Montag, 21. Januar 2019
Aus dem Bundestag - Überstellungen, Abschiebungen, Flüchtlingspolitik
Die Süddeutsche Zeitung - und im Anschluss daran auch weitere Medien - berichten heute über die aktuelle Antwort der Bundesregierung auf die Regel-Anfrage der LINKEN (Ulla Jelpke u.a.) zum Dublin-System:
https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-deutschland-schiebt-so-viel-in-andere-eu-staaten-ab-wie-nie-zuvor-1.4295346
https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-ausweisungen-101.html


Noch nie gab es so viele Überstellungen wie im Jahr 2018, auch die sog. Überstellungsquote konnte deutlich von 15,1% (2017) auf 24,5% gesteigert werden (bis 2012 war der Wert allerdings noch höher).
Viele Überstellungen scheitern daran, dass die formal eigentlich zuständigen EU-Mitgliedstaaten mit der Aufnahme und Asylprüfung überfordert sind (Griechenland) oder schlicht keine Flüchtlinge aufnehmen wollen (Ungarn, Bulgarien) - für Italien dürften beide Erklärungen zutreffen. Auch Gerichte entscheiden in Bezug auf diese Länder deshalb häufig (in Bezug auf Bulgarien z.B. zu 64,3%), dass eine Überstellung unzulässig ist, weil den Asylsuchenden dort eine unmenschliche Behandlung droht, d.h. entweder keine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung gewährleistet sind und / oder kein faires Asylverfahren gesichert erscheint.

Die Fragestellerin Ulla Jelpke betont, dass die Steigerung der Effizienz des Dublin-Systems durchaus keine gute Nachricht ist!
Denn es häufen sich die Berichte aus der Praxis, dass Überstellungen zunehmend unter rechtsstaatlich und humanitär inakzeptablen Umständen vollzogen werden, um die Abschiebequote um nahezu jeden Preis zu erhöhen. DIE LINKE hat hierzu bereits zwei Anfragen an die Bundesregierung gerichtet (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/049/1904960.pdf und http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/067/1906743.pdf).
Letzte Woche berichtete das Nachrichtenmagazin MONITOR ("Schwangere und Kranke abschieben: Wie Behörden die Rückführungsquote steigern") anschaulich über eine neue unfassbare Brutalität zur Durchsetzung von Überstellungen - auch vor Festnahmen in Krankenhäusern und Abschiebungen von Schwangeren wird immer häufiger nicht mehr zurückgeschreckt: https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/abschiebung-144.html, auch Familientrennungen werden häufiger in Kauf genommen.

All das zeigt: Das Bundesinnenministerium muss den politischen Druck zu Effizienzsteigerungen bei Abschiebungen und Dublin-Überstellungen dringend herausnehmen! Das ständige Rufen nach immer mehr Abschiebungen führt zu in der Praxis zu unerträglichen Folgen.
Es macht vor allem keinen Sinn, das längst gescheiterte Dublin-System mit aller Gewalt durchsetzen zu wollen. Die Dublin-Regelungen belasten wenige EU-Länder mit relevanten Außengrenzen in besonderem Maße, dieses System ist im Kern zutiefst ungerecht. Es ist aber auch menschenfeindlich, denn Schutzsuchende werden nach den Dublin-Regeln gegen ihren Willen in Europa hin- und hergeschoben, sie können häufig nirgendwo mehr an- und zur Ruhe kommen. Statt ihre Schutzbedürftigkeit zu prüfen, geht es immer häufiger nur noch um Fragen des konkreten Reisewegs und formelle Aspekte. Flüchtlingsschicksale werden so rechtlich und tatsächlich zum Verschwinden gebracht. Das muss aufhören!
Statt die Schutzsuchenden dafür zu sanktionieren, dass sie in Deutschland um Hilfe nachsuchen, muss das ungerechte Dublin-System geändert werden. Das Europäische Parlament hat parteienübergreifend und mit großer Mehrheit Vorschläge hierzu gemacht, in denen die berechtigen Wünsche und Interessen der Geflüchteten zentral berücksichtigt werden.
Daran müssen die Regierenden Europas anknüpfen, statt gescheiterte flüchtlingsfeindliche Regelungen mit aller Macht durchsetzen zu wollen.



2) Ebenso interessant: Im 3. Quartal 2018 standen türkische Asylsuchende erstmals an erster Stelle, wenn es um Dublin-Ersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten geht. Nach dem gescheiterten Putsch-Versuch und der sich anschließenden Verfolgungswelle in der Türkei hatte das Auswärtige Amt Verfolgten aus der Türkei noch vollmundig Schutz in Deutschland in Aussicht gestellt - dieser Zusage entledigt man sich nun immer häufiger unter Zuhilfenahme der Dublin-Regeln...

Dabei erhalten türkische Asylsuchende in Deutschland immer häufiger Schutz - wenn das BAMF denn inhaltlich entscheidet und nicht auf andere EU-Mitgliedstaaten verweist.
Das ergibt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Sevim Dagdelen, die ich zur Kenntnis beifüge und über die bereits Tagesschau.de berichtete:
https://www.tagesschau.de/inland/asyl-deutschland-101.html

54,9 Prozent betrug im November 2018 die bereinigte Schutzquote bei türkischen Asylsuchenden! Für ein Land, das vor nicht allzu langer Zeit von der EU-Kommission und der Bundesregierung aus politischen Gründen als "sicherer Herkunftsstaat" eingestuft werden sollte, ist das ein überaus stattlicher Wert...



3) Ebenfalls aus politischen Gründen wurden am letzten Freitag vom Bundestag als sichere Herkunftsländer eingestuft die Maghreb-Staaten und Georgien. Die dazugehörige Debatte kann hier nachgelesen werden: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19075.pdf (Seiten 5 bis 19; das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ab Seite 21).
Es fiel auf, wie sehr es in einzelnen Reden um parteitaktische Auseinandersetzungen und wie wenig es um die tatsächliche Menschenrechtslage in den jeweiligen Herkunftsländern ging.



4) Zu der geschmacklosen öffentlichen Rückkehrkampagne der Bundesregierung ("Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!") liegt ebenfalls eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN vor. Ulla Jelpke kritisierte in einer Pressemitteilung vor allem die verunsichernde Wirkung der Plakat-Kampagne auf Migrantinnen und Migranten, deren zynische Erfolgsbilanz mit gut 600 bewilligten Förderanträgen überdies reichlich dürftig ausfiel:
https://www.ulla-jelpke.de/2019/01/schluss-mit-geschmacklosen-rueckkehrkampagnen/

Auf ihrer homepage steht die Antwort zum Download zur Verfügung. Als Bundestagsdrucksache wird sie in Kürze hier verfügbar sein: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/070/1907048.pdf

Die taz berichtete: http://www.taz.de/Posterkampagne-des-Heimatministeriums/!5563575/



5) Das online-Portal "motherboard" berichtete bereits Ende letzten Jahres sehr ausführlich und anschaulich über den Einsatz von Software-Assistenzsystemen im BAMF (Handy-Auswertung, Spracherkennung usw.): https://motherboard.vice.com/de/article/kzv5v3/sprachanalyse-handyauswertung-bamf-it-fluechtlinge-herkunft

Auch diese Informationen beruhen auf eine Anfrage der LINKEN, die hier verfügbar ist: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/066/1906647.pdf
Entgegen der offiziellen Bilanz erweisen sich die oft hoch gelobten IT-Tools demnach als vor allem "teuer und nutzlos" - zu den Handy-Durchsuchungen durch das BAMF hatte DIE LINKE. diese Feststellung auf der Grundlage der Zahlen der Bundesregierung bereits vor längerem getroffen...




Eine kleine, aber feine Meldung noch zum Abschluss: Thüringen hat seine Aufnahmeregelung für Verwandte syrischer Flüchtlinge noch einmal verlängert!
https://www.thueringen24.de/thueringen/article216224607/fluechtlinge-syrien-familien-in-thueringen.html
https://thueringer-fluechtlingspaten.de/

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