Samstag, 25. Oktober 2008
Gewesene Linke Heute: Die Antiimps
Zwar habe ich meine Serie "Elemente der Gegenaufkärung", in denen ich mich mit regressiven, die Unmündigkeit des Menschen befördernden Kräften, aus denen eine starke neue Rechte erwachsen könnte (könnte, nicht muss, die Wahrscheinlichkeit, dass diese der Bedeutungslosig- und Lächerlichkeit anheimfallen ist mindestens ebenso groß) beschäftige noch nicht abgeschlossen. So muss angesichts der Rolle von Pro Köln und Pro NRW, wo sich der Wohlstandsrassismus in einem christlich-populistischen Gewand zeigt, der ganze Komplex prowestlicher Neokonservatismus inklusive PI & Co. noch einmal angefasst werden. Auch der rechte Rand lohnt immer mal wieder einen aufmerksamen Blick, und so werde ich mich hier demnächst mit Black Block Nazis auseinandersetzen. Gleichzeitig beginne ich aber eine neue Serie, die sich mit der Vergangenheit der westdeutschen Linken auseinandersetzt. In konkret gab es ja die Artikelreihe Who´s left, in der so eine Art Bestandsaufnahme der deutschen Linken vorgenommen und geschaut wurde, was noch übriggeblieben ist und was unter die Räder kam. Ich nehme den entgegengesetzten Blickwinkel ein: Ich beschäftige mich mit Gruppen und bewegungen, die es definitiv nicht mehr gibt und mit den Gründen ihres Scheiterns. Dies geschieht nicht aus Nostalgie oder Nabelschau heraus, sondern unter dem Gesichtspunkt, dass die westdeutsche Linke ihre eigene Geschichte kaum noch erinnert, und um Fehler nicht zu wiederholen, die schon gemacht wurden die Irrtümer und Verstrickungen gescheiterter Bewegungen sichtbar zu machen. Den Titel Gewesene Linke habe ich mit Bedacht gewählt. Unter Stalin wurden Menschen, die von der Tscheka abgeholt und ermordet oder auch langjährig ins Gulag gesteckt wurden "Gewesene Menschen" genannt. Diese wurden aus dem Melderegister gelöscht und ihre Geburtsurkunden vernichtet. Aus dem Begriff Gewesene Menschen leitete George Orwell seinen Neusprech-Terminus "Unpersonen" ab.

Und genau das sollen sie nicht sein, die linken Bewegungen der Vergangenheit: Gewesene, über die niemand mehr spricht.

Demnächst wird hier also vom KB, von den Spontis, von der MG und einigen anderen Gruppen und Grüppchen die Rede sein, heute aber von einem besonders problematischen Teil des Spektrums: Den Antiimps.


Meine erste Begegnung mit Antiimps erfolgte im Winter 1984/85 im Zusammenhang mit dem seinerzeitigen RAF-Hungerstreik und einer Veranstaltungsreihe des damalige Anwalts von Christian Klar. Ich verkehrte schon in der autonomen Szene, zu deren inner circle ich erst später dazustoßen sollte und kannte die Besonderheiten und Eigenarten dieses Milieus recht gut, aber die Antiimps waren ganz anders. Beton in den Mundwinkeln, eiskalte Gesichtsausdrücke, die gefühlte Temperatur im Raum war sehr tief. Scharfschützenblicke, und ich machte den großen Fehler, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Noch finsterere Mienen. Wer als erster spricht hat schon verloren: Als Unbekannter Antiimps anzusprechen brachte einen automatisch in den Verdacht, ein V-Schutz- oder Bullenspitzel zu sein. Nein, falsch. Nicht Bullen. Wir Autonome bezeichneten Cops als Bullen, Politiker und Kapitalisten hingegen als Bonzen. Für die Antiimps waren das beides die "Pigs". Sie hatten überhaupt ihren ganz eigenen Jargon, in denen der Infinitiv wucherte: "Den Existenzkampf organisieren und rebellieren", "aus dem Körper eine Waffe machen"(im Hungerstreik), "einen klaren Trennstrich zwischen uns und dem Feind ziehen", "zur Front kommen" und ähnliche Merkwürdigkeiten direkter chinesischer Übersetzungen ins Deutsche. Das "zur Front kommen" war ganz wichtig, es beinhaltete das Lebensziel eines jeden Hard-Core-Antiimps: Irgendwann einmal so weit zu sein, dass man selber mit der Waffe gegen das "Schweinesystem" kämpfte. Bezugsrahmen des antiimperialistischen Selbstverständnisses bildeten Strategiepapiere wie der RAF-Text "Guerrilla, Widerstand und antiimperialistische Front", in denen die internationale Zusammenarbeit von Guerrillagruppen, legal lebenden Militanten und nichtmiltanten Linken gefordert wurde, um eine Widerstandsfront in den Metropolen aufzubauen, die den Imperialismus ernsthaft gefährden sollte. Argumente, das sei lächerlich und entspräche Don Quichottes Kampf gegen die Windmühlen wurde mit Antworten wie "Du bist voll counter" und dem Argument abgetan, der Zweite Weltkrieg sei in Wirklichkeit von den Partisanen gewonnen worden, nichts fürchte der Staat mehr als einen Guerrillakrieg. In guter Sponti-Tradition machte sich ein lieber Genosse von mir, der selber in das Lager des sogenannten "Neuen Antiimperialismus" gehörte (hatten mit den Antiimps nur den Namen gemeinsam) über das Parolen-Gedöns der Antiimps mit "Das Brett vorm Kopp zur Waffe machen" lustig. Die Gegenseite lachte bei sowas nicht mit.


Dabei war die Kernthese, von der die Antiimps ausgingen gar nicht einmal so dumm, nur die daraus gezogenen Konsequenzen waren verheerend. Sie gingen davon aus, dass heutzutage, wo sich das kapitalistische Weltsystem auf der Basis einer Ausbeutung der Rohstoffe und billigen Arbeit der drei Kontinente Südamerika, Afrika und Asien reproduziere eine Revolution in den Industriemetropolen nicht mehr möglich sei, weil das Metropolenproletariat kein Proletariat mehr sei, sondern eine Schicht von Ausbeutern der Drei Kontinente, des Trikont. Die Arbeiter bei uns lebten nicht nur kleinbürgerliche Lebensentwürfe mit kleinbürgerlichem Lebenssstandard, sie seien auch ein objektives Kleinbürgertum, das selber von Ausbeutung des Trikont profitiere. Daher sei eine Revolution nur vom Trikont her denkbar. In dieser Hinsicht kombinierten die Antiimps Che Guevaras Focus-Theorie, derzufolge die Aufnahme des Guerrilla-Kampfes in einer Region einen neuen Brennpunkt verschärfter sozialer Kämpfe schaffe mit der Domino-Theorie der CIA, derzufolge jeder sozialistische Umsturz in einem Land des Trikont weitere Umstürze in Nachbarländern nach sich ziehe, bis in einer Art Kettenreaktion die weltrevolutionäre Situation da sei. Die Schlussfolgerung der Antiimps war, dass alles, was man als Linke in der Metropole tun könne die Unterstützung von Kämpfen im Trikont und die Bekämpfung von Militärisch-industriellem Komplex und Repressionsapparat in der Metropole sei. Dies könne vom Engagement in der Friedensbewegung bis zur Unterstützung der RAF reichen. Wobei die RAF zumindest für die Hardcore-Antiimps immer das höchste der Gefühle darstellte.

Das Verhältnis zwischen Autonomen und Antiimps blieb immer problematisch. In der Antikriegsbewegung, bei der Volkszählung, wenn es gegen Repression und Knäste ging zogen wir am selben Strang, aber das war stets mit Mißtrauen und wechselseitigen Unvereinbarkeiten gepaart. 1991 knallte es dann richtig, als sich Antiimps mit Saddam Hussein solidarisierten, Antideutsche mit Israel und den westlichen Interventionsmächten und wir uns unter der Parole "Für soziale Revolution weltweit" gegen den Krieg, gegen Saddam und auf Seiten der kurdischen, schiitischen und kommunistischen Aufständischen im Irak positionierten. Einige Jahre lang hatten wir Zoff mit einem Teil der Antiimps, Zoff, der sich quer durch die Palästinagruppen zog und uns, die wir in der Kurdistan-Solidarität aktiv waren, teilweise in eine Situation brachte, wo man kurz davor war, sich untereinander zu hauen - und es waren kurdische und palästinensische Genossen, die dann abwiegelten und zu uns deutschen Linken sagten: "Dies ist nicht euer Konflikt." Ach ja, und das Gleiche hatten wir dann auch noch mit den iranischen Volks-Muddjaheddin. Als die RAF dann die Waffen niederlegte hatte die Antiimp-Szene ihr Identifikationsobjekt verloren. Noch einmal gab es Mitte der 90er Jahre eine starke Mobilisation im Zusammenhang mit den Aktionen gegen das PKK-Verbot, dann löste sich das Antiimp-Spektrum auf, und ihre Spuren verloren sich im Sand der Zeit. Von "ich bin. Ich war. Ich werde sein." sehen wir nicht viel, die Menschen sind viel eher unsichtbar in die Gesellschaft zurückgekehrt.

Zwei interessante Links bringen die ganze Ambivalenz und Dramatik, vor denen sich die Kämpfe der Antiimps abspielten ganz gut zum Ausdruck - und nicht zuletzt den neben der Befürwortung von Attentatskampagnen wundesten Punkt, die kompromisslose Israel-Feindschaft, die den Zionismus zum Faschismus erklärte, einer jener Bereiche, über die sich mit den Antiimps nie diskutieren ließ:


https://de.indymedia.org/2007/09/193943.shtml

https://www.ila-web.de/antisemitismus/linkeundantisem.htm

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Dienstag, 22. Mai 2007
Lebenswelten und Utopien
Meine erste Utopie hatte ich als Jugendlicher. In der Clique träumten wir von einem Leben als subsistenzwirtschaftende Ökobauern mit eigener Hanfproduktion und nannten uns United Flower Power Bauers, doch dies blieb nur jugendliche Schwärmerei. Meine nächste Utopie war eine Mischung aus Ökotopia
http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kotopia und der Vorstellung eines blockfreien Deutschland ohne Armee (oder mit einer, die strukturell nicht angriffsfähig ist, z.B. Afheldts autonomen Techno-Kommandos), immerhin relativ nahe dran an meinem eigenen damaligen politischen Engagement, das sich zwischen Ökopazifismus und Menschenrechtsaktivismus bewegte. Mit dem Hineinwachsen in die autonome Szene wurde dann für mich der Anarchosyndikalismus wichtig, mit dem Geschichtsstudium, das zeigte, was für eine blutrünstige Angelegenheit auch die Machnotschina in der Ukraine und der Sommer der Anarchie in Katalonien gewesen waren rückte dann eher die abstrakte Vorstellung bestimmter Freiheitsideale ohne Bindung an ein bestimmtes historisches Subjekt (Adorno würde da wohl vom Nichtidentischen sprechen) einerseits und die niemals kritikfreie Solidarität für konkrete aktuelle politische Bewegungen/Experimente (Sandinistas, Zapatistas, die Liga der Werktätigen Kurdistans, Frente Polisario, Anarchosyndikalisten in Argentinien, späte (legale) Tupamaros) in den Vordergrund. Geblieben ist bis heute eigentlich nur die feste Überzeugung, dass man vieles völlig anders und viel besser machen könnte und der Glaube an die Mündigkeit des Einzelmenschen
bei gleichzeitiger alltäglicher Entmündigung desselben durch Kulturindustrie und Politik. Eine Wirtschaftsdemokratie erschiene mir als plausibles politisches Ziel (paritätische Mitbestimmung in allen Branchen, auch im Mittelstand, Bestätigung der Vorstände einer AG durch Wahlen unter der Belegschaft), Volksabstimmungen wie in der Schweiz und gewisse rätedemokratische Elemente (Übernahme der Kompetenzen kleinerer Ministerien durch direkt gewählte Räte) und ein imperatives Mandat für Abgeordnete. All dies scheint angesichts der politischen Realitäten wie ein absurder Traum, aber ich bin immer noch der Auffassung, dass man sehr viel verlangen muss, um wenigstens etwas zu bekommen, und so wenig ich sonst mit meinem Namenspatron gemeinsam habe, "seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche!" erscheint mir mehr denn je als angesagte Devise. Dunnemals, als junger Studi und heißblütiger Kämpfer, war das eigene Leben ein materiell höchst bescheidenes. Der Student geht zur Mensa, bis er bricht, und so kochten wir denn oft selber, was wir damals aber aßen, nannte sich "Reis mit Scheiß" - Reis mit ein paar Küchenresten, heute würde ich glatt Küchenabfälle dazu sagen. In Urlaub gefahren wurde per Fahrgemeinschaft mit Auto und Zelt, manchmal, so in Avignon, auch einfach auf der Stadtmauer geschlafen, und damit galt ich (mit umgerechnet 300 Euro im Monat) bei Kommilitonen als "Vollstecker" - sie urlaubten per Interrail oder per Daumen. Dieser Lebensstandard sollte sich allmählich verbessern, doch blieb er auch 6 Jahre nach Ende des Studiums noch nach den gesellschaftlichen Durchschnittsmaßstäben prekär, ein normaler Arbeiter verglichen mit mir fast reich.

Nun, das ist heute grundsätzlich anders, Ernährungsgewohnheiten




wie Fortbewegungsmittel sind mittlerweile doch in einem höheren Segment angesiedelt,



man leistet sich aufwändige Hobbies





ich habe aber niemals meine Wurzeln und mein Herkommen vergessen, auch nicht meine Verbundenheit zu Malochern, Migranten und Armen, halte weiterhin Connections zur Szene, gehe weiterhin auf Demos und unterstütze Kampagnen. Insofern kann ich auch zu meiner autonomen Geschichte sagen: Je ne regrette rien!

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Montag, 23. Oktober 2006
Meine Provinz und ich
Nicht, dass mir die von Don ausgelobten Gabeln wichtig wären - aber hier kommt mein Beitrag zum Contest.


Ich gehöre nicht zu den Honoratioren, wohl aber zur Lokalprominenz der Provinzstadt. Wenn ich in Urlaub fahre, verabschiedet sich der Stadtdirektor von mir, ich habe im Theater zwei Ehrenplätze direkt hinter dem OB, in der Fußgängerzone grüßen mich Passanten mit Namen, da ich bekannt genug bin.

Ein Blick in den Rückspiegel. Die Enduro, die die ganzeNacht hinter unserer Villa Kunterbunt im Park gestanden hat, nimmt die Verfolgung auf. Nach einer Weile spricht der Fahrer in ein Funkgerät und biegt ab, während nun ein VW-Bus mit der Werbung eines Service-Unternehmens hinter mir herfährt. Meine Briefe kommen zwei Stunden später an als beim Rest der Hausgemeinschaft dafür, etwas Service darf man ja erwarten, geöffnet. Eine Mitbewohnerin bringt Müll zum Müllcontainer, zu dem und von dem zurück ihr eine gelber Postbus folgt. Seit Wochen geht das so. Wir verabreden uns telefonisch zur Übergabe einer Kiste mit Granaten und können dann amüsiert verfolgen, wie viele Einsatzkräfte der Überreichung eines Kastens Jever beiwohnen. Die ganze Farce endet, als ein grinsender Richter das Verfahren einstellt und ein grinsenderer Anwalt seine Robe in die speckige aktentasche knüllt und schulterklopfend sagt: "So viel zum Thema 129a)!"



Niemandem aus meiner jetzigen Umgebung könnte ich dies erklären. Diese kommunalen und Provinzhochschul-Bediensteten, mittelständischen Unternehmer, Juristen und IHK-Funktionäre, PRler und Designer, Journalisten und Berater, mit denen ich so zu tun habe, haben zu dieser Vergangenheit, von der ich mich nie distanziert habe, sondern der ich langsam entwachsen bin, keinen Bezug. Nicht, dass ich mit meiner Vita hinterm Berg hielte, manche Erlebnisse haben für meine jetzige Umgebung großen Unterhaltungswert, aber ich teile mit ihnen nur das Hier und jetzt, weder das Gestern noch das Morgen.


Die Nacht im Minenfeld im Sinai, der Anblick eine explodierenden Autos, wo ich gerade noch gestanden hatte,die Genossin, die sie nackt an den Armen aufhängten und der sie unsagbare Scheußlichkeiten androhten, bis ein Anruf von ganz oben sie rettete, das Grauen, als wir Fotos von Azads Heimatdorf sahen, auf das sie Schrappnellbomben so dicht geworfen hatten, dass eine jede im Wirkungskreis der anderen detoniert war, so etwas vergisst man ebensowenig, wie die vielen Situationen, wo man gemeinsam Solidarität und eine tiefe Mitmenschlichkeit erfuhr, das ist keine Vergangenheit, die man ablegt wie einen Mantel.


Der Zweite Bürgermeister eröffnet eine Ausstellung, ich halte eine Laudatio. Klickblitz, klickblitz, klickblitz, shakehands, wiedermal. Dieses biedere, etwas konservative, in religiösen, sexuellen und migrationspolitischen Fragen liberale Millieu ist gar nicht so schlecht, hätte ich immer hier gelebt, hätte bei mir möglicherweise keine Radikalisierung stattgefunden, eher ein Aussteigen Richtung Travellertum, Stairway to heaven am Strand von Lombok singend.

Szenenwechsel: Man gibt 60 000 Euro für eine Lautsprecheranlage und ein Übersetzerbüro aus, damit wir zwei den Vorständen, Aufsichtsräten, Gewerkschaftern und Frauenbeauftragten unsere Rechercheergebnisse zu den Tätigkeiten des Konzerns in diesem schönen Lande vortragen können, übersetzt in 3 Sprachen. Sie erwarten eine gehübschte Werksgeschichte mit einigen kritischen Anmerkungen, man hält sich Historiker schließlich als so eine Art Hofnarren.


Wir aber erzählen in Seelenruhe, wer wann welche spektakulären Unfälle verursacht hat, wie man mit den Generälen gekungelt hat, dass die Lautsprecherboxen auf der Plaza major einmal aufgehängt wurden, um die Schreie der Gefolterten im Keller des Justizpalasts mit Gedudel zu übertönen, wie man der Stadt Wasserrechte abkaufte, erzählen den Gewerkschaftern und Frauenbeauftragten, welche Rechte sie in Deutschland hätten, wir nennen schrecklich viele Namen und Daten. Mitten in unserem Vortrag geht ein Vorstandsvorsitzender wortlos, andere schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. So schnell werden die keinen Historikern mehr die Werkstore öffnen. Am Abend, bei Languste und Rotwein, lobt uns unser Gastgeber und sagt, wir hätten genau die richtigen Fragen thematisiert, da hätten einige Täter mit im Saal gesessen.

So gesehen, bin ich nicht spießig geworden, habe nur das Kampffeld gewechselt. Einige gezielte, stachelige Interventionen gehen noch immer. Ein Bruch in meinem Leben?

Nö, nur eine große Bandbreite.

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Samstag, 13. Mai 2006
Der Sozialismus der Deutschen Bank
Soviel Aufregung um mein letztes Posting, so viel Parolen, die ich als Klischees zu hörengewohnt bin. Neuer Mensch, Negation von Egoismus? Da zitiere ich mal einen Klassiker:

"Alle Revolutionen haben bisher nur eines bewiesen, nämlich, daß sich vieles ändern läßt, bloß nicht die Menschen."
(Karl Marx)

Wenn ich schrieb, dass ich es in bestimmten historischen (revolutionären) Situationen gut finde, wenn streikende Arbeiter (das können auch Angestellte oder sonstwie abhängig Beschäftigte sein) ihr Unternehmen besetzen, für enteignet erklären und die Produktion auf eigene Faust weitwerführen, so meinte ich damit, dass dies die einzige Form von Enteignung ist, die ich akzeptiere, im Gegensatz zu Enteignungen, die von einer Staatsmacht durchgeführt werden. Die autonome dezentrale proletarische Aktion stand hier für mich im Vordergrund. Das heißt nicht, dass es zwangsläufig so kommen muss oder ich das unbedingt so will. Was ich grundsätzlich für erstrebenswert halte, ist eine Gesellschaft, in der es ein garantiertes Mindesteinkommen ohne den Zwang zur Arbeit gibt, und eine Gesellschaft, in der der genossenschaftliche Sektor und die Arbeitnehmerbeteiligung sowohl an Unternehmensgewinnen als auch Unternehmensentscheidungen im Mittelpunkt stehen.


Btw., ich hatte da kürzlich auf einer Party ein sehr interessantes Gespräch mit einem Manager der Deutschen Bank, höheres Tier. Er wusste, wo ich stehe, und meinte, auch er sei für Sozialismus, gerade weil er als Finanzfachmann die Hintergründe kenne, wüsste er, dass es gar keine Alternative gäbe. Und dann entwarf er ein faszinierendes Szenario: Die Produktivität unserer Wirtschaft hängt mit ihrem hohen Grad an Rationalisierung zusammen, die immer schneller geht. Zwangsläufig kommt es dabei zu immer mehr steigender Arbeitslosigkeit; der Großteil der heutigen Arbeitslosen ist arbeitslos, weil sie in der Produktion, der Verwaltung und sehr bald dem Management (das mittlere Management ist eine Berufsgruppe, die demnächst fast komplett aussortiert werden dürfte) nicht mehr benötigt werden, es ist gesellschaftlich erwünscht, dass sie arbeitslos sind, weil nur dies Profitraten sichert. Also müsse man sie dafür bezahlen, dass sie nicht arbeiten. Arbeit als ausschließliche oder hauptsächliche Grundlage des Lebensunterhalts sei ein historisches Auslaufmodell. Statt dass man den HartzIV-Empfängern auch noch ihr angespartes Vermögen wegnehme, sollte man ihnen zusätzlich zum Arbeitslosengeld oder sogar stattdessen Aktienpakete und GmbH-Anteile geben, alle Kleinsparern zu Gesellschaftern machen. Mittelständischen GmbHs und KGs würde durch weite, vom Staat geförderte Streuung zusätzlicher Gesellschaftsanteile frisches Risikokapital verschafft, vom Weltkonzern bis zum Mittelständler könnte aus der Wirtschaft der Gewinn in die gesamte Gesellschaft zurückfließen, und Publikumsgesellschaften wie BASF, Deutsche Bank oder VW würden durch weiteste Aktienstreuung tatsächlich zu volkseigenen Betrieben, ohne ihre Dynamik zu verlieren.

Gut, mit meinen Vorstellungen eines revolutionären Sozialismus hat das nichts zu tun, aber es war ein sehr interessantes Gespräch. Ich hatte ja schon öfter festgestellt, dass es in den Kreisen helle Köpfe gibt; Herrhausens Vorschlag, der Dritten Welt die Schulden zu erlassen, war ein Beispiel dafür.

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che2001, Freitag, 12. Mai 2006, 19:08
Wie meistens, auch-einer, geht Dein Beitrag in eine erhellende Richtung - und ich denke da gerade an meine IT-Erfahrungen mit nichtnur einem sehr unhierarchischen, chaotischen und liebenswerten Unternehmen...

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