Freitag, 18. Januar 2019
Looking Backwards
che2001, 16:58h
Überraschend bin ich einer Bekannten aus uralten Tagen, also einer ehemaligen Mitschülerin begegnet, und zwangsläufig kochten alte Dinge wieder hoch die mich geprägt haben, aber irgendwo weggepackt in der zerebralen Dachkammer standen.
Anlass genug, mal schlaglichtartig die eigene Lebensgeschichte zu rekapitulieren.
Als Teenager war ich eher unauffällig, gehörte keiner Subkultur an, trug Parka, eine leuchtend blaue Windjacke, und als Markenzeichen ein buntes Afghantuch mit Glitzerfäden, wegen dem mich manche für schwul hielten. Dabei hat meines Wissens keine schwule Sub je Afghantücher getragen. Politisch sah ich mich als linken Liberalen, so in der Ecke Rudolf Baum, Burkhard Hirsch, Helga Schuchardt, Ingrid Matthäus-Meier. Musikalisch hörte ich was die Clique hörte: Deep Purple, Led Zeppelin, Uriah Heep, außerdem Liedermacher wie Hannes Wader, Klaus Hoffmann und Konstantin Wecker.
Dann kam die Flick-Affäre und die Bonner Wende, und ich erfand mich neu als linker Grüner (allerdings ohne Parteibuch, und meine Eigenbezeichnung lautete "Radikaldemokrat") und Anhänger der Neuen Deutschen Welle, Erscheinungstechnisch im Hippie-Look, obwohl das zum sonstigen subkulturellen Umfeld eher nicht passte. In der Zeit fing ich das Kiffen an und engagierte mich politisch, beim Stadtschülerrat, bei amnesty international und etwas das man heute Antirassismusplenum nennen würde, damals aber altbacken "Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit" hieß.
Hier bekam ich Kontakt zur Devrimci Yol, zur PKK bzw. ERNK und zu den Volksfedayin Iran, entdeckte den Antiimperialismus, las Autonomie Neue Folge und Bakunin und mutierte über das Puppenstadium des Anarchisten zum Autonomen. Der Hippie-Look wich schwarzem Leder, und meine ersten nennenswerten sexuellen Erfahrungen hatte ich mit Frauen aus der linken Szene, die damals noch ein quervögelnder hedonistischer Haufen war und nichts mit dem Moralismus ihrer späteren Jahre am Hut hatte.
Passend dazu vollzog sich der Zerfall der Friedens/Antikriegsbewegung mit dem Verrat der Grünen in Krefeld, die den Antiimperialistischen Block den Knüppeln der Bullen überließ ("Bushfeuer").
Studium und Zivildienst brachten mich tiefer in die autonome Szene hinein, durchaus bis in den Bereich der allerdings kleinen Delinquenz (war fürs Image gut, ein paar Strafverfahren mit politischem Hintergrund aber ohne ernste Konsequenzen brauchte man für die Streetcredibility). Häuserkämpfe, Antifa, Wackersdorf, Scherbendemos, Theoriearbeit, Adorno, Baudrillard, Bourdieu, Das Kapital. Ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der RAF machte mir damals allerdings furchtbare Angst, unnötigerweise. Da riet mir mein Anwalt all mein Geld auszugeben, umso weniger könne mir der Staat abnehmen, und nach einem Akkordjob bei VW reiste ich mit unbekannten Gefährten nach Ägypten.
Heraus kamen ein großartiges Abenteuer und ein paar wunderbare Freundschaften, eine zweite, noch abenteuerlichere Ägyptenreise folgte, dann machten wir eine Deutschlandreise für unseren Kairoer Freund Mohammed, mit Destinationen wie den besetzten Häusern in der Hafenstraße und einer inszenierten nächtlichen Verfolgungsjagd mit einer Polizeistreife in Oldenburg;-).
Popkulturell-ästhetisch war das ja eine Zeit der Brüche und Regressionen: Das Ende von schwarzgelb auf dem Höhepunkt einer Stagflation ("Nullwachstum") in einer Zeit geradezu verinnerlichter Atomkriegsangst, es war ja schick, psychosomatische Störungen zu haben ging einher mit No-Future-Stimmung, Punk, NDW und einem Bruch mit der bisherigen Popästhetik, die Massenmobilisierung der größten außerparlamentarischen Bewegung die es je im Nachkriegsdeutschland gegeben hat brachte dann alte Arbeiterlieder, gefühlige Kirchentagshymnen ("Wehrt euch leistet Widerstand, schließt euch fest zusammen", bei uns hieß es stattdessen "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland", wir meinten es ernst damit die deutsche Provinz für NATO und Atomindustrie zum Feinesland zu machen und scheiterten kläglich) und manchen Kitsch hoch, Nicole plärrte "Ein bißchen Frieden", es war trendy wenn sich eine Band "Die Deserteure" nannte.
https://bersarin.wordpress.com/2019/01/12/es-war-goldstaub-in-uns-blixa-bargeld-zum-60-geburtstag-und-vom-status-de
Krisenjahre 1989-93
Mitten zwischen diese Ereignisse platzten der Tod von Conny
https://che2001.blogger.de/STORIES/2705581/
und militante Auseinandersetzungen mit Neonazis an der Schwelle zum Rechtsterrorismus, nahtlos gefolgt von Nie-wieder-Deutschland-Protesten, Großdemos gegen flüchtingsfeindliche Pogrome, Protest- und Blockadeaktionen gegen den 2. Golfkrieg, ich immer mittendrin.
Parallel brach ich mit der linken Uniszene die inzwischen vom Moralinvirus infiziert war und orientierte mich neu, in einer Kurdistan-Soligruppe und einem Antirassissmusplenum mit engem Bezug zu den Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, die für mich neben Marx und Adorno zur theoretischen Richtschnur wurden.
Auf das Studium folgte eine Tätigkeit bei einer NGO, wegen der mich manche schon als "Karrierist" beschimpften, dann die Promotion, zu der parallel ich als Dozent unterrichtete und Kneipenklos putzte, dann ein Job in der IT (für den mich jemand dann "Verräter" nannte), schließlich über viele Jahre eine Pressesprechertätigkeit für ein Großunternehmen, nach Krach mit der Geschäftsführung und einem befristeten Lehrerjob ein Leben als Multiselbstständiger - Baufinanzierer, Dozent, Webdesigner, Fotoreporter, Werbetexter bunt durcheinander - und heute bin ich Unternehmer.
Zwischendurch saß ich für eine lokale linke Liste im Rat, meine Ansichten haben sich nicht groß geändert. Ich finde immer noch dass die Materialien für einen Neuen Antiimperialismus und Wildcat Recht haben und die Welt so beschreiben wie sie ist.
Insgesamt kann ich aufgrund beruflicher Einbindung nicht mehr so viel Engagement bringen wie früher, Sport und Alpinismus, die immer wichtig waren, haben im Lauf des Lebens eher an Bedeutung gewonnen, und ich bin bemüht eine gute Work-Life-Balance hinzubekommen.
Parallel zu allem also ein ganz anderer Strang von der Teenager-Zeit bis jetzt, der da heißt: Hochalmspitze-Großglockner-Fluchtkogel-Marmolada-Tofana-Klettersteige-Cevedale-Glödis-Drei Zinnen-Brenta-Grate und Wände
Und: Judo-Karate-Bo-Karate-Escrima-Mixed Style, allerdings mit berufsstress- und verletzungsbedingten jahrelangen Intervallen.
Seit einigen Jahren bin ich auch gesundheitspolitisch engagiert. Szenekontakte habe ich nach wie vor, aber ich lebe nicht in der Szene. Bürgerlich würde ich meinen Lebensstil allerdings auch nicht nennen, im Grunde hat sich auch mit 50+ ein eher studentisches Lebensgefühl erhalten. Und rückblickend gesagt: Es war nie langweilig. Bisher ein Leben mit Vollgas.
Anlass genug, mal schlaglichtartig die eigene Lebensgeschichte zu rekapitulieren.
Als Teenager war ich eher unauffällig, gehörte keiner Subkultur an, trug Parka, eine leuchtend blaue Windjacke, und als Markenzeichen ein buntes Afghantuch mit Glitzerfäden, wegen dem mich manche für schwul hielten. Dabei hat meines Wissens keine schwule Sub je Afghantücher getragen. Politisch sah ich mich als linken Liberalen, so in der Ecke Rudolf Baum, Burkhard Hirsch, Helga Schuchardt, Ingrid Matthäus-Meier. Musikalisch hörte ich was die Clique hörte: Deep Purple, Led Zeppelin, Uriah Heep, außerdem Liedermacher wie Hannes Wader, Klaus Hoffmann und Konstantin Wecker.
Dann kam die Flick-Affäre und die Bonner Wende, und ich erfand mich neu als linker Grüner (allerdings ohne Parteibuch, und meine Eigenbezeichnung lautete "Radikaldemokrat") und Anhänger der Neuen Deutschen Welle, Erscheinungstechnisch im Hippie-Look, obwohl das zum sonstigen subkulturellen Umfeld eher nicht passte. In der Zeit fing ich das Kiffen an und engagierte mich politisch, beim Stadtschülerrat, bei amnesty international und etwas das man heute Antirassismusplenum nennen würde, damals aber altbacken "Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit" hieß.
Hier bekam ich Kontakt zur Devrimci Yol, zur PKK bzw. ERNK und zu den Volksfedayin Iran, entdeckte den Antiimperialismus, las Autonomie Neue Folge und Bakunin und mutierte über das Puppenstadium des Anarchisten zum Autonomen. Der Hippie-Look wich schwarzem Leder, und meine ersten nennenswerten sexuellen Erfahrungen hatte ich mit Frauen aus der linken Szene, die damals noch ein quervögelnder hedonistischer Haufen war und nichts mit dem Moralismus ihrer späteren Jahre am Hut hatte.
Passend dazu vollzog sich der Zerfall der Friedens/Antikriegsbewegung mit dem Verrat der Grünen in Krefeld, die den Antiimperialistischen Block den Knüppeln der Bullen überließ ("Bushfeuer").
Studium und Zivildienst brachten mich tiefer in die autonome Szene hinein, durchaus bis in den Bereich der allerdings kleinen Delinquenz (war fürs Image gut, ein paar Strafverfahren mit politischem Hintergrund aber ohne ernste Konsequenzen brauchte man für die Streetcredibility). Häuserkämpfe, Antifa, Wackersdorf, Scherbendemos, Theoriearbeit, Adorno, Baudrillard, Bourdieu, Das Kapital. Ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Hungerstreik der RAF machte mir damals allerdings furchtbare Angst, unnötigerweise. Da riet mir mein Anwalt all mein Geld auszugeben, umso weniger könne mir der Staat abnehmen, und nach einem Akkordjob bei VW reiste ich mit unbekannten Gefährten nach Ägypten.
Heraus kamen ein großartiges Abenteuer und ein paar wunderbare Freundschaften, eine zweite, noch abenteuerlichere Ägyptenreise folgte, dann machten wir eine Deutschlandreise für unseren Kairoer Freund Mohammed, mit Destinationen wie den besetzten Häusern in der Hafenstraße und einer inszenierten nächtlichen Verfolgungsjagd mit einer Polizeistreife in Oldenburg;-).
Popkulturell-ästhetisch war das ja eine Zeit der Brüche und Regressionen: Das Ende von schwarzgelb auf dem Höhepunkt einer Stagflation ("Nullwachstum") in einer Zeit geradezu verinnerlichter Atomkriegsangst, es war ja schick, psychosomatische Störungen zu haben ging einher mit No-Future-Stimmung, Punk, NDW und einem Bruch mit der bisherigen Popästhetik, die Massenmobilisierung der größten außerparlamentarischen Bewegung die es je im Nachkriegsdeutschland gegeben hat brachte dann alte Arbeiterlieder, gefühlige Kirchentagshymnen ("Wehrt euch leistet Widerstand, schließt euch fest zusammen", bei uns hieß es stattdessen "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland", wir meinten es ernst damit die deutsche Provinz für NATO und Atomindustrie zum Feinesland zu machen und scheiterten kläglich) und manchen Kitsch hoch, Nicole plärrte "Ein bißchen Frieden", es war trendy wenn sich eine Band "Die Deserteure" nannte.
https://bersarin.wordpress.com/2019/01/12/es-war-goldstaub-in-uns-blixa-bargeld-zum-60-geburtstag-und-vom-status-de
Krisenjahre 1989-93
Mitten zwischen diese Ereignisse platzten der Tod von Conny
https://che2001.blogger.de/STORIES/2705581/
und militante Auseinandersetzungen mit Neonazis an der Schwelle zum Rechtsterrorismus, nahtlos gefolgt von Nie-wieder-Deutschland-Protesten, Großdemos gegen flüchtingsfeindliche Pogrome, Protest- und Blockadeaktionen gegen den 2. Golfkrieg, ich immer mittendrin.
Parallel brach ich mit der linken Uniszene die inzwischen vom Moralinvirus infiziert war und orientierte mich neu, in einer Kurdistan-Soligruppe und einem Antirassissmusplenum mit engem Bezug zu den Materialien für einen Neuen Antiimperialismus, die für mich neben Marx und Adorno zur theoretischen Richtschnur wurden.
Auf das Studium folgte eine Tätigkeit bei einer NGO, wegen der mich manche schon als "Karrierist" beschimpften, dann die Promotion, zu der parallel ich als Dozent unterrichtete und Kneipenklos putzte, dann ein Job in der IT (für den mich jemand dann "Verräter" nannte), schließlich über viele Jahre eine Pressesprechertätigkeit für ein Großunternehmen, nach Krach mit der Geschäftsführung und einem befristeten Lehrerjob ein Leben als Multiselbstständiger - Baufinanzierer, Dozent, Webdesigner, Fotoreporter, Werbetexter bunt durcheinander - und heute bin ich Unternehmer.
Zwischendurch saß ich für eine lokale linke Liste im Rat, meine Ansichten haben sich nicht groß geändert. Ich finde immer noch dass die Materialien für einen Neuen Antiimperialismus und Wildcat Recht haben und die Welt so beschreiben wie sie ist.
Insgesamt kann ich aufgrund beruflicher Einbindung nicht mehr so viel Engagement bringen wie früher, Sport und Alpinismus, die immer wichtig waren, haben im Lauf des Lebens eher an Bedeutung gewonnen, und ich bin bemüht eine gute Work-Life-Balance hinzubekommen.
Parallel zu allem also ein ganz anderer Strang von der Teenager-Zeit bis jetzt, der da heißt: Hochalmspitze-Großglockner-Fluchtkogel-Marmolada-Tofana-Klettersteige-Cevedale-Glödis-Drei Zinnen-Brenta-Grate und Wände
Und: Judo-Karate-Bo-Karate-Escrima-Mixed Style, allerdings mit berufsstress- und verletzungsbedingten jahrelangen Intervallen.
Seit einigen Jahren bin ich auch gesundheitspolitisch engagiert. Szenekontakte habe ich nach wie vor, aber ich lebe nicht in der Szene. Bürgerlich würde ich meinen Lebensstil allerdings auch nicht nennen, im Grunde hat sich auch mit 50+ ein eher studentisches Lebensgefühl erhalten. Und rückblickend gesagt: Es war nie langweilig. Bisher ein Leben mit Vollgas.
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bersarin,
Samstag, 19. Januar 2019, 11:24
Nein, langweilig war es nie, aber das liegt vor allem daran, was man selbst aus solchen Zeiten und in solchen Zeiten macht. (Und ob man nur am großen Jammer andere langweilt und am Opferbonusmeilensammeln ist oder ob man Kritik auch produktiv wenden kann ohne Moralfinger.)
Und es ist auch eine Frage, ob man als Renegat bloß aufs Gewesene zurückblickt bzw. einfach nur verklärend - was im Grunde die zwei Seiten derselben Medaille sind - oder ob man im Sinne dialektischer Kritik fähig ist, die Notwendigkeit einer bestimmten Positionierung zu sehen und sich zugleich selbst auch kritisch zu betrachten, ohne das was war, im nachhinein zu denunzieren. Der deschichtlichen Wahrheit ist schwer auf die Spur zu kommen und die Eule der Minerva beginnt ihren Flug bekanntlich erst dann, wenn eine Gestalt des Lebens alt geworden ist.
Spannend war diese Zeit allemal - was für mich auch daran lag, daß ich sie immer mit Bildender Kunst, Literatur und Philosophie (und mit schönen Weibern) verbinden konnte, sie also ästhetisch auflud einerseits und andererseits philosophisch sie zu analysieren vermochte
Und es ist auch eine Frage, ob man als Renegat bloß aufs Gewesene zurückblickt bzw. einfach nur verklärend - was im Grunde die zwei Seiten derselben Medaille sind - oder ob man im Sinne dialektischer Kritik fähig ist, die Notwendigkeit einer bestimmten Positionierung zu sehen und sich zugleich selbst auch kritisch zu betrachten, ohne das was war, im nachhinein zu denunzieren. Der deschichtlichen Wahrheit ist schwer auf die Spur zu kommen und die Eule der Minerva beginnt ihren Flug bekanntlich erst dann, wenn eine Gestalt des Lebens alt geworden ist.
Spannend war diese Zeit allemal - was für mich auch daran lag, daß ich sie immer mit Bildender Kunst, Literatur und Philosophie (und mit schönen Weibern) verbinden konnte, sie also ästhetisch auflud einerseits und andererseits philosophisch sie zu analysieren vermochte
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bersarin,
Montag, 21. Januar 2019, 02:30
Treffend und sehr schön, netbich, und meine 1/4 russische Seele berührend.
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