Samstag, 19. August 2006
Neoliberalismus - ein völlig falsch verstandener Begriff
Workingclasshero brachte mich kürzlich darauf, dass der Begriff Neoliberalismus in der deutschen Politikdebatte in mehrfacher Hinsicht falsch verwendet wird. Hartz IV, Ich-AGs etc. sind nicht "neoliberal", sondern eine ganz spezifisch deutsche Form von gleichzeitig integrierender und ausgrenzender, selektiver Sozialpolitik. Neoliberalismus zeichnet sich durch die versuchte Widerherstellung präkeynesianischer Nachtwächterstaaten unter organisierter Zerschlagung der Gewerkschaften aus - vgl. Thatcherismus, Reaganomics, die Entwicklungen in Chile, Türkei, Argentinien. Die deutschen Gewerkschaften stricken am Umbau der Sozialsysteme fleißig mit, die aktuellen Reformen, darauf angelegt, sehr nachhaltig zu sein (nicht nachhhaltig im Sinne nachhaltiger Wirtschaftsweise, sondern "sustainable", wegen mir langfristig tragfähig) sind Bestandteil der deutschen Konsensdemokratie, die mit angloamerikanischen Modellen nicht vergleichbar ist. Im Umkehrschluss finden deutsche Wirtschaftsliberale, die sich an US-Neocons orientieren, ihre Positionen auch kaum wieder: Neoconism ist eben nicht nur ein viel weitergehender Sozialabbau als in Deutschland durchsetzbar, sondern verbunden mit politischen und moralischen Vorstellungen, die alles andere als liberal sind. Eine Vorstellung davon vermitteln am Ehesten Demonstranten, die im Vorfeld einer Hinrichtung vor einem US-Knast "Grill him, grill him" skandieren. Hinsichtlich Abtreibung, Sexualmoral, Homosexualität unde Jugendstrafrecht wären für einen US-Neocon selbst die Vorstellungen eines italienischen Neofaschisten links. Für BRD-Linke wiederum ist Neoliberalismus zu einem Mythos geworden, der die Trennschärfe für eine sozialpolitische Debatte eher gefährdet als irgendwas zu erklären. Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe der Aranca!, Zeitschrift der Gruppe fels (für eine linke Strömung).

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Hartz 4 ist der neoliberale Paradigmenwechsel
Che ist wieder da! Ich dachte schon, sie hätten Dich beim Vergessen einer Sporttasche in einer Regionalbahn erwischt ;-)

Workingclasshero brachte Dich kürzlich darauf, etwas Dir zu eigen zu machen, den der Semiotizistische Salon-Marxologe so nicht stehen lassen kann.

Bevor hier noch weiter mit der Stange im Nebel gerührt wird, mal eine Erinnerung an die Basics:

Das neoliberale Programm als systemische Praxis dient der Erhöhung der Produktion von relativem Mehrwert.

Das ist das Kriterium, und nicht irgendwelche hier ausgebreiteten und auch noch zum Teil falsch dargestellten Faktizismen der Empirie mitsamt politikwissenschaftlich-soziologisierender Feststellungen darüber, daß HIV dem neoliberalen Maximalprogramm noch nicht entspricht. Ihr könnt's wohl nicht erwarten. Die HIV-"Optimierungsgesetze" arbeiten doch schon fleißig in Richtung Realisation des Maximalprogramms.

HIV hat bereits erfolgreich die Nicht-Arbeitslosen erpreßbar gemacht, so, daß sie gegen Löhne runter, Arbeitszeit rauf keinerlei Widerstand leisten. Gleichzeitig Unternehmenssteuern runter, Kündigungsschutz runter. So wird die Produktion des relativen Mehrwerts erhöht.

Aus diesem Grunde geht der isoliert betrachtet richtige Spruch: "Neoliberalismus zeichnet sich durch die versuchte Widerherstellung präkeynesianischer Nachtwächterstaaten unter organisierter Zerschlagung der Gewerkschaften aus" an der Sache vorbei, denn das ist nur eine der Erscheinungsformen der Durchsetzungsweise des mehrwertbezogenen neoliberalen Programms, das der deutsche Staat engagiert betreibt, wie die angloamerikanischen Staaten auch.

Die Aussage "Die deutschen Gewerkschaften stricken am Umbau der Sozialsysteme fleißig mit" ist insoweit Unsinn, als die Gewerkschaften Widerstand geleistet haben mit allem, was sie hatten – es ist nur so erbärmlich wenig, was sie da haben. Mittlerweile spielen sie 'kritisch' mit, um nicht noch mehr ins Abseits zu geraten.

Es verwundert mich auch schon etwas, wie die erfolgreiche Ausübung eines praktizierten Gewaltverhältnisses hier als "Konsens" bezeichnet wird. Der Konsens vergangener Jahrzehnte beruhte auf einem ausgeglichenen Kräfteverhältnis. Seit das perdu ist, gibt es nur noch Unterwerfung. Die Willfährigkeit der Unterworfenen, die von der Angststarre gepackt sind, als "Konsens" zu bezeichnen, erfordert ein gerüttelt Maß an Zynismus.

"Bestandteil der deutschen Konsensdemokratie, die mit angloamerikanischen Modellen nicht vergleichbar ist."
Ich erzähle mal was über Vergleichbarkeit. In den USA gibt es Arbeitsverpflichtungen für Stützeempfänger. (Da hat man sich die 1-€-Jobs abgeguckt.) Die aber bekommen nicht 1 Euro, sondern 5 Dollar, und sie werden von einem Fahrdienst abgeholt und zurückgebracht. Soviel zu dem Märchen, die "amerikanischen Verhältnisse" seien so schlimm, daß sie hierzulande nicht durchsetzbar wären. 1 Euro und selber sehen, wie man da hin kommt, wäre in den USA nicht durchsetzbar.

Im übrigen fiel mir auf, wie Dein Eröffnungsbeitrag von "Neoliberalismus" plötzlich – mitten im Text - auf "Neocon" umswitcht. Man nennt das einen Unterschleif. Zu diesem Mittel greift man immer dann, wenn man selber die Schwächen der eigenen Argumentation spürt:
Um die falsche These zu retten, vergleichst Du die neoliberale Gesetzgebung der Schröder-Regierung mit der Bible-Belt-Debilität eines "Grill him, grill him", um den hierzulande durchgesetzen Neoliberalismus als nicht neoliberal erscheinen zu lassen.

Das, Che, kannst Du doch besser.

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neocon unterscheidet sich von neoliberal m.e. dadurch, dass letztere nicht links blinken ("compassionate conservatism"), um rechts zu fahren, sondern rechts blinken, um einen u-turn zu vollführen.

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Ehrlich gesagt glaube ich, daß Dir da die Schubladen ein wenig durcheinander geraten. "Harter Sozialabbau" ist für Neocons eigentlich ein Nicht-Thema, es kommt allenfalls am Rande vor, aber gehört nicht zum Kern ihrer Politik.

Wenn man sich anschaut, was sich sozialpolitisch in den letzten 10-15 Jahren in den USA getan hat, dann sind beispielsweise die unter Clinton ermöglichten und geförderten "welfare to work"-Programme auf der Ebene der Bundesstaaten ein viel einscheidenderer "Sozialabbau" als alles, was unter Bush passiert ist. Neocons sind zwar außenpolitische Falken, aber sozialpolitisch doch eher Hühner. Von anderen wirtschaftspolitischen Themen ganz zu schweigen; die protektionistische Neigung der Neocons ruft beispielsweise bei jedem liberalen Ökonomen heftigen Widerspruch hervor.

Also, die Darstellung von Neocons als "neoliberal ultra" im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich trifft einfach nicht zu.

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Wichtig ist was hinten rauskommt
Wenn der aus Politikern, Unternehmern und Medienfutzies bestehende Chor, in bester gleichgeschalteter Manier, die Parole vom Totalen Markt skandiert, wuesste ich nicht, was ein erhoetes Mass an Trennschaerfer die Debatte weiter braechte. Trennschaerfe ist dann angebracht, wenn es denn was zu trennen gaebe.
Hier in D, mit seiner sozialdemokratischen Tradition, dauert das natuerlich etwas laenger, aber die Zielsetzung lautet doch auch hier Abschaffung des Sozialstaats, Abschaffung (bzw Entmachtung) der Gewerkschaften, Einschraenken von Buergerrechten und Abwicklung des oeffentlichen Sektors nach Treuhandvorbild. Und nebenher gibt man der Zweiklassengesellschaft die rechtliche Grundlage.
Mir ist es jedenfalls sowas von scheissegal, in welcher der rechten Ecken die sich selbst glauben zu sehen. Es machen mal wieder alle mit und keiner wills gewesen sein. Oder hast du schon mal jemand sagen hoeren "Ich bin Neoliberal"?

RotGruen, SchwarzGelb, SchwarzRot, an welchem konkreten Punkt gibt es da, was die politische und wirtschaftliche Zielsetzung angeht, konkrete Differenzen?
Dass der eine dem Hartzer 5 euro mehr goennt als der andere ist doch nun wirklich Jacke wie Hose. Wo kommst du da mit Trennschaerfe weiter?

Der Naechste erzaehlt dir, dass das mit den Schwulen und den Abtreibungen die religioesen Fundamentalisten sind, die mit den Neocons nix am Hut haben uswusf ...

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Bin gerade außerhalb, also diskutiert gepflegt weiter, geduldet Euch aber ob meiner Antwort, ja?

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Statler hat recht
Die eine Neoconnarden-Fraktion ist für die internationale Politik zuständig (Antimusel); die andere für die Innenpolitik (Anti-Sozialschmarotzer, Anti-Anspruchsdenker).
Daß man da strikt politikwissenschaftlich-akademisch trennen muß, ist klar.

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Ja, doch!
Man muss schon sehr genau unterscheiden zwischen Neocons und Neoliberalen:

>>Unter Neokonservatismus (auch Neokonservativismus) (von Neo, neu) fasst man heterogene politische Strömungen zusammen, die sich neben einer Rückbesinnung auf konservative Werte, in Verbindung mit liberalen bzw. neoliberalen Konzepten in der Wirtschaftspolitik, scharfer Ablehnung der Politik der 68er-Generation und häufig auch durch Betonung einer gemeinsamen westlichen Zivilisation auszeichnen. [...]<<

q.e.d.

http://de.wikipedia. org/wiki/Neokonservatismus

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Achwas
Stattler hat nie Recht ;-)

Noergler hat das oben doch Klasse beschrieben.
Im moment weiss ich schon wieder nicht ob wir hier ueber Neocons oder Neolibs reden.
Reagen und Thatcher, was'n das nu. Sind das Neocons, Neolibs, oder Neocons die neoliberale Politik machen.
Was ich versuche zum Ausdruck zu bringen ist, dass wenn Neocons und Neolibs zusammen in der Kiste liegen, das mit der Trennschaerfe imho zweitrangig ist. Mal ganz davon ab, dass sich da noch so manch anderes in der Kiste tummelt.
Bezeichnend finde ich dass Artur den Wiki zu Neokonservatismus zitiert und nicht den zu Neolib.
Klar das man sich in der Wissenschaft keine Veralgemeinerungen leisten kann, schon garnicht wenn man konkret wird. Ich sehe nur den Schaden, der sich aus der schwammigen Verwendung von neoliberal, fuer die Debatte ergeben soll nicht.
Wenn wir ueber eine konkrete Person oder ein Konzept sprechen stellt sich doch, zumindest hier in diesem Blog, Trennschaerfe fast automatisch ein, bzw ohne zu differenzieren hats doch nichts mehr mit Wissenschaft zu tun.

Vielleicht sollten wir auch einfach etwas warten, bis der Hausherr seinen reichlich verworrenen Artikel etwas entwirrt und ich von der Leimschnueffelei nicht mehr so benebelt bin.

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@loellie: ich verstehe nicht ganz, was daran "bezeichnend" ist, wenn ich in ironischer absicht einen wiki zitiere. es ist letztlich egal. das ist alles eine soße. die farbe darfste dir aussuchen :-)

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S´iss janz eenfach!
Neoliberalismus ist die radikalisierte und ideologisierte Form von Wirtschaftsliberalismus. Oder?

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Ergänzung
S-Tatler hat zur Hälfte recht (immerhin!).

Wo er nicht recht hat:

Es gibt bei den Neocons deutlich mehr ökonomische Nähe zum Neoliberalismus (ein typisches Beispiel wäre das AEI) als S-Tatler behauptet, zumal recht viele entschiedene Neocons in wirtschaftspolitischer Hinsicht der Ideologievariante des Wirtschaftslibertarismus zuneigen.

Oft werden beide Haltungen in Ökonomie und Außenpolitik, besonders in den USA, unter dem Begriff "Freiheit" subsummiert.

Hier könnte man als aufgeklärter Mensch allerdings fragen, ob a) Sozialstaatsfeindlichkeit und b) Militarismus tatsächlich freiheitliche Konzepte darstellen...

Wo S-Tatler recht hat:

Neocons haben ihren Schwerpunkt im Bereich der Außenpolitik, zudem gibts bei Neocons (zumal US-Neocons) wirtschaftspolitische Tauben. Tja, und Neoliberale habens mehr mit Ökonomie.

P.S. (gehässige und leider zutreffende Ergänzungen...)

Dennoch, und hier hier hilft m.E. der Begriff des "autoritären Charakters", fällt es stark auf, dass viele entschiedene Wirtschaftsliberale, Neoliberale und sogar Wirtschaftslibertäre einen recht typischen Hang auch zu außenpolitischer "Härte" haben.

Ich meine, dass eine Art struktureller Empathiemangel des autoritären Charakters erklärt, warum bestimmte Charaktere sowohl zu außenpolitischer Härte neigen ("Falken"), wie auch zu sozialpolitischer Härte im Bereich der Wirtschaftspolitik.

Rein ideologisch betrachtet ist diese doppelte Härte widersinnig, denn der Neocon-Militarismus ist hochgradig etatistisch - und steht damit im elementaren Gegensatz zu den ideologischen Zielsetzungen der Sozialstaatsfeinde.

Seltsam, oder?

Alexander Rüstow hat diese doppelte Härte des latent bzw. offen autoritären Charakters (1950 in "Freiheit oder Herrschaft") als eine Form des politischen Sadismus gedeutet.

Ich persönlich glaube, dass der doppelte Wunsch nach Härte im Bereich der Außenpolitik und Wirtschaftspolitik nicht nur in einem deutlichen (und m.E. messbaren) Empathiemangel der Betroffenen begründet ist, sondern oft auch mit einer manifest aggressiven persönlichen Haltung.

Schlimmer noch: Im Fall von Neocon-Islamphobikern wird man m.E. einen deutlich gesteigerten Anteil krankhaft Paranoider vorfinden - m.E. deutlich mehr als 10%. Die Kommentarsektion z.B. von PI dürfte zur Veranschaulichung dieser These genügen.

P.P.S.
Und ich finde es angenehm, dass sich S-Tatler von seinen vormaligen politischen Freunden aus dem Lager der Islamphobiker nachhaltig getrennt hat, und dies sogar so sehr, dass er (!) inzwischen Don recht zu geben vermag.

Und, wer weiß, vielleicht begreift der Sozialstaatsfeind S-Tatler sogar eines Tages, dass nicht alle ökonomischen Antworten automatisch "durch den Markt" gegeben werden, sondern durch eine politische und demokratische Rahmenordnung des Wirtschaftens, die sich primär (!) den Interessen der großen Bevölkerungsmehrheit widmet.

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@artur
Die Ironie war mir entgangen, es war bezeichnend fuer solche Diskussionen gemeint und nicht etwa "was der wieder labert".

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Da schon wieder auf dem Sprung und, momentan eher mit sportiven Dingen beschäftigt, nicht unbedingt zur genauen ideologiegeschichtlichen Aufdröselung der genannten Positionen Zeit habend, nur ein kleiner Hinweis: findet Ihr "soziale Selektion", die ich als Wesensmerkmal des nicht so ganz neoliberalen deutschen Sozialstaatsumbaumodells genannt habe, harmlos?! Viel Spaß beim Nachdenken!

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die von dir angesprochene soziale selektion ist doch schon lange real und nicht nur dem neoliberalen xperiment immanent: einkommensschwächere sterben früher, haben eine schlechtere gesundheitsversorgung und geringere bildungschancen. ein beispiel: in bayern - und nicht nur dort - bestimmt der staat und nicht die eltern, welche weiterführende schule ein kind besuchen darf.

es gab nur eine kurze phase in der bundesrepublikanischen geschichte, in der versucht wurde, die reaktionären strukturen aufzubrechen: das war - grob gesagt - unter den regierungen brandt und schmidt. seit kohl - also seit nunmehr 24 jahren - läuft der backlash. in allen bereichen.

beispiel aus der praxis: schaue ich mir meine kollegen im betrieb an, so sind dort die 40-jährigen mit klein- und untermittleschichtigem background noch relativ gut vertreten. bei den 30-jährigen herrscht der mittel- bis obermittelschichtige background vor.

das ist das ergebnis einer sozialen selektion, die m.e. in den nächsten jahren/jahrzehnten noch viel gravierender zum tragen kommen wird.

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@artur

Einkommensschwächere sterben häufig früher, weil sie mehr Zivilisationserkrankungen ausbilden: Trunksucht, Fettleibigkeit, Nikotin etc.
Das ist eben eine Frage der Selbstdisziplin: Ohne eine solche - keine Ausbildung, ohne Ausbildung, mieser oder gar kein Job. Ohne Job wenig soziale Anerkennung. Ohne soziale Anerkennung Depression und erhöhte Affinität zu Drogen. Erhöhte Affinität zu Drogen und Mangel an Selbstdisziplin - Sucht, Krankheit, früher Tod. Wenn hier etwas helfen würde, dann wäre das nicht der Staat als große Alma Mater, sondern als autoritärer Pater Patriae mit Erziehungsauftrag gegenüber Erwachsenen, deren Triebapparat kindlich geblieben ist. Aber will das jemand?

Ganz allgemein:

Je mehr Sozialausgaben des Staates an Bedürftige, desto mehr Abhängigkeit der Bedürftigen vom Staat, desto stärker der Staat gegenüber seinen Bürgern, die als Unselbständige natürlich niemals die Hand beissen würden, die sie füttert. Wer ernährt, der befiehlt eben auch. Altes Prinzip, alter Deal: Schutz (vor materieller Not) gegen Gehorsam. Aber gehorsame Bürger, das ist nicht das Ideal eines Liberalen. Darum ist die Reduktion von "welfare" sehr wohl ein legitimes liberales Ziel.

Letzte Bemerkung: Über das Barmen mancher hinsichtlich des ungerechten ALGII - Staates kann ich nur schmunzeln. Das ist fast schon mit ein paar angestaubten JuSo-Floskeln verbrämte Bettelei. Leute, deren Mut gegen den Staat gerade so weit reicht, ihn zu beschimpfen: "Gib mir mehr, Gib mir mehr, Du Hund", sind eigentlich Leute, die brüllen: "Ich Staatskritiker will abhängig sein vom Staat. Ich subversiver Demonstrant will Sklave des Sozialstaates werden, dem ich meine Zukunft und Existenz als Sorge überantworte. Ich Revoluzzer sehne mich nach Stabilität, Komfort, geordneten Lebensverhältnissen, Sicherheit und Fremdbestimmung. Nur ein bisschen mehr Kohle, das dürfte es denn schon sein ... Über der Welten Gerechtigkeit will ich selbst befinden, aber mein eigenes Leben verantworten, nein, das wäre Faschismus!"

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"Wer ernährt, der befiehlt eben auch. Altes Prinzip, alter Deal: Schutz (vor materieller Not) gegen Gehorsam."
Das stimmt für einige Aspekte feudaler Herrschaft. Die Pointe von bürgerlicher Demokratie und liberalem Rechtsstaat hingegen besteht gerade in der Entkoppelung solcher Dependenzen.
Da fehlt es, germar, ich muß das so hart sagen, selbst an einfachstem und fundamentalstem Grundlagenwissen.

Allerdings enthält die Formulierung "die als Unselbständige niemals die Hand beissen [bitte "beißen", auch nach neuer Rechtschreibung!] würden, die sie füttert" einen deutlich revoluzzerhaften Oberton. Gestützt wird das durch die Ablehnung "gehorsamer Bürger" und die Rede vom mangelnden "Mut gegen den Staat". (Hinweis: In der gegenwärtigen Situation rate ich hinsichtlich solcher Äußerungen zur Vorsicht.)

Wie als Entsprechung schreibst Du dann: "Ich Revoluzzer sehne mich nach Stabilität, Komfort ... Nur ein bisschen mehr Kohle, das dürfte es denn schon sein".
Deinen festen Willen zur gehobenen Entlarvungs-Ironie habe ich durchaus verstanden. Gerade darum macht es den Eindruck, als ob hier ein projektiver Selbsthaß sich Bahn bricht.

Denn sonst ist die "letzte Bemerkung" unverständlich. Es wäre mir nicht entgangen, wenn es die von Dir beschriebenen "subversiven Demonstranten" (was ist das?), und "Revoluzzer" gäbe.

Im ersten Fall ("alter Deal") hast Du Dich um Jahrhunderte, im zweiten ("Revoluzzer") um Jahrzehnte geirrt. Ich sehe das positiv: So langsam kommst Du der Sache näher.

Ein intensiviertes Studium der Politikwissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft und der Geschichtswissenschaft vermöchte gewiß Dir aufzuhelfen: acht Jahre Minimum Lese-Schufterei und Exzerpieren in den richtigen Bibliotheken, und Deine Chancen stehen gut, in einer zukünftigen Gegenwart anzukommen.

Schau, es ist doch so: Intellektuelle Minderjährigkeit muß nicht Schicksal sein – man kann etwas dagegen tun.

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Back to Basisbanalitäten
In den 70ern nannte man mal jeden Gastwirt, der etwas gegen Langhaarigehatte, einen Hauptfaschisten, selbst wenn er Sozi und Gewerkschafter war und nur den Stammtischlern nach dem Mund redete, die sein Einkommen sicherten. Das war nicht wichtig, wer was gegen Langhaarige hatte, war Faschist. So ähnlich verhält es sich mit dem Neoliberalismus: Alles, was irgendwie mit Sozialabbau zu tun hat, wird gerne darunter subsummiert. Dies verkennt aber, dass die derzeitige deutsche Sozialpolitik mit sehr viel Korporatismus ein Modell sozialer Selektion, Disziplinierung der Armen und Umverteilung der Einkommensverhältnisse etabliert, das eben nur zum Teil neoliberal, teilweise aber etwas anderes ist. Davon handelt der Artikel ijn der Arranca, verfasst von VertreterInnen der interventionistischen Linken, die gerade die Proteste gegen den G8-Gipfel vorbereiten. Ich kann nur empfehlen:Lesen!

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Lesen, OK, aber wo?

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In der Arranca!,erhältlich in jedem linken Buchladen.

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Revolutionsromantizismus?
Ich frag ja nur - und zwar zum Stichwort "interventionistische Linke". In dem Zusammenhang sind die fünf "PGA-Eckpunkte" relevant:
1. Eine klare Ablehnung von Kapitalismus (...) und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen (...).
2. Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab (jedoch mit einigen Ausnahmen, z.B. Gewalt gegen Beamte und Firmen oder systematischer Unterdrückung Andersdenkender auf unseren "Plenen")
3. Eine pauschal konfrontative Haltung (...) (Zweck: politische Erfolge innerhalb des Systems verhindern).
4. Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen (...).
5. Eine Organisationsphilosophie, die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist (zur Ermöglichung militanten Handelns).
Anmerkung: Ich hab den verlogenen PR-Schönsprech aus den PGA-Positionen entfernt. Sorry for that!

Vorab-Kurzbeurteilung von Dr. Dean:

- Fehlende inhaltliche Basis
- Reines Aktionsbündnis
- Nährboden für rücksichtslose Radikalisierung, Dogmatisierung und Militanz
- Nach dem G8 Treffen ist das logische Ergebnis: Konfusion.

=> So wird man die vormals eingebundenen moderaten Kräfte nachhaltig (!) verschrecken und "die" Linke weiter aufgespalten haben.

Mit dieser, ähem, "Strategie" der Radikallinken erzielt man in Sachen Globalisierungskritik in etwa einen Zustand, den wir bereits im Bereich der Flüchtlingspolitik haben, nämlich einerseits eine linksradikale, aktive und gleichermaßen politisch wirkungslose Szene aus Sektierern und Radikallinken, bei denen sich in übelster angeblich "konsens"demokratischer Tradition die extremsten Schreihälse mit Maximalpositionen regelmäßig durchzusetzen vermögen (was in der dabei notwendig aggressiven internen Gruppendynamik nebenbei auch Raum für jede Menge Sexismus schafft...).

Auf der anderen Seite des Protestspektrums hat man eine Art "überangepasste Linke", wie sie z.B. mit "Pro Asyl" sichtbar ist, welche mit ihren typischen Minimalpositionen in Verbindung mit mangelnder Vehemenz das gesellschaftliche Fortschrittspotential ebenso wirkungsvoll verspielen.

Dies ist die Entsprechung (bei gleicher Wirkung!) zu den extremistischen Gruppen innerhalb der Radikallinken. Auf diese Weise verhindert dieses spezielle Wechselspiel linker Gruppen politische Erfolge, wie sie z.B. in Schweden im Bereich der Flüchtlingspolitik durchaus erreicht werden konnten.

Der nachhaltige gesellschaftliche Bündnisse verhindernde Revolutionsromantizismus und teils sogar fanatische Extremismus vieler Radikallinker ist eine Quelle (von mehreren) der zur Zeit stattfindenden gesellschaftlichen Rückentwicklung.

*würg*

P.S.
Ist euch schon mal aufgefallen, dass sich z.B. der Abschnitt im Verf.sch.bericht von NRW zu den Antideutschen sich wie ein unverhohlener Erfolgsbericht liest?

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Könntest Du
diesen »Erfolgsfaktor« mal etwas spezifizieren?

Und allgemein zur Verwirrung hinsichtlich dieses Beitrages: es ist halt mittlerweile etwas komplizierter geworden, Ideologiekritik zu leisten, und man nicht nur mit dem cui bono-Gedanken an die Sache rangehen kann. Manchmal braucht man zusätzlich zu Marx halt z.B. noch Foucault, um zu bemerken, daß postmoderne kapitalistische Staaten nicht nur Herrschen durch Ausbeutung oder Verzicht, sondern durch Geben und Aktivieren ....

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Und die linksliberale Einmannpartei, die immer, immer recht hat, kann das natürlich alles viel besser, gelle? Die Zeitschrift Arranca! ist nicht identisch mit den Minimalkonsenzpositionen einer organisatorischen Plattform. Aber Hauptsache, man kann auf wen pissen!

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ich geh mal davon aus...
daß das keine Antwort zu meinem Kommentar ist, ansonsten wäre etwas mehr Aufklärung hilfreich.

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Hey, nicht ärgern!
@Che
Die "linksliberale Einmannpartei" gibt zu bedenken, dass ich keineswegs den Text in der Arranca kritisiert habe, sondern gewisse Gefahren aus den m.E. zugespitzten und allzu radikalen "PGA-Eckpunkten".

Ist das verboten?

Im Übrigen ist die "linksliberale Einmannpartei" der Auffassung, genau so häufig dem Irrtum zu erliegen, wie andere Menschen auch, von daher bitte ich um wohlwollende Hinweise in diese Richtung, und zwar auf das Herzlichste. Wirklich!

P.S.
Wir könnten uns natürlich auch darauf einigen, dass ich so einigermaßen recht habe...

;-)

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Nein, Mule, der Beitrag bezog sich natürlich auf Dr. Dean, ansonsten stimme ich Dir zu. Was Dich, Ebengenannter angeht:Es ging in meinem Posting aber nunmal um den Text in der Arranca und nichts Anderes. Pro Asyl gehört überhaupt nicht zur Linken, sondern ist ein pragmatisches Aktionsbündnis, dem auch Kräfte wie das Netzwerk Asyl in der Kirche oder Initiativen der Dominikaner angehören und kann daher gar nicht anders als sehr gemäßigt und moderat aufzutreten. Und sorry, die autonome Linke (oder was ihr nahesteht) kenne ich seit 24 Jahren von innen, ihre Widersprüche und Absonderlichkeiten ebenso wie ihre Stärken, und ich einige mich mal mit mir darauf, dass Du nicht recht hast.

@Nörgler, Statler, Schubladen und Unterschleif: Natürlich machen Neocons alles Andere als liberale Politik. Das ist nicht ihr Job; ihr Job ist es, die Interessen der am meisten imperialistischen Kapitalfraktionen der USA möglichst effizient zu organisieren. Aber sie haben keine eigene Wirtschaftstheorie und bedienen sich, was dies angeht, vorzugsweise bei neoliberalen Theoretikern. Zum Anderen sind die Konzepte der Chicago-Boys (in meinem Verständnis Neoliberale reinsten Wassers) weniger von liberalen als vielmehr rechtskonservativen, autoritär-konservativen und sogar faschistischen Regierungen umgesetzt worden (Reagan, Thatcher, Özal, Pinochet, Fujimori). Insofern lieferten Neoliberale als nützliche Idioten das Rüstzeug für eine antiliberale Politik.

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Che,

es ist glaube ich ein allgemeines Phänomen, daß man eine konsequente Durchsetzung von _irgendwelchen_ Konzepten am ehesten von in irgendeiner Form autoritären Regierungen erwarten kann. Oder von solchen, die, wie Thatcher und Reagan, von einer sehr schwachen und kaum handlungsfähigen Opposition profitierten.

Wo finden wir eine lupenreine Umsetzung von keynesianischen Konzepten? In autoritären Regimen, weil nur die in der Lage sind, im Aufschwung den Haushalt über Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen konsequent zu konsolidieren. Im demokratischen Wettbewerb geht das kaum. Wo finden wir eine lupenreine Umsetzung von sozialistischen, private Eigentumsrechte infrage stellenden Konzepten? Offensichtlich in autoritären Regimen, weil man in Demokratien nunmal allenfalls sehr dünne Bevölkerungsschichten enteignen kann, ohne politischen Widerstand zu generieren.

Je stärker der politische Wettbewerb, desto weniger wird irgendein politischer Masterplan lückenlos umgesetzt. Egal, ob es ein liberaler, ein linker oder ein rechter Masterplan ist.

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Nicht immer und in jedem Fall, aber grundsätzlich stimmt das natürlich.

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das stimmt schon irgendwie,
statler, aber die US und UK der 80er Jahre mit »autoritär« zu klassifizieren, halte ich dennoch für falsch. Auf dem Papier waren das lupenreine Demokratien, strukturell nicht anders wie in den 70ern davor und den 90ern danach. How come daß das trotzdem funktionierte ...?

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Die Gnade der schwachen Opposition, vermute ich. In UK hat Thatcher ihre erste Wahl zwar, wenn ich mich richtig erinnere, relativ knapp gewonnen, aber Labour war kopflos und diskreditiert. Außerdem sorgt in UK das Mehrheitswahlrecht dafür, daß man auch mit prozentual knappen Ergebnissen im Parlament eine sehr satte Mehrheit haben kann. Das alles schafft jede Menge Raum zum Manövrieren.

In den USA war es ganz eindeutig die schwache Opposition. Die Demokraten lagen politisch im Koma, nachdem Carter an der Geiselnahme in der Teheraner Botschaft politisch gescheitert war.

Und dann kam in beiden Ländern noch eine verbreitete und eindeutige Stimmung dazu, die angesichts von Stagnation und Inflation die keynesianische Wirtschaftspolitik als definitiv gescheitert ansah. In diesem Vakuum mußte man irgendwas neues ausprobieren, und die angebotspolitischen Konzepte als traditionelle Gegenspieler der keynesianischen Politik boten sich da an.

Es war also einfach eine (aus liberaler Sicht) sehr günstige Konstellation, aber sowas kommt nicht systematisch, sondern eher zufällig zustande, würde ich sagen.

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Na ja, bei Thatcher dürfte auch das mir noch lebhaftestens erinnerliche Säbelgerassel des Falkland/Malvinenkrieges eine Rolle gespielt haben, ohne das sie nicht wiedergewählt worden wäre. Reagan wie Thatcher segelten im Windschatten internationaler Konflikte und machten ihre Wahlkämpfe mit Kriegsrhetorik - wie auch ein Bush jr.seine Wahlen ja nicht mit Wirtschaftsthemen gewann. Das war übrigens bei Kohl anders - obwohl da von einer "geistig-moralischen Wende" und nicht von Privatisierungen von Staatsbetrieben die Rede war. Mit Friedman vs. Keynes lassen sich m.E. aber gar keine Wahlen gewinnen, weil die breiten Wählermassen da kaum hinterherdenken.

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Autoritär war - im demokratischen Rahmen - die Politik Thatchers und Reagans durchaus.

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