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Mittwoch, 3. Februar 2016
Das Brett vorm Kopf zur Waffe machen! Weiterkämpfen um die Lufthoheit über das Zwanghafte.
che2001, 20:20h
Ob nun vor Bildern oder Beiträgen Triggerwarnungen gepostet werden oder dringendes Privilegienchecking getrieben wird, ob jemand weiß gelesen wird oder weiblich, all diese Debatten zeichnen sich dadurch aus, dass sie zu einem real wirkungsmächtigen politischen Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Ausbeutung oder eine falsche Politik überhaupt nichts austragen, aber aus der Distanz von jenseits des Szenehorizonts hinreichend skurril wirken, um zumindest Unterhaltungswert zu besitzen - so, wie ein Witz, der sich selbst erzählt. Ich bin nun zwar politisch immer noch aktiv, der persönlichen Einbindung in eine linke Szene aber längst entwachsen, auch wenn ich kein allzu bürgerliches Leben führe. Ich habe fast 20 Jahre im Binnenhorizont einer subkulturellen Szene gelebt, darunter einige Jahre in einer ausgesprochenen Insider-WG, und insofern weiß ich es immer noch sehr gut, wie es sich anfühlt, in einem derartigen Treibhaus zu leben und was für Binnendynamiken da abgehen. Was heute die Triggerwarnungen, CW-Diskurse, die politisch nichts austragen sondern eher den Charakter selbstreferentieller Bußübungen haben und seltsame postgenderfeministische Sprachspiele *'# sind, das war noch vor 10 Jahren der allenthalben jede Pore dieser Gesellschaft durchdringende strukturelle Antisemitismus, der aber selbst von speziell ausgebildeten Suchhunden nicht aufgespürt wurde, davor waren es Tierrechte und Veganismus, und zu meinen Hardcore-Zeiten wieder andere Dinge, hauptsächlich Heterosexismus und political correctness rund um Lebensstil und Berufswahl sowie Musik. Da wurde das Spiel "enttarne
den Sexisten" bzw "oute den Vergewaltiger" so weit getrieben, dass jemand als Vergewaltiger bezeichnet wurde, der in seinem Leben noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatte, aufgrund der inflationären Überdehnung der Definitionsmacht des Opfers (um Mistverständnisse auszuschließen: Ich bin Befürworter dieser Definitionsmacht, aber eben nicht unbegrenzt). Es wurden Auseinandersetzungen um Probenräume für Bands in einem Jugendzentrum über instrumentell gebrauchte Sexismusvorwürfe geführt, weil diese die unfehlbare ultima ratio in der Auseinandersetzung darstellten - so ähnlich wie viele Jahre später "Wer zuerst Auschwitz sagt hat gewonnen." Auf traditionell proletarischem Klassenbewusstsein fußend, aber dieses bis zum völligen Realitätsverlust übertreibend war das szenetypische Verhältnis zu Statussymbolen, Jobs und der Normalgesellschaft. Da wurde ich angefeindet, weil ich mir als Aktenkoffer einen silbernen Alukoffer - eigentlich Werkzeugkoffer für Handwerker - zugelegt hatte, der sehr weit von den szeneüblichen Fjell-Räven- und Tatonka-Rucksäcken abwich und das als Bekenntnis zum Yuppietum gewertet wurde. Porsches wurden angezündet oder zumindest zerkratzt, weil das Bonzenautos wären, die nur der Klassenfeind fährt. Inzwischen kenne ich einige PorschefahrerInnen, und das sind Handwerksmeister, Gastwirte und eine Hure - Leute, die vom Habitus und Lebensgefühl näher an der ArbeiterInnenschaft dran sind als akademische Linksintellektuelle. Es ereignete sich, dass wir an einer Kundgebung gegen Abschiebungen teilnahmen, und im Anschluss daran lud uns eine sozialdemokratische Landtagsabgeordnete zum Kaffee ins Mövenpick ein. Der Fussel (ich nenne den so wegen seines Äußeren) lehnte das massiv ab, mit Promis wolle er nichts zu tun haben, und das Mövenpick sei ein Bonzenladen, den er boykottiere. Er wartete also eine dreiviertel Stunde draußen bei minus 10 Grad, weil er ja ein konsequenter Linksradikaler war. Deshalb bekam er dann auch den Job als Öffentlichkeitsreferent einer Menschenrechtsorganisation nicht, den stattdessen ich bekam.
Mit diesem Job war es so eine Sache: Das war eine auf ein Jahr befristete BSHG19-Stelle (ABM-Maßnahme nur für bisherige SozialhilfeempfängerInnen) mit etwa einem Grundschullehrergehalt. Sobald ich die angetreten hatte fragte mich ein Mitbewohner, ob ich bereit sei, das Differenzeinkommen zu meiner bisherigen Sozi auf meine WG zu verteilen, wir seien ja alle für gesellschaftliche Umverteilung, und ich erwiderte, nein, dazu sei ich nicht bereit. Daraufhin musste ich mir dann regelmäßig die beleidigend gemeinte Titulierung "Karrierist" gefallen lassen. In der Folge entstanden Gerüchte, ich hätte mich auf dieser Stelle bereichert und für mehrere Jahre Rückstellungen gebildet. Der Bonze begann bei der ABM-Kraft.
Ein früherer Genosse hatte sich regelmäßig in Gremien wählen lassen, im denen er an den Finanztöpfen saß, und dann Geld unterschlagen. Da Linke nicht mit der Staatsmacht zusammenarbeiten ging das für ihn straffrei ab. Irgendwann räumte er das Haushaltskonto seiner WG leer und verschwand damit nach unbekannt. Als ich das in einem Plenum thematisierte wurde mir geantwortet, es gäbe da noch einen viel Schlimmeren, der hatte erst in einem ultraradikalen UZusammenhang, der RAF-Hungerstreikgruppe gearbeitet, dann als Model, dann hatte der eine Tempo-like Hochglanzstadtzeitung gegründet und sei jetzt Redakteur bei RTL. Die eigenen Genossen beklauen wurde als weniger schlimm angesehen als Karriere im System zu machen, schließlich gehörten ja auch die Kriminellen irgendwie noch zu uns. Aha. Als ich nach der Promotion nicht etwa eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb bekam, sondern Sozialhilfe, bildete ich mich zum Webdesigner weiter und bekam eine Stelle bei einer Softwarefirma. Dafür wurde ich dann brieflich des Verrats an der guten Sache bezichtigt. Wer links ist hat im Öffentlichen Dienst, als Freier Journalist, Alternativunternehmer zu arbeiten oder politisch korrekt Sozi zu beziehen. Das war so der Stand von 1984 bis 2002. Bei den Irrsinnsdiskussionen von heute habe ich den Eindruck, dass die sich aus gutem Grunde - niemand stellt mehr die eigene materielle Reproduktion ins Prüffeld - von solch unmittelbar lebensweltlichen Fragestellungen weit entfernt haben und sich eher auf der Ebene scholastischer Moraltheologie bewegen. Der Wahnsinn ist etwa der gleiche, aber ich habe den Eindruck, noch viel weiter von realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen entfernt als wir damals. Es geht eher um die Reinhaltung des eigenen Seelchens. Ich schreibe dies nicht aus einer Fleischhauer-Perspektive, sondern aus dem Bedauern heraus, dass die linksradikale Szene, das einzige gesellschaftliche Millieu in diesem Lande das progressive Inhalte in der Theorie vertritt, sich selbst komplett blockiert und für die meisten Leute, die reales Interesse an Veränderung haben komplett unbetretbar macht.
den Sexisten" bzw "oute den Vergewaltiger" so weit getrieben, dass jemand als Vergewaltiger bezeichnet wurde, der in seinem Leben noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatte, aufgrund der inflationären Überdehnung der Definitionsmacht des Opfers (um Mistverständnisse auszuschließen: Ich bin Befürworter dieser Definitionsmacht, aber eben nicht unbegrenzt). Es wurden Auseinandersetzungen um Probenräume für Bands in einem Jugendzentrum über instrumentell gebrauchte Sexismusvorwürfe geführt, weil diese die unfehlbare ultima ratio in der Auseinandersetzung darstellten - so ähnlich wie viele Jahre später "Wer zuerst Auschwitz sagt hat gewonnen." Auf traditionell proletarischem Klassenbewusstsein fußend, aber dieses bis zum völligen Realitätsverlust übertreibend war das szenetypische Verhältnis zu Statussymbolen, Jobs und der Normalgesellschaft. Da wurde ich angefeindet, weil ich mir als Aktenkoffer einen silbernen Alukoffer - eigentlich Werkzeugkoffer für Handwerker - zugelegt hatte, der sehr weit von den szeneüblichen Fjell-Räven- und Tatonka-Rucksäcken abwich und das als Bekenntnis zum Yuppietum gewertet wurde. Porsches wurden angezündet oder zumindest zerkratzt, weil das Bonzenautos wären, die nur der Klassenfeind fährt. Inzwischen kenne ich einige PorschefahrerInnen, und das sind Handwerksmeister, Gastwirte und eine Hure - Leute, die vom Habitus und Lebensgefühl näher an der ArbeiterInnenschaft dran sind als akademische Linksintellektuelle. Es ereignete sich, dass wir an einer Kundgebung gegen Abschiebungen teilnahmen, und im Anschluss daran lud uns eine sozialdemokratische Landtagsabgeordnete zum Kaffee ins Mövenpick ein. Der Fussel (ich nenne den so wegen seines Äußeren) lehnte das massiv ab, mit Promis wolle er nichts zu tun haben, und das Mövenpick sei ein Bonzenladen, den er boykottiere. Er wartete also eine dreiviertel Stunde draußen bei minus 10 Grad, weil er ja ein konsequenter Linksradikaler war. Deshalb bekam er dann auch den Job als Öffentlichkeitsreferent einer Menschenrechtsorganisation nicht, den stattdessen ich bekam.
Mit diesem Job war es so eine Sache: Das war eine auf ein Jahr befristete BSHG19-Stelle (ABM-Maßnahme nur für bisherige SozialhilfeempfängerInnen) mit etwa einem Grundschullehrergehalt. Sobald ich die angetreten hatte fragte mich ein Mitbewohner, ob ich bereit sei, das Differenzeinkommen zu meiner bisherigen Sozi auf meine WG zu verteilen, wir seien ja alle für gesellschaftliche Umverteilung, und ich erwiderte, nein, dazu sei ich nicht bereit. Daraufhin musste ich mir dann regelmäßig die beleidigend gemeinte Titulierung "Karrierist" gefallen lassen. In der Folge entstanden Gerüchte, ich hätte mich auf dieser Stelle bereichert und für mehrere Jahre Rückstellungen gebildet. Der Bonze begann bei der ABM-Kraft.
Ein früherer Genosse hatte sich regelmäßig in Gremien wählen lassen, im denen er an den Finanztöpfen saß, und dann Geld unterschlagen. Da Linke nicht mit der Staatsmacht zusammenarbeiten ging das für ihn straffrei ab. Irgendwann räumte er das Haushaltskonto seiner WG leer und verschwand damit nach unbekannt. Als ich das in einem Plenum thematisierte wurde mir geantwortet, es gäbe da noch einen viel Schlimmeren, der hatte erst in einem ultraradikalen UZusammenhang, der RAF-Hungerstreikgruppe gearbeitet, dann als Model, dann hatte der eine Tempo-like Hochglanzstadtzeitung gegründet und sei jetzt Redakteur bei RTL. Die eigenen Genossen beklauen wurde als weniger schlimm angesehen als Karriere im System zu machen, schließlich gehörten ja auch die Kriminellen irgendwie noch zu uns. Aha. Als ich nach der Promotion nicht etwa eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb bekam, sondern Sozialhilfe, bildete ich mich zum Webdesigner weiter und bekam eine Stelle bei einer Softwarefirma. Dafür wurde ich dann brieflich des Verrats an der guten Sache bezichtigt. Wer links ist hat im Öffentlichen Dienst, als Freier Journalist, Alternativunternehmer zu arbeiten oder politisch korrekt Sozi zu beziehen. Das war so der Stand von 1984 bis 2002. Bei den Irrsinnsdiskussionen von heute habe ich den Eindruck, dass die sich aus gutem Grunde - niemand stellt mehr die eigene materielle Reproduktion ins Prüffeld - von solch unmittelbar lebensweltlichen Fragestellungen weit entfernt haben und sich eher auf der Ebene scholastischer Moraltheologie bewegen. Der Wahnsinn ist etwa der gleiche, aber ich habe den Eindruck, noch viel weiter von realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen entfernt als wir damals. Es geht eher um die Reinhaltung des eigenen Seelchens. Ich schreibe dies nicht aus einer Fleischhauer-Perspektive, sondern aus dem Bedauern heraus, dass die linksradikale Szene, das einzige gesellschaftliche Millieu in diesem Lande das progressive Inhalte in der Theorie vertritt, sich selbst komplett blockiert und für die meisten Leute, die reales Interesse an Veränderung haben komplett unbetretbar macht.
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