Mittwoch, 27. Dezember 2006
Einmal einige Basisbanalitäten zur poplinken Ikonografie
Ich hatte es an anderer Stelle ja schon mal im Kommentarbereich geschrieben, regelmäßige Leser kennen es also, trotzdem möchte ich es noch einmal besonders betonen: Ich identifiziere mich nicht etwa im besonderen Maße mit Che Guevara, sondern führe das Che-Blog deshalb, weil ich seit einem knappen Vierteljahrhundert in der real world unter dem Spitznamen Che herumlaufe und seit 2001 in der Bloggosphäre unterwegs bin.

Für meine Generation und noch mehr die Alterskohorte über mir waren Che-Guevara-Bilder Popikonen, gleichrangig mit Bildern von Jim Morrison oder Bob Marley und stark abstrahiert von der konkreten Person Che Guevara. Che stand symbolisch für Linkssein im Allgemeinen, für Abenteuer, Romantik und das Idealbild vom Latin Lover. Ich bin mit Che-Postern aufgewachsen. Meine Schwester hatte ein überdimensional Großes über dem Bett und eins auf ihrem Koffer. Politisch fand sie Che eigentlich ziemlich daneben, aber er war ein Mann, mit dem sie gerne gevögelt hätte. Zu meiner Zeit waren es eher die undogmatischen oder libertären Linken, die mit Che-Bildern herumrannten, denn die Mler hatten die Bilder von Marx, Engels, Lenin und Mao für sich gepachtet. Che-Bilder gehörten zum Beispiel auch zur Popkultur der Traveller-Szene, ebenso wie der Song "Stairway to Heaven" von Led Zeppelin. Die Symbolik und Heraldik von Subkulturen hat eben ihre eigene Dynamik.

Dass Bilder von Che Guevara, Jim Morrison und Mick Jagger, etwas zeitversetzt Bob Marley, Peter Tosh, Jimmy Cliff oder Muhamad Ali zu einer bestimmten Zeit fast den gleichen Stellenwert hatten, hängt auch damit zusammen, dass dies zu ihrer Zeit alles unstraighte Männer waren. Für das Establishment galt in den 1960er Jahren in Deutschland, aber auch den USA und Großbritannien noch das männliche Schönheitsideal blond, blauäugig, V-förmiger Oberkörper, kurzhaarig, mit anderen Worten, die Normen Arno Brekers und Leni Riefenstahls, und dass dunkel-langhaarige zierliche Typen und kurz darauf Schwarze Popikonen wurden, war ein erster zögerlicher Schritt in einem langen Prozess der Emanzipation der Körperlichkeit, zu dem die "sexuelle Revolution", die Neue Frauenbewegung und die Schwulenbewegung die nächsten wichtigen Phasen markierten.

So, jetzt konkret zum Namen dieses Blogs. Ich werde in der richtigen Wirklichkeit der fleischlichen Welt Che genannt, kaum jemand meiner Freunde käme auf die Idee, mich mit meinem richtigen Namen anzureden. Dieser Spitzname ist mir so in Fleisch und Bluit übergegangen, dass ich, wenn ich irgendwo den Namen Che lesen, zunächst an mich denke. Hintergrund ist ein eigentlich banaler Vorgang. In der ersten Hälfte der 80er fand einmal eine Vorbesprechung zu einer Wendland-Blockade statt, bei der eine ziemliche Panikstimmung geschoben wurde und alles gewaltige Angst vor der Staatsgewalt hatte. Ich hielt eine leidenschaftliche Ansprache, um den Leuten Mut zu machen, und teilweise hörte sich das wohl schon nach Durchhalteparolen an. Ich hatte dabei eine Baskenmütze auf, trug einen Schnurr- und enen Fünftagebart, schulterlange Haare und eine Art Räuberzivil als Kleidung, und da meinte eine Frau lachend, ich sei ja wohl so eine Art kleiner Che Guevara. Von da an hatte ich den Spitznamen weg.


Aber auch ohne dass ich mir da irgendwelche Schuhe anziehen müsste, lohnt es sich, einen Blick auf die Verwurstung Che Guevaras in der Bloggosphäre zu werfen. Öfter ist dort zu lesen, dieser sei ein Massenmörder gewesen. die Behauptung ist dort ziemlich neu, zum ersten Mal habe ich dies vor anderthalb Jahren (dort nur Mörder, noch ohne Massen) auf einem rechtsextremen Blog gelesen. Inzwischen taucht es auch in der Wikipedia auf, wo vor einigen Monaten der Artikel zum Thema Che Guevara total umgeschrieben wurde, wohl ein Versuch interessierter Kreise, getreu der Devise der Neuen Rechten, durch Erlangung von Diskurshegemonie die Definitionsmacht über politische Grundbegriffe zu erlangen. Zwar steht dort nicht, dass Che Guevara ein Massenmörder sei, sondern dass die Einen ihn als Helden und die Anderen als Massenmörder sähen, aber wenn die Wikipedia ihren Prinzipien konsequent folgen würde, müssten diese Begriffe dann auch bei Lyndon Johnson, Richard Nixon, Ronald Reagan, beiden Präsidenten Bush, Charles de Gaulle, Josip Tito, Gamal Abdul Nasr, Kwame Nkrumah, Leopold Sedar Senghor, Sulfikar Ali Buttho, Indira Gandhi und Ahmed Sukarno so zu lesen seien.


Sicher hat Che Guevara Menschen getötet. IM Guerrillakrieg in der Sierra Maestra war er als Scharfschütze eingesetzt, in Bolivien hat er einen Journalisten aus der Gruppe um Regis Debray erschossen, weil er ihn für einen Verräter hielt - da er kurz darauf durch Verrat in die Hände der Militärs fiel, die ihn umbrachten, vielleicht nicht so ganz daneben. Ich halte ihn auch für einen Zivilversager: Ein reiner Fighter-Typ, der für das zivile Leben im nachrevolutionären Kuba nichts übrig hatte.

Der "Massenmörder"-Vorwurf bezieht sich aber auf etwas Anderes, nämlich seine Rolle als Chefankläger bei den Revolutionstribunalen in Kuba, durch die zwischen 170 und 1000 Personen zum Tode verurteilt und überwiegend auch hingerichtet wurden. Nach dieser Logik müsste eigentlich jeder Richter in einem Rechtssystem, das die Todesstrafe kennt, als Mörder bezeichnet werden, die betreffenden darstellungen in der Bloggosphäre lesen sich aber teilweise so, als habe Che Guevara die alle persönlich umgebracht. Es handelte sich bei den Verurteilten auch nicht mehrheitlich um ideologische Abweichler wie bei den stalinistischen Schauprozessen, sondern überwiegend ganz handfeste Folterer und Mörder des Batista-Regimes sowie Personen, die mit der Schweinebucht-Invasion zu tun hatten, also ehemalige Batista-Anhänger, die aus dem US-Exil heraus eine militärische Landungsoperation in Kuba durchgeführt hatten und dabei gefangengenommen wurden sowie diese Invasion (die auch außerhalb Kubas unter Hochverrat fallen würde) unterstützende CIA-Agenten oder Solche, die dafür gehalten wurden.

Spaßeshalber möchte ich die Situation einmal auf Deutschland übertragen, um die Relationen klarzumachen:

Hätten sich kurz vor Kriegsende Göring, Kaltenbrunner, der Vorstand der IG Farben und einige Tausend Mann SS ins faschistische Spanien ins Exil begeben und wären diese einige Jahre später an der deutschen Nordeeküste gelandet, um das Dritte Reich wiederzuerrichten, wären aber gefangengenommen und zusammen mit Tausenden Sympathisanten in Deutschland vor Sondergerichte gestellt worden, die nach noch geltendem alliierten Besatzungsrecht in vielen Fällen die Todesstrafe für Hochverrat verhängt hätten, würde dann eine Online-Enzyklopädie (im Übrigen als einziges mir bekannte Lexikon überhaupt) heute den damaligen leitenden Oberstaatsanwalt als Massenmörder bezeichnen?

Ein Sonderfall ist Huber Matos, ein Revolutionär, der ein liberales und nicht sozialistisches Kuba wollte, dies auch vertrat, als er ein militärisches Kommando innehatte und wegen Hochverrats viele Jahre eingeknastet wurde. Ein tragisches Schicksal, gewiss. Wie aber hätten die USA reagiert, wenn der US-Stadtkommandant von Berlin, Lucius d. Clay, zum Zeitpunkt der Berlin-Blockade öffentlich für ein sozialistisches Deutschland eingetreten wäre?

- Wie gesagt, ich bin für demokratische Reformen in Kuba und kein Freund irgendeines marxistisch-leninistischen Regimes und dies auch nie gewesen. Dennoch möchte ich veranschaulichen, mit was für Maß gewisse Leute messen. Ziel ist es natürlich, die Linke insgesamt zu mißkreditieren, indem die Ikone Che Guevara demontiert wird. doch kann dies nicht gelingen. Für Lateinamerikaner ist er wie Tupac Amaru, Simon Bolivar und Emiliano Zapata ein Teil des nationalen Mythos, der für die revolutionären Traditionen auf dem Kontinent insgesamt steht, für die 68er, 77er und 81er Generation Metapher für ein diffuses Lebensgefühl zwischen sexueller Revolution, Teenage Rampage und Aussteigertum. Der Mythos und die Metapher werden nicht zerstört, indem ihre Schablone zerkratzt wird.

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Che war eine Ikone, damals. Sein Bild hing in unserem Klassenzimmer, wir waren ja auch Kommunisten, irgendwie. So kam es, dass wir einen wilden Ruf bekamen, das Plakat aber abhängen mussten. Am nächsten Tag war ein neues da, etwas verändert und mit "venceremos " drunter. Und das blieb hängen!Obwohl in der Zeit "Stoppt Strauss" zu Schulverweisen führte.
Und so sah ich letztes Jahr den schwarz-weiß-Che auf einem Schülerjeanspopo wieder. Sie fanden es chic, aber keiner wusste, wer er war. Und so gab statt einer Biostunde was ganz anderes......eine Stunde über Südamerika und Widerstand und so weiter.....

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Hey Croco, willst Du die Populationsgenetik der Blutgruppensysteme des Menschen noch haben?

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Jau!

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Hab das bei modeste erst heute Nacht gesehen, und komm jetzt da nicht rein:
crocodylus_niloticus@web.de

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Du hast mail!

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Du auch...

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Ohne Dich mit den Zuständen auf Kuba in Verbindung bringen zu wollen -- Du sagst ja selbst, dass Du kein Freund eines »irgendeines marxistisch-leninistischen Regimes« bist: Es gibt noch viele weitere »tragische Schicksale« Andersdenkender, die in Lagern gefangengehalten wurden, es gibt ein Bespitzelungssystem ähnlich dem MfS der DDR und es gibt nach wie vor politische Gefangene. Es fehlt an wichtigen Grundrechten.

Die wenigen freien Tage um Weihnachten und den Jahreswechsel möchte ich nicht mit Streit verbringen und ich will auch nicht die »Linke insgesamt mißkreditieren«. Aber die Frage nach dem Erfolg oder Misserfolg des Wirtschaftssystems auf Kuba muss man trotzdem stellen dürfen. Ich meine, dass das sozialistische Wirtschaftssystem in der Form, wie es auf Kuba realisiert wurde, nie funktionieren wird.

Es fehlt also an Grundrechten, das Wirtschaftssystem darf als gescheitert gelten und das Regime kann nur durch Repression aufrechterhalten werden. Ich wünsche Kuba von Herzen, dass es bald seine Befreiung von diesen Zuständen erleben wird (nein, eine Musterlösung habe ich auch nicht, aber wenn Kuba einen eigenen "dritten Weg" geht, müssen zumindest die oben beschriebenen Zustände verschwinden). Und ich denke, es wird dann bei einer freien Entwicklung eher auf eine soziale Marktwirtschaft als auf ein sozialistisches System hinauslaufen.

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the future is unwritten
Na ja, das Wirtschaftssystem ist in vielen Bereichen Mangelverwaltungswirtschaft, die aber durch das US-Embargo zumindest in Teilbereichen auch von außen erzwungen ist, die Landwirtschaft und das Gesundheitsweisen suchen in Lateinamerika Ihresgleichen. Insofern ist Kuba zumindest nicht so sehr am Ende, wie die DDR es war. Auch in Kuba macht man sich schon Gedanken über die transicion, die zu erwartende Wende nach Castro. Die illegale kubanische Opposition will auch auf keinen Fall mit den mafiös organisierten Exilkubanerkreisen in Florida identifiziert werden. Was Kuba vor allem fehlt, sind Demokratie, Meinungsfreiheit und der freie Zugang zu Schlüsseltechnologien. Einen dritten Weg halte ich für Kuba sehr wohl für denkbar, solange die Betonköpfe das bisherige Regime nicht gewaltsam verteidigen wollen und die USA sich nicht einmischen. Und dann wird es auch Zeit für die Rückgabe von Guantanamo.

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gut, dass du das stück zuende geschrieben hast...

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Darf es neben Demokratie und Meinungsfreiheit auch noch ein funktionierendes und unabhängiges Rechtssystem sein? Dann steht dem Aufbau einer Marktwirtschaft nichts mehr im Wege ;-) -- Ich denke, dass wir über die Ausgestaltung des dritten Weges nicht ganz einer Meinung sein werden: mag die Zukunft es zeigen.

Falls wir uns in 2006 nicht mehr lesen sollten: Einen schönen Jahreswechsel und viel Erfolg bei einem Deiner Vorhaben, von dem ich neulich gelesen habe (waren es nicht sogar sechs Kilo?). Ich habe das in diesem Jahr gerade geschafft. Sieh es sportlich: bald brauchst Du keine Waage mehr, sondern einen neuen Gürtel ;-)

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Alles klar, mein Bester, so sehe ich es dann ;-))

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