Freitag, 1. Januar 2016
Anstelle eines Jahresrückblicks
Anstelle eines Jahresrückblicks einfach einmal einige strategische Überlegungen. Da passiert das, was für uns Antiras seit 25 Jahren als Tag X erwartet wird, der Massenanstrom von Flüchtlingen, die sich nicht mehr zurückhalten lassen. Große Teile der deutschen Normalbevölkerung reagieren nicht ablehnend, sondern empathisch und freundlich. Die rassistischen Mordbrenner sind wieder am Toben, aber anders als früher erscheinen sie in der Öffentlichkeit ganz deutlich nicht als diejenigen, die sagen, was eine "schweigende Mehrheit" denkt, sondern als gesellschaftlich randständige Modernisierungsverlierer, die noch dazu teilweise geographisch eingrenzbar sind. Der Jubel auf der Linken ist verhalten, es ist ja eh so, dass das politische Lager dem ich selber angehöre seit Jahrzehnten die eigenen Züge nicht mal mehr davonfahren SIEHT - es ist tatsächlich auch eine Frage der Wahrnehmung.

Zum Anderen werden Asylgesetze verschärft und die erst kürzlich erzielten Erfolge von 25 Jahren zäher Antira-Arbeit - Stichwort Sachleistungen - sofort wieder zunichtegemacht. Ich gehöre nun zu dem kleinen Kreis von Leuten, die als Verschlussachen gehandelte Expertisen von Ministerien, zum Beispiel zum Status von Staaten als "sichere Drittländer" zu lesen bekommt. Und so weiß ich, dass die aktuelle Statusänderung von Montenegro, Albanien, Mazedonien und Kosovo eine jahrelang systematisch vorbereitete Sache ist. Und da stellt sich die bittere Frage: Was steckt wirklich hinter Merkels aktuellem Handeln? Stimmt die Sales Story, nachdem erst das Gespräch mit dem palästinensischen Mädchen ihr Herz angerührt habe und sie dann die mutige Entscheidung zur Grenzöffnung traf, als die Flüchtlingsmassen dabei waren die griechischen Grenzen zu überrennen? Sollen wir das glauben? Und ist das Ganze nicht möglicherweise ein gigantisches Simulakrum, bei dem es darum geht, durch kurzfristiges "Flooding" mit Neuankömmlingen seit langer Zeit geplante Verschärfungen des Asylrechts durchzusetzen, ohne dass sich von den üblichen Verdächtigen irgendwelcher Widerstand zeigt? An der Stelle hätte eine Diskussion anzusetzen.

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Das ist eine verdammt gute Frage. Aber das hieße, dass die geplante Verschärfung des Asylrechts ein derart hochprioritäres Projekt wäre, für das man Kollateralschäden und Folgekosten in nicht unbeträchtlicher Höhe in Kauf zu nehmen bereit ist. Und da wird es irgendwie unverhältnismäßig - Hundertausende Kriegsflüchtlinge ins Land zu lassen, um strategisch zehntausende Asylsuchende auflaufen lassen zu können?

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Hunderttausende Kriegsflüchtlinge ins Land zu lassen, von denen nach Aussiebung der Verwertbarkeit für die deutsche Wirtschaft mindestens Zehntausende wieder abgeschoben werden, um folgende Millionen Asylsuchende auflaufen lassen zu können und gleichzeitig EU-Ausländerinnen von sozialen Leistungen ausschließen und weiteren inneren Sozialabbau betreiben zu können, eine Ethnisierung dieses Sozialabbaus eingeschlossen, um die falschen Leute aufeinanderzuhetzen. Das erscheint wie eine Blaupause des Schreckensszenarios, das Wildcat und das Antirassismusbüro Bremen bereits 1990 entworfen hatten.

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Wer von der politischen Mechanik problem, reaction, solution schon mal gehört hat, wird diese Hypothese zumindest nicht leichtfertig verwerfen. Und realistischer, als dahinter hochfliegende humanitäre Motive zu vermuten, scheint mir diese Annahme auch. Puh. Aber das hieße dann auch, dass man deutscherseits anscheinend in Kauf nimmt, die EU, so wie wir sie kennen, zu Klump zu hauen. Und zu glauben, dass uns die Trümmer dabei nicht um die Ohren fliegen - wie naiv oder verblendet kann man sein?

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In der ersten Hälfte der Neunziger Jahre hatte Wolfgang Schäuble erklärt, er befürworte ein "Kerneuropa" das nur aus Deutschland, Frankreich, Benelux und Skandinavien bestünde. Ist das das avisierte Ziel so ist die betriebene Politik, vom Umgang mit Griechenland Spanien usw. bis zur Flüchtlingskrise völlig konsequent und kongruent.

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Ich habe das durchaus noch im Hinterkopf und könnte mir auch tatsächlich vorstellen, dass das nach wie vor ein Wunschszenario der Bundespolitik ist. Allerdings halte ich unsere teutonischen Voksvertreter für zu doof und zu undiplomatisch, das auch tatsächlich umsetzen zu können, ohne dass der angerichtete Schaden den Nutzen überwiegt.

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Simulakrum oder nicht: Ein globales Problem bedarf einer ebensolchen Lösungsstrategie, und die heißt meiner altbackenen Meinung nach immer noch Kommunismus - bzw., da der schöne Begriff mittlerweile so missbraucht und diskreditiert ist, moderner ausgedrückt: weltweite echte Demokratie, also maximale Selbstbestimmung und Kooperation statt Konkurrenz/Konfrontation; und ich bleibe bei meiner hoffnungslos optimistischen Auffassung, dass der Weg dorthin relativ unblutig, eher evolutionär als revolutionär verlaufen könnte.
http://misanthrope.blogger.de/stories/2541406/

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Danke für den schönen Artikel. 3 Anmerkungen dazu:

@"Die Germanen haben auf der Flucht vor den Hunnen das Römische Reich zerstört und so das finstere Mittelalter eingeläutet" ----- Da muss ich als Historiker leider widersprechen. Das ist ein Geschichtsmythos, der selber einem nationalistischen Weltbild verhaftet ist und bis heute in den Schulbüchern steht. Tatsächlich wollten die Germanen in erster Linie RÖMER werden, Kämpfe entflammten vielfach dadurch, dass das Imperium sie nicht reinließ. Stammesbezeichnungen wie Westgoten, Allemannen, Burgunder, Franken, Wandalen entstanden überhaupt erst im Zug der sogenannten "Völkerwanderung" und bezeichneten eher Kriegerverbände als ethnische Gruppen. Vielfach ließen sich Heerhaufen, oft ohne Frauen und Kinder mitgenommen einfach da nieder, wo der Frontverlauf bei Friedensschluss es zuließ. Niemand der Zeitgenossen nahm den Untergang Westroms als Ereignis überhaupt wahr, so fließend war der Ablauf. Das "Finstere Mittelalter" war Ergebnis eines Massensterbens der europäischen Bevölkerung, das durch die große Pest um 500 (Ratten und Erreger hatten die Hunnen unabsichtlich aus Ostasien importiert) und eine gleichzeitige Klimaverschlechterung ausgelöst wurde. Erst in dessen Folge, als etwa die Hälfte der europäischen Bevölkerung gestorben war, brach die Kultur der Spätantike zusammen. Noch Ostgoten und Wandalen hatten einen sehr römischen Lebensstil geführt, im Gegensatz zu den nachfolgenden Langobarden und Petschenegen, die echte Barbaren waren.

2 Es wäre schön, wenn das so wäre, aber ich befürchte leider, dass die Herrschenden freiwillig ihre Macht nicht abgeben werden.

3 Das möglicherweise wichtigste Ereignis im Jahr 2015 war die erste gelungene kontrollierte Kernfusion. Es könnte sein, dass alle Energie- und Rohstoffprobleme wie wir sie kennen in einer Generation der Vergangenheit angehören werden und es ein beispielloses Wirtschaftswachstum ohne weitere Klimaerwärmung geben wird.

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Ich bedanke mich meinerseits für die ausführliche Replik, die ich mir wiederum zu kommentieren erlaube:

ad 1.) Ja, dass die ganze Sache mit Rom und der Finsternis im Mittelalter doch etwas komplexer war als allgemein (und auch von mir) dargestellt, habe ich auch schon irgendwo läuten hören - aber ich richte mich ja u.a. auch an UAL ("uninformierteste anzunehmende Lesende" ; ).

ad 2.) Eine gerechten Neuaufteilung der politischen und ökonomischen Macht, die m.E. ja schon lange derart kompliziert verteilt ist, dass "klassische Klassenunterschiede" kaum noch wahrzunehmen oder zumindest fließend sind, hielte ich für möglich, wenn die/wir (vermeintlichen) Profiteure und Repräsentanten des status quo einsehen würden, dass sie unter Gleichen eher einen höheren Lebensstandard (nicht nur, aber auch materiell) führen könnten. Aber da bin ich auch nur zweckoptimistisch...

ad 3.) Eine wirklich sichere nukleare Energiequelle würde zweifellos viele Probleme beseitigen - aber ob sie wirklich sicher ist, wissen wir (oder jedenfalls ich als Laie) ja leider oft erst a posteriori und ex negativo (oder so) - und das Wachstum der Wirtschaft (wie auch das der Weltbevölkerung) sollte vielleicht auch allmählich mal ein Ende haben, oder?

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Zu drei: Space Migration könnte ja die Zukunft der Menschheit bedeuten.

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Oje - ein ganzer Kosmos voller Menschen?! Ist das
nicht eher eine Dys- denn eine Utopie?

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Es ist alles offen. Denk an Star Trek, da ist es trotz aller Konflikte eher eine Utopie, und die Menschheit lebt long and prosper.

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Gäbs auch interessante Projekte für die umstrittenen heimatlichen Rhein Braun Bagger:
https://twitter.com/SciencePorn/status/682613240841519104

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Da müssten die aber Abbauräder aus Bornitrat haben.

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Ich denke da schlicht
Zunächst mal werden eine Steuergeld in neue günstige Unterkünfte gelenkt. Die sind dann erstmal vorhanden und können für spätere Flüchtlingswellen wieder genutzt werden, falls die Syrer zurückkehren oder es hier beim festverwurzeln in bessere Wohnlagen schaffen.
Solange dieses Land jedes Jahr die Haushalts-Null schafft und die Arbeitslosigkeit vergleichsweise gering ist. Bei unserer Demographie. Da verhalten wir uns als Türsteher vergleichsweise weitherzig, solange es keine unlösbaren Probleme gibt, die in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die vielen Freiwilligen senken ja auch die Kosten für den Staat.
Nice Guy für Flüchtlinge ist auch gutes Marketing für unsere Exporte.

Kann man sich auch mal überlegen, wie viele dieser Argumente eigentlich für Ungarn, Polen oder Frankreich aktuell valide sind.

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Merkel hat mit Sicherheit nicht ihr Herz für die Erniedrigten und Beledigten entdeckt. Aus meiner Sicht ist die Massenzuwanderung eindeutig ein Versuch der hinter Merkel stehenden Kreise aus Hochfinanz und Großkapital, die Löhne auf mittlere Sicht drastisch zu senken durch Überangebot an Arbeitssuchenden, die Sozialsysteme zu zerschlagen durch Zuführung immer neuer Leistungsbezieher, und, wie ja nach den jüngsten Ereignissen immer deutlicher wird, die Menschen insgesamt zu verunsichern durch Erschaffung einer zerrissenen Gesellschaft in der die Menschen einander misstrauen und weniger in der Lage sind, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten.

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Aluhut-Wilhelm
Ja willylein, das ist ganz sicher eine ganz üble Verschwörung, diese "überfremdung", dieser "Bevölkerungsaustausch". Ist höchstwahrscheinlich "Der Jude", nimmt immer noch Rache.
Pass schön auf dich auf. *tätschel*

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Ist es das Stichwort "Hochfinanz", das den Antisemitismusvorwurf triggert? Für mich las sich die Einlassung vion Willy jetzt nicht unbedingt wie NWO-Paranoia.

Man sollte der Politik jedenfalls keine hochfliegenden Motive glauben, wenn man auch niedrigere findet, und in ähnliche Richtung wies ja auch schon der Ursprungsbeitrag von che2001. Also gern bisschen mehr Butter bei die Fische.

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Idioten seid ihr; erklärt mir doch mal, wieso Frau Merkel, die den Geburtstag des Ackermann von der deutschen Bank in ihrem Kanzleramt feiert, plötzlich eine Million Flüchtlinge, die kein Deutsch sprechen und für die wir weder Arbeitsplätze noch Wohnungen haben, in Deutschland aufnimmt? Dass die Griechen aus ihren Wohnungen flogen war ihr genauso egal wie die mehr als 50% arbeitslosen Jugendlichen in Spanien, denen gegenüber gab es keinen "humanitären Imperativ".

Und dann immer diese albernen Antisemitismus-Vorwürfe. Ich hätte statt Hochfinanz auch Großbanken schreiben können, was ist der Unterschied?

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Wer ist "ihr"?

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Du und die dumme Person vor dir.

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Wo habe ich Dir denn Antisemitismus vorgeworfen? Und wo habe ich Dir grundsätzlich widersprochen? Mehr Butter bei die Fische wollte ich von mslucy.

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[Das ist nur ein Reinschauen zwischendurch von mir.]

"Es könnte sein, dass alle Energie- und Rohstoffprobleme wie wir sie kennen in einer Generation der Vergangenheit angehören werden und es ein beispielloses Wirtschaftswachstum ohne weitere Klimaerwärmung geben wird."

Das war hoffentlich ironisch gemeint. Denn andernfalls wäre es die Wiederholung des ökonomisch naiven Atomkraftjubilierens des Ernst Bloch et.al. in den 50er Jahren. Wie sehr der Titan des linksaffirmativen Hoffnungsscheins nicht einmal die Produktivkräfte von den Produktionsverhältnissen zu unterscheiden wußte, hätte mich vom Glauben abfallen lassen, wenn ich denn je einen Glauben gehabt hätte.
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Wie wir Historiker wissen, bezeichnet der Begriff des Finsteren Mittelalters nicht das Mittelalter selbst, sondern lediglich die defizitäre Quellenlage, wie sie im 19. Jahrhundert sich darstellte. Inzwischen aber wissen wir: Das Mittelalter war die beste, produktivste, friedlichste, kulturvollste, humanste, musikalischste und angenehmste Epoche des Alten Europa.

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Das war weder ironisch noch affirmativ geweint, sondern ein streifendes Erwähnen von Möglichkeiten, die außerhalb meines normalen Betrachtungshorizonts liegen.

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Ja.
Es klingt aber wie die feuchten Träume des Kapitalbegriffs.

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Das streifende Erwähnen von Möglichkeiten, die außerhalb eines normalen Betrachtungshorizonts liegen, hat mich sprachlich irritiert.

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Zunächst einmal dürfte die Kernfusion den größten Sinn in einer postkapitalistischen Welt machen, in der sie der Bedürfnisbefriedigung und nicht der Wertschöpfung dient. Dessen bin ich mir bewusst und weise daher jedes Verglichenwerden mit den naiven Hoffnungen Blochs entschieden zurück. Es gibt zwar nicht das Problem nuklearen Mülls, dafür ist zu vermuten, dass in einer Welt, in der Fusion etabliert und alltäglich ist, jeder Duodezpotentat in der Lage sein kann, über die Wasserstoffbombe zu verfügen. Die Möglichkeiten der Vernichtung die dann bestünden wären wahrhaft apokalyptisch. Auf der anderen Seite dürfte der gesellschaftliche und technologische Wandel der durch Fusionsenergie eingeleitet würde eine historische Dimension erreichen, die nur mit der Einführung der Dampfmaschine, wenn nicht der Erfindung des Feuers vergleichbar ist. Und vielleicht stehen wir gerade vor einer Zeitenwende, die wir vor lauter aktuellen andersartigen Problemen und Auseinandersetzungen gar nicht wahrnehmen. Der Untergangs Westroms wurde von den Zeitgenossen nicht als besonderes Ereignis bemerkt.

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@"Wie wir Historiker wissen, bezeichnet der Begriff des Finsteren Mittelalters nicht das Mittelalter selbst, sondern lediglich die defizitäre Quellenlage, wie sie im 19. Jahrhundert sich darstellte. Inzwischen aber wissen wir: Das Mittelalter war die beste, produktivste, friedlichste, kulturvollste, humanste, musikalischste und angenehmste Epoche des Alten Europa." ----- Das ist unter uns Historikern aber sehr umstritten, es beginnt mit dem Begriff. Weder herrscht Einigkeit darüber, wann genau das Mittelalter zu datieren ist, noch ob es das überhaupt gegeben habe. Nach der klassischen Definition beginnt es mit dem Tod des letzten weströmischen Kaisers Romus Augustulus und endet mit dem Entdeckungszeitalter. Sozialhistoriker machen die Epochen hingegen an sozialen Strukturen fest, und da ist das sehr viel prozesshafter und nicht an genauen Daten zu fixieren. Manche bewerten die Spätantike als eigenständiges Zeitalter, die dann von etwa 250 bis etwa 700 dauert, andere setzen eine eigenständige Völkerwanderungszeit an, zu der auch noch die Ausbreitung des Islam, die Ungarn- und Wikingerzüge zu rechnen seien, dann begänne das Mittelalter mit dem Hochmittelalter der klassischen Chronologie. Wieder andere vertreten die These vom Alteuropäischen Zeitalter, das nicht nur das Mittelalter, sondern auch noch die Zeit bis zur Französischen Revolution, mindestens aber bis zur Aufklärung umfasst.

Das Spätmittelalter nach der klassischen Chronologie, also die Zeit von 1350 bis 1500, gilt zusammen mit der anschließenden Frühen Neuzeit als eines der grausamsten Zeitalter überhaupt. Ein Standardwerk zu dieser Periode von Frantisek Graus heißt nicht umsonst "Pest, Geißler, Judenmorde". Der Mongolensturm und die Kreuzzüge waren auch keine angenehmen Ereignisse, das späte dreizehnte und frühe vierzehnte Jahrhundert wurden nicht umsonst von den eigenen Zeitgenossen "Die kaiserlose, die schreckliche Zeit" genannt.

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