Donnerstag, 4. Dezember 2025
RKI: Beginn der Grippewelle; Drosten spricht vor Enquete-Kommission; weiterer HIV-Patient in Remission
Michael van den Heuvel, Medscape

04. Dezember 2025


Die Aktivität akuter Atemwegserkrankungen ist auf Bevölkerungsebene und im ambulanten Bereich gestiegen und liegt auf einem moderaten bzw. hohen, aber nicht unüblichen Niveau“, heißt es im ARE-Wochenbericht des RKI. Die Zahl schwer verlaufender Atemwegserkrankungen sei weiter niedrig. Das ARE-Geschehen werde seit mehreren Monaten hauptsächlich durch die Zirkulation von Rhinoviren und SARS-CoV-2 bestimmt. „Die Influenza-Positivenrate ist in den letzten zwei Wochen deutlich angestiegen, der Beginn der Grippewelle deutet sich an“, so das RKI.


COVID-19: Drosten spricht vor Enquete-Kommission
Die Enquete-Kommission des Bundestags hat ihre Arbeit zur Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie aufgenommen und gleich zu Beginn Christian Drosten angehört. Während Corona wurde Drosten zu einem der bekanntesten Wissenschaftler in Deutschland. Seit dem Jahr 2017 ist er Professor und Direktor des Instituts für Virologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Drosten betonte, ein längeres Abwarten im Frühjahr 2020 wäre ein gravierender Fehler gewesen. Ohne frühe Gegenmaßnahmen hätte Deutschland nach seinen Berechnungen in der 1. Welle nicht rund 9.300, sondern möglicherweise bis zu 70.000 Todesfälle verzeichnen müssen. Rückblickend sei klar geworden, dass die damals erhoffte natürliche Immunität nach einer 1. Infektion kaum Schutz geboten habe – ein Aspekt, der ihn selbst überrascht habe.

Die rasche Verfügbarkeit von Tests habe entscheidend dazu beigetragen, Infektionsketten zu verlangsamen und Zeit für politische Entscheidungen zu gewinnen, so Drosten. Er machte aber auch klar, dass die Wissenschaft in der Pandemie beraten habe, Entscheidungen jedoch immer politisch getroffen worden seien. Einige Maßnahmen sehe er rückblickend kritisch. Doch die Grundlogik, schnell zu handeln, sei auch nach heutigem Blickwinkel richtig gewesen.


Für die Enquete-Kommission, die Empfehlungen für eine bessere Krisenvorbereitung erarbeiten soll, sind seine Einschätzungen ein wichtiger Ausgangspunkt. Die Anhörung zeigt, wie komplex die Abwägungen zwischen wissenschaftlicher Evidenz, politischer Verantwortung und gesellschaftlicher Zumutbarkeit waren.

HIV: Weiterer Patient in Remission – Hinweis auf neuen Mechanismus
Eine Heilung von HIV ist nach wie vor selten: Bislang gibt es nur 6 dokumentierte Fälle. Diese traten nur bei Personen auf, die wegen einer hämatologischen Krebserkrankung eine allogene Stammzelltransplantation (allo-SCT) erhalten haben. Lange Zeit galt die seltene homozygote CCR5-Δ32-Mutation der Spenderzellen als entscheidender Faktor für eine HIV-Remission, weil sie dem Virus den wichtigsten „Einstiegspunkt“ in Immunzellen versperrt. In Nature berichten Forscher jetzt, dass dies auch CCR5-unabhängig gelingt.


Sie beschreiben einen Mann mit heterozygotem CCR5-Wildtyp/Δ32-Genotyp, der aufgrund einer akuten myeloischen Leukämie eine allo-SCT von einem ebenfalls heterozygoten Spender erhielt. 3 Jahre später setzte er seine antiretrovirale Therapie ab – und befindet sich seit nunmehr 6 Jahren in stabiler HIV-Remission mit nicht nachweisbarer Virus-RNA.


Vor der Transplantation waren noch intakte provirale HIV-Sequenzen vorhanden. Doch nach dem Eingriff ließ sich weder im Blut noch im Darmgewebe vermehrungsfähiges Virus nachweisen. Auch HIV-spezifische Antikörper und T-Zell-Antworten gingen deutlich zurück, was auf eine fehlende Virusaktivität hinweist. Eine erhöhte antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität zum Zeitpunkt der Transplantation könnte zur Eliminierung verbliebener Reservoirs beigetragen haben.

Das spricht dafür, dass nicht die Mutation selbst, sondern vor allem die starke Verringerung der HIV-Reservoire durch die Transplantation entscheidend ist. Wahrscheinlich hat auch das Immunsystem dabei geholfen, die letzten infizierten Zellen zu entfernen.


HIV: Infektionen werden europaweit oft zu spät erkannt
Noch immer erkennen Ärzte in Europa mehr als die Hälfte aller neuen HIV-Infektionen erst spät. Allein im Jahr 2024 lag der Anteil verzögerter Diagnosen bei 54 Prozent. Für die Betroffenen bedeutet das ein erhöhtes Risiko schwerer Krankheitsverläufe. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus weitergegeben wird. Nach aktuellen Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) gefährdet der Trend das internationale Ziel, AIDS bis zum Jahr 2030 zu eliminieren.

Europaweit haben Behörden im Jahr 2024 mehr als 105.000 HIV-Neudiagnosen gemeldet. Zwar liegen die Zahlen leicht unter denen des Vorjahres, doch von einer Verbesserung der Situation kann keine Rede sein. Besonders häufig werden Infektionen bei Menschen zu spät erkannt, die sich heterosexuell anstecken – vor allem bei Männern – sowie bei Personen, die Drogen injizieren.

Hinzu kommt ein wachsender Anteil von Betroffenen, die aus anderen Ländern in die EU gekommen sind. Auf sie entfällt inzwischen mehr als die Hälfte aller neuen Diagnosen. Das unterstreicht, wie dringend Europa kultursensible, leicht zugängliche und mehrsprachige Testangebote benötigt.

Das ECDC und die WHO fordern deshalb einen Kurswechsel. HIV-Tests sollen zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Gesundheitsversorgung werden, ergänzt durch niedrigschwellige Möglichkeiten wie Community-Testangebote oder Selbsttests.


Mpox: EU sichert sich 8 Millionen Impfstoffdosen
Die Europäische Kommission hat einen neuen Rahmenvertrag mit dem dänisch-deutschen Impfstoffhersteller Bavarian Nordic geschlossen. Der Vertrag sieht vor, dass in den kommenden 4 Jahren bis zu 8 Millionen Dosen des Impfstoffs MVA-BN gegen Mpox und Pocken bereitgestellt werden. Zugleich erhalten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, zusätzliche Dosen für den nationalen Bedarf zu bestellen – etwa, um eigene Notfalllager aufzustocken oder um sich für potenzielle Krisenszenarien abzusichern.

Mit diesem Schritt reagiert die EU auf die anhaltende Einschätzung, dass Mpox weiterhin ein relevantes Gesundheitsrisiko ist, auch angesichts neuer Varianten mit leichterer Übertragbarkeit. Der Impfstoff MVA-BN bietet Schutz vor erneuten Mpox-Ausbrüchen und kann auch verhindern, dass Pocken erneut auftreten.

Importierte Infektionskrankheiten: Was Reisende nach Deutschland gebracht haben
Ein aktueller Bericht des Robert Koch-Instituts zeigt: Mit dem Anstieg des internationalen Reiseverkehrs nach Ende der Pandemie kehren Infektionskrankheiten verstärkt nach Deutschland zurück. Die Fallzahlen nähern sich wieder dem Niveau des Jahres 2019 an. Besonders auffällig waren im Jahr 2024:


Mit 1.717 gemeldeten Fällen erreichte Dengue so hohe Zahlen wie nie zuvor. Die meisten Infektionen wurden aus Thailand und Indonesien mitgebracht. Weltweit kam es im Jahr 2024 zu mehreren großen Dengue-Ausbrüchen. Das spiegelt sich im deutschen Meldesystem wider.
Die 934 Malaria-Erkrankungen stammen in 95% der Fälle aus afrikanischen Ländern wie Kamerun oder Nigeria. Über 85% wurden durch Plasmodium falciparum ausgelöst, der gefährlichsten Malariaform. 4 Menschen starben im Jahr 2024 daran. Etliche Patienten hatten keine Chemoprophylaxe eingenommen.
Mit 2.230 Fällen verdoppelte sich die Zahl der Shigellose-Infektionen im Vergleich zu 2023. Häufige Infektionsländer waren Ägypten, Indien und Marokko. Ein Teil des Anstiegs hängt vermutlich mit besserer Diagnostik durch Multiplex-PCR zusammen.
Ärzte haben 1.001 Infektionen mit Hepatitis A diagnostiziert, davon 280 bei Personen mit Auslandsaufenthalt – besonders oft Indien, Pakistan oder dem Irak. Viele Erkrankte waren ungeimpft, obwohl die Impfung für Reisen in Risikogebiete empfohlen wird.
Klassische Tropenkrankheiten bleiben selten. Cholera (4 Fälle), Lepra (1 Fall) und Brucellose (54 Fälle, davon 28 importiert) wurden dem RKI gemeldet.
Impfungen: Wie Tätowierungen das Immunsystem beeinflussen
Tätowierungen gehören inzwischen zum Alltag vieler Menschen: Etwa jeder 3. junge Erwachsene in Deutschland trägt dauerhaft Tinte unter der Haut. Eine experimentelle Studie zeigt nun, dass Ablagerungen von Pigmenten in Lymphknoten das Immunsystem stärker beeinflussen als bislang angenommen – und sogar die Wirkung bestimmter Impfungen modulieren. Darüber berichten Forscher in PNAS.

Die Forscher haben in einem Mausmodell untersucht, wie verschiedene Tattoo-Farben nach dem Stechen durch das Lymphsystem transportiert werden. Innerhalb kurzer Zeit gelangen Tintenpartikel in nahegelegene Lymphknoten, wo sie vor allem von Makrophagen aufgenommen werden.

Das war bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, dass Makrophagen nach der Aufnahme der Farbpigmente häufiger absterben und dabei eine lang anhaltende Entzündungsreaktion auslösen. Auch 2 Monate nach dem Tätowieren fanden Wissenschaftler noch klare Anzeichen einer chronischen lokalen Immunaktivierung sowie erhöhte Spiegel proinflammatorischer Botenstoffe.

Die in Lymphknoten eingelagerten Pigmente beeinflussten die Immunantwort auf Impfungen – und zwar je nach Impfstoff-Typ in unterschiedliche Richtungen.


COVID-19-Impfstoffe (mRNA-basiert): Tiere mit pigmentbeladenen Lymphknoten hatten eine deutlich abgeschwächte Antikörperantwort. Die Forschenden führen dies darauf zurück, dass pigmentbeladene Makrophagen weniger Spike-Protein exprimierten, was die Ausbildung einer robusten Immunantwort beeinträchtigte.
Inaktivierter Influenza-Impfstoff: Hier zeigte sich das Gegenteil. Die Immunantwort fiel stärker aus. Das spricht dafür, dass bestimmte Formen der lokalen Entzündung die Wirksamkeit klassischer inaktivierter Impfstoffe sogar steigern können.
Die Studie unterstreicht, wie unterschiedlich Impfstoffklassen mit dem Immunsystem interagieren. Weitere Studien sind erforderlich, um zu klären, ob die Resultate auch für Menschen gelten.

Influenza: Welche Therapien im späteren Krankheitsverlauf wirken
Schwere virale Infektionen der Lunge verlaufen oft tödlich, weil das Gewebe so stark geschädigt wird, dass die Atmung nicht mehr funktioniert. Nur suchen viele Patienten erst Tage nach Symptombeginn medizinische Hilfe – ein Zeitpunkt, an dem Pharmakotherapien oft keine Wirkung mehr zeigen. Eine neue Studie an Mäusen zeigt jedoch, dass auch späte Therapien noch Leben retten, wenn sie gezielt kombiniert werden. Darüber berichten Wissenschaftler in Science.

Sie nutzten ein Influenza-Mausmodell. Von 50 getesteten Einzeltherapien half keine – abgesehen von einer sehr frühen Ausschaltung von Neutrophilen. Das spricht für ein „Kipppunkt-Modell“: Ist der Schaden an der Lunge zu groß, retten reine Entzündungsblocker die Organfunktion nicht mehr.

Auf dieser Erkenntnis aufbauend testete das Team 2 neue Behandlungsansätze, die erst 4 Tage nach der Infektion begannen – also zu einem Zeitpunkt, der für bisherige Therapien zu spät ist. Beide Strategien kombinierten das antivirale Medikament Oseltamivir mit gezielten immunmodulatorischen Eingriffen.

Bei der 1. Kombination blockierten Forscher den Typ-I-Interferon-Rezeptor, was die Reparatur der wichtigen AT1-Epithelzellen der Lunge förderte. In der 2. Kombination schalteten sie zytotoxische CD8-T-Zellen aus, um zusätzliche immunvermittelte Schädigungen des Lungengewebes zu verhindern. Beide Ansätze führten dazu, dass deutlich mehr Mäuse überlebten – wesentlich mehr als unter einer reinen antiviralen Therapie.

Die Studie liefert damit einen neuen Blick auf die späte Krankheitsphase schwerer Lungeninfektionen. Nicht allein die überschießende Entzündung entscheidet über den Verlauf, sondern das Zusammenspiel aus frühem Gewebeschaden, unzureichender Reparatur und einer überaktiven adaptiven Immunantwort.

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