Sonntag, 28. Dezember 2025
Mythos Schlafstörungen
Schlafstörungen werden zu den Volkskrankheiten gezählt. Schlaflabore boomen seit einigen Jahren, und am Liebsten überweisen Hausärzte PatientInnen mit unruhigem Schlaf dorthin um sie durchchecken zu lassen. Ich war da auch schon. Schlafmittel gehören zu den meistgenommenen Medikamenten, von homöopathisch oder pflanzlich, z.B. Baldrian (beides bei mir völlig wirkungslos, aber auf mich wirkt auch Valium wie Smarties) über Antihistaminika (im Prinzip überdosierte Heuschnupfenmittel oder unterdosierte Neuroleptika bzw. mitunter auch beides zugleich) bis hin zu Zoplikon oder gar Rohypnol.

Neueste historisch-anthropologische Untersuchungen legen allerdings nahe, dass das mit dem Thema "Volkskrankheit Schlafstörung" ein existentiell fauler Zauber ist. Untersucht wurden Aufzeichnungen über das Schlafverhalten von Menschen seit es diese gibt, d.h. von der Bronzezeit bis zur Industrialisierung. Dabei kam heraus wie die Menschen früherer Zeiten geschlafen haben, und das war über Jahrtausende hinweg ziemlich gleich. Man ging zu Bett sobald es dunkel wurde und stand mit der Morgendämmerung auf. Das heißt, Schlafenszeit war im Sommer von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens und im Winter von 18 Uhr bis morgens um 8. Nun hat man aber nicht 14 Stunden am Stück geschlafen; geschlafen wurde vielmehr in 2 Schichten. Eine erste Schlafphase etwa bis Mitternacht, dann wachte man auf, hatte Sex, betete, sah noch mal nach den Tieren, die meisten Tagebücher prominenter AutorInnen der frühen Neuzeit wurden zwischen Mitternacht und ein oder zwei Uhr morgens bei Kerzenschein geschrieben. Am frühen morgen legte man sich wieder hin zur zweiten Schlafphase.

Im Sommer schlief man eher in einem Stück durch, leistete sich aber einen Mittagsschlaf, den es in der kalten Jahreshälfte nicht gab.

Dies änderte sich erst mit der Industrialisierung, die dem Leben ihren Maschinentakt aufzwang und mit der Ausbreitung künstlichen Lichts. Der auf die Nacht beschränkte, zu jeder Jahreszeit gleich lange Einheitsschlaf ist das Ergebnis kapitalistischer Disziplinierung der Körper seit dem späten 18. und dem 19. Jahrhundert. Und wenn nicht gerade Befunde wie Apnoe oder Bluthochdruck vorliegen ist das stundenlang Wachliegen bei Nacht oftmals eigentlich Teil des physiologisch normalen, gesunden Schlafs. Nur unsere Lebensgewohnheiten sind unnatürlich geworden.

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