Freitag, 9. Oktober 2015
Polizei schiebt herzkranken Flüchtling ab.
Unmittelbar nach der teilweisen Aufhebung des sog. Rückführungserlasses durch
das Land hat sich in Niedersachsen erstmals wieder eine Abschiebung nach dem
Muster "Überfall im Morgengrauen" abgespielt, wie dies auch unter dem ehemaligen
Innenminister Uwe Schünemann üblich war.

Ohne jegliche Vorankündigung des Abschiebungstermins drangen sieben Polizisten
am 05.10.2015 rechtswidrig nachts um 02:00/03:00 Uhr mit Generalschlüssel o.ä.
(sie überwanden 2 Türen geräuschlos, ohne Spuren) und Taschenlampen in eine
Flüchtlingsunterkunft in Gnarrenburg ein und rissen im Obergeschoss alle
Iraner_innen aus dem Schlaf. In der Unterkunft nahm die Polizei den iranischen
Flüchtling B. fest, der in der Eile und unter Stress noch nicht einmal seine
Brille aufsetzen konnte, um ihn nach Ungarn abzuschieben. Im Erdgeschoss wohnt
eine Mutter mit 3 Kindern, deren Angst nicht mehr verfliegt.

Erst am Flughafen Frankfurt wurde die Abschiebung gestoppt: Da der herzkranke
Iraner über Schmerzen in der Brust klagte, brach die Bundespolizei die
Abschiebung ab. B. ist kürzlich erfolgreich am Herzen operiert worden, muss
jedoch täglich blutverdünnende Medikamente nehmen und eine regelmäßige
Blutkontrolle machen lassen. Nach Aussagen der Ausländerbehörde wurde vorab eine
"Flugreisetauglichkeit" festgestellt. Die Untersuchungsergebnisse liegen und
aber nicht vor, auch die nachfragen des Anwalts blieben unbeantwortet. Der
Flüchtling wurde nach dem Abbruch der Abschiebung wieder nach Gnarrenburg
zurückgebracht.

Der Flüchtlingsrat ist empört über diesen Umgang mit einem kranken Flüchtling.
Verantwortlich ist der Landkreis Rotenburg, der die Abschiebung "in Amtshilfe"
durchführte - und darauf verzichtete, den Abschiebungstermin vorher
anzukündigen. Verantwortlich ist aber auch das niedersächsische
Innenministerium, das durch eine Revision des "Rückführungserlasses" solche
Praktiken einer unangekündigten Abschiebung wieder ermöglicht hat.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, mit welchem Recht und wie die Polizei -
ohne sich bei den Bewohner_innen durch Klingeln oder Klopfen bemerkbar zu machen
- nachts in die Flüchtlingsunterkunft eingedrungen ist und die Bewohner_innen
damit in Panik versetzt hat. Das unangekündigte Eindringen in Unterkünfte ist
ohne schwerwiedgenden Anlass nicht zulässig: Ausdrücklich weist das MI die
Ausländerbehörden darauf hin, dass das "Sicherheits- und Ordnungsgesetz zu
beachten" sei. Wörtlich heißt es in dem - noch gültigen - Erlass des MI:

"Die Ausnahmevoraussetzungen für das Betreten von Wohnungen zur Nachtzeit (§24
Abs. 4 Nds. SOG) liegen in der Regel bei Abschiebungen nicht vor. Auch ein
Betretungsrecht nach § 24 Abs. 5 Nds. SOG ist im Regelfall bei Abschiebungen
nicht gegeben, da dies voraussetzt, dass "der Eintritt erhebliche Gefahren
vermittelt"... Sofern der Zeitpunkt der Abholung noch in die Nachtzeit fällt,
kann die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn sich die Abzuschiebenden zur
Verfügung halten."

Das Beispiel macht deutlich, was uns erwartet, wenn der vorliegende
Gesetzentwurf zum "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" unverändert in Kraft
tritt: Dort ist vorgesehen, dass Abschiebungen grundsätzlich nicht mehr
angekündigt werden dürfen. Der Flüchtlingsrat fordert das Innenministerium auf,
die teilweise Aufhebung des Rückführungserlasses wieder zurückzunehmen, dem
"Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" im Bundesrat eine Absage zu erteilen und
im Übrigen dafür Sorge zu tragen, dass Abschiebungsversuche dieser Art sich
nicht wiederholen

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