Donnerstag, 28. September 2023
Zunehmender Rassismus in der deutschen Asyldiskussion
che2001, 15:42h
Tag der Geflüchteten (29.09.): Flüchtlingsrat beklagt zunehmenden Rassismus in der Asyldiskussion
Anlässlich des Tags der Geflüchteten am 29. September beklagt der Flüchtlingsrat Niedersachsen zunehmenden Rassismus in der innenpolitischen Diskussion um Asyl und fordert die Umkehr zu einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik. Die Hetze gegen Geflüchtete nimmt unsägliche Formen an. Wenn der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, Geflüchtete als Sozialschmarotzer beschreibt, die „sich beim Arzt die Zähne neu machen lassen“ während „die deutschen Bürger keine Termine kriegen“, befeuert CDU-Chef Merz Neiddebatten, wie wir sie bislang vor allem aus rechtspopulistischen Kampagnen kannten. Die Argumentation ist so zynisch wie falsch, denn faktisch werden Asylsuchende durch das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert und ausgegrenzt.
Die Wortwahl des CDU-Vorsitzenden ist kein „Ausrutscher“: Schon im vergangenen September hat Friedrich Merz im Zusammenhang mit Geflüchteten aus der Ukraine von „Sozialtourismus“ gesprochen – das Wort wurde 2022 auf Platz zwei als „Unwort des Jahres 2022“ gewählt. 2013 lag es auf Platz eins. Die Jury der Negativauszeichnung sah in dem Wortgebrauch „eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen“. Außerdem verschleiere das Wort ihr Recht darauf.
In die gleiche Kerbe schlägt die FDP, wenn sie „Anreize zur irregulären Migration nach Deutschland“ durch „Sachleistungen“ reduzieren und damit die Abschreckungskonzepte der 80er und 90er Jahre wieder aus der Mottenkiste holen will. Flüchtling sind nicht „irregulär“, sie nehmen ein Grundrecht in Anspruch. Kein Flüchtling flieht freiwillig. Kein Flüchtling wird sich von einer Flucht von der Aussicht abhalten lassen, in Deutschland nur eingeschränkte Sachleistungen zu erhalten. Aber die schäbige Behandlung von Geflüchteten durch Lagerisolierung, Arbeitsverbote und eingeschränkte Sachleistungen bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Lebensperspektiven und für die Wahrnehmung von Geflüchteten in Deutschland. Im Übrigen hat sie auch Folgen für die sog. „Fachkräfte“, die sich angesichts solcher Töne in unserem Land immer weniger „willkommen“ fühlen.
„Rassistischen Diskurse über geflüchtete Menschen reichen inzwischen bis in die Mitte der Gesellschaft“, kritisiert Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Anstatt über Erfolge geflüchteter Menschen und darüber zu sprechen, welche Chancen die Fluchtzuwanderung auch für die deutsche Gesellschaft bietet, schüren Politiker:innen Hass. Es erscheint notwendig, die Politik daran zu erinnern, dass solche Kampagnen Konsequenzen haben. Erinnert sei an Rostock, Solingen und Lichtenhagen, an Hanau und Halle, an die Verbrechen des NSU und die offenbar bis heute nicht geleistete Aufarbeitung dieser Verbrechen“.
Tatsache ist: Bis Anfang des Jahres 2023 gab es in der öffentlichen Wahrnehmung angesichts der Schutzsuche von Ukrainer:innen keine „Flüchtlingskrise“, sondern nur Herausforderungen, wie das ZDF noch am 15.01.2023 feststellte:
„Eine Ursache für den Unterschied liege im öffentlichen Management und dem politischen Willen dahinter“, so Migrationsforscher Özvatan. „Viele der Behörden und Ämter, die 2015 vielfach überfordert waren, waren es 2022 nicht.“
Es fehlt mit anderen Worten an der politischen Bereitschaft, die Konzepte, die sich im Rahmen der Flüchtlingsaufnahme aus der Ukraine als erfolgreich erwiesen haben, auch auf Asylsuchende anzuwenden: Während man den ukrainischen Geflüchteten vernünftiger Weise die Türen weit aufmacht und ihre Teilhabe fördert, dominieren in der Asylpolitik weiterhin die Konzepte, die auf Ausgrenzung setzen (Lagerzwang, Leistungseinschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, behördliche Arbeitsverbote und Wohnsitzauflagen). So ist zu erklären, warum im öffentlichen Drama die Aufnahme von einer Million ukrainischen Geflüchteten Anfang des Jahres als Erfolg gefeiert werden konnte, während die Aufnahme von 200.000 Asylsuchenden acht Monate später die Bundesrepublik an den Rand eines gesellschaftlichen Notstands zu bringen scheint. Das Problem heißt: Rassismus.
Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, das Ruder herumzureißen und endlich die in der Koalitionsvereinbarung versprochene pragmatische, lösungsorientierte und menschenrechtsbasierte Asylpolitik umzusetzen.
Dazu gehört ein Festhalten an menschenrechtlichen Standards in der europäischen Asylpolitik: Eine Zustimmung zur Krisenverordnung würde die rechtswidrigen pushbacks der Vergangenheit an verschiedenen europäischen Grenzen (Polen, Kroation, Griechenland etc.) legalisieren.
Dazu gehört ein Verzicht auf Kürzungen in der Migrations- und Flüchtlingshilfe: Die Bundesregierung setzt mit ihre Ankündigung, die gerade erst eingeführte Asylverfahrensberatung um 50% zu kürzen, ein fatales Signal für die Zukunft. Auch in anderen Bereichen (Migrationsberatung, Förderung der Psychosozialen Zentren, Unterstützung von Freiwilligendiensten, Erstorientierungskurse, Bildungsberatung) verfolgt die Bundesregierung eine desaströse Kahlschlagspolitik, die dringend korrigiert werden muss.
Dazu gehört schließlich die Gestaltung der Aufnahme und der Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden in einer Form, die die Würde der Betroffenen achtet und eine möglichst frühzeitige Teilhabe von Geflüchteten zum Ziel hat.
https://www.nds-fluerat.org/57392/aktuelles/tag-der-gefluechteten-29-09-fluechtlingsrat-beklagt-zunehmenden-rassismus-in-der-asyldiskussion/
Anlässlich des Tags der Geflüchteten am 29. September beklagt der Flüchtlingsrat Niedersachsen zunehmenden Rassismus in der innenpolitischen Diskussion um Asyl und fordert die Umkehr zu einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik. Die Hetze gegen Geflüchtete nimmt unsägliche Formen an. Wenn der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, Geflüchtete als Sozialschmarotzer beschreibt, die „sich beim Arzt die Zähne neu machen lassen“ während „die deutschen Bürger keine Termine kriegen“, befeuert CDU-Chef Merz Neiddebatten, wie wir sie bislang vor allem aus rechtspopulistischen Kampagnen kannten. Die Argumentation ist so zynisch wie falsch, denn faktisch werden Asylsuchende durch das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminiert und ausgegrenzt.
Die Wortwahl des CDU-Vorsitzenden ist kein „Ausrutscher“: Schon im vergangenen September hat Friedrich Merz im Zusammenhang mit Geflüchteten aus der Ukraine von „Sozialtourismus“ gesprochen – das Wort wurde 2022 auf Platz zwei als „Unwort des Jahres 2022“ gewählt. 2013 lag es auf Platz eins. Die Jury der Negativauszeichnung sah in dem Wortgebrauch „eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen“. Außerdem verschleiere das Wort ihr Recht darauf.
In die gleiche Kerbe schlägt die FDP, wenn sie „Anreize zur irregulären Migration nach Deutschland“ durch „Sachleistungen“ reduzieren und damit die Abschreckungskonzepte der 80er und 90er Jahre wieder aus der Mottenkiste holen will. Flüchtling sind nicht „irregulär“, sie nehmen ein Grundrecht in Anspruch. Kein Flüchtling flieht freiwillig. Kein Flüchtling wird sich von einer Flucht von der Aussicht abhalten lassen, in Deutschland nur eingeschränkte Sachleistungen zu erhalten. Aber die schäbige Behandlung von Geflüchteten durch Lagerisolierung, Arbeitsverbote und eingeschränkte Sachleistungen bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Lebensperspektiven und für die Wahrnehmung von Geflüchteten in Deutschland. Im Übrigen hat sie auch Folgen für die sog. „Fachkräfte“, die sich angesichts solcher Töne in unserem Land immer weniger „willkommen“ fühlen.
„Rassistischen Diskurse über geflüchtete Menschen reichen inzwischen bis in die Mitte der Gesellschaft“, kritisiert Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Anstatt über Erfolge geflüchteter Menschen und darüber zu sprechen, welche Chancen die Fluchtzuwanderung auch für die deutsche Gesellschaft bietet, schüren Politiker:innen Hass. Es erscheint notwendig, die Politik daran zu erinnern, dass solche Kampagnen Konsequenzen haben. Erinnert sei an Rostock, Solingen und Lichtenhagen, an Hanau und Halle, an die Verbrechen des NSU und die offenbar bis heute nicht geleistete Aufarbeitung dieser Verbrechen“.
Tatsache ist: Bis Anfang des Jahres 2023 gab es in der öffentlichen Wahrnehmung angesichts der Schutzsuche von Ukrainer:innen keine „Flüchtlingskrise“, sondern nur Herausforderungen, wie das ZDF noch am 15.01.2023 feststellte:
„Eine Ursache für den Unterschied liege im öffentlichen Management und dem politischen Willen dahinter“, so Migrationsforscher Özvatan. „Viele der Behörden und Ämter, die 2015 vielfach überfordert waren, waren es 2022 nicht.“
Es fehlt mit anderen Worten an der politischen Bereitschaft, die Konzepte, die sich im Rahmen der Flüchtlingsaufnahme aus der Ukraine als erfolgreich erwiesen haben, auch auf Asylsuchende anzuwenden: Während man den ukrainischen Geflüchteten vernünftiger Weise die Türen weit aufmacht und ihre Teilhabe fördert, dominieren in der Asylpolitik weiterhin die Konzepte, die auf Ausgrenzung setzen (Lagerzwang, Leistungseinschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, behördliche Arbeitsverbote und Wohnsitzauflagen). So ist zu erklären, warum im öffentlichen Drama die Aufnahme von einer Million ukrainischen Geflüchteten Anfang des Jahres als Erfolg gefeiert werden konnte, während die Aufnahme von 200.000 Asylsuchenden acht Monate später die Bundesrepublik an den Rand eines gesellschaftlichen Notstands zu bringen scheint. Das Problem heißt: Rassismus.
Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, das Ruder herumzureißen und endlich die in der Koalitionsvereinbarung versprochene pragmatische, lösungsorientierte und menschenrechtsbasierte Asylpolitik umzusetzen.
Dazu gehört ein Festhalten an menschenrechtlichen Standards in der europäischen Asylpolitik: Eine Zustimmung zur Krisenverordnung würde die rechtswidrigen pushbacks der Vergangenheit an verschiedenen europäischen Grenzen (Polen, Kroation, Griechenland etc.) legalisieren.
Dazu gehört ein Verzicht auf Kürzungen in der Migrations- und Flüchtlingshilfe: Die Bundesregierung setzt mit ihre Ankündigung, die gerade erst eingeführte Asylverfahrensberatung um 50% zu kürzen, ein fatales Signal für die Zukunft. Auch in anderen Bereichen (Migrationsberatung, Förderung der Psychosozialen Zentren, Unterstützung von Freiwilligendiensten, Erstorientierungskurse, Bildungsberatung) verfolgt die Bundesregierung eine desaströse Kahlschlagspolitik, die dringend korrigiert werden muss.
Dazu gehört schließlich die Gestaltung der Aufnahme und der Arbeitsmarktintegration von Asylsuchenden in einer Form, die die Würde der Betroffenen achtet und eine möglichst frühzeitige Teilhabe von Geflüchteten zum Ziel hat.
https://www.nds-fluerat.org/57392/aktuelles/tag-der-gefluechteten-29-09-fluechtlingsrat-beklagt-zunehmenden-rassismus-in-der-asyldiskussion/
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