Dienstag, 21. Juli 2009
Dekadenz und Natur - ein nichtexistenter Widerspruch
Es ist schon merkwürdig - während lange Zeit sexuelle Exzesse und Ausschweifungen als Durchbrechen "tierischer Triebe" und somit als ganz unmittelbar mit der ungezähmten Natur verbunden dargestellt wurden, findet sich in jüngerer Vergangenheit eher das Gegenteil. Promiskuität, Exzess, normabweichendes Sexualverhalten gilt da tendenziell als Ausdruck von Dekadenz, mithin also einer naturfernen Lebensweise. Die Natur wird entweder biologistisch als angenommener somatischer Maßstab des "Gesunden" und "Normalen" vorausgesetzt (die medizinisch-psychiatrische Perspektive) oder romantisch als etwas "Reines" und "Unschuldiges" verklärt. Diese Perspektive, die in der deutschen Romantik begründet wurde, hat, um mit Marx zu sprechen, ihre eigenen metaphysischen Mucken. Zunächst einmal bedeutete die romantische Sichtweise und ihr Naturverständnis, wie es sich ab etwa 1795, vor allem aber zwischen 1815 und 1848 entwickelte, eine Befreiung der Subjektivität des Individuums und seiner Wahrnehmungsweise. Als nach den antinapoleonischen Befreiungskriegen die Rechnung der Lützower Jäger, Carbonari und Leuten wie Mieckicz und Slowacki nicht aufging und nicht etwa bürgerliche Freiheiten, sondern die Restaurationdes Ancien Régime und das Korsett der Karlsbader Beschlüsse den Europäern aufgezwungen wurden wurde der romantische Naturbegriff sehr bald mit regressivem Inhalt gefüllt. Die mythisch überhöhte Natur wurde zum Idyll, zum Rückzugsort vor den politischen Zumutungen der Außenwelt. Naturverehrung bekam eine reaktionäre Funktion, die bis in den Faschismus und darüber hinaus eine eigene Wirkungsmacht entwickeln sollte. "Dekadenz" und "Künstlichkeit" eines sinnenfrohen Lebens oder z.B. queerer oder sonstwie "abweichender" Sexualpraktiken sind hierbei als Gegensatz zur "Natur" gedacht. Bemerkenswert ist, dass die Romantik als große übergreifende Stilrichtung in Literatur, Musik, Theater und Malerei nach 1850 von anderen Stilen abgelöst wurde und die Vormoderne mit poetischem Realismus, Historischem Roman, Orientalismus, Impressionismus und Tondichtung neue Wege beschritt, der romantische Naturbegriff aber praktisch unverändert überdauerte und in historisch-gesellschaftlich gänzlich anders gelagerte Diskurse scheinbar beliebig eingebaut wurde.

Und diese hat herzlich wenig mit solchen Konstrukten zu tun. Anhand von Bergwäldern und Wiesen hier oben empfinde ich durchaus romantische Gefühle.













Und zugleich kann ich zusehen, wie sich die eigentlich autochthone Urbevölkerung hier oben wüstesten Orgien hingibt, die noch einem Catull oder Petronius die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten.











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