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Montag, 23. Juli 2018
From empathy to resistance, from resistance to rebellion
che2001, 16:13h
Schlimmer geht immer?
Im März, nach dem rechten Wahlsieg in Italien, hatten wir die „Achse der Schande“ bereits thematisiert: Salvini, Kickl, Seehofer… In den letzten Wochen hat die Realität nun im Eiltempo alles überholt, was zu befürchten war. Die zivile Seenotrettung im zentralen Mittelmeer wird brachial stillgelegt und kriminalisiert, das Ertrinken-Lassen offensiver denn je als Abschreckungsstrategie gerechtfertigt. Vorverlagerung der Lager nach Albanien oder Nordafrika, neue Grenzkontrollen, Ankerzentren, Schnellverfahren und Massenabschiebungen - die Riege der Innenminister galoppiert mit Schaum vorm Mund voran. Das Horrorkabinett fühlt sich getragen von rassistischen Stimmungen und sie sitzen an den Schalthebeln der Macht, um mit neuen Verordnungen die Ausgrenzungspolitik auf allen Ebenen zu eskalieren. Rast dieser Gespensterzug immer weiter in Richtung „Orbanisierung“? Kann sich ein Innenminister dauerhaft halten, der die Abschiebung von 69 Menschen in den Krieg nach Kabul als Geschenk zu seinem 69sten Geburtstag zelebriert?
Von der Empörung zum Widerstand?
Zweifellos, wir befinden uns mehr denn je in der Defensive, in Abwehrkämpfen gegen das Roll Back dessen, was sich bis 2015/16 im Zusammenspiel von selbstorganisierter Flucht- und unterstützender Willkommensbewegung quer durch Europa entwickelt hatte. In der gesellschaftlichen Polarisierung erscheint der aggressive rechte Populismus immer lauter und durchsetzungsfähiger. Doch schon vor einigen Wochen keimten Hoffnungen für einen „Anti-Trump-Effekt“ auf. Einzelne Stimmen der Empörung haben sich spätestens mit der inszenierten Regierungskrise durch Seehofer zu einem Chor der Kritik auch in den Mainstream-Medien verdichtet. Seehofer scheint sich verkalkuliert zu haben, die Welle von Salvini zu reiten. Und die Ansätze einer Gegenbewegung gegen die rassistische Offensive haben sich mittlerweile zu beachtlichen Mobilisierungen gemausert, in Deutschland, in Italien und quer durch Europa.
Von Palermo bis zu Seebrücken…
Erwähnen wir einige wichtige Momente der letzten sechs Wochen: Anfang Juni bestätigt der Bundesparteitag der Linken seine Forderung nach Offenen Grenzen, Sarah Wagenknecht ist mit ihrem Rechtskurs innerparteilich isolierter denn je. Als am 10. Juni der italienische Innenminister Salvini die Schließung der Häfen für die Rettungs-NGOs verkündet, protestieren Tausende in italienischen Städten, darunter zahlreiche Bürgermeister wie Leoluca Orlando für Palermo und De Magistris für Neapel. Mitte Juni erscheint der Aufruf „Solidarität statt Heimat“, den binnen zwei Wochen über 15.000 Menschen unterzeichnen. Ende Juni demonstriert die linke Stadtregierung von Barcelona praktische Solidarität mit der Seenotrettung und auch der Senat des rot-rot-grün regierten Berlin findet klare Worte für die Aufnahme von Geflüchteten. „Seebrücken statt Seehofer“ wird ab 7. Juli zum zentralen Slogan einer Protestwelle, die zunächst in Berlin, Hannover und Frankfurt Tausende auf die Strassen bringt und bis heute nicht abebbt, sondern sich in zahlreichen Städten mit lokalen Demonstration fortsetzt. Am 14. Juli demonstrieren Tausende in Ventimiglia an der italienisch französischen Grenze für offene Grenzen. Am gleichen Tag rufen in Palermo der Bürgermeister und der Erzbischof zum Festtag der Schutzheiligen St. Rosalia - mit 400.000 Menschen auf den Strassen! - gemeinsam zur Öffnung der Häfen und für die Seenotrettung auf. Am 19. Juli lädt der Bürgermeister von Neapel zu einer Konferenz ein, in der die Öffnung der Häfen gefordert und Salvini als Verbrecher bezeichnet wird, der vor Gericht gebracht werden soll (Nur einen Tag zuvor hatte das Rettungsschiff Open Arms dokumentiert, dass die sogennante libysche Küstenwache drei Menschen auf einem zerstörten Schlauchboot allein auf See gelassen hatte, nur eine der Personen konnte lebend geborgen werden). Am 22. Juli demonstrieren in München trotz strömendem Regen bis zu 50.000 Menschen mit „ausgehetzt“ gegen Rassismus und für sichere Fluchtwege…
September-Offensive?
Die Aufschreie und Proteste müssten freilich noch lauter, breiter und beständiger sein, um die repressiv-rassistische Dominanz zu brechen. Doch dass sich trotz Sommerpause so vieles regt, in Italien wie in Deutschland, erscheint als gutes Zeichen und zeigt: da geht noch weit mehr! Der September bietet reichlich Gelegenheiten, von lokal bis bundesweit. Und von besonderer Bedeutung erscheint, dass sich die neue (und noch ziemlich „weiße“) Seebrücken-Initiative verstetigt und spätestens am 29.9. in Hamburg mit We`ll Come United zusammen kommt. 25 Busse sind bereits für diese große Parade gebucht, in erster Linie selbstorganisierte Geflüchtete und MigrantInnen werden hiermit anreisen. Das ließe sich locker verdoppeln, wenn alle mitziehen. Machen wir den September zu einem Monat der Kämpfe für Bleiberecht und Bewegungsfreiheit. Mit den ungebrochenen Kämpfen der Migration als zentralem Bezugspunkt: an den Außengrenzen wie in den Innenstädten. Nutzen wir die Empörung und Proteste, um die Alltagsstrukturen auszubauen. Für Fluchthilfe und Schutzräume! Schaffen wir reale Korridore der Solidarität! Ob von Athen über Velika Kladusha/Bosnien bis nach Zürich, ob in den Booten von Tanger über Barcelona nach Amsterdam, ob aus dem zentralen Mittelmeer über Palermo bis nach Berlin: alle Fluchtrouten bleiben hartnäckig umkämpft. Oder um es mit den Überschriften zwei lesenswerter Veröffentlichungen zu sagen: die „Macht der Migration“ trifft, schafft und braucht „die utopische Kraft der Städte“!
Mit solidarischen Grüßen, die Kompass-Crew
Termine und Informationen für Juli, August und September
Lese-Empfehlungen
Vor dem Kalender wollen wir mit einigen Lesetips starten. Die Sammlung aktueller Links und Empfehlungen ist mitnichten systematisch, aber auch nicht zufällig. Die Eskalationen der letzten Wochen - auf dem Mittelmeer mit den Angriffen gegen die Seenotrettung, in Berlin mit der „Regierungskrise“ durch Seehofers Grenzkontrollwahn - haben auch sehr gute, mutige und spannende Textreaktionen hervorgebracht: vom Aufruf „Solidarität statt Heimat“ über Reportagen gegen die Abschottungspolitik und Kommentare gegen die Hetzstimmung bis zu Artikeln, die fragen, warum wir die Grenzen nicht endlich öffnen! Und das eben nicht nur in der TAZ oder WoZ, sondern auch im Spiegel und sogar in der FAZ. Hier die chronologisch sortierte lesenswerte Mischung:
„Die Macht der Migration - zehn Gespräche zu Mobilität und Kapitalismus“
RLS-Publikation
https://www.rosalux.de/publikation/id/38618/die-macht-der-migration-1/
Direktlink:
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/piening_macht_der_migration.pdf
„Solidarität statt Heimat“ - Aufruf von kritnet, medico international, ISM am 19.6.18 & mit mittlerweile 16500 Unterzeichner_innen:
https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org
„Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären? Ein Szenario“ bei Brand 1 von Juli 2018:
https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/service/was-waere-wenn-alle-grenzen-offen-waeren
„Warum wir eine Einwanderungspartei brauchen“ - Kommentar im Spiegel vom 1.7.2018:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/politik-in-deutschland-warum-wir-eine-einwanderungspartei-brauchen-a-1215835.html
„Die utopische Kraft der Städte“ - WoZ-Artikel mit gutem Überblick der Bemühungen um die Solidarischen Städte am 5.7.18:
https://www.woz.ch/-8e48
„Die Fiktion der Einreise - Wer würde wirklich kommen, wenn alle Grenzen offen wären?“ FAZ am 8.7.18:
http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-fiktion-der-einreise-wenn-alle-grenzen-offen-waeren-15679538.html?GEPC=s5
Gute Taz-Reportage zur aktuellen Abschottungspolitik am 9.7.2018:
http://www.taz.de/Abschottung-der-Europaeischen-Union/!5516013/
Gastkommentar von Norbert Blüm in der Süddeutschen Zeitung am 12.7.18:
https://www.sueddeutsche.de/politik/gastbeitrag-von-norbert-bluem-wo-c-bist-du-geblieben-1.4051237
TAZ „Solidarity City“ Berlin - Ein sicherer Hafen am 17.7.18:
http://www.taz.de/!5518024/
Interview mit dem Kapitän der Lifeline in der Abendzeitung am 20.7.18:
https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.az-interview-mit-claus-peter-reisch-lifeline-kapitaen-fluechtlinge-werden-auf-dem-meer-entsorgt.14d45155-ecac-400d-afc1-b056dcdcb699.html
Gegen die Achse der Schande:
Für Offene Häfen und Solidarische Städte
Im letzten Kompass hatten wir vom „Palermo Charta Prozess“ berichtet, siehe
https://alarmphone.org/en/2018/06/17/toward-a-coalition-of-solidarity-for-the-right-to-mobility-and-equal-rights-for-all/?post_type_release_type=post )
und insbesondere die oben empfohlenen Artikel in der TAZ zu Berlin sowie in der WoZ zu „utopischen Kraft der Städte“ verschaffen einen guten Überblick über diese hoffnungsvollen Ansätze, mit der sich progressive Stadtregierungen gegen die nationalen und supranationalen Abschottungspolitiken wenden. Für den 19. Juli hatte der Bürgermeister aus Neapel zu einer Konferenz eingeladen, in diesem Rahmen wurden weitere Verabredungen zur Koordinierung der intermunizipalen und transnationalen Kooperation getroffen. Denn es werden sich weiter Boote aus Libyen auf den Weg machen und es bleibt dringend notwendig, dass es wieder offene und sichere Häfen in erreichbarer Nähe gibt, also in Malta oder in Sizilien. Die Bürgermeisterin aus Barcelona, Ada Colau, gibt ein Beispiel, aber ihr Hafen ist geographisch zu weit entfernt. Ein breites Bündnis oder zumindest ein gutes Zusammenwirken aller Akteure wird nötig sein, um die Blockade in Italien, die ja letztlich maßgebliche Rückendeckung von rechten Regierungen in der gesamten EU erhält, zu brechen. Den politischen Druck zu entwickeln, der Salvini zwingt, die Öffnung zumindest einzelner Häfen für die Seenotrettung zu tolerieren, erscheint momentan als „Mission impossible“. Doch es darf nicht unversucht bleiben, eine italienweite UND transnationale Dynamik zu entwickeln, die sich dem „aktuellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ entschieden entgegenstemmt und die als europaweite Bewegung mit „Relocations from below“, also mit der Weiterleitung und Aufnahme von Geflüchteten auf Städte-Ebene, das nationale bis supranationale System der tödlichen Abschottung unterläuft. „From the Sea to the Cities“ lautet die Überschrift eines neuen Aufrufentwurfs, der zur Zeit transnational zirkuliert und versucht, die Kräfte zusammenzubringen und zu bündeln, die sich für reale Korridore der Solidarität einsetzen wollen.
Seebrücken: Tausende auf den Strassen
… und Demonstrationen gehen weiter
Bis zu 12.000 in Berlin, 2000 in Hannover, bis zu 5000 in Hamburg, 800 in Frankfurt, 1200 in Kiel, 500 in Stuttgart, 2000 in Bielefeld, … in vielen Städten gab es in den letzten Wochen spontane Mobilisierungen und Solidarisierungen mit der Seenotrettung und dem Recht auf Flucht. Und es geht weiter: am 24.7. in Köln, am 27.7. in Kassel und Trier, am 28.7. in Lüneburg, Kaiserslautern, Osnabrück, Münster, Dinslaken und Hannover…
Angehängt das Statement von Seebrücken und unten der Link:
„WIR BAUEN EINE BRÜCKE ZU SICHEREN HÄFEN. Menschen auf dem Mittelmeer sterben zu lassen, um die Abschottung Europas weiter voranzubringen und politische Machtkämpfe auszutragen, ist unerträglich und spricht gegen jegliche Humanität. Migration ist und war schon immer Teil unserer Gesellschaft! Statt dass die Grenzen dicht gemacht werden, brauchen wir ein offenes Europa, solidarische Städte, und sichere Häfen.
Die SEEBRÜCKE ist eine internationale Bewegung, getragen von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und fordern von der deutschen und europäischen Politik sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind.“
Weitere Infos und alle Ankündigungen für weitere Demos in den nächsten Tagen und Wochen hier: https://seebruecke.org
Ab 23.7. quer durch Deutschland: Women in Exile on Summer-Tour
Die Tour: 23.7.: Magdeburg, Halle, Leipzig; 25.7.: Nürnberg; 27.7.: Regensburg; 29.7.: München; 1.8.: Freiburg/Basel; 4.8.: Frankfurt/Main; 5.8.: Potsdam, Berlin
Aufruf der Women in Exile:
„Wir von Women in Exile and Friends wollen diesen Sommer mit dem Thema ”Women* Breaking Borders” weiter machen.
Wir möchten mit euch gemeinsam in Solidarität in verschiedene Städte fahren, besonders nach Bayern, um unsere Missbilligung der Politik Seehofers, des neuen “Innen- und Heimatministers” auszudrücken. (…)
Wir erheben “LAUT UND DEUTLICH” unsere Stimme um rassistische und sexistische Grenzen zu durchbrechen! Rassistische und sexistische Grenzen, sichtbare oder unsichtbare Grenzen, Grenzen, die die Gesellschaft ignoriert oder nicht sieht, weil es sie nicht direkt betrifft. Grenzen, die als “kulturelle” bezeichnet werden Sowie die, die in unseren Köpfen existieren. Wir sind uns diesen Grenzen bewusst und wollen diese sichtbar machen, sodass wir sie durchbrechen können.
Wir wollen politische Aktionen machen, immer mit dem Ziel, andere Flüchtlingsfrauen zu empowern. Wir wollen das gemeinsam mit euch in euren Städten tun. …“
https://www.women-in-exile.net/bundesweite-sommer-tour-women-breaking-borders-ii-23-7-05-08-2018-zwei-wochen-reisen-und-spass-gegen-rassismus/
Im März, nach dem rechten Wahlsieg in Italien, hatten wir die „Achse der Schande“ bereits thematisiert: Salvini, Kickl, Seehofer… In den letzten Wochen hat die Realität nun im Eiltempo alles überholt, was zu befürchten war. Die zivile Seenotrettung im zentralen Mittelmeer wird brachial stillgelegt und kriminalisiert, das Ertrinken-Lassen offensiver denn je als Abschreckungsstrategie gerechtfertigt. Vorverlagerung der Lager nach Albanien oder Nordafrika, neue Grenzkontrollen, Ankerzentren, Schnellverfahren und Massenabschiebungen - die Riege der Innenminister galoppiert mit Schaum vorm Mund voran. Das Horrorkabinett fühlt sich getragen von rassistischen Stimmungen und sie sitzen an den Schalthebeln der Macht, um mit neuen Verordnungen die Ausgrenzungspolitik auf allen Ebenen zu eskalieren. Rast dieser Gespensterzug immer weiter in Richtung „Orbanisierung“? Kann sich ein Innenminister dauerhaft halten, der die Abschiebung von 69 Menschen in den Krieg nach Kabul als Geschenk zu seinem 69sten Geburtstag zelebriert?
Von der Empörung zum Widerstand?
Zweifellos, wir befinden uns mehr denn je in der Defensive, in Abwehrkämpfen gegen das Roll Back dessen, was sich bis 2015/16 im Zusammenspiel von selbstorganisierter Flucht- und unterstützender Willkommensbewegung quer durch Europa entwickelt hatte. In der gesellschaftlichen Polarisierung erscheint der aggressive rechte Populismus immer lauter und durchsetzungsfähiger. Doch schon vor einigen Wochen keimten Hoffnungen für einen „Anti-Trump-Effekt“ auf. Einzelne Stimmen der Empörung haben sich spätestens mit der inszenierten Regierungskrise durch Seehofer zu einem Chor der Kritik auch in den Mainstream-Medien verdichtet. Seehofer scheint sich verkalkuliert zu haben, die Welle von Salvini zu reiten. Und die Ansätze einer Gegenbewegung gegen die rassistische Offensive haben sich mittlerweile zu beachtlichen Mobilisierungen gemausert, in Deutschland, in Italien und quer durch Europa.
Von Palermo bis zu Seebrücken…
Erwähnen wir einige wichtige Momente der letzten sechs Wochen: Anfang Juni bestätigt der Bundesparteitag der Linken seine Forderung nach Offenen Grenzen, Sarah Wagenknecht ist mit ihrem Rechtskurs innerparteilich isolierter denn je. Als am 10. Juni der italienische Innenminister Salvini die Schließung der Häfen für die Rettungs-NGOs verkündet, protestieren Tausende in italienischen Städten, darunter zahlreiche Bürgermeister wie Leoluca Orlando für Palermo und De Magistris für Neapel. Mitte Juni erscheint der Aufruf „Solidarität statt Heimat“, den binnen zwei Wochen über 15.000 Menschen unterzeichnen. Ende Juni demonstriert die linke Stadtregierung von Barcelona praktische Solidarität mit der Seenotrettung und auch der Senat des rot-rot-grün regierten Berlin findet klare Worte für die Aufnahme von Geflüchteten. „Seebrücken statt Seehofer“ wird ab 7. Juli zum zentralen Slogan einer Protestwelle, die zunächst in Berlin, Hannover und Frankfurt Tausende auf die Strassen bringt und bis heute nicht abebbt, sondern sich in zahlreichen Städten mit lokalen Demonstration fortsetzt. Am 14. Juli demonstrieren Tausende in Ventimiglia an der italienisch französischen Grenze für offene Grenzen. Am gleichen Tag rufen in Palermo der Bürgermeister und der Erzbischof zum Festtag der Schutzheiligen St. Rosalia - mit 400.000 Menschen auf den Strassen! - gemeinsam zur Öffnung der Häfen und für die Seenotrettung auf. Am 19. Juli lädt der Bürgermeister von Neapel zu einer Konferenz ein, in der die Öffnung der Häfen gefordert und Salvini als Verbrecher bezeichnet wird, der vor Gericht gebracht werden soll (Nur einen Tag zuvor hatte das Rettungsschiff Open Arms dokumentiert, dass die sogennante libysche Küstenwache drei Menschen auf einem zerstörten Schlauchboot allein auf See gelassen hatte, nur eine der Personen konnte lebend geborgen werden). Am 22. Juli demonstrieren in München trotz strömendem Regen bis zu 50.000 Menschen mit „ausgehetzt“ gegen Rassismus und für sichere Fluchtwege…
September-Offensive?
Die Aufschreie und Proteste müssten freilich noch lauter, breiter und beständiger sein, um die repressiv-rassistische Dominanz zu brechen. Doch dass sich trotz Sommerpause so vieles regt, in Italien wie in Deutschland, erscheint als gutes Zeichen und zeigt: da geht noch weit mehr! Der September bietet reichlich Gelegenheiten, von lokal bis bundesweit. Und von besonderer Bedeutung erscheint, dass sich die neue (und noch ziemlich „weiße“) Seebrücken-Initiative verstetigt und spätestens am 29.9. in Hamburg mit We`ll Come United zusammen kommt. 25 Busse sind bereits für diese große Parade gebucht, in erster Linie selbstorganisierte Geflüchtete und MigrantInnen werden hiermit anreisen. Das ließe sich locker verdoppeln, wenn alle mitziehen. Machen wir den September zu einem Monat der Kämpfe für Bleiberecht und Bewegungsfreiheit. Mit den ungebrochenen Kämpfen der Migration als zentralem Bezugspunkt: an den Außengrenzen wie in den Innenstädten. Nutzen wir die Empörung und Proteste, um die Alltagsstrukturen auszubauen. Für Fluchthilfe und Schutzräume! Schaffen wir reale Korridore der Solidarität! Ob von Athen über Velika Kladusha/Bosnien bis nach Zürich, ob in den Booten von Tanger über Barcelona nach Amsterdam, ob aus dem zentralen Mittelmeer über Palermo bis nach Berlin: alle Fluchtrouten bleiben hartnäckig umkämpft. Oder um es mit den Überschriften zwei lesenswerter Veröffentlichungen zu sagen: die „Macht der Migration“ trifft, schafft und braucht „die utopische Kraft der Städte“!
Mit solidarischen Grüßen, die Kompass-Crew
Termine und Informationen für Juli, August und September
Lese-Empfehlungen
Vor dem Kalender wollen wir mit einigen Lesetips starten. Die Sammlung aktueller Links und Empfehlungen ist mitnichten systematisch, aber auch nicht zufällig. Die Eskalationen der letzten Wochen - auf dem Mittelmeer mit den Angriffen gegen die Seenotrettung, in Berlin mit der „Regierungskrise“ durch Seehofers Grenzkontrollwahn - haben auch sehr gute, mutige und spannende Textreaktionen hervorgebracht: vom Aufruf „Solidarität statt Heimat“ über Reportagen gegen die Abschottungspolitik und Kommentare gegen die Hetzstimmung bis zu Artikeln, die fragen, warum wir die Grenzen nicht endlich öffnen! Und das eben nicht nur in der TAZ oder WoZ, sondern auch im Spiegel und sogar in der FAZ. Hier die chronologisch sortierte lesenswerte Mischung:
„Die Macht der Migration - zehn Gespräche zu Mobilität und Kapitalismus“
RLS-Publikation
https://www.rosalux.de/publikation/id/38618/die-macht-der-migration-1/
Direktlink:
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/piening_macht_der_migration.pdf
„Solidarität statt Heimat“ - Aufruf von kritnet, medico international, ISM am 19.6.18 & mit mittlerweile 16500 Unterzeichner_innen:
https://solidaritaet-statt-heimat.kritnet.org
„Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären? Ein Szenario“ bei Brand 1 von Juli 2018:
https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/service/was-waere-wenn-alle-grenzen-offen-waeren
„Warum wir eine Einwanderungspartei brauchen“ - Kommentar im Spiegel vom 1.7.2018:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/politik-in-deutschland-warum-wir-eine-einwanderungspartei-brauchen-a-1215835.html
„Die utopische Kraft der Städte“ - WoZ-Artikel mit gutem Überblick der Bemühungen um die Solidarischen Städte am 5.7.18:
https://www.woz.ch/-8e48
„Die Fiktion der Einreise - Wer würde wirklich kommen, wenn alle Grenzen offen wären?“ FAZ am 8.7.18:
http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-fiktion-der-einreise-wenn-alle-grenzen-offen-waeren-15679538.html?GEPC=s5
Gute Taz-Reportage zur aktuellen Abschottungspolitik am 9.7.2018:
http://www.taz.de/Abschottung-der-Europaeischen-Union/!5516013/
Gastkommentar von Norbert Blüm in der Süddeutschen Zeitung am 12.7.18:
https://www.sueddeutsche.de/politik/gastbeitrag-von-norbert-bluem-wo-c-bist-du-geblieben-1.4051237
TAZ „Solidarity City“ Berlin - Ein sicherer Hafen am 17.7.18:
http://www.taz.de/!5518024/
Interview mit dem Kapitän der Lifeline in der Abendzeitung am 20.7.18:
https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.az-interview-mit-claus-peter-reisch-lifeline-kapitaen-fluechtlinge-werden-auf-dem-meer-entsorgt.14d45155-ecac-400d-afc1-b056dcdcb699.html
Gegen die Achse der Schande:
Für Offene Häfen und Solidarische Städte
Im letzten Kompass hatten wir vom „Palermo Charta Prozess“ berichtet, siehe
https://alarmphone.org/en/2018/06/17/toward-a-coalition-of-solidarity-for-the-right-to-mobility-and-equal-rights-for-all/?post_type_release_type=post )
und insbesondere die oben empfohlenen Artikel in der TAZ zu Berlin sowie in der WoZ zu „utopischen Kraft der Städte“ verschaffen einen guten Überblick über diese hoffnungsvollen Ansätze, mit der sich progressive Stadtregierungen gegen die nationalen und supranationalen Abschottungspolitiken wenden. Für den 19. Juli hatte der Bürgermeister aus Neapel zu einer Konferenz eingeladen, in diesem Rahmen wurden weitere Verabredungen zur Koordinierung der intermunizipalen und transnationalen Kooperation getroffen. Denn es werden sich weiter Boote aus Libyen auf den Weg machen und es bleibt dringend notwendig, dass es wieder offene und sichere Häfen in erreichbarer Nähe gibt, also in Malta oder in Sizilien. Die Bürgermeisterin aus Barcelona, Ada Colau, gibt ein Beispiel, aber ihr Hafen ist geographisch zu weit entfernt. Ein breites Bündnis oder zumindest ein gutes Zusammenwirken aller Akteure wird nötig sein, um die Blockade in Italien, die ja letztlich maßgebliche Rückendeckung von rechten Regierungen in der gesamten EU erhält, zu brechen. Den politischen Druck zu entwickeln, der Salvini zwingt, die Öffnung zumindest einzelner Häfen für die Seenotrettung zu tolerieren, erscheint momentan als „Mission impossible“. Doch es darf nicht unversucht bleiben, eine italienweite UND transnationale Dynamik zu entwickeln, die sich dem „aktuellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ entschieden entgegenstemmt und die als europaweite Bewegung mit „Relocations from below“, also mit der Weiterleitung und Aufnahme von Geflüchteten auf Städte-Ebene, das nationale bis supranationale System der tödlichen Abschottung unterläuft. „From the Sea to the Cities“ lautet die Überschrift eines neuen Aufrufentwurfs, der zur Zeit transnational zirkuliert und versucht, die Kräfte zusammenzubringen und zu bündeln, die sich für reale Korridore der Solidarität einsetzen wollen.
Seebrücken: Tausende auf den Strassen
… und Demonstrationen gehen weiter
Bis zu 12.000 in Berlin, 2000 in Hannover, bis zu 5000 in Hamburg, 800 in Frankfurt, 1200 in Kiel, 500 in Stuttgart, 2000 in Bielefeld, … in vielen Städten gab es in den letzten Wochen spontane Mobilisierungen und Solidarisierungen mit der Seenotrettung und dem Recht auf Flucht. Und es geht weiter: am 24.7. in Köln, am 27.7. in Kassel und Trier, am 28.7. in Lüneburg, Kaiserslautern, Osnabrück, Münster, Dinslaken und Hannover…
Angehängt das Statement von Seebrücken und unten der Link:
„WIR BAUEN EINE BRÜCKE ZU SICHEREN HÄFEN. Menschen auf dem Mittelmeer sterben zu lassen, um die Abschottung Europas weiter voranzubringen und politische Machtkämpfe auszutragen, ist unerträglich und spricht gegen jegliche Humanität. Migration ist und war schon immer Teil unserer Gesellschaft! Statt dass die Grenzen dicht gemacht werden, brauchen wir ein offenes Europa, solidarische Städte, und sichere Häfen.
Die SEEBRÜCKE ist eine internationale Bewegung, getragen von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen auf der Flucht und fordern von der deutschen und europäischen Politik sichere Fluchtwege, eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind.“
Weitere Infos und alle Ankündigungen für weitere Demos in den nächsten Tagen und Wochen hier: https://seebruecke.org
Ab 23.7. quer durch Deutschland: Women in Exile on Summer-Tour
Die Tour: 23.7.: Magdeburg, Halle, Leipzig; 25.7.: Nürnberg; 27.7.: Regensburg; 29.7.: München; 1.8.: Freiburg/Basel; 4.8.: Frankfurt/Main; 5.8.: Potsdam, Berlin
Aufruf der Women in Exile:
„Wir von Women in Exile and Friends wollen diesen Sommer mit dem Thema ”Women* Breaking Borders” weiter machen.
Wir möchten mit euch gemeinsam in Solidarität in verschiedene Städte fahren, besonders nach Bayern, um unsere Missbilligung der Politik Seehofers, des neuen “Innen- und Heimatministers” auszudrücken. (…)
Wir erheben “LAUT UND DEUTLICH” unsere Stimme um rassistische und sexistische Grenzen zu durchbrechen! Rassistische und sexistische Grenzen, sichtbare oder unsichtbare Grenzen, Grenzen, die die Gesellschaft ignoriert oder nicht sieht, weil es sie nicht direkt betrifft. Grenzen, die als “kulturelle” bezeichnet werden Sowie die, die in unseren Köpfen existieren. Wir sind uns diesen Grenzen bewusst und wollen diese sichtbar machen, sodass wir sie durchbrechen können.
Wir wollen politische Aktionen machen, immer mit dem Ziel, andere Flüchtlingsfrauen zu empowern. Wir wollen das gemeinsam mit euch in euren Städten tun. …“
https://www.women-in-exile.net/bundesweite-sommer-tour-women-breaking-borders-ii-23-7-05-08-2018-zwei-wochen-reisen-und-spass-gegen-rassismus/
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