Sonntag, 28. Dezember 2014
Revisited - neue Gedanken zu alten Auseinandersetzungen
Mein, soweit ich weiß inzwischen leider verstorbener Freund Medvech hatte das Motto „The Next revolution will be blogged!“, und wenn wir twittern und simsen mit dazu nehmen, lässt sich das zum Beispiel auf den Arabischen Frühling wirklich anwenden. Mit freilich ganz anderer politischer Stoßrichtung meinten das ab 2004 auch ganz andere politische Kräfte, nämlich ein Sammelsurium (oder gar ein Summelsarium, so dispers gemischt waren die) von Liberalen, Antideutschen, Anarchos und Neuen Rechten, die ein Blogbündnis gründeten. Global ging es der Hauptrichtung in diesem Bündnis gegen links, für einen beinharten Wirtschaftsliberalismus und um einen als Islamkritik getarnten Wohlstandsrassismus. Im Jahr 2005 trafen sich die Hauptvertreter auf dem Münchner Nockherberg, und zur vorgerückter Stunde waren dann Henryk M.Broder und Stefan Herre von Political Incorrect (heute PI News, das Blog featurerte damals noch mit Stetson tragenden Cowboys auf der Startseite und brachte die eigene Verwurzelung im rechtsevangelikalen Milieu viel offener zum Ausdruck als das heute der Fall ist) Arm in Arm zu sehen und wiederum in Gesellschaft der Springer-Journalisten Miersch und Maxeiner. Der Schulterschluss etablierter konservativer Medienmacher mit teils rechtsradikalen, teils wirtschaftsliberalen und teils rechtslibertären Sektierern war damals offenkundig. Umgekehrt bildete sich ein Bündnis linker, liberaler und feministischer Blogs als Gegenströmung, und es begann die Zeit der großen politischen Kommentarschlachten. Die intelligenteren unter den wirtschaftsliberalen BloggerInnen, allen voran Statler&Waldorf, zwei Wirtschaftswissenschaftler, deren Niveau von ihrer eigenen Kommentarkurve nicht verstanden wurde gingen mehr und mehr auf Distanz zu den offen rechtspopulistischen Blogs, und aus polemischen Auseinandersetzungen wurden zeitweise ernsthafte und in durchaus freundlichem Klima ausgetragene politische Diskussionen zwischen unterschiedlichen Lagern. Bemerkenswert war allerdings, auf welche politischen Theoretiker sich einige dieser Blogliberalen bezogen und wie sie argumentierten. Dass es libertäre Linke gibt und links nicht automatisch das Gegenteil von liberal bedeutet war ebensowenig in die meisten Köpfe dort zu kriegen, wie das Verständnis von Liberalismus eines war, dass eigentlich nur im Umfeld britischer Konservativer Sinn macht und weder mit der deutschen noch der US-amerikanischen Auffassung von Liberalismus kompatibel war. Bemerkenswert ist auch, wen die da als wesentliche Theoretiker behandelten – nämlich nicht etwa die wichtigsten Klassiker liberaler politischer Theorie wie etwa Mill, Dahrendorf oder Popper, sondern die etwas randständigeren Hayek und von Mises und Fréderic Bastiat, einen längst vergessenen Markttheoretiker des 19. Jahrhunderts. Das ist etwa so, als würde auf der Linken heutzutage Pierre Joseph Proudhon oder ein Wilhelm Weitling als relevant behandelt werden. Verschiedene Bekannte, denen ich Links zu Blogs wie Antibürokratieteam und Bissige Liberale ohne Gnade gesandt hatte waren damals schwer zu überzeugen gewesen dass das keine Satire sei und die Betreffenden sich selbst ernstnehmen würden. Dementsprechend stellte sich mir immer die Frage, wie relevant das Ganze ist und ob sich reale politische Kräfte dahinter verbergen würden. Hierzu hatte seinerzeit Momorulez gemeint, meine Kontakte seien zu traditionell links orientiert um das wahrzunehmen, aber es gäbe durchaus, und zwar nicht zu knapp Leute, die zwar nicht genauso ticken würden wie die wirtschaftsliberale Bloggosphäre, aber die doch mit denen einen gemeinsamen Nenner hätten, und dieses Gedankengut sei erschreckend gesellschaftsfähig.


Nun, betrachten wir die Bloggosphäre als eine Art Avantgarde für etwas, das erst später gesellschaftsmächtige Formen annimmt, so scheint die Saat jetzt aufzugehen, in Form von AfD, Pegida, HoGeSa und der schon etwas älteren rechtspopulistischen Pro-Bewegung.


Es ist jetzt nicht ganz drei Jahre her, als es zum Bruch mit dem für mich für viele Jahre wichtigsten Blogdiskussionspartner, nämlich Momorulez kam.

https://metalust.wordpress.com/

Ich hatte an diesem Bruch ziemlich lange geknappst – für mich war der, obwohl ich ihn nur ein Mal im realen Leben getroffen hatte und dieses Treffen eindeutig seltsame Züge hatte jemand, den ich als Freund betrachtet hatte, und zwar als realen, nicht in dem Sinne, wie etwa Facebook „Freunde“ schafft.

Schließlich, da die alte Nähe ja eh nicht mehr herzustellen war habe ich mich längere Zeit mit dem Thema nicht mehr beschäftigt, um dann im zeitlichen Abstand von zwei Jahren die alten Diskussionen mir noch einmal reinzuziehen und auch wieder auf seinem Blog vorbeizuschauen. Und erst jetzt meine ich die Mechanismen die da wirkten begriffen zu haben.

Die Gründe, weswegen er mit mir brach hingen zum Einen mit Auseinandersetzungen mit anderen Blogmenschen zusammen, bei denen ich nicht bereit war, seinen Standpunkt komplett zu teilen und ihm bedingungslos beizuspringen, was er erwartet und verlangt hatte. Bei seinen Konflikten mit Don Alphonso und Cassandra hatte ich jeweils meinen eigenen Standpunkt und versuchte, den Konfliktparteien gegenseitig den Standpunkt der je anderen Seite zu vermitteln, was zumindest bei den zwei Cassandra-Momo-Konflikten dazu führte, dass meine Vermittlungsversuche nicht etwa zu einem Verständnis der jeweils anderen Seite führten, sondern mir Aversionen von beiden Seiten einbrachten. Und zum Anderen war unsere gesamte über Jahre stattfindende Kommunikation auf eine spezifische Weise gestört. Das hatte etwas mit Othering zu tun, dem er sich von meiner Seite ausgesetzt sah. Das Abstruse hierbei war, dass ich gerade wegen Otheringserfahrungen lange Zeit ein intensives Verbundenheitsgefühl für ihn hatte, weil wir da einen teils ähnlichen Erfahrungshintergrund hatten: Er fühlte sich primär geothert, weil er wegen seines Schwulseins angefeindet, nicht ernstgenommen, diskriminiert worden war, bei mir waren es Erfahrungen wie zeitweise tägliche Prügel auf dem Schulhof, die dem Kleinen, Schwachen, Wehrlosen galten, der zugleich ein Besserwisser, Schreihals und Hochbegabter war, später, eigentlich bis heute, das ständige Gemeckere und Angemache wegen aus meiner Sicht belanglosen Äußerlichkeiten wie unaufgeräumter Wohnung, unpassender Kleidung, der Tatsache, dass ich meine Bergausrüstung ganzjährig im Kofferraum meines Autos lagere statt sie auf dem Boden aufzubewahren etc. Das mag sich sehr banal anhören, auf einer zentralen Ebene der Wirklichkeitserfahrung ist es das nicht, wenn man nämlich überhaupt nicht nachvollziehen kann, was andere Menschen an solchen Dingen nervt und man selber keinerlei Gefühl dafür hat,wieso etwa helle Hosen im Oktober unpassend wirken oder weiße Socken ummodisch sind und es einem ein Rätsel ist, woher andere Menschen so etwas wissen. Ich bin nun beileibe kein Nerd und im beruflichen Alltag sogar sehr chic, aber tief in mir drin steckt eine Person, die möglicherweise ein ADS oder eine andere neuromotorische Anomalie hat, und ich weiß, dass es Menschen gibt, die so jemanden am liebsten liquidieren, zumindest aber zwangstherapieren würden. Genau so etwas schien MR aber auch irgendwann von mir ihm gegenüber anzunehmen, obwohl nichts mir ferner läge. Wenn ich an ihm Kritik übte ging es mir da zumeist um Sachthemen, wobei zwei diametral unterschiedliche Menschen aufeinanderstießen: Der Historiker, für den Fakten einen Wert an sich darstellen und für den nur wirklich ist, was mit Quellen belegbar ist, so exakt wie gerichtsfeste Beweise, und der Assoziationskünstler, der permanent völlig ungenau ist.

Und dann stellte ich stets neben seine subjektiven Wahrnehmungen die ebenso subjektiven Meinigen, was von mir als ein Ergänzen zu einer Multi-Fluchtpunkte-Perspektive, nicht als ein Angriff auf seine Sichtweise gemeint war, von ihm aber als Wegbeißen oder gar als Umerziehungsversuche wahrgenommen wurde. So diskutierten wir wohl jahrelang aneinander vorbei, wobei ich die Diskussionen bis sie jeweils entgleisten als gemütliche Sofaplaudereien wahrnahm und er wohl als existenzielle Kämpfe um die Dominanz. Eines der extremsten Beispiele hatte sich schon sehr früh gezeigt: Da hatte er gepostet dass er Willy Brandt bewundere und ich dazu kommentiert dass ich Brandt eher als zweischneidiges Schwert wahrnähme, als den, der mit Mehr Demokratie wagen und Neuer Ostpolitik richtige Schritte eingeleitet hätte und zum Anderen der Berufsverbote-Willy und in der Sozialistischen Internationale der Internationale-Solidaritätsverhinderer, der Blockierer der Unterstützung für Nelkenrevolution und Sandinistas. Monate nach diesem kurzen Gedankenaustausch beschwerte er sich gegenüber der Bloggerin Somlu darüber, wie übel ich ihm da mitgespielt hätte. Das wäre Vereinnahmung und Ausgrenzung zugleich gewesen. Denn es wäre ja nicht um Willy Brandt gegangen, sondern ich hätte eine Hierarchie zwischen uns aufgebaut, da ja die radikalen Linken sich immer als purer und reiner als gemäßigte Linke wie er einer sei sehen würden und ich zudem durch eine linke Szene, also eine Kaderschmiede sozialisiert worden sei und er nicht. Daher sei es auch legitime Gegenwehr des Erniedrigten, wenn er mit Aggro reagiere.

Ich hatte einfach nur gesagt was ich von Willy Brandt hielt. Wie man in eine reine Faktenaussage oder Meinungsbekundung solche Beziehungsebenen hineinzuverlegen vermag ist mir nicht nachvollziehbar. Sein früherer Hauptvorwurf, ich höre ihm nicht zu bewegt sich auf der gleichen Ebene. Ich hatte ihm sehr gut zugehört, aber eben nicht immer zugestimmt, (wobei er anderen Leuten nur sehr bedingt zuhört und permanent subjektive Assoziationen, die mit dem Gesagten unmittelbar nichts zu tun haben als das eigentlich Gesagte interpretiert) und selbst Verständnisbekundungen meinerseits wurden regelmäßig in das glatte Gegenteil umgedreht. Zum Beispiel sagte ich früher zu seinen Schilderungen von Wahrnehmungen seiner Diskriminierung als Schwuler regelmäßig, ich könne da nur als Hetero drauf antworten, der diese spezifische Diskriminierungserfahrung nicht von innen her kennt. Das war im besten Foucault´schen Sinne als Bestimmung der Sprecherperspektive gemeint gewesen, so etwa „Du bist da qualifizierter als ich, ich kann dazu nicht so viel sagen, also ist das hier mein beschränkter Standpunkt“ und hatte ihm das auch so erklärt, aber regelmäßig war die Antwort gekommen, dass ich mich aus der angeblichen Angst, für schwul gehalten werden zu können von ihm distanziere und nicht solidarisch sei. Was er selbst bezogen auf Schwarze oder Lesben ständig macht, nämlich deren Perspektive in eigener Sache vorrangig zu behandeln und sich selbst da zurückzunehmen machte ich bei ihm auch, aber es wurde komplett umgebogen zu der Aussage „Ich bin doch nicht schwul“, nicht nur bei mir, auch beim Nörgler oder dem doch eigentlich sehr behutsamen und zurückhaltenden Mark oder Netbitch, die als Feministin mit BDSM-Praktiken zwischen allen Stühlen sitzt und von ihm als „Normalisiererin“ (im Sinne von ihn zum Hetero umerziehen Wollende) eingestuft wurde.

Das alles würde mit Jahren Abstand keine Rolle mehr spielen, wenn nicht aus diesen persönlichen, intersubjektiven Missverständnissen (ich meine das wortwörtlich: Es wurden Dinge anders verstanden, als sie gemeint waren) ein falsches Allgemeines abgeleitet würde – Da wurden nicht nur mir Haltungen unterstellt, die ich für falsch und bekämpfenswert halte, sondern einer ganzen Szene und im antirassistischen Kontext relevanten Zusammenhängen wie Flüchtlingsräten, Antiragruppen und Flüchtlingsselbstorganisationen antifeministische, latent-rassistische und paternalistische Grundpositionen unterstellt, die es dort nicht gibt.

Bezogen auf mich selbst läuft das bei bloggenden oder bloglesenden Menschen auf Rufschädigung hinaus, auf einer größeren politischen Ebene auf Spaltung. Ein von Meister MR erhobener Vorwurf in meine Richtung, der sehr schnell auf das „Stammkommentariat“ auf meinem Blog, dann auf die Antirazusammenhänge generell erhoben wurde, wenn sie sich nicht im Kontext Mädchenmannschaft-Brauner Mob- Surroundings bewegen, war es, hier fände Antirassismus ohne PoC statt und weiße heterosexuelle Männer würden sich nur selbst reproduzieren. Wie lächerlich!

Mir wurde unterstellt, ich könnte PoC nicht ertragen, wenn sie mir auf Augenhöhe begegneten, ich würde zwar Flüchtlingen helfen, aber nur, wenn sie hilfsbedürftige Opfer wären, als gleichwertige Menschen würde ich sie nicht akzeptieren. Wenn sie schutzlos auf mich angewiesen seien würde ich mich als hilfsbereiter Mensch erweisen, aber auch nur dann, um mich heroisch als Retter reproduzieren zu können, was wenig später auf alle möglichen antirassistischen Initiativen übertragen wurde. Abgesehen davon, dass mir hier ein geradezu dämonischer Charakter angedichtet wurde – ein narzisstischer, geradezu sadistischer Mensch, der sich daran aufgeilt, ausgelieferten Menschen zu helfen und sonst nichteuropäisch Aussehende nicht akzeptiert – frappierte mich der Zeitpunkt, zu dem er diesen Vorwurf erhob. Da standen wir nämlich noch in Kontakt zueinander. Das Allermindeste, was ich erwartet hätte wäre es gewesen, mich mal zu fragen, wie es denn da tatsächlich bei mir aussieht, statt das als Tatsachenbehauptungen ins Internet hinauszuposaunen.

Tatsache ist, dass ich mich seit nunmehr 32 Jahren in politischen Zusammenhängen bewege, in denen linke PoC eine maßgebliche Rolle spielen, zeitweise Identifikationsfiguren für mich waren und die eigenen antirassistischen Positionen im engen Kontakt mit denen entwickelt wurden. Von
Nilüfer Koc, Ambivalaner Sivanandan, Jean René Kwaka Mbangu, Semira Kücükaplan, Kenan Araz, Mbolo Yufanyi, Djalal Ali, Dana Mahmoud, Fouad Sayed Ali , Jasna Causevic habe ich sehr viel gelernt in der Hinsicht. Ich weiß nicht genau, wieso dieser Vorwurf zustande kam, kann mich allerdings daran erinnern, dass er in der Zeit, in der wir noch gut miteinander waren meinte, ich sollte mich am Konzept der Critical Whiteness orientieren und dabei die Erfahrungen, die die Sängerin, Polit-Aktivistin und PoC-Frau Noah Sow so gemacht habe wichtig nehmen. Darauf hatte ich seinerzeit sinngemäß erwidert, dass ich das CW-Konzept teilweise richtig finden würde, die Antira-Positionen im Umfeld der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus aber für aussagekräftiger und weiterführender halten würde. In einem späteren Gespräch mit Noah hatte diese gemeint, dass das überhaupt kein Gegensatz sei, da es in einem Fall um eine kritische Selbstpositionierung im Kontext alltäglicher Rassismus, im anderen hingegen um eine theoretische Herleitung von Herrschaftsmustern ginge. Kann ich so akzeptieren. Momo leitete daraus aber wohl eine Ablehnung der von ihm geradezu kultisch verehrten Noah Sow (deren gemeinsames Blog mit Sesperado bei mir aus wirklich guten Gründen verlinkt ist, es geht tatsächlich in keinster Weise gegen sie) und einen Kontakte zu PoC vermeidenden „weißen“ Antirassismus ab, den es bloß in meinem ganzen Umfeld nicht gibt.

Nächster Schritt: Das Ganze wurde zunächst mal auf mein komplettes Blog- und KommentatorInnenumfeld übertragen, wir alle würden „ausrasten“, wenn von uns verlangt würde, PoC auf Augenhöhe wahrzunehmen (ausgerastet ist bei diesen Diskussionen im Wesentlichen er, die Übrigen waren doch eher gelassen), eine Weile später erfolgte dann der Übertrag auf ein viel weiteres Spektrum. Da wurde dann verdiente Antira-Aktivisten wie Olaf Bernau oder Vassily Tsianos bezichtigt, mit ihrer Kritik an dem postpubertär-durchgeknallten Auftritt der Politsekte RS auf dem Norbordercamp am Niederrhein, dessen konkretes Anliegen, Abschiebungen zu verhindern durch eine aufgezwungene Selbstkritik-Performance sabotiert wurde eine Durchsetzung weiß-männlicher-heteronormativer Perspektiven gegen alle anderen zu betreiben. Wer weiß, mit was sich Tsianos als Theoretiker so beschäftigt wird diesen Vorwurf sehr lustig finden.


http://queereinsteigen.wordpress.com/terminplan/ws-201213/tsianos/

Entscheidend ist, dass sehr persönliche, individuelle Erfahrungen aus Blogdiskussionen auf ganz andere, weit gefasste politische Debatten übertragen wurden mit dem Resultat einer Gleichsetzung. So nach dem Prinzip, die Kritiken an ihm und seinen Ansichten, die in unseren Blogdebatten geäußert wurden seien auch die Kritiken von Tsianos et al an Reclaim Society. Eine höchst interpersönliche, mit vielen Missverständnissen zwischen Einzelpersonen geführte Debatte wurde zum allgemeinen Politikum erhoben. Wobei das, was er inzwischen so vertritt, wie eine Art Lackmustest für ein hochmoralisches queerfeministisches Critical-Whiteness-Bloggerspektrum wirkt, so als die maximale Zuspitzung und zugleich holzschnittartige Vereinfachung von dem, was da so geschrieben wird, gewissermaßen Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge.

Wirklich schreiend komisch fand ich es, als ich nach längerer Abwesenheit im letzten Sommer mal wieder auf seinem Blog las und er da äußerte, der Gaucho-Tanz eines Teils der deutschen Fußballnationalmannschaft sei Verächtlichmachung der indigenen UreinwohnerInnen Argentiniens gewesen. Ein Kommentator schrieb dann dazu, da sei er im Irrtum, denn die Gauchos seien keine Indigenen, sondern Nachkommen von aus Spanien eingewanderten Menschen. Binnen Kürzestem brachte er es fertig, die Auseinandersetzung dahin zu eskalieren, dass der Kommentator ihm eine weiße heteromännliche Perspektive aufzwingen und die eigene vernichten wolle. Das hat so viel Logik wie zu sagen, wer Momorulez wiederspricht handelt homophob da Momorulez schwul ist - auch wenn es thematisch um die Zusammensetzung der argentinischen Landbevölkerung geht. Hätte Loriot auch nicht besser hinbekommen.

Sowieso gehen mit diese ganzen Triggerwarnungen und diese Safer Space-Ideologie mächtig auf den Geist: Als ob da lauter Folteropfer säßen, oder Frauen, die vergewaltigt wurden und Selbsthilfeportale betreiben würden. In solchen Fällen würde ich die Berechtigung ihrer Anliegen rückhaltlos anerkennen. Ich habe allerdings eher den Eindruck, dass das in einer bestimmten Szene so eine Art radical chic ist. Dabei dann ebenso Mode wie diverse andere Äußerungsformen eigener hoher Moralität, die ich im Lauf meine Biografie in bestimmten Subkulturen entstehen und vergehen sah. Und dazu kommt eben mein völlig konträres Erfahrungsspektrum mit Geflüchteten bzw. meinem migrantischen Umfeld, wo die ganzen CW-PC-Verhaltensweisen lediglich als uncool angesehen werden und stattdessen ein abgründiger und sehr sarkastischer Humor gepflegt wird: Die deutschtürkische Kollegin, die eine Mitfahrgelegenheit anbietet und dazu sagt: „Pass auf, ich fahre nicht nur Auto wie ein Mädchen, sondern auch noch wie ein Türke“. Die Afrodeutsche, die ständig mit Sprüchen wie „Die Negerin will immer nur das Eine“ um sich schmeißt, der Inder, der jeden Vortrag mit „Ich möchte jetzt etwas Farbe in die Sache bringen“ einleitet usw. Noch heftiger war der Humor meiner kurdischen Freunde, die tanzten, als Bullen sie schikaniert hatten, um den Streifenwagen herum, klatschten rhytmisch in die Hände und skandierten "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!". Ich habe einige Zeit als einziger Deutscher in einem kurdischen Restaurant gearbeitet, und da bekam ich mit, wie ein Kollege auf dem Fußboden liegenden Döner zusammenkratzte und auf einen Teller tat. Ich fragte ihn, was er da tun würde, und er antwortete: "Der ist für einen Gast bei mir zu Hause. Er ist Kurde, und man sagt, die Kurden lassen alles mit sich machen, das will ich jetzt ausprobieren. Außerdem sagt man, die Kurden seien die Juden von heute, da muss man ja Menschenversuche machen!"(Tatsächlich war der Döner für seinen Hund).


Die antirassistischen Umfelder die ich so kenne gehen mit Alltagsrassismus mit beißendem Humor und nicht larmoyant-moralisierend um. Das fängt schon so an dass man in meinem Umfeld "Wir sind in Geflüchteten- und PoC-Zusammenhänge gut verdrahtet" eher nicht sagen würde sondern "Wir sind mit der Rasse befreundet", wo dann schon gleich mehrere ironische Brechungen mit drinstecken. Freilich kenne ich diese völlig spaßbefreite, ultraernste und stets extrem auf möglichst korrekte Sprachformen fixierte Sprech- und Umgangsweise aus meiner langen linken Szenebiografie zur Genüge. Nur halte ich das nicht etwa für notwendige Essentials emanzipativer Politik, sondern eher für so eine Art lästige Begleitumstände. Ob nun Schreibweisen mit Asteriten, das Proklamieren von Safe Places und Löschen unbequemer Blogkommentare (was für mich nichts Anderes ist als Zensur und mit meiner Vorstellung von freier Meinungsäußerung und dem Internet als freiem Medium unvereinbar ist) oder früher einmal Antideutschtum, Veganismus oder noch früher eine Hasssprache von links, in der Bonzen, Bullen und Yuppies „Pigs“ genannt wurden: Alles Formen von Kämpfen um die Lufthoheit über das Zwanghafte, geführt überwiegend von Bürgerkindern, die aus moralproduzierenden Haushalten (Lehrer- Pastoren-Psychologen-Juristenfamilien) stammen. Und herzlich irrelevant. Charakteristisch ist allerdings die Tatsache, dass Leute, die an diesem Sprachmoralismus Kritik üben, auch wenn sie politisch Verbündete sind bereits als "Hater" wahrgenommen werden. Vielleicht ist allerdings die sine ira et studio geführte Debatte um geprüfte Argumente etwas, zu dem Menschen mit Twitter-like-und -not- like-Hintergrund schon gar nicht mehr in der Lage sind.

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