Donnerstag, 13. Juli 2023
Diverses zur Asylpolitik
che2001, 16:38h
Von Dr. Thomas Hohlfeld, Die Linke
1) Illegale Pushback-Praxis auch an deutschen Grenzen!?
Es gibt immer wieder Berichte zu rechtswidrigen Zurückweisungen durch die Bundespolizei, etwa indem mündlich gestellte Asylgesuche "übergangen" / "überhört" und keine regulären Asylverfahren in Deutschland eingeleitet werden, um direkt zurückweisen zu können. Bei kritischen Nachfragen hierzu steht dann meist "Aussage gegen Aussage", denn die Bundespolizei und die Bundesregierung bestreiten eine solche Praxis.
Infolge einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag (Clara Bünger u.a.) liegen zumindest klare Indizien und Zahlen zu einer solchen Zurückweisungspraxis der Bundespolizei vor, denn es gibt ansonsten keine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum an der Grenze zu Österreich so auffallend viel weniger Asylgesuche gestellt worden sein sollen als an anderen Grenzabschnitten!
Die Antwort der Bundesregierung ist hier abzurufen: https://dserver.bundestag.de/btd/20/056/2005674.pdf
Im Anhang findet sich mein umfangreicher Vermerk zu dieser Antwort, der auch verdeutlicht, in welcher Kontinuität das BMI unter der Leitung von Nancy Faeser (SPD) zum BMI unter Horst Seehofer (CSU) steht - bzw. inwieweit der "Apparat" des BMI offenbar auch beeinflussen kann, was die jeweilig wechselnden MinisterInnen so von sich geben...
Siehe auch: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/quer/230316-quer-pushbacks-100.html und:
https://taz.de/Deutsch-oesterreichische-Grenze/!5925904/
Interessant ist auch, dass - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung und aufgeregten Debatten - die Zahl der festgestellten unerlaubten Einreisen an den deutschen Landesgrenzen im ersten Quartal 2023 deutlich gegenüber dem vorherigen Quartal zurückgegangen (!) ist, sie hat sich von gut 30.000 auf etwa 16.000 sogar fast halbiert, wie aus einer schriftlichen Frage von Clara Bünger (DIE LINKE) an die Bundesregierung hervorgeht (ebenfalls im Anhang, nebst Vermerk).
siehe hierzu: https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-berlin-viele-zurueckweisungen-an-grenzen-zu-schweiz-und-oesterreich-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230531-99-884292
Wir haben dazu weitere Anfragen an die Bundesregierung gerichtet...
2) Ein Interview mit Clara Bünger zur geplanten GEAS-Reform gibt es hier:
https://diefreiheitsliebe.de/politik/das-ziel-der-schnellverfahren-ist-asylsuchende-abzulehnen/
Ins Grenzverfahren müssen künftig, nach jetzigem Stand, unter anderem alle Schutzsuchenden aus Ländern mit einer unter 20%igen Schutzquote. Dabei wird oft übersehen, dass bei dieser Quotenberechnung nur Anerkennungen eines internationalen Schutzstatus berücksichtigt werden, nicht aber z.B. humanitäre oder nationale Schutzstatus.
Bekanntlich erhalten z.B. viele afghanische Schutzsuchende vom BAMF nur einen Abschiebungsschutz, das könnte in der Zukunft dazu führen, dass auch afghanische Schutzsuchende zwingend ins Grenzverfahren müssen, trotz sehr hoher Schutzbedürftigkeit (wenn die Quote des internationalen Flüchtlingsschutzes unter 20% fällt, nützt diesbezüglich dann auch eine bereinigte Gesamtschutzquote nahe 100 Prozent nichts).
Verfehlt ist die 20%-Regelung aber auch (vom Grundsätzlichen her mal ganz abgesehen), weil korrigierende Entscheidungen der Gerichte oder der Asylbehörden ebenfalls nicht in die Berechnung mit einfließen. Damit werden Schutzsuchende auch dann aufs Grenzverfahren verwiesen, wenn die durchschnittliche Schutzquote am Ende des Asylverfahrens (d.h. inklusive einer gerichtlichen Überprüfung) weit über 20 Prozent liegen sollte. Damit werden im Ergebnis Geflüchtete für besonders viele fehlerhafte Behördenbescheide in Bezug auf ihr Herkunftsland "bestraft" - absurd!
Eine Anfrage der LINKEN zur Abschiebungspraxis nach Pakistan (Clara Bünger u.a., siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/20/069/2006942.pdf) zeigt, wie sehr das in der Praxis relevant sein kann (dazu auch mein Vermerk im Anhang): Bei Asylgesuchen aus Pakistan gibt es eine zunehmende Fehlerquote im BAMF, immer mehr Bescheide werden von den Gerichten aufgehoben (zuletzt 42,5% der inhaltlich überprüften Bescheide). Seit 2019 haben Gerichte fast drei Mal so viele Schutzstatus an Asylsuchende aus Pakistan erteilt wie das BAMF - aber all diese gerichtlichen Entscheidungen würden bei der Berechnung der 20%-Quote im Zusammenhang der EU-Grenzverfahren nicht berücksichtigt!
Die Schutzquoten bei Geflüchteten, die ins Grenzverfahren müssen, werden dadurch absehbar weiter sinken, denn die Erfahrungen mit Asyl-Flughafenverfahren in Deutschland zeigen, dass in solchen Schnellverfahren an den Grenzen unter (faktischen) Haftbedingungen die Schutzquoten deutlich unterhalb der sonst üblichen Werte liegen (die für Flughafenverfahren zuständige BAMF-Außenstelle am Frankfurter Flughafen wies bei allen auf BT-Drs. 19/18498 zu Frage 3f gelisteten fünf Herkunftsstaaten im Jahr 2019 (deutlich) niedrigere Schutzquoten auf als im Bundesdurchschnitt, z.B. Irak: 18,3% statt allgemein 51,8%).
3) Sehr bitter: Nachdem Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser infolge rechter Medienberichte die dringliche Aufnahme besonders gefährdeter Personen aus Afghanistan komplett gestoppt hatten, kommt das Aufnahmeprogramm jetzt nur schleppend wieder in Gang - und es ist völlig klar, dass die politisch versprochene Zahl von etwa 1.000 Aufnahmen pro Monat infolge der grotesk verstärkten Sicherheitsüberprüfungen nicht mehr erreicht werden wird!
Dazu im Anhang eine (von mehreren) Anfrage(n) von Clara Bünger, nebst Vermerk.
Zuletzt stellte sich heraus, dass innerhalb einer Woche gerade einmal 15 Visaanträge nach entsprechenden aufwändigen Sicherheitsbefragungen bearbeitet werden konnten - das waren durchschnittlich drei pro Tag!
Siehe auch: https://www.evangelische-zeitung.de/afghanistan-aufnahmeprogramm-visa-fuer-bislang-nur-229-menschen
4) Mehrmals hatte ich über den Beschluss des Bundestags zum Schutz jesidischer Flüchtlinge berichtet (vgl. z.B. Rundmails vom 10.2., 6.3., 23.3.) - und wie dieser von der Ampelkoalition dann wieder "einkassiert" wurde...
Wie sich das in der Praxis und im Einzelfall auswirkt, war in den Medien nachzulesen, anhand eines besonders krassen Einzelfalls einer jungen jesidischen Frau:
https://www.t-online.de/region/hannover/id_100151838/jesidin-droht-die-abschiebung-weil-ihr-vater-suizid-begangen-hat.html
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Vorm-IS-geflohen-Aufenthaltsstatus-von-junger-Jesidin-gefaehrdet,abschiebung966.html
https://www.haz.de/lokales/hannover/warum-einer-jungen-jesidin-aus-hannover-die-abschiebung-droht-WEXJBVGIVBD6NB7WLHT6HHABXA.html?s=09
5) Zwischendurch mal was Positives:
DIE LINKE im Bundestag hat mit Abstand die meisten Abgeordneten mit "Migrationshintergrund", das vermeldete der Mediendienst Integration nach entsprechenden Recherchen: https://mediendienst-integration.de/artikel/wie-viele-abgeordnete-haben-migrationshintergrund.html.
28,2 Prozent sind es, doppelt so viele wie beispielsweise bei den GRÜNEN. Die Linksfraktion im Bundestag ist damit in etwa so migrantisch wie das Leben selbst :o) Zu 60 Prozent sind es Frauen, über die Hälfte der Abgeordneten der Linksfraktion sind Frauen.
Einfach herrlich anzuschauen ist es, wie Heidi Reichinnek (LINKE) im Bundestag gegen den Genderwahn der AfD humoristisch zu Felde zog. Wer es noch nicht gesehen hat, hier sehr kurzweilige 3,5 Minuten: https://dbtg.tv/cvid/7555396 :o)
6) Staatenlose / ungeklärte Staatsangehörigkeit:
In Zusammenarbeit mit dem tollen Verein "Statefree" (www.statefree.world/) entstand unter Federführung von Gökay Akbulut (LINKE) eine Kleine Anfrage zum Thema Staatenlosigkeit in Deutschland. Die Antwort der Bundesregierung ist hier verfügbar: https://dserver.bundestag.de/btd/20/064/2006463.pdf, mein Vermerk zur Auswertung der Antwort hängt anbei.
Die Zahl der Staatenlosen und insbesondere der Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hat sich in Deutschland in nicht einmal zehn Jahren mehr als verdoppelt. Viele dieser Menschen sind in Deutschland geboren, offenkundig fehlt ein zentrales und verlässliches Verfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit, wie es dies in anderen EU-Ländern durchaus gibt. Die Bundesregierung sieht dessen ungeachtet keinen Änderungsbedarf - aber da bleiben wir dran...
DER SPIEGEL berichtete:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mehrheit-der-auslaender-mit-ungeklaerter-staatsangehoerigkeit-lebt-seit-mehr-als-fuenf-jahren-in-deutschland-a-de64cbd1-3062-4df1-b5bd-c1d2a361f162
7) Diverses, in Kürze:
600 Pässe von Sudanesinnen und Sudanesen, die ein Visum beantragt hatten, waren bei der deutschen Botschaft in Khartum noch in Verwahrung, als das Botschaftspersonal infolge der kriegerischen Ereignisse evakuiert wurde (siehe Antwort im Anhang). Für die Betroffenen hat das erhebliche negative Konsequenzen.
Siehe: https://www.evangelisch.de/inhalte/216137/24-05-2023/sudan-600-paesse-nach-evakuierung-noch-deutscher-botschaft
Über die zum Teil brutalen Auswirkungen der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug berichtete anschaulich anhand eines Einzelfalls die Deutsche Welle: https://www.dw.com/de/liebe-auf-distanz-deutschland-h%C3%A4lt-ehepartner-fern/a-64778208.
Das ist inhuman, menschenrechtswidrig und beschämend. Die Ampel steht hier in der Pflicht, diesen Skandal so schnell wie möglich zu beenden, wie es im Koalitionsvertag auch versprochen worden war, erst recht, nachdem sie einen entsprechenden Gesetzentwurf der LINKEN (Gökay Akbulut u.a.: https://dserver.bundestag.de/btd/20/018/2001850.pdf) im letzten Jahr im Bundestag abgelehnt hat (ich berichtete).
Sehr hilfreich und anschaulich ist die grafische Aufarbeitung der Zahlen zu hier lebenden Geflüchteten mit ihren unterschiedlichen Status durch Lalon Sander in der taz, auf Basis der regelmäßigen Anfragen der LINKEN: https://taz.de/Gefluechtete-in-Deutschland/!5934394/
Gegen den Protest aller Fachkundigen wurde in der letzten Wahlperiode gesetzgeberisch beschlossen, dass alle BAMF- und Gerichtsbescheide zu Asylsuchenden im Ausländerzentralregister zu speichern sind. Zur Vermeidung von Missbrauch und zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sollten diese Dokumente allerdings an entsprechenden Stellen geschwärzt werden.
Es kam, wie es bei einer praxisuntauglichen (und überdies überflüssigen) Regelung kommen musste: Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Neuregelung waren gerade einmal sechs (!) entsprechende Dokumente im AZR gespeichert, wie sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der LINKEN (Clara Bünger u.a.) ergibt (Frage 2): https://dserver.bundestag.de/btd/20/070/2007095.pdf
Die "Weisungsinstrumente" zur Umsetzung des gesetzgeberischen Schwärzungsauftrags befanden sich zuletzt noch "in der Abstimmung", auch dazu sind Nachfragen bereits eingereicht...
Zahlen zu Abschiebungen von Januar bis April 2023 liegen vor (im Anhang), Clara Bünger beklagte in der taz insbesondere den deutlichen Anstieg von Abschiebungen in die Türkei:
https://taz.de/Deutsche-Asylpolitik/!5938216/, aber auch Zurückweisungen in den Iran nach Asyl-Flughafenverfahren sind skandalös: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172279.abschiebungen-in-den-iran-abschiebungen-in-den-iran-juristische-spitzfindigkeiten.html.
Über das gesetzgeberische Eilverfahren bei der Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hatte ich in meiner letzten Rundmail berichtet - schön, dass das Bundesverfassungsgericht (wenn auch bei einem anderen Gesetz, Stichwort Heizung) solchen Brüskierungen des Parlaments mal die gelbe Karte gezeigt hat!
Die gesetzgeberischen Stricknadeln bei der (an sich begrüßenswerten) Umwandlung der Ausbildungsduldung in eine Aufenthaltserlaubnis waren allzu heiß: Vermutlich unbeabsichtigt wird die Neuregelung für etliche Betroffene sogar Nachteile haben, weil in der Eile des Verfahrens verschiedene Aspekte nicht bedacht worden waren (vgl. nur: https://rechtsberaterkonferenz.de/index.php/2023/07/03/kurzstellungnahme-ausbildungs-aufenthaltserlaubnis-fuer-ausreisepflichtige/).
Auf die Frage von Clara Bünger, inwieweit die Bundesregierung bei diesem Pfusch beteiligt war (ganz so war die Frage nicht formuliert, im Anhang) und inwieweit gesetzliche oder untergesetzliche Änderungen noch vor Inkrafttreten der Neuregelung zur Abwendung der unbeabsichtigten Folgewirkungen geplant sind, hieß es, dass die Prüfungen hierzu "noch nicht abgeschlossen" seien - und das ist immerhin auch kein "Nein" ;o)
Mehrfach kritisierte Gökay Akbulut (DIE LINKE) in der Vergangenheit eine wenig bekannte Diskriminierung von Migrantenselbstorganisationen im Vereinsrecht (vgl. zuletzt: https://dserver.bundestag.de/btd/20/015/2001565.pdf, ich berichtete).
Im letzten Datenschutzbericht (https://dserver.bundestag.de/btd/20/060/2006000.pdf) gab es hierzu eine kleine Erfolgsmeldung (S. 120), BMI und Bundesverwaltungsamt haben mitgeteilt, keine entsprechenden Speicherungen in das so genannte Ausländervereinsregister mehr vorzunehmen!
Ach so: Wirklich gruselig äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungsbefragung letzte Woche im Parlament (siehe Plenarprotokoll im Anhang): Stolz bekannte er sich dazu, auf dem "Flüchtlingsgipfel" zahlreiche Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts vorgeschlagen zu haben (vgl. hierzu: https://www.abschiebungsreporting.de/bund-laender-beschluss-zu-geplanten-verschaerfungen-bei-abschiebungen-und-abschiebehaft/), er nannte es "Vorhaben", die nun "Stück für Stück" abgearbeitet würden... :o( Den Vogel schoss er aber ab, als er darauf hinwies, "dass beide Länder" - Georgien und Moldau - "gerne auch von sich aus als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden würden". Na dann. Die "zügige" Zuleitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs drohte er schon mal an.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf eine spannende Neuerscheinung hinweisen:
Katharina Schoenes berichtet in ihrem Buch "Asyl, Sexualität und Wahrheit" anschaulich und fachkundig über gerichtliche Entscheidungen zum Asylgrund "sexuelle Orientierung" - ein wichtiger Beitrag zur rechtssoziologischen Analyse der Asylrechtsprechung!
Hier zu bestellen:
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6606-9/asyl-sexualitaet-und-wahrheit/?c=310000089
1) Illegale Pushback-Praxis auch an deutschen Grenzen!?
Es gibt immer wieder Berichte zu rechtswidrigen Zurückweisungen durch die Bundespolizei, etwa indem mündlich gestellte Asylgesuche "übergangen" / "überhört" und keine regulären Asylverfahren in Deutschland eingeleitet werden, um direkt zurückweisen zu können. Bei kritischen Nachfragen hierzu steht dann meist "Aussage gegen Aussage", denn die Bundespolizei und die Bundesregierung bestreiten eine solche Praxis.
Infolge einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag (Clara Bünger u.a.) liegen zumindest klare Indizien und Zahlen zu einer solchen Zurückweisungspraxis der Bundespolizei vor, denn es gibt ansonsten keine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum an der Grenze zu Österreich so auffallend viel weniger Asylgesuche gestellt worden sein sollen als an anderen Grenzabschnitten!
Die Antwort der Bundesregierung ist hier abzurufen: https://dserver.bundestag.de/btd/20/056/2005674.pdf
Im Anhang findet sich mein umfangreicher Vermerk zu dieser Antwort, der auch verdeutlicht, in welcher Kontinuität das BMI unter der Leitung von Nancy Faeser (SPD) zum BMI unter Horst Seehofer (CSU) steht - bzw. inwieweit der "Apparat" des BMI offenbar auch beeinflussen kann, was die jeweilig wechselnden MinisterInnen so von sich geben...
Siehe auch: https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/quer/230316-quer-pushbacks-100.html und:
https://taz.de/Deutsch-oesterreichische-Grenze/!5925904/
Interessant ist auch, dass - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung und aufgeregten Debatten - die Zahl der festgestellten unerlaubten Einreisen an den deutschen Landesgrenzen im ersten Quartal 2023 deutlich gegenüber dem vorherigen Quartal zurückgegangen (!) ist, sie hat sich von gut 30.000 auf etwa 16.000 sogar fast halbiert, wie aus einer schriftlichen Frage von Clara Bünger (DIE LINKE) an die Bundesregierung hervorgeht (ebenfalls im Anhang, nebst Vermerk).
siehe hierzu: https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-berlin-viele-zurueckweisungen-an-grenzen-zu-schweiz-und-oesterreich-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230531-99-884292
Wir haben dazu weitere Anfragen an die Bundesregierung gerichtet...
2) Ein Interview mit Clara Bünger zur geplanten GEAS-Reform gibt es hier:
https://diefreiheitsliebe.de/politik/das-ziel-der-schnellverfahren-ist-asylsuchende-abzulehnen/
Ins Grenzverfahren müssen künftig, nach jetzigem Stand, unter anderem alle Schutzsuchenden aus Ländern mit einer unter 20%igen Schutzquote. Dabei wird oft übersehen, dass bei dieser Quotenberechnung nur Anerkennungen eines internationalen Schutzstatus berücksichtigt werden, nicht aber z.B. humanitäre oder nationale Schutzstatus.
Bekanntlich erhalten z.B. viele afghanische Schutzsuchende vom BAMF nur einen Abschiebungsschutz, das könnte in der Zukunft dazu führen, dass auch afghanische Schutzsuchende zwingend ins Grenzverfahren müssen, trotz sehr hoher Schutzbedürftigkeit (wenn die Quote des internationalen Flüchtlingsschutzes unter 20% fällt, nützt diesbezüglich dann auch eine bereinigte Gesamtschutzquote nahe 100 Prozent nichts).
Verfehlt ist die 20%-Regelung aber auch (vom Grundsätzlichen her mal ganz abgesehen), weil korrigierende Entscheidungen der Gerichte oder der Asylbehörden ebenfalls nicht in die Berechnung mit einfließen. Damit werden Schutzsuchende auch dann aufs Grenzverfahren verwiesen, wenn die durchschnittliche Schutzquote am Ende des Asylverfahrens (d.h. inklusive einer gerichtlichen Überprüfung) weit über 20 Prozent liegen sollte. Damit werden im Ergebnis Geflüchtete für besonders viele fehlerhafte Behördenbescheide in Bezug auf ihr Herkunftsland "bestraft" - absurd!
Eine Anfrage der LINKEN zur Abschiebungspraxis nach Pakistan (Clara Bünger u.a., siehe: https://dserver.bundestag.de/btd/20/069/2006942.pdf) zeigt, wie sehr das in der Praxis relevant sein kann (dazu auch mein Vermerk im Anhang): Bei Asylgesuchen aus Pakistan gibt es eine zunehmende Fehlerquote im BAMF, immer mehr Bescheide werden von den Gerichten aufgehoben (zuletzt 42,5% der inhaltlich überprüften Bescheide). Seit 2019 haben Gerichte fast drei Mal so viele Schutzstatus an Asylsuchende aus Pakistan erteilt wie das BAMF - aber all diese gerichtlichen Entscheidungen würden bei der Berechnung der 20%-Quote im Zusammenhang der EU-Grenzverfahren nicht berücksichtigt!
Die Schutzquoten bei Geflüchteten, die ins Grenzverfahren müssen, werden dadurch absehbar weiter sinken, denn die Erfahrungen mit Asyl-Flughafenverfahren in Deutschland zeigen, dass in solchen Schnellverfahren an den Grenzen unter (faktischen) Haftbedingungen die Schutzquoten deutlich unterhalb der sonst üblichen Werte liegen (die für Flughafenverfahren zuständige BAMF-Außenstelle am Frankfurter Flughafen wies bei allen auf BT-Drs. 19/18498 zu Frage 3f gelisteten fünf Herkunftsstaaten im Jahr 2019 (deutlich) niedrigere Schutzquoten auf als im Bundesdurchschnitt, z.B. Irak: 18,3% statt allgemein 51,8%).
3) Sehr bitter: Nachdem Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser infolge rechter Medienberichte die dringliche Aufnahme besonders gefährdeter Personen aus Afghanistan komplett gestoppt hatten, kommt das Aufnahmeprogramm jetzt nur schleppend wieder in Gang - und es ist völlig klar, dass die politisch versprochene Zahl von etwa 1.000 Aufnahmen pro Monat infolge der grotesk verstärkten Sicherheitsüberprüfungen nicht mehr erreicht werden wird!
Dazu im Anhang eine (von mehreren) Anfrage(n) von Clara Bünger, nebst Vermerk.
Zuletzt stellte sich heraus, dass innerhalb einer Woche gerade einmal 15 Visaanträge nach entsprechenden aufwändigen Sicherheitsbefragungen bearbeitet werden konnten - das waren durchschnittlich drei pro Tag!
Siehe auch: https://www.evangelische-zeitung.de/afghanistan-aufnahmeprogramm-visa-fuer-bislang-nur-229-menschen
4) Mehrmals hatte ich über den Beschluss des Bundestags zum Schutz jesidischer Flüchtlinge berichtet (vgl. z.B. Rundmails vom 10.2., 6.3., 23.3.) - und wie dieser von der Ampelkoalition dann wieder "einkassiert" wurde...
Wie sich das in der Praxis und im Einzelfall auswirkt, war in den Medien nachzulesen, anhand eines besonders krassen Einzelfalls einer jungen jesidischen Frau:
https://www.t-online.de/region/hannover/id_100151838/jesidin-droht-die-abschiebung-weil-ihr-vater-suizid-begangen-hat.html
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Vorm-IS-geflohen-Aufenthaltsstatus-von-junger-Jesidin-gefaehrdet,abschiebung966.html
https://www.haz.de/lokales/hannover/warum-einer-jungen-jesidin-aus-hannover-die-abschiebung-droht-WEXJBVGIVBD6NB7WLHT6HHABXA.html?s=09
5) Zwischendurch mal was Positives:
DIE LINKE im Bundestag hat mit Abstand die meisten Abgeordneten mit "Migrationshintergrund", das vermeldete der Mediendienst Integration nach entsprechenden Recherchen: https://mediendienst-integration.de/artikel/wie-viele-abgeordnete-haben-migrationshintergrund.html.
28,2 Prozent sind es, doppelt so viele wie beispielsweise bei den GRÜNEN. Die Linksfraktion im Bundestag ist damit in etwa so migrantisch wie das Leben selbst :o) Zu 60 Prozent sind es Frauen, über die Hälfte der Abgeordneten der Linksfraktion sind Frauen.
Einfach herrlich anzuschauen ist es, wie Heidi Reichinnek (LINKE) im Bundestag gegen den Genderwahn der AfD humoristisch zu Felde zog. Wer es noch nicht gesehen hat, hier sehr kurzweilige 3,5 Minuten: https://dbtg.tv/cvid/7555396 :o)
6) Staatenlose / ungeklärte Staatsangehörigkeit:
In Zusammenarbeit mit dem tollen Verein "Statefree" (www.statefree.world/) entstand unter Federführung von Gökay Akbulut (LINKE) eine Kleine Anfrage zum Thema Staatenlosigkeit in Deutschland. Die Antwort der Bundesregierung ist hier verfügbar: https://dserver.bundestag.de/btd/20/064/2006463.pdf, mein Vermerk zur Auswertung der Antwort hängt anbei.
Die Zahl der Staatenlosen und insbesondere der Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hat sich in Deutschland in nicht einmal zehn Jahren mehr als verdoppelt. Viele dieser Menschen sind in Deutschland geboren, offenkundig fehlt ein zentrales und verlässliches Verfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit, wie es dies in anderen EU-Ländern durchaus gibt. Die Bundesregierung sieht dessen ungeachtet keinen Änderungsbedarf - aber da bleiben wir dran...
DER SPIEGEL berichtete:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mehrheit-der-auslaender-mit-ungeklaerter-staatsangehoerigkeit-lebt-seit-mehr-als-fuenf-jahren-in-deutschland-a-de64cbd1-3062-4df1-b5bd-c1d2a361f162
7) Diverses, in Kürze:
600 Pässe von Sudanesinnen und Sudanesen, die ein Visum beantragt hatten, waren bei der deutschen Botschaft in Khartum noch in Verwahrung, als das Botschaftspersonal infolge der kriegerischen Ereignisse evakuiert wurde (siehe Antwort im Anhang). Für die Betroffenen hat das erhebliche negative Konsequenzen.
Siehe: https://www.evangelisch.de/inhalte/216137/24-05-2023/sudan-600-paesse-nach-evakuierung-noch-deutscher-botschaft
Über die zum Teil brutalen Auswirkungen der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug berichtete anschaulich anhand eines Einzelfalls die Deutsche Welle: https://www.dw.com/de/liebe-auf-distanz-deutschland-h%C3%A4lt-ehepartner-fern/a-64778208.
Das ist inhuman, menschenrechtswidrig und beschämend. Die Ampel steht hier in der Pflicht, diesen Skandal so schnell wie möglich zu beenden, wie es im Koalitionsvertag auch versprochen worden war, erst recht, nachdem sie einen entsprechenden Gesetzentwurf der LINKEN (Gökay Akbulut u.a.: https://dserver.bundestag.de/btd/20/018/2001850.pdf) im letzten Jahr im Bundestag abgelehnt hat (ich berichtete).
Sehr hilfreich und anschaulich ist die grafische Aufarbeitung der Zahlen zu hier lebenden Geflüchteten mit ihren unterschiedlichen Status durch Lalon Sander in der taz, auf Basis der regelmäßigen Anfragen der LINKEN: https://taz.de/Gefluechtete-in-Deutschland/!5934394/
Gegen den Protest aller Fachkundigen wurde in der letzten Wahlperiode gesetzgeberisch beschlossen, dass alle BAMF- und Gerichtsbescheide zu Asylsuchenden im Ausländerzentralregister zu speichern sind. Zur Vermeidung von Missbrauch und zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sollten diese Dokumente allerdings an entsprechenden Stellen geschwärzt werden.
Es kam, wie es bei einer praxisuntauglichen (und überdies überflüssigen) Regelung kommen musste: Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Neuregelung waren gerade einmal sechs (!) entsprechende Dokumente im AZR gespeichert, wie sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der LINKEN (Clara Bünger u.a.) ergibt (Frage 2): https://dserver.bundestag.de/btd/20/070/2007095.pdf
Die "Weisungsinstrumente" zur Umsetzung des gesetzgeberischen Schwärzungsauftrags befanden sich zuletzt noch "in der Abstimmung", auch dazu sind Nachfragen bereits eingereicht...
Zahlen zu Abschiebungen von Januar bis April 2023 liegen vor (im Anhang), Clara Bünger beklagte in der taz insbesondere den deutlichen Anstieg von Abschiebungen in die Türkei:
https://taz.de/Deutsche-Asylpolitik/!5938216/, aber auch Zurückweisungen in den Iran nach Asyl-Flughafenverfahren sind skandalös: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172279.abschiebungen-in-den-iran-abschiebungen-in-den-iran-juristische-spitzfindigkeiten.html.
Über das gesetzgeberische Eilverfahren bei der Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hatte ich in meiner letzten Rundmail berichtet - schön, dass das Bundesverfassungsgericht (wenn auch bei einem anderen Gesetz, Stichwort Heizung) solchen Brüskierungen des Parlaments mal die gelbe Karte gezeigt hat!
Die gesetzgeberischen Stricknadeln bei der (an sich begrüßenswerten) Umwandlung der Ausbildungsduldung in eine Aufenthaltserlaubnis waren allzu heiß: Vermutlich unbeabsichtigt wird die Neuregelung für etliche Betroffene sogar Nachteile haben, weil in der Eile des Verfahrens verschiedene Aspekte nicht bedacht worden waren (vgl. nur: https://rechtsberaterkonferenz.de/index.php/2023/07/03/kurzstellungnahme-ausbildungs-aufenthaltserlaubnis-fuer-ausreisepflichtige/).
Auf die Frage von Clara Bünger, inwieweit die Bundesregierung bei diesem Pfusch beteiligt war (ganz so war die Frage nicht formuliert, im Anhang) und inwieweit gesetzliche oder untergesetzliche Änderungen noch vor Inkrafttreten der Neuregelung zur Abwendung der unbeabsichtigten Folgewirkungen geplant sind, hieß es, dass die Prüfungen hierzu "noch nicht abgeschlossen" seien - und das ist immerhin auch kein "Nein" ;o)
Mehrfach kritisierte Gökay Akbulut (DIE LINKE) in der Vergangenheit eine wenig bekannte Diskriminierung von Migrantenselbstorganisationen im Vereinsrecht (vgl. zuletzt: https://dserver.bundestag.de/btd/20/015/2001565.pdf, ich berichtete).
Im letzten Datenschutzbericht (https://dserver.bundestag.de/btd/20/060/2006000.pdf) gab es hierzu eine kleine Erfolgsmeldung (S. 120), BMI und Bundesverwaltungsamt haben mitgeteilt, keine entsprechenden Speicherungen in das so genannte Ausländervereinsregister mehr vorzunehmen!
Ach so: Wirklich gruselig äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungsbefragung letzte Woche im Parlament (siehe Plenarprotokoll im Anhang): Stolz bekannte er sich dazu, auf dem "Flüchtlingsgipfel" zahlreiche Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts vorgeschlagen zu haben (vgl. hierzu: https://www.abschiebungsreporting.de/bund-laender-beschluss-zu-geplanten-verschaerfungen-bei-abschiebungen-und-abschiebehaft/), er nannte es "Vorhaben", die nun "Stück für Stück" abgearbeitet würden... :o( Den Vogel schoss er aber ab, als er darauf hinwies, "dass beide Länder" - Georgien und Moldau - "gerne auch von sich aus als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden würden". Na dann. Die "zügige" Zuleitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs drohte er schon mal an.
Zu guter Letzt möchte ich noch auf eine spannende Neuerscheinung hinweisen:
Katharina Schoenes berichtet in ihrem Buch "Asyl, Sexualität und Wahrheit" anschaulich und fachkundig über gerichtliche Entscheidungen zum Asylgrund "sexuelle Orientierung" - ein wichtiger Beitrag zur rechtssoziologischen Analyse der Asylrechtsprechung!
Hier zu bestellen:
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6606-9/asyl-sexualitaet-und-wahrheit/?c=310000089
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