Mittwoch, 15. Februar 2006
Wider Geschichtsrevisionismus II
Aus Gründen der Lesbarkeit geht´s hier weiter.

Es hat in der Vergangenheit nicht nur von Auschwitz leugnenden Neonazis und ihren publizistischen Adlaten mit so passenden Namen wie Leuchter und Zündel Vorstöße mit geschichtsrevisionistischen Inhalten gegeben, sondern auch seitens der etablierten Politik. So äußerte in Zeiten der Anti-Atomraketen-Proteste beispielsweise Heiner Geißler die These, die Friedensbewegung dr 20er und 30er Jahre habe Hitler erst möglich gemacht, worauf Joschka Fischer konterte, ob denn demzufolge Carl von Ossietzky und Erich Mühsam quasi für Auschwitz verantwortlich gemacht werden sollten. Fischers Antwort war polemisch und moralisierend, dabei gerät aber außer Acht, dass Geißler hier vor allem historisch falsch lag (ein ewiges Problem bei den Grünen und den deutschen Linken ist ja viel Moral und mangelndes historisches und politisches Wissen): Die Appeasement-Politiker, welche Hitler lange gewähren ließen, waren alles Andere als Pazifisten, es handelte sich vielmehr um Rechtskonservative mit uneingestandenen Sympathien für die Nazis. Während Teile der britischen Torys klammheimlich davon träumten, mit den Gewerkschaften so umzuspringen, wie die Nazis es getan hatten, gab es in Frankreich sogar die Parole "plustot Hitler que Léon Blum", es wurde also die Besetzung durch die Nazis einem Wahlsieg der französischen Sozialisten vorgezogen. Insofern war die französische Kapitulation bereits 2 Jahre vor ihrem Stattfinden angelegt.


Zu einem für die deutsche Historiographie beispiellosen, vor allem außerhalb der Fachöffentlichkeit, nämlich in der Presse ausgetragenen Skandal kam es, als Ernst Nolte In seinem Beitrag "Vergangenheit, die nicht vergehen will" http://lexikon.idgr.de/h/h_i/historikerstreit/historikerstreit.php

die These vertrat, die Sowjetunion sei eigentlich schuld am NS-Regime, zumindest aber an den KZ´s. Diese seien von den Nazis als Kopie des Archipel Gulag eingerichtet worden, und nur die Furcht vor den Kommunisten haben sie getrieben, ihrerseits zunächst Kommunisten, dann auch andere Gruppen in Lager zu sperren, der Holocaust sei eigentlich eine "asiatische Tat". Hier finden wir typische Elemente apologetischer Geschichtsschreibung: Einerseits eine unmenschliches Handeln verharmlosende, die Nazis als von Anderen Verführte oder unter Angst vor Anderen Handelnde eigentlich unmündige Wesen, ein Element der im Antisemitisnmus zum Tragen kommenden Paranoia (vgl. Adorno, Levinson et al "Studien zum autoritärenCharakter" sowie Adorno und Horkheimer "Dialektik der Aufkläung. Elemente des Antisemitismus") sowie die Behauptung, das groteske Verbrechen der Massenvernichtung sei eigentlich undeutsch, wurzle anthropologisch in Asien, was von einem geistigen Hintergrund des Verfassers in der Nähe der Rassentheorien und daher im Umfeld der NS-Ideologie selber zeugt. Den Sinn der Auseinandersetzung um die Positionen Noltes machten damals die konservativen Historiker Michael Stürmer und Andreas Hillgruber deutlich, als sie schrieben, dass Derjenige die Zukunft gewinne, der die Deutungshoheit über die Vergangenheit gewinne. Darum ging es demzufolge Nolte um eine Inwertsetzung der Geschichtswissenschaft als Werkzeug im Kalten Krieg: Da eigentlich "der Russe" schuld sei, müsse die NS-Vergangenheit nicht mehr bewältigt, wohl aber aktiv am Sturz des kommunistischen Systems gearbeitet werden.

Noltes Positionen wurden von der Mehrheit der deutschen Historiker zurückgewiesen.

Dies hielt allerdings Vertreter wie Rainer Zitelmann nicht davon ab, ihrerseits neue geschichtsrevisionistische Vorstöße zu unternehmen, etwa dergestalt, der NS sei Bestandteil der allgemeinen Modernisierung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Eine andere Form von Geschichtsrevisionismus kommt zurzeit aus neokonservativer Ecke. Anknüpfend an Friedrich August von Hayek wird der Nationalsozialismus als zwangsläufiges Ergebnis des Sozialismus betrachtet, teilweise unterscheiden neocons zwischen "Sozial-Sozialisten"(=Linke und Sozialemokraten) und "Nationalsozialisten". Nun hat Hayek sich zwar, insbesondere in den diversen Neuauflagen seiner im Original 1944 verfassten Schrift "Der Weg zur Knechtschaft" sich gegen jede Form von Staatsinterventionismus ausgesprochen und den ursprünglichen Manchesterliberalismus Adam Smith´s entschieden befürwortet. In seinen späteren Jahren wandte er sich auch gegen den Ordoliberalismus im Spannungsfeld von sozialer Marktwirtschaft und Keynesianismus.

Auch ein Vergleich nationalsozialistischer und stalinistischer Wirtschaftsstrukturen findet sich bei Hayek, womit dieser sich bereits außerhalb des beschriebenen Historikerkonenses befindet. Bereits Popper und sein eigener Lehrmeister v.Mises hatten an Hayek Irrationalismus und Demokratieskeptizismus kritisiert.

Wenn wir den antisozialdemokratischen Ausfällen folgen, wie sie auf neokonservativen Weblogs veröffentlicht werden, gehen die heutigen selbsternannten Hayek-Apologeten aber sehr viel weiter. Einerseits wird dadurch, dass Keynesianismus bzw. die Sozialdemokratie implizit in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt wird, Verhöhnung der Opfer des NS betrieben, andererseits läuft die implizite Logik, dass es außerhalb des reinen Liberalkapitalismus kein denkbares Gesellschaftsmodell mehr geben soll auf Totalitarismus hinaus - totalitärer Wirtschaftsliberalismus halt. Den haben die Jünger des Hayek-Schülers Milton Friedman in Chile und der Türkei (Turgut Özal war selbst einer der Chicago-Boys) bereits praktisch demonstriert. Es scheint so, dass hier eine neue extremistische Bewegung heranwächst.

Es ist auch Bestandteil des neokonservativen Geschichtsrevisionismus, anzunehmen, dass der heutige westliche Wohlstand allein Leistung des Kapitalismus selber sei, als hätten alle Arbeiterkämpfe um Partizipation und soziale Leistungen nicht stattgefunden, ja, Neokonservative glauben sogar, ohne Arbeiterbewegung sei die Entwicklung des allgemeinen Wohlstands bereits viel weiter als real geschehen.

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herr heiner geissler sprach seine die-pazifisten-sind-schuld-theorie nicht als historiker sondern als generalsekretär der cdu aus. das ist schon ein unterschied, und macht auch den unterschied aus.

der gleiche herr geissler, der seinerzeit sein amt seiner von ihm keineswegs unlustig oder gar mit missmut betriebenen wadlbeisserei verdankte, bedauert heute als wohlhabender ruheständler, dass die politik sich leider viel zu sehr in billiger polemik erschöpfe, ja, er selber habe ja auch und auch er bedauere sein tun von damals.

schleimbeutel, christlicher.


ach so, der hayek.

auch nichts neues. die volksherrschaft (demokratie) führt zur pöbelherrschaft, welche in der tyrannis endet, so schon die alten griechen, vor allem wenn sie der adelspartei angehörten.

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