Mittwoch, 11. Februar 2015
Flüchtlingsrat fordert sofortiges Ende der Balkan-Abschiebekampagne
Ganz undiplomatisch und mit skandalöser Wortwahl unterfüttert die deutsche Botschaft in Pristina in einem Schreiben vom 3. Februar eine Kampagne der CSU gegen Flüchtlinge vom Balkan. Unter der Über­schrift „Kön­nen wir die La­wi­ne auf­hal­ten?“ schreiben die Diplomaten: „Erst wenn eine grö­ße­re An­zahl von Ko­so­va­ren me­di­en­wirk­sam per Sam­mel-Char­ter­flie­ger zu­rück­kehrt, deren Ver­fah­ren in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen in Deutsch­land ab­ge­schlos­sen wur­den, spricht sich herum, dass sich il­le­ga­le Ein­wan­de­rung nach Deutsch­land nicht rech­net.“
Eine Lawine ist gemeinhin eine Naturkatastrophe, eine tödliche Gefahr, die über Menschen hereinbricht. Die Metaphorik erzeugt Angst und versetzt die Menschen in Panik. Je dramatischer das gewählte Bild, so offenbar das Kalkül, desto größer die Bereitschaft, mit Flüchtlingen "kurzen Prozess" zu machen. Dass ein Diplomat sich auf solche Weise in die Innenpolitik einmischt und das politische Klima in Deutschland vergiftet, ist ungeheuerlich - und widerspricht den Fakten: 3.630 Flüchtlinge aus dem Kosovo haben im Januar 2015 einen Asylantrag gestellt - das waren 15% aller Asylanträge, rund 3% aller Zugewanderten. Eine "Lawine"?
Nur 1,1% aller Flüchtlinge aus dem Kosovo wurde im Januar 2015 in Deutschland Schutz gewährt. Angesichts der Tatsache, dass die Schutzquote für diese Flüchtlinge in anderen europäischen Staaten um ein Vielfaches höher liegt (siehe http://www.nds-fluerat.org/15063/aktuelles/roma-niedrige-anerkennungsquoten-folge-politischer-vorgaben/), liegt die Frage nahe, ob es in Deutschland im Umgang mit den Balkan-Flüchtlingen eine besonders restriktive Praxis gibt. Aber selbst bei einer Anerkennungsquote von 1,1% heißt das, dass 40 Flüchtlinge aus dem Kosovo im Januar in individuellen Verfahren ein Schutzanspruch zugebilligt wurde. Schon aus diesem Grund verbietet sich ein "kurzer Prozess". Der Kosovo ist kein "sicheres Herkunftsland"!
Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Kosovo und anderen Balkan-Staaten steigt, weil das Land verarmt und die Konflikte zunehmen. Erst jüngst ist es in Pristina wieder zu neuen schweren Konflikten zwischen Albanern und Serben gekommen. Auf der Strecke bleiben vor allem An­ge­hö­ri­ge der Roma, Ash­ka­li und Ko­so­vo-Ägyp­ter. Die ehemalige serbische Provinz Kosovo gehört mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern Europas. Ein Drittel der Erwerbsfähigen ist arbeitslos, Korruption allgegenwärtig. Menschenrechtsorganisationen sind sich in der Einschätzung einig, dass die extreme Ausgrenzung, gepaart mit gesellschaftlicher Ächtung und Diskriminierung, durchaus den Charakter einer (kumulativen) politischen Verfolgung annehmen kann. Die europäische Politik ist gefordert, für die Menschen im Kosovo und den anderen Balkanstaaten endlich menschenwürdige Lebensperspektiven zu schaffen, statt diejenigen als "Wirtschaftflüchtlinge" zu verunglimpfen, die vor Armut, Hunger und Diskriminierung nach Mitteleuropa fliehen

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