Donnerstag, 15. Oktober 2020
COVID-19: Forscher klären, welche Genvarianten mit schwerem Verlauf assoziiert sind – Blutgruppen liefern Anhaltspunkte
Michael van den Heuvel, Medscape


Es ist eines der größten Mysterien bei SARS-CoV-2-Infektionen: Warum ist der klinische Verlauf bei verschiedenen Personen so unterschiedlich? Während der eine kaum Symptome entwickelt, haben andere einen schweren Verlauf, müssen beatmet werden, drohen vielleicht sogar daran zu sterben. Wissenschaftler der Universität Kiel und Kollegen sind mittels einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) der Klärung dieses Geheimnisses einen wichtigen Schritt nähergekommen.

Sie haben im Genom von Patienten aus Italien und Spanien mit schwerem COVID-19-Verlauf nach genetischen Komponenten gesucht, die den Verlauf beeinflussen, und die Ergebnisse nun im NEJM veröffentlicht [1]. Wie Prof. Dr. David Ellinghaus von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Kollegen berichten, bringen sie den 3p21.31-Gencluster mit COVID-19 und Atemversagen in Verbindung.

Eine Assoziation fanden sie auch mit den Genlocus 9q34.2, der mit dem AB0-Blutgruppensystem in Zusammenhang steht. Eine Blutgruppen-spezifische Analyse, die bereits vorab im Sommer öffentlich geworden war und für einige Diskussionen gesorgt hatte (Medscape berichtete), bestätigt, dass die Blutgruppe A mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf assoziiert ist (Odds Ratio 1,45; 95%-KI 1,2-1,75; P=1.48×10−4), während Blutgruppe 0 eher protektiv zu sein scheint (Odds Ratio 0,65; 95%-KI 0,53-0,79; P=1.06×10−5). Die HLA-Region zeigte kein Assoziationssignal.

In einem begleitenden Editorial schreibt Prof. Dr. Arthur Kaser von der University of Cambridge [1]: „Diese genomweite Assoziationsstudie wird richtungsweisend für die Forschung sein.“ Und weiter: „Der Artikel (…) über eine genomweite Assoziationsstudie zur schweren Coronavirus-Krankheit COVID-19 ist ein großer Schritt hin zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen der Erkrankung.“

Genomweite Assoziationsstudie mit 1.980 Patienten
Für ihre GWAS rekrutierten Ellinghaus und Kollegen in 7 Kliniken der italienischen und spanischen Corona-Epizentren insgesamt 1.980 Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf, definiert als Atemversagen. Dazu zählte die Gabe von zusätzlichem Sauerstoff, eine nicht-invasive oder invasive mechanische Beatmung oder die extrakorporale Membranoxygenierung.

Einige Proben mussten aufgrund von Mängeln bei der Aufarbeitung und Analyse ausgeschlossen werden. In die endgültige Auswertung wurden Daten von 835 Patienten und 1.255 Kontrollen aus Italien sowie 775 Patienten und 950 Kontrollen aus Spanien einbezogen.

Untersucht wurden mögliche Assoziationen des Schweregrads von COVID-19 mit 8.965.091 Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) in der italienischen und mit 9.140.716 SNP in der spanischen Kohorte.


Dabei fanden die Forscher Assoziationen zwischen einem schweren Verlauf und dem SNP rs11385942 am Locus 3p21.31 beziehungsweise dem SNP rs657152 am Locus 9q34.2 (Odds Ratio [OR] 1,77; 95%-Konfidenzintervall [CI] 1,48-2,11; P=1,15 × 10-10; OR 1,32; 95% CI 1,20-1,47; P=4,95×10-8). Am Locus 3p21.31 umfasste das Assoziationssignal die Gene SLC6A20, LZTFL1, CCR9, FYCO1, CXCR6 und XCR1. Und das Assoziationssignal am Locus 9q34.2 stimmte mit den ABO-Blutgruppen überein.

Genloci stehen mit immunologischen Vorgängen in Verbindung
Kaser befasst sich in seinem Editorial detailliert mit der Relevanz aller Ergebnisse für die Forschung und Versorgung von Patienten. Auch er unterstreicht die auffälligen Assoziationen mit den Blutgruppen: „Patienten mit der Blutgruppe A hatten ein erhöhtes Risiko für ein schweres COVID-19, und diejenigen mit der Blutgruppe 0 hatten ein verringertes Risiko.“

Das stärkste Signal sei jedoch die rs11385942-Insertion-Deletionsvariante GA oder G am Locus 3p21.31 gewesen, wie Kaser schreibt. „Die Häufigkeit dieses GA-Risiko-Allels war bei Patienten, die maschinell beatmet wurden, höher als bei Patienten, die nur zusätzlichen Sauerstoff erhielten: ein Befund, der darauf hinweist, dass dieses Risiko-Allel den schwersten Formen von COVID-19 eine Prädisposition verleiht.“ Für den AB0-Locus haben man solche Effekte speziell bei Patienten, die mechanisch beatmet wurden, nicht beobachtet.

Er ergänzt: „Unter den 6 Kandidatengenen bei 3p21.31 könnte LZTFL1 besonders relevant sein (…).“ LZTFL1 wird in großem Umfang exprimiert und kodiert für ein Protein, das am Proteintransport zu primären Zilien beteiligt ist, die als Antennen für extrazelluläre Signale fungieren. In T-Lymphozyten erfüllt LZTFL1 Aufgaben an immunologischen Schnittstellen zu Antigen-präsentierenden Zellen, etwa dendritischen Zellen.

Von den anderen 5 Kandidatengenen sind 4 (CCR9, CXCR6, XCR1 und FYCO1) an der Funktion von T-Zellen und dendritischen Zellen beteiligt, und das 5. (SLC6A20) ist ein Transporter mit intestinaler Expression, der durch das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2), den bekannten SARS-CoV-2-Rezeptor, reguliert wird.

Kaser: „Schweres COVID-19 ähnelt der sekundären hämophagozytischen Lymphohistiozytose, kurz HLH, einer lebensbedrohlichen Funktionsstörung des Immunsystems mit Hyperinflammation.“ Bekannte Auslöser seien autoimmune oder autoinflammatorische Störungen, bösartige Erkrankungen oder Infektionen, typischerweise mit Viren wie dem Epstein-Barr-Virus.


Pathomechanismen der sekundären HLH habe man nach wie vor kaum verstanden. Aber bei der primären, vererbbaren Form deute viel darauf hin, dass CD8+-T-Lymphozyten, natürliche Killerzellen und dendritische Zellen unter Beteiligung von Makrophagen eine Zytokinsturm auslösten.

Die deutlich niedrigere Mortalität bei Patienten mit COVID-19, die Dexamethason erhielten, liefere „starke Hinweise“, dass der Tod durch eine späte hyperinflammatorische Phase verursacht werden könne.

Doch was bringen die Erkenntnisse für potenzielle Therapien? „Da es unmöglich ist, Mechanismen anhand genomischer Daten vorherzusagen, ist die experimentelle Untersuchung der Biologie der Risikowege ein – wenn auch potenziell schwierigerer – Weg zu diesem Ziel“, schlussfolgert der Experte in Hinblick auf mögliche Therapien.

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Dienstag, 13. Oktober 2020
Das Laborjournal zum Fall Ionnanidis
https://www.laborjournal.de/editorials/2009.php

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Immunität aus dem Hintergrund: Die Süddeutsche zum aktuellen Stand der Corona-Entwicklung
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/corona-covid-immunsystem-1.4992101

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Fehleinschätzungen zu Covid 19?
Interessanter Beitrag in der taz:

https://taz.de/Streit-um-Corona-Politik/!5701892/

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Montag, 12. Oktober 2020
Ein bisschen Schutz? Der Kontakt mit Erkältungsviren könnte auch der Immunabwehr gegen SARS-CoV-2 auf die Sprünge helfen
Damian McNamara


SARS-CoV-2 teilt ein wichtiges Merkmal mit einigen Viren, die normale Erkältungen verursachen. Und die strukturelle Ähnlichkeit legt nahe, dass Menschen – je nach ihrer Erkältungsanamnese – möglicherweise eine gewisse Immunität gegen SARS-CoV-2-Infektionen haben. Darauf deuten neue Erkenntnisse hin.

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 steigert auch die Produktion von Gedächtnis-B-Zellen, lang überdauernden Bestandteilen des Immunschutzes. Obwohl Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Laufe der Zeit tendenziell abnehmen, bleiben diese Gedächtnis-B-Zellen erhalten und könnten bei einer erneuten Infektion eine schnelle Abwehr aufbauen, berichten Wissenschaftler, die eine Studie gemacht haben, die kürzlich online in mBio, der Zeitschrift der American Society for Microbiology, publiziert worden ist [1].

„Wir diskutieren in unserer Studie die Evidenz, dass Gedächtnis-B-Zellen, die durch eine Infektion des Menschen mit Erkältungs-Coronaviren erzeugt wurden, mit SARS-CoV-2 kreuzreaktiv sind und als Reaktion auf eine SARS-CoV-2-Infektion Antikörper produzieren“, berichtet Senior-Co-Autor Prof. Dr. Mark Sangster gegenüber Medscape.

„Der bedeutendste Aspekt ist dabei, dass diese Gedächtnis-B-Zellen die konservierte S2-Region des SARS-CoV-2-Spike-Proteins erkennen und Anti-S2-Antikörper produzieren“, sagte der Forscher am David H. Smith-Zentrum für Impfbiologie und Immunologie der Universität des Rochester Medical Center, Rochester, New York.

Wie viel Immunschutz diese Anti-S2-Antikörper aber tatsächlich gegen COVID-19 verleihen, ist unbekannt.

Nach Ähnlichkeiten suchen
Von den 4 mit Erkältungen verbundenen endemischen Virusstämmen handelt es sich bei 2 um Beta-Coronaviren. Da SARS-CoV-2 zur selben Familie von Viren gehört, suchten die Forscher zunächst nach gemeinsamen Schlüssel-Strukturproteinen. Frühere Studien ergaben jedoch keine Hinweise auf eine wesentliche Kreuzreaktivität.

In jüngster Zeit berichteten jedoch mehrere Forscher, dass sie bei Menschen ohne COVID-19 eine relevante B- und T-Zell-Immunität gefunden haben, die einen gewissen zukünftigen Schutz gegen SARS-CoV-2 bieten könnte.


Aufbauend auf diesen Erkenntnissen verglichen Sangster, Senior Co-Autor Dr. David J. Topham und ihre Kollegen 26 nicht hospitalisierte, genesende COVID-19-Patienten mit einer Gruppe von 20 Mitarbeitern des Gesundheitswesens ohne COVID-19-Diagnose im Strong Memorial Hospital in Rochester. Eine andere Kohorte von 21 gesunden Erwachsenen war vor der Pandemie untersucht worden.

Eine Verbindung zu den verbreiteten Erkältungsviren ergab sich dadurch, dass „Immunglobulin G oder IgG, das auf S2 reagiert, bei nicht exponierten Probanden weit verbreitet war und wahrscheinlich auf die Exposition gegenüber menschlichen Coronaviren zurückzuführen ist“, schreiben die Forscher.

Diese Entdeckung könnte helfen, das breite Spektrum der COVID-19-Schwere zu erklären, sagte Sangster. „Die klarste und wichtigste Botschaft aus unserer Arbeit ist, dass eine SARS-CoV-2-Infektion Gedächtnis-B-Zellpopulationen erzeugt und/oder erweitert, die SARS-CoV-2-Proteine erkennen.“

Die klarste und wichtigste Botschaft aus unserer Arbeit ist, dass eine SARS-CoV-2-Infektion Gedächtnis-B-Zellpopulationen erzeugt und/oder erweitert, die SARS-CoV-2-Proteine erkennen. Prof. Dr. Mark Sangster
Gedächtnis-B-Zellen vermitteln bekanntlich die sekundäre Antikörper-Antwort, die durch die schnelle Produktion großer Mengen hochaffiner antiviraler Antikörper gekennzeichnet ist, wie Sangster erläutert. „Es ist auch bekannt, dass Gedächtnis-B-Zell-Populationen über viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte erhalten bleiben.“

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschen, selbst wenn die SARS-CoV-2-reaktiven Antikörperspiegel nach der Infektion abnehmen, immer noch Gedächtnis-B-Zellpopulationen behalten, die bei einer erneuten Infektion schnell hochwirksame Anti-SARS-CoV-2-Antikörper produzieren“, sagte Sangster.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschen, selbst wenn die SARS-CoV-2-reaktiven Antikörperspiegel nach der Infektion abnehmen, immer noch Gedächtnis-B-Zellpopulationen behalten. Prof. Dr. Mark Sangster
Obwohl die Gedächtnis-B-Zellen eine erneute Infektion nicht verhindern, könnten sie „die Schwere einer zweiten Infektion erheblich verringern, vorausgesetzt, SARS-CoV-2 verändert sich nicht im Antigen-Profil wie das Influenzavirus“.

Interessant waren auch die Ergebnisse im Hinblick darauf, was die Forscher unter den Probanden ohne SARS-CoV-2-Infektion nicht fanden. Zum Beispiel hatte keine der nicht infizierten Personen Immunglobulin G, das für SARS-CoV-2 spezifisch war.


„Die laufenden Forschungen in unserem Labor zielen darauf ab, kreuzreaktive Gedächtnis-B-Zellen, die durch Erkältungs-Coronaviren erzeugt werden, genauer zu charakterisieren“, sagte Co-Autor Topham gegenüber Medscape.

Die Forscher wollen das Ausmaß des Schutzes bewerten, den die Gedächtnis-B-Zellen bieten könnten, einschließlich der Frage, ob die früheren Spiegel dem späteren Schweregrad von COVID-19 entsprechen, sagte Topham, der ebenfalls beim Smith Center für Impfstoffbiologie und Immunologie am Rochester Medical Center arbeitet.

„Wir planen auch, die Erzeugung von Gedächtnis-B-Zellen durch die COVID-19-Impfstoffe zu messen, die derzeit entwickelt und getestet werden“, sagte er. „Die Erzeugung neutralisierender Antikörper ist nicht der einzige Weg, über den Impfstoffe Schutz bieten können.“

Prospektive Studien erforderlich
Die Aussagen aus der aktuellen Studie sind aufgrund deren retrospektiven Designs limitiert. Dr. Andreas Thiel sagte gegenüber Medscape auf die Bitte, zu der Studie Stellung zu nehmen: „Um klare Antworten zu erhalten, sind umfangreiche prospektive Studien erforderlich. Wir haben dies auch in unserem Artikel diskutiert“, so Thiel. Er ist Hauptautor einer Studie in Nature vom 29. Juli 2020, in der SARS-CoV-2-reaktive T-Zellen zwischen Menschen mit COVID-19 und gesunden Spendern verglichen worden waren.

Um klare Antworten zu erhalten, sind umfangreiche prospektive Studien erforderlich. Dr. Andreas Thiel
„Wie es sich wirklich darstellt, werden wir erst in einiger Zeit sehen“, fügte Thiel hinzu, der an der Charité in Berlin und dem Berlin-Brandenburgischen Zentrum für Regenerative Therapien in Deutschland arbeitet. „Es könnte allerdings gut sein, dass es sogar länger dauert, solche Studien zu machen und solide Ergebnisse zu erzielen, wie einen sicheren und effizienten Impfstoff zu entwickeln.“

Der Artikel wurde von Sonja Böhm aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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