subversive Momente, die der Konsum von Pop haben kann, was einem entgeht, wenn mensch nur den Produktionszusammenhang reflektiert.

Diederichsen hat ja zwischen zwei Phasen des Pop unterschieden:

"Diederichsen verortet die Popmusik an der Grenze ihrer historischen Gültigkeit, er sieht das Ende einer historischen Ära gekommen. Diese unterteilt er in zwei Phasen: eine erste heroische, von den 60er bis zu den 80er Jahren, und eine zweite, postheroische, von den 80ern bis heute. In der ersten ging es um Gesellschaftsentwürfe, um das richtige Leben (gerade auch im falschen) mithilfe von Pop; die zweite zeichnet sich durch die 'Tendenz zu Abgrenzungen um ihrer selbst willen' aus, durch einen 'Gegenkulturalismus ohne Gegenkultur'. Er spricht von 'postheroischen Pathologien': ´'Ausbleibende konkrete Gestalten werden durch Rekonstruktionen oder Nachbildungen von historischen ersetzt.' "
By the way: CW hin oder her, unhistorisch ist das auch nicht.

Vielleicht gibt es wirklich nochmal irgendwann ein mit HipHop vergleichbares Big Thing, aber aus dem Dada wird es wohl kaum kommen. Da fehlt dann wieder die Massenkompatibilität. Im Endeffekt ist hier noch genau das gültig, was eine Freundin mal auf meine frühen Thesen zu Pop einwandte (wir waren 17/18): Ich merkte an, dass nach HipHop, einer sehr textlastigen Musik, Techno kam, eine die fast komplett ohne Text auskommt. Beide aber wären sehr rythmuslastig, vielleicht wäre das nächste ja etwas sehr melodielastiges...
Sie daraufhin: "Worauf sollen die Leute denn dann abgehen?"

Che, zu deinem engen Popverständnis: es war zwar vor meiner Zeit, aber es gab doch auch in den 80ern sowas wie ABC und Heaven 17. Die kamen aus dem New Wave, ja, bedienten sich aber einer klaren Pop-Ästhetik. Selbstreferentiell halt, ironisch gebrochen. Und transportierten dann ja auch zum Teil richtig linke Messages..

Und Kraftwerk ist ja besonders spannend: der subkulturelle Einfluss ist enorm. Auf New Wave doch sicher auch, oder? Obwohl eigentlich ja irgendwie zum feindlichen Prog-Rock gehörend. Aber die Ästhetik eben eine ganz andere.
Auf den HipHop haben Kraftwerk auch gewirkt. Und auf den Techno natürlich. Und der DJ etwa findet dann ja auch wieder Eingang in die Pop-Ästhetik.
by the way: Meine sechsjährige Tochter erzählte mal was von Roboters woraufhin ich ihr Kraftwerk zeigte, sie ist immer noch begeistert. ;-)

Zu den Teenies, ziggev:Ich selbst habe ja auch inzwischen auch das Gefühl, dass da nix mehr mit Rebellion geht, das die nur noch vorgefertigten Scheisspop konsumieren. Allerdings dachte das in den 90ern so mancher damals Enddreissiger auch über mich. ;-) Du z.B. schätze ic, oder? ;-)

Und da geht es doch nicht um den Entstehungszusammenhang (sicher komplett ignorieren ist auch schlecht) sondern darum, wie bastelt sich ein Jugendlicher aus dem vorgefundenen Material sein Lebensgefühl, vielleicht sogar seine Rebellion.

Neuere Sachen wie Dubstep hab ich ja auch nur noch so halb auf dem Schirm und wenn dann denke ich auch so n bisschen: ach, das ist doch Drum'n'Bass, nur schlecht abgemischt, das ist doch nichts NEUES. Aber das wurde in den 90ern sicher auch über Nirvana gesagt.

Also nochmal: es geht nicht darum, in wie weit etwas neu ist oder selbstreferentiell oder nur kopiert: es geht darum, was die Teens & Twens draus MACHEN.

Die Selbstreferentialität checken Teenager ja noch nicht zwingend.
Z.B.: in den 90ern ging ja Hippie und Punk-Stil auf einmal zusammen. Vorher undenkbar! Totale Beliebigkeit könnte mensch sagen. Jein.
Bands wie Nirvana wollten die Punkszene ein wenig aufmischen und riefen absichtlich Hippiecodes auf, weil sie damit die klassischen Punks ärgern konnten. Total einleuchtend, habe ich aber erst letztes jahr irgendwo gelesen, damals war mir das nicht klar.

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@"Es gibt ja durchaus einen theoretischen Zugang zu Pop abseits von Adorno, vor allem die Cultural Studies wären hier zu nennen. Über die bin ich (neben der Musik selbst und der Initialzündung Finanzkrise) erst relativ spät zu links(radikalem) Gedankengut gekommen." ---- Das war bei mir völlig anders. Ein politisches Bewusstsein hatte ich, seit ich als Vierjähriger Fernsehbilder aus Vietnam und den Einmarsch der Panzer in Prag sah. Mich mit linksradikalem Gedankengut zu beschäftigen geschah dann in der gymnasialen Mittelstufe, mit 17 definierte ich mich als Anarchist, mit 18 kam Erich Fromm, mit 19 Wilhelm Reich, mit 21 Horkdorno. Ausschlaggebendes Ereignis mich aktiv politisch zu engagieren waren die Iranische Revolution, der Libanesische Bürgerkrieg, der Militärputsch in der Türkei und die Sandinistische Revolution in Nicaragua. Parole aus dieser Zeit: "Auf die Yankees volles Rohr, Waffen für El Salvador!".

Über Cultural Studies habe ich erst vor einigen Jahren bloggenderweise via Momorules erfahren, der die aber völlig anders einordnet als ich das mittlerweile tue.

Und Poptheorie hat für mich eigentlich nie eine Rolle gespielt, dass überhaupt Popdiskurse stattfinden habe ich in meinen politisch hochaktiven Zeiten gar nicht wahrgenommen, außer auf dem Niveau "Ich höre nur Independent Labels weil ich gegen die Musikkonzerne bin".

Ich lästere hier über Helene Fischer ab weil die mich nervt, aber an sich interessieren mit Popdiskurse nicht wirklich.

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@ futuretwin

Ende 90er war ich Ende 20 knapp Anf. 30 ! Darauf wollte ich doch wertgelgt haben ... ;-)

jetzt aber keine Zeit : DSDS !!

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Nachtrag hierzu: Helene-Fischer-Parodie von der von mir hochverehrten Carolin Kebekus
www.youtube.com/watch?v=FQniisyjpHo

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made my day ..
Danke für den Link, kannte ich nicht !

WAU: "Es ziehn sich die Stunden / ihr hockt hier schon seit acht / alle haben durst und lang kein Pippi gemacht / ... oh- ho, oh-ho ..." (ab 1:38)

Wunderbar, brillant, Ganz groß !!! Eine Pop-Inszenierung erster Güte; vor allen Dingen hat sie atemberaubend viel mehr Sex, die Musik ist noch ein wenig flacher, dazu lässt sie sich eiskalt nicht den geringsten Anflug von Ironie anmerken, supercool! - Sagte ich ja immer wieder: der Antagonismus des Pop(-Rock)-Konzerts, eine Zirkusveranstaltung, ein Witz ! ich bin ehrlich begeistert, thanx, you´ve made my day, che!

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ziggev am Rande des Wahnsinns :
dazu auch noch diese absolute Körperbeherrschung (vermutlich eine sehr gut ausgebildete Schauspielerin), Madonna erblasst, jede Bewegung, jedes Augenblinzeln, jede Grimasse absolut perfekt einstudiert. - P.J. Proby behauptete, alle seine Grimassen von verschiedenen Mädchen abgeguckt zu haben. Das ist eben Professionalität:

Wilder, phantastischer Camp !

Zu ihrem nächsten Konzert werde ich hingehen / nein, nicht "gehen" - ich werde auf Knien hinrutschen ...!

Kein Witz, ich rutsche auf Knien vor dieser Künstlerin. - Wenn Du sie persönlich kennst, warne sie schon mal vor: sie hat möglicherweise einen neuen 'stalker'. Bevor es aber dazu kommt, ... - ich pflege recht gute Kontakte zu entsprechenden Doktores (wird schon nicht passieren).

unglaublich, sie hat mich absolut geschafft, die Frau!

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hab´s mir nun zum 14-mal angehört und angeschaut, es ist aber wirklich makellos.

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Die hat auch eine völlig geniale Art, mit alltäglicher sexueller Anmache umzugehen. In einem ihrer Beiträge sagte sie, es wäre kein Angriff und keine besondere Provokation, wenn Männer Sprüche über Ihr Äußeres im Allgemeinen, Ihren Po oder ihre Titten machten, schließlich sei sie schon groß. Nur müssten die sich dann auch extrem zotige Sprüche über ihre Schwänze anhören, und das hielten nur die wenigsten Männer aus. Es sei auch ein Irrtum, anzunehmen, dass sich Frauen grundsätzlich durch Blicke auf ihre Titten belästigt fühlten. Sehr häufig würden die ganz bewusst zum Draufblicken drapiert. Das sei eine gezielt gebaute Falle. Aber diese Falle sei für Brad Pitt, nicht für Rainer Brüderle.

Nun ja, schließlich ist Carolin Kebekus Muschido.

http://lustich.de/videos/fernsehen/carolin-kebekus-muschido/

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echt krass, danke!

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und wenn sie (im ersten video) von fünf unübertrefflich sexy Männern und Tänzern um die Hüfte gefasst wird, verliert sie für ein-einhalb Silben, für ein-einhalb Silben, nicht mehr, die Stimme, findet sie natürlich sofort zurück, das ist einfach absolut genial. Auch dass sie damit signalisiert, dass ihr diese Performance auch Spass macht, auch dieser miteinkalkulierte Spass, das Signal, sind einkalkuliert - wie gesagt, ich liege zu Füßen vor dieser Künstlerin ...

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