Freitag, 9. Januar 2015
Wissenswertes zu den historischen Voraussetzungen der Konflikte zwischen dem offiziellen Frankreich und Franko-AgerierInnen (oder "Les Arabes", wie sie dort genannt werden
Der Beitrag ist schon älter, aber die Wut der arabischen Welt um und in Frankreich lässt sich ohne diesen Hintergrund nicht verstehen. Einerseits kann ich mich problemlos mit "Je suis Charlie" solidarisieren, andererseits verstehe ich den Hass nordafrika-französischer Menschen auf Weißfrankreich aber genau so gut. 1958 schwammen in der Seine die Leichen von Hunderten liquidierten Algeriern. Die große französische Staatslüge ist ein Triple:
1) Wir waren alle in der Resistance
2) Wir waren immer die Nation der Aufklärung und des Fortschritts
3) Wir haben ein gutes Verhältnis zu unseren früheren Kolonien.


Stimmt alles nicht, mit dem NS hat bis auf eine kleine Gruppe von WiderstandskämpferInnen alles und jeder kopuliert äh kooperiert, und deutsche Vergangenheitsüberwältigungsfernsehunkultur (Guido Knopp) richtet dann den Blick auf die fiese Behandlung der herausgegriffenen Kollaborateurinnen nach dem alliierten Sieg, statt die Frage nach den Hintergründen der Kolloboration zu stellen ("Plustot Hitler que Leon Blum" hieß das mal), und der rassistische Terror Frankreichs in seinen Kolonien braucht sich hinter anderen Rassismen nicht zu verstecken.





http://www.zeit.de/2002/12/Untergang_einer_Staatsluege

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Aber wenn ich es recht mitbekommen habe, richtete sich der Anschlag gegen die Beleidigung des Propheten, nicht gegen den Rassismus der Franzosen, oder?

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Völlig richtig. Aber eine Bereitschaft, wegen einer sogenannten Beleidigung des Propheten Menschen zu töten und das eigene Leben zu opfern entsteht ja nicht deus ex machina, sondern hat ihre gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Voraussetzungen, die irgendwann einen, nun ja sagen wir Gärungsprozess einleiten (so take your bullshit and sparely stow it), bis eine kritische Masse erreicht ist.

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Auch das ist natürlich richtig. Dennoch - ich finde, heute ist nicht der richtige Zeitpunkt, ruhig über die Dinge nachzudenken.

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Hat das irgendwer gesagt?

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(Da habe ich wohl überreagiert - habe meinen Kommentar entsprechend gekürzt.)

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"Aber eine Bereitschaft, wegen einer sogenannten Beleidigung des Propheten Menschen zu töten und das eigene Leben zu opfern entsteht ja nicht deus ex machina"

Diese Bereitschaft - und auch die Durchführung - ist so alt wie der Islam selbst. Die hat mit westlichem Kolonialismus eher wenig zu tun.

Das Christentum war da früher natürlich auch nicht toleranter.

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Solche Argumentationen findet man einige. Auch Verweise auf "die arabische Welt" - gemeint sind Assad und Palästina - und "den Westen". Nur wenn ich mit Arabern oder Pakistanis meines Vertrauens über ihre Region rede, entfalten die immer ein sehr komplexes und vielschichtiges Bild.
Natürlich gab es in den 60ern berechtigte algerische Wut über die französische Politik. Nur kann man Geschichte so einfach nicht aufrechnen. Das ist Auge um Auge, Zahn um Zahn. Insbesondere Leid, dass den Attentätern nicht selbst zugefügt wurde, sondern ihren Vorfahren.
Ich hab nicht viele Bilder von den Vorfällen gesehen. Berührt haben mich die überlebenden Zeichner, die zu diesen Liberation Büros gingen, um ihre Arbeit fortzusetzen. Würde ich ähnlich reagieren, wenn es eine Terror-Organisation gäbe, die Programmierer erschiesst? In einer rationaleren Welt gäbs dafür übrigens bessere Gründe, bei all der Disruption, die wir so in der Arbeitswelt bewirken.
Irgendwie erscheint mir aber die Heftigkeit der Reaktion ein wenig übertrieben. Wie viele Journalisten verlieren in Ländern wie Kolumbien, Venezuela, Honduras, Kongo, etc. ihre Existenz oder ihr Leben, ohne dass es irgendeinen interessiert, der nicht zufällig für diese Länder ein spezielles Interesse hat?

Das sollte aber in keinster Weise relativieren, dass es sich hier um einen Fall unschuldigst ermordete Menschen handelt. Durch die Hände ziemlicher Vollpfosten, die sich von Demagogen haben manipulieren lassen. Und das geht einfach nicht.

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@"Diese Bereitschaft - und auch die Durchführung - ist so alt wie der Islam selbst. Die hat mit westlichem Kolonialismus eher wenig zu tun.

Das Christentum war da früher natürlich auch nicht toleranter." -------- Das ist viel zu einfach. Es gibt genug Lesarten des Koran, in denen man den Propheten überhaupt nicht beleidigen kann, weil er der Welt der Sterblichen entrückt ist. Über Jahrhunderte spielte in wesentlichen Teilen der islamischen Welt religiöser Eifer in Kombination mit Mord eine eher marginale Rolle, jahrhundertelang aber auch eine große. Die Welt der Sufis oder die Theologie der disputierenden Rechtsschulen unter den Umaijaden hat nichts zu tun mit der der Assassinen, der Almoraviden oder der Seldschuken. Es gibt keinen kontinuierlichen Entwicklungsstrang, der von der Zeit Mohameds zu heute verläuft, und die Ursachen für die aktuelle Gewalt sind im Hier und Heute sowie in den letzten Jahrzehnten Sozialgeschichte, nicht in der Geschichte des Islam seit dessen Bestehen zu verorten. Breivik ist schließlich auch kein Kreuzzügler, und der Una-Bomber war kein Wildwestpionier.

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@lemmy: Das ist nicht einmal Auge um Auge, Zahn um Zahn, das ist übelster Faschismus, der sich zu seiner Rechtfertigung der Religion bedient. Kolonialgeschichte und das soziale Elend in den Banlieus haben lediglich den Boden bereitet, der so etwas hervorgebracht hat. Und auch dies ist nur eine Komponente in einer multifaktoriellen Perspektive. Die Entstehung des Nationalsozialismus wäre ohne das feige Taktieren der Heeresleitung Ende des Ersten Weltkriegs und die Tatsache, dass die der Sozialdemokratie die Republik sozusagen in den Schoß geworfen haben, um als nicht an der Kapitulation beteiligt angesehen zu werden ebenso undenkbar gewesen wie ohne die ebenso feige Reaktion der SPD, die die soziale Revolution verhinderte. Dazu kamen als ebenso wichtige Komponenten der Versailler Vertrag, die Vorgeschichte des Deutschen Kolonialrassismus und der preußisch-deutschen Obrigkeitsmentalität. All dies zusammen ergibt noch nicht den Nationalsozialismus, wohl aber seine Entstehungsbedingungen.

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