Dienstag, 24. Februar 2015
Aus der Welt der Stiftungsdiskurse, oder: Grün und bunt heißt nicht plausibel
Im Kontext von Diskussionen der Böll-Stiftung habe ich sehr viele ergiebige und sinnvolle Debatten erlebt, aber nicht nur Solche, sondern auch solche, die nahelegen, inwieweit das grüne Umfeld halt auch ein Feld ist, in dem es darum geht, bestimmte Lebensstile zu wahren. Neben der Aufarbeitung linker Vergangenheiten und Theoriekontexte - KB, FAU, Verhältnis westlicher Linker zur PLO usw. - spielten da immer auch die Bereiche alternativer Gegenkultur eine Rolle, die eher dem lebensreformerischen Bereich verpflichtet sind, den es seit den Zwanzigern gibt - sozusagen die Fortsetzung von Wandervogel und Bündischer Jugend. Ob Veganismus, Astrologie, Hexen, Freigeldwirtschaft, das Alles wurde dort angesprochen. Besonders drastisch erinnere ich eine Diskussion zum Thema "Friedensdividende". Da erklärte ein Alternativökonom - Namen weiß ich nicht mehr, der knüpfte aber an Hazel Henderson an und wurde als bedeutender Theoretiker gefeiert - dass nach dem Ende der Blockkonfrontation und dem "Asylkompromiss" eine neue Wachstumsphase bevorstehen würde, in der alternative Technologien zu einem Wirtschaftsaufschwung führen würden.

Er führte als Begründung dafür an, dass die Einwanderung nach Deutschland nach 1993 massivst abgenommen hätte und daher hierzulande Arbeitskräftemangel herrsche und außerdem der Nachfragerückgang in der Rüstungs-und Atomindustrie zwangsläufig zu Nachfrageaufschwung bei alternativen Energien und im Handwerk führen würde.

Ich rechnete gegen, dass nicht weniger Flüchtlinge kommen würden, sondern gleich viele, nur nicht über Asylverfahren, sondern illegal, dass es empirische Zahlen dafür gäbe und diese Leute halt in der Ilegalität arbeiten würden: Prostitution, Schwarzarbeit, Billigstjobs (Pizzaproduktion und - Zustellung für unter 5 Euro Stundenlohn heißt bei Kurden und Arabern "Tamilentarif"). Er musste mir da zustimmen.
Ich hatte gerade einem gefeierten Volkswirt die gesamte Grundlage seiner Argumentation empirisch entzogen.
Als ich damit kam, dass das Wirtschaftswachstum der Zeit des Kalten Krieges an die Rüstungsproduktion gekoppelt war -garantierte Preise, garantierte Abnahme und garantierter Verschleiß von High-Tech-Produkten kommen nicht von ungefähr - wurde mir das Wort entzogen. Über so etwas wolle man nicht diskutieren.

Na dann. Auch hier gilt wieder: Das Brett vorm Kopf zur Waffe machen.

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Ernsthaft?
Empirisch ist deine Wachstumsthese zwar relativ falsch (d.h., erklärt nur den kleineren Teil des Wachstums), ABER: Die wollen gar nicht diskutieren? (Hieß der Mann Joseph Huber? Hätte den für intelligenter gehalten, wenn er es war.)
Die Grünen sind wohl doch mehrheitlich reif für Schwarzgrün.

(Allerdings verstehe ich auch nicht, warum viele - so wie Du - simpelste Behauptungen nicht überprüfen. Man nehme aus Wikipedia zwei Bruttosozialprodukt-Vergleichsjahre zur Epochenbegrenzung und berechne die Steigerung. Dann vergleiche man das mal mit der aktuellen Gesamthöhe der Rüstungsumsätze. Selbst wenn man annähme, daß es ursprünglich gar keine Rüstung gab, ist das Ergebnis eindeutig. Aber eigentlich ist es das auch, wenn man nur alle neuen Produkte und Märkte auflistet, die einem einfallen. Ja, und das Wirtschaftswunder war real. Und phänomenologisch oder impressionistisch wirst Du das auch nicht bestreiten wollen. Woher kommen dann solche Thesen? Weil sie qua Deduktion eine Lücke in irgendwelchen Argumentationen füllen? Eine Minute Wikipedia zerstäubt so etwas.)

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Wikipedia, ich lach mich schlapp!
Die Diskussion fand im Jahr 1996 statt, da hätte ich Wikipedia kaum zu Rate ziehen können. Es wurde dort ernsthaft behauptet, das Wegfallen der Rüstungsproduktion bzw. ihr Rückgang brächte einen"Friedensdividende" genannten Aufschwung, der es einer rot-grünen Koalition ermöglichen würde, das Netz sozialer Leistungen auszubauen bzw. die Leistungen selber zu erhöhen (statt, wie geschehen ist, zu kürzen), bei gleichzeitiger Deregulierung der Wettbewerbsbestimmungen (Freihandel, IHK-Recht, Gewerbeordnung). DAS war 1996 der Erwartungshorizont eines grünen Kernmilieus für 1998 ff.


@"Dann vergleiche man das mal mit der aktuellen Gesamthöhe der Rüstungsumsätze. Selbst wenn man annähme, daß es ursprünglich gar keine Rüstung gab, ist das Ergebnis eindeutig. Aber eigentlich ist es das auch, wenn man nur alle neuen Produkte und Märkte auflistet, die einem einfallen. Ja, und das Wirtschaftswunder war real. Und phänomenologisch oder impressionistisch wirst Du das auch nicht bestreiten wollen. Woher kommen dann solche Thesen?" ------ Der Faktor Rüstungsproduktion als Zugpferd für die Wirtschaft mit seinen ungeheuren Stärken - garantierter Absatz, garantierter Verschleiß, Höchstpreise - zog ja die gesamte Stahl- und Aluminiumindustrie, den Fahrzeugbau, die Elektro- und Elektronikindustrie, Chemie und selbst noch bestimmte Bereiche der Nahrungsmittel- Agrarindustrie und Landwirtschaft mit, das alles gehört in weitem Sinne zum Militärisch-Industriellen Komplex. Und dieser war in der Tat einer der wichtigsten Konjukturtreiber in der Zeit 1960-1988.

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Ich such die Zahlen...
...dann mal raus.
Ja, ist traurig mit den Grünen.
Vor Wikipedia gab es Zahlen in Büchern und Artikeln - FR, Rowohlt, Suhrkamp, Fischer Weltalmanach, SIPRI (in der Regel alles ohne lokales Linksmilieu erreichbar).

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Die Frage ist halt was diese Zahlen aussagen. Sie umfassen ja nicht die Branchen, die nicht zur Rüstungsindustrie gehören, aber von dieser mitangeschoben wurden. Also wie gesagt Metall- Elektro- Elektronikbranche, Montan- und Rohstofimportbereich, aber auch Nahrungsmittelindustrie, Landwirtschaft und Textil. Niemand würde bei Kölln (Müslis, Haferflocken, Bello-Kräcker) oder Boss an Rüstungsindustrie denken, die gehören oder gehörten aber dazu (Marschverpflegung, Futter für Diensthunde und früher Kavalleriepferde, Uniformschneiderei). Die größten Konjunkturprogramme für die Wirtschaftswunderzeit waren Korea- und Vietnamkrieg, abgesehen von der schöpferischen Zerstörung, die den Bombenkrieg zur Grundlage eines Dauerbooms für das Baugewerbe machte.


Dass Peter Kölln unter Bundewehrverwaltung steht oder zumindest viele Jahre stand findet sich übrigens nicht auf Wikipedia.

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