Sonntag, 1. März 2015
Arbeitslosigkeit, Perspektive auf Jobs und Erwartungshaltungen - eine getwitterte Story, oder auch: Generation Rabäh meldet sich zu Wort
(edit: aufgrund inhaltlich zutreffender Kritik überarbeitetes Posting)

Eigentlich ist es eine Frage des gesunden Menschenverstandes, ein radikales politisches Engagement nicht in den eigenen Bewerbungsunterlagen stehen zu haben, wenn eine Karriere angestrebt wird, die nicht durch persönliche Connections ins Rollen gebracht wird. Ich meine, es schreibt ja auch niemand in den Lebenslauf "1989 129a)-Verfahren im Zusammenhang mit dem letzten RAF-Hungerstreik gehabt" oder "redaktionelle Tätigkeiten beim Angehörigen-Info, radikal und der E.Colibri". Aus einem solchen Engagement aber eine besondere Eignung für einen Job abzuleiten finde ich absurd. Zu meinen Zeiten führte so etwas eher dazu, Ziel staatsanwaltlicher Ermittlungen zu werden, und es galt als eine Art Ethos, das in Kauf zu nehmen.


Nun ist ein Magisterstudium der Germanistik das nicht auf ein Lehramt abzielt ohnehin ein Studium direkt auf Hartz 4 hin, es sei denn, es wird bereits während des Studiums eine unbefristete journalistische Tätigkeit bei einem Medium aufgenommen, so dass nach Abschluss das Volontariat kommt und dann eine Übernahme als Redakteurin.

Ein Magister-Diplom- oder Masterstudium in einer Geistes- oder Sozialwissenschaft ist eine Zeit kreativer Muße, in der mensch Gelegenheit findet sich einen gesellschaftheoretischen Fundus anzulegen, die eigenen Gedanken zu ordnen und sich experimentell in neuen Lebenssituationen auszuprobieren, aber keine eigentliche Berufsausbildung. Und das ist so schon seit Jahrzehnten.

Dunnemals, in den Achtziger Jahren hatten wir als Fachschaft Geschichte den Erstsemestern in der Studienberatung geraten, einen Führerschein für einen Gabelstapler zu machen oder Ähnliches, und das war realistisch und nicht polemisch gemeint gewesen. Ich hatte GenossInnen, die sind nach dem Studium für ein oder zwei Jahre bei VW oder Bosch ans Band gegangen um sich so die ABM-Berechtigung zu erwerben und dann in dem von ihnen angestrebten Bereich, etwa linken Kulturzentren, Flüchtlingsberatungsstellen, Frauenhäusern oder Alternativredaktionen auf ABM-Basis zu arbeiten. Der allergrößte Teil der Non-Profit-Jobs im karitativen und soziokulturellen Bereich lebt von diesen ABMs. Da haben sich Leute schon zu Studienzeiten ABM-Karrieren zurechtgeplant, bei denen dann bis zu drei Jahre auf einer ABM gearbeitet wird, um sich dann arbeitslos zu melden und bis zum Wiedereintritt der ABM-Berechtigung zu warten. De facto wird da bei Bezug von Arbeitslosengeld weiter durchgearbeitet, ehrenamtlich halt, bis die Berechtigung wieder da ist. Der größere Teil der SozialarbeiterInnen, Campaigner und sonstigen Projektleute aus dem Caritas-AWO-Greenpeace-ai-Flüchtlingsratsumfeld die ich so kenne macht diese Art von Job.

Bei mir selbst war das so gelaufen dass ich nach dem Studium zunächst Sozialhilfe bezogen hatte, um dann über eine BSHG19-Stelle, eine spezielle ABM für Sozi-BezieherInnen in ein Projekt einzusteigen, mein weiterer Weg führte mich dann über einen Job als Reporter und ein Promotionsstipendium schließlich zu einer Pressesprechertätigkeit. Und da wurde ich aus dem Szenespektrum schon als "Karrierist" beschimpft und sogar moralisch kritisiert, als ich schließlich für ein Profit-Unternehmen arbeitete.

Keine entsprechenden Vorbereitungen zu treffen, von solchen Möglichkeiten offensichtlich nullkommanichts zu wissen und dann auch noch die Fußeisen in der eigenen Bio anzugeben um schließlich in etwas naiv anmutender Weise über die zugegeben beschissene eigene Lage zu klagen, da stellen sich mir einige Fragezeichen. Fragezeichen allerdings nicht unbedingt zu der betroffenen Person selber, sondern zu den Rahmenbedingungen. Offensichtlich ist in einer sozialen Situation, die angespannter ist als je zuvor in diesem Lande selbst bei politisch hochengagierten Menschen das Bewusstsein darüber, was mit dem eigenen Bildungsgrad zu gewinnen ist und wie mensch sich selbst organisiert viel geringer entwickelt als es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Das System hat es leicht bei einer solchen Konstellation.

Nun ist dies beileibe kein Einzelfall. Vor Jahrzehnten meinte ein alter Freund mal, die Generation von Studierenden die nach uns kommt würde eine sein, die weder über persönliche Widerstandsfähigkeit noch über sonderliche soziale Selbstorganisationsfähigkeit verfügen wird. Könnte es sein, dass er leider Recht behalten hat?

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