Freitag, 6. Juli 2018
Presseerklärung von Pro Asyl zu den Beschlüssen der Großen Koalition
Presseerklärung
6. Juli 2018
GroKo-Beschlüsse weitreichender als öffentlich wahrgenommen
PRO ASYL: Druck auf andere EU-Staaten wird systematisch erhöht

PRO ASYL befürchtet, dass die Einigung der GroKo im sogenannten Asylstreit erst der Beginn einer lang andauernden emotional hochgeheizten Asyldebatte zwischen den EU-Staaten sein wird. Neben den Transitverfahren hat die GroKo eine weitreichende und umfassende Internierung der in anderen EU-Staaten registrierten Asylsuchenden beschlossen, deren Dimension und Ausmaß noch nicht absehbar ist.

Auch für die Regelungen, die das Inland betreffen, ist ein weiterer Verschärfungswettlauf zu befürchten, in dem als reine Verwaltungstechnik getarnt wird, was tiefe Eingriffe in das Recht bedeutet. Es ist keine Lappalie, wenn die sogenannte »Nichteinreisefiktion«, die für den Flughafen-Transitbereich im Asylgesetz geregelt ist, ohne Gesetzgebungsverfahren auf das Inland übertragen werden soll und Einrichtungen der Bundespolizei in Grenznähe oder der Flughafen-Transit hierfür ohne Rechtsgrundlage herhalten sollen.

Ergänzt werden soll dieses Vorgehen durch die Ausweitung von Schleierfandung und nicht näher genannte »intelligente grenzpolizeiliche Handlungsansätze«. Demnach werden auch im Inland aufgegriffene Flüchtlinge, die die Grenze längst überschritten haben, einem beschleunigten Verfahren in den AnkER-Einrichtungen unterzogen. De facto werden sich diese als Sackgassen mit geringen Chancen auf Rechtsschutz erweisen.

Das Interesse Deutschlands, die Zahl der Überstellungen in andere EU-Staaten im Rahmen des Dublin-Verfahrens drastisch zu erhöhen, spiegelt sich bereits in den Statistiken der ersten Monate 2018. Zugleich werden die Probleme, die Asylsuchende in diesen Staaten haben, zu ihrem Recht zu kommen, ebenso ausgeblendet wie die Überforderung der Randstaaten mit Unterbringung und Versorgung, Durchführung eines fairen Verfahrens und anschließender Integration.

Der Anteil der sog. Dublin-Verfahren, in denen es um die Zuständigkeit eines EU-Mitgliedsstaates für das Asylverfahren geht, hat 2018 weiter zugenommen auf 38,1% bezogen auf die Gesamtzahl aller Asylverfahren (2017: 32,4%, 2016: 7,7%).

2018 hat es zum ersten Mal nach vielen Jahren der Aussetzung von Rücküberstellungen nach Griechenland Überstellungen gegeben, ein Land, was bislang weder die ordnungsgemäße Durchführung von Asylverfahren gewährleistet, noch die relativ große Zahl der in Griechenland Ankommenden adäquat versorgen kann.

Nach wie vor unterbinden Verwaltungsgerichte in vielen Fällen in Eilbeschlüssen Überstellungen, so jede vierte geplante Überstellung nach Italien, die im Eilverfahren angegriffen wird. Bei Überstellungen nach Bulgarien sind es mehr als zwei Drittel aller Entscheidungen, die die Überstellung stoppen.

Diese und weitere Statistiken finden sich in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken (Ulla Jelpke u.a.) zur ergänzenden Asylstatistik für das erste Quartal und bis Mai 2018 – Schwerpunktfragen zum Dublin-Verfahren (BT-Drs. 19/3051).

»Es wird zum Lotteriespiel, welcher Verfolgte in Deutschland noch zu einem Asylverfahren zugelassen wird, in dem die Fluchtgründe geprüft werden. Die reichste Industrienation will systematisch die Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte von Flüchtlingen den ärmeren Grenzstaaten, insbesondere Griechenland aufdrücken, die ökonomisch von Deutschland abhängig sind. Flüchtlinge funken in ganz Europa SOS - aber es ist kein Land in Sicht, das sie schützen will. Die nationalen Egoismen dominieren und zerfressen die Wertebasis Europas, die Achtung der Menschenrechte«, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Es ist absehbar, dass Staaten wie Griechenland, das für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge der wichtigste Durchreisestaat ist, nicht in der Lage ist, die dort registrierten Asylsuchenden wieder aufzunehmen, ein faires Asylverfahren zu gewährleisten und die anerkannten Flüchtlinge zu integrieren. Es drohen menschenunwürdige Zustände großen Ausmaßes, die katastrophalen Zustände auf den griechischen Ägäis-Inseln werden erst der Anfang sein.

PRO ASYL wirft der GroKo vor, den Druck auf die Ersteinreisestaaten in unerträglicher Haltung zu erhöhen. »Deutschland wird vom Aufnahmeland zum Abschiebeland in EU-Grenzstaaten umgebaut. Die Gefahr wächst, dass dort ohne inhaltliche Prüfung der Schutzbedürftigkeit Flüchtlingen ein kurzer Prozess gemacht wird und Abschiebungen in großem Stil aus geschlossenen Lagern der Perspektivlosigkeit stattfinden«, sagte Günter Burkhardt. Es ist unfassbar, dass die GroKo sich nun erdreistet, Familienzusammenführungen aus Griechenland nach Deutschland als Unterstützung darzustellen. Wenn Familienangehörige auf der Flucht getrennt sind und sich Angehörige der Kernfamilie in Deutschland aufhalten, haben die in Griechenland verbliebenen einen Rechtsanspruch nach der Dublin-Verordnung auf Einreise nach Deutschland. Gegenwärtig warten mehr als 3.000 Menschen, oft Frauen und Kinder, auf die Einreise, die das BMI rechtswidrig seit letztem Jahr verzögert.

Im Beschluss der GroKo heißt es unter anderem: »Für diejenigen Asylsuchenden, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat registriert wurden und im Inland angetroffen werden, wird ein besonderes, beschleunigtes Verfahren in den AnkER- Einrichtungen eingeführt. Dies wird in Anlehnung an die im Asylgesetz bereits geregelten besonderen Aufnahmeeinrichtungen in einer eigenen Vorschrift normiert (BAMF- Verfahrensabschnitte innerhalb von je einer Woche, Residenzpflicht, keine Verteilung auf die Kommunen).

Das beschleunigte Verfahren begründet keinen Selbsteintritt in die Asylsachprüfung, es ist auf die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin-Verordnung beschränkt. Durch einen verstärkten Einsatz von Schleierfahndungen und sonstige grenzpolizeiliche Handlungsansätze kann die Zahl derer deutlich erhöht werden, die mit einem EURODAC-Eintrag grenznah erfasst und umgehend in die AnKER-Zentren gebracht werden.

Deutschland wird die EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der Europäischen Union bei der Bewältigung ihrer besonderen Herausforderungen unterstützen. Mit Spanien und Griechenland ist deshalb zum Beispiel vereinbart, die Fälle der Familienzusammenführungen schrittweise abzuarbeiten und abzuschließen.«

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