Sonntag, 13. April 2025
Campact-Vorstand Christoph Bautz über den Koalitionsvertrag
Der große Wurf fehlt

Der Koalitionsvertrag wäre eine echte Chance gewesen, autoritären Machthabern wie Trump, Putin und Xi etwas Wirksames entgegenzusetzen: eine Vertiefung des europäischen Einigungsprojekts. Nur so werden wir in einer Welt bestehen können, in der Regeln und Werte an Bedeutung verlieren und immer mehr das Recht des Stärkeren gilt.

Dafür würde es einen Bundeskanzler Merz brauchen, der an die proeuropäische Tradition der CDU anknüpft. Der in der EU dafür streitet, die Verteidigungs-, Wettbewerbs- und Industriepolitik zu vergemeinschaften. Der sich dafür einsetzt, dem Europäischen Parlament mehr Kompetenzen zu geben und im Rat das lähmende Einstimmigkeitsprinzip zu überwinden. Und der mit gemeinsamen europäischen Anleihen und einer Besteuerung von Superreichen ein großes Investitionsprogramm ermöglicht. Doch solch mutige Zukunftsvisionen fehlen – bei Merz und im Koalitionsvertrag.[2]

Immerhin wird es eine große Veränderung geben. Die Koalition will per Sondervermögen investieren – in die Verteidigung, in die marode öffentliche Infrastruktur und den Klimaschutz. Außerdem will sie die Schuldenbremse reformieren. Die Entscheidung ist richtig, der Zeitpunkt jedoch katastrophal. Wahlkampf hat Merz noch mit der Schuldenbremse gemacht. Eine solche Wende stärkt die AfD. Zudem könnte das Geld auch in teure Wahlgeschenke von CDU und CSU wie Mütterrente und Pendlerpauschale fließen.

Wenn es um die Ärmsten geht, lassen sich Union und SPD von den Rechtsextremen treiben – das war im Wahlkampf so und schlägt sich auch im Koalitionsvertrag nieder. Besonders die Union macht sie für eine gefühlte Bedrohungslage und die schlechte wirtschaftliche Lage im Land verantwortlich. Die Konsequenz: Das Bürgergeld wird abgewickelt, eine noch härtere Gangart gegen Migrant*innen eingeschlagen – und ausgerechnet Geflüchtete aus der Ukraine erhalten künftig weniger Unterstützung. Das simuliert Handlungsfähigkeit, löst aber keines unserer Probleme.

Klimapolitik: Klarer Plan fehlt

Auf dem Papier bekennen sich Union und SPD zu den Klimazielen. Gleichzeitig rudern sie bei allem zurück, was es braucht, um diese Ziele zu erreichen – vom Ausbau der Erneuerbaren bis zur Verkehrswende. Besonders bitter: Schwarz-Rot will die Klimaziele nicht mehr aus eigener Kraft erreichen, sondern auch CO2-Einsparungen aus anderen Ländern einkaufen. Deutschland würde sich so aus der Verantwortung stehlen.

Union und SPD behalten sich vor, die Ausbauziele für Windkraft zu senken und den Kohleausstieg zu verzögern. Gleichzeitig wollen sie weitere Gaskraftwerke bauen und den Anlagen die umstrittene CO2-Speicherung erlauben.[3] Statt auf Erneuerbare und mit Wasserstoff betriebene Kraftwerke zu setzen, schafft die neue Regierung eine Infrastruktur, die uns auf Jahrzehnte von fossilem Gas abhängig macht. Ähnlich sieht es im Gebäudebereich aus: Hier will die Koalition das Gebäude-Energie-Gesetz der Vorgängerregierung abschaffen – und damit den Fahrplan für eine klimaneutrale Wärmeversorgung aufgeben.

Auch für den Verkehr fehlt ein klarer Plan. Union und SPD wollen zwar die Bahn ausbauen und Elektromobilität erschwinglicher machen. Doch gleichzeitig gibt es jede Menge klimaschädliche Anreize: kein Tempolimit, Erhöhung der Pendlerpauschale, weniger Gebühren beim Fliegen und die Wiedereinführung der Steuerbegünstigungen für Agrardiesel. Immerhin bleibt das Deutschlandticket. Allerdings steigt ab 2029 nochmals der Preis – dabei müsste es eigentlich günstiger sein, um die Mobilitätswende voranzubringen.

Landwirtschaft: Agrarwende rückwärts

Das Agrarkapitel trägt eindeutig die Handschrift der Union. Weniger Regulierung und viel Freiwilligkeit bei Umweltauflagen – die konventionelle Landwirtschaft und die Agrarlobby jubeln. Für Artenschutz und Klima werden die kommenden Jahre bitter. Die neue Regierung will die bisherige Agrarförderung weiter zementieren. Von der profitieren vor allem industrielle Megabetriebe; das Höfesterben geht weiter.

Ein Ja zu wichtigen EU-Zielen – wie etwa der Pestizidreduktion bis 2030 – fehlt. Stattdessen sollen Insekten- und Pflanzengifte leichter zugelassen werden; eine Katastrophe für die Artenvielfalt. Die Koalitionär*innen wollen außerdem die Stoffstrombilanz abschaffen. Die soll eigentlich Überdüngung verhindern. Die Konsequenz: keine Reduktion der Schadstoffe in Böden und Trinkwasser.

Einzig beim Tierwohl gibt es ein paar Lichtblicke. Es wird mehr Geld für den tierfreundlichen Stallumbau geben und auch für junge Bäuer*innen. Woher die Mittel kommen sollen, bleibt jedoch unklar. Und an den Kern des Problems – zu viele Nutztiere insgesamt – wagt sich die neue Regierung erst gar nicht ran.

Zivilgesellschaft: Engagierte Vereine müssen (weiter) zittern

Eine lebendige Zivilgesellschaft ist entscheidend für eine funktionierende Demokratie. Die Union hat aber schon im Wahlkampf gezeigt, wie wenig sie davon hält. Mit ihrer Kleinen Anfrage an die damalige Regierung hat sie genau die Organisationen angegriffen, die sie für ihre Zusammenarbeit mit der AfD kritisiert hatten – darunter auch Campact.

Jetzt übernimmt die CDU das Familienministerium und damit die Kontrolle über das Förderprogramm „Demokratie leben!“. Das finanziert Projekte, die sich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren. Unliebsamen Vereinen könnte sie nun die Gelder streichen. Leider hat sich die SPD darauf eingelassen. Sie muss jetzt die Vergabe der Gelder überwachen und sicherstellen, dass die CDU ihre Macht nicht missbraucht. Gerade weil die AfD immer stärker wird, muss die neue Regierung zivilgesellschaftliches Engagement stärken und nicht schwächen – auch durch mehr Geld für das Programm.

Der gemeinnützige Status von Organisationen, die sich für unsere Demokratie engagieren, bleibt weiter angreifbar. In der Vergangenheit hat die AfD das immer wieder ausgenutzt – indem sie Vereine beim Finanzamt angezeigt hat, damit diese ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Die Ankündigung, die Förderung von Demokratie und Menschenrechten ins Gemeinnützigkeitsrecht aufzunehmen, sucht man im Vertrag vergeblich. Genauso wie die Klarstellung, dass Vereine sich unbegrenzt politisch zu ihren eigenen Zwecken betätigen dürfen.

Immerhin: Für gemeinnützigen Journalismus wird es mehr Rechtssicherheit geben. Außerdem sollen mehr Anliegen als gemeinnützig anerkannt werden. Dass dazu auch der Einsatz für Demokratie und für Menschenrechte zählt – dafür müssen sich SPD und Länder in den kommenden vier Jahren weiter einsetzen.

Und trotzdem: Wir können einen Unterschied machen

Auf den 144 Seiten des Koalitionsvertrages stehen viele problematische Dinge – doch noch sind das Absichtserklärungen und keine Gesetze. Wie viel wir dennoch verändern können, zeigen einige Petitionen auf unserer Petitionsplattform WeAct. Sie haben die Verhandlungen spürbar beeinflusst. So wie Indra Ghosh mit seiner Forderung, rechtsextremen Hetzer*innen das passive Wahlrecht entziehen zu können, wenn sie wegen Volksverhetzung verurteilt wurden. Mehr als 270.000 Menschen haben seine Petition unterschrieben – jetzt findet sich der Ansatz im Koalitionsvertrag. Damit er konkret ausgestaltet wird, bleiben wir dran.

Erfolgreich war auch die Petition des Info-Portals Frag den Staat. Die Union wollte das Informationsfreiheitsgesetz abschaffen; jetzt ist nur noch von einer Reform die Rede. Dafür hat Frag den Staat auch schon einen konkreten Vorschlag. Einen weiteren Lichtblick gab es mit Blick auf die Frage, wie sich soziale Medien regulieren lassen. Das war nämlich das zentrale Anliegen der WeAct-Petition „Soziale Netzwerke als demokratische Kraft retten“ – und hat es in den Koalitionsvertrag geschafft.

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