Montag, 5. April 2021
Die Viertel-Stunden-Stadt
Seit dem ersten Lockdown ist in den Medien öfter mal davon die Rede dass dieser für die CO2-Bilanz ja sehr gut sei, dass wir insgesamt nachhaltiger wirtschaften müssten und dass wir entschleunigen und unsere Märkte regionalisieren sollten. Neulich hörte ich beim Training auf dem Kettler einen Hörfunkbeitrag, in dem von der Viertel-Stunden-Stadt die Rede war: Infrastrukturplanung sollte künftig sicherstellen, dass alle notwendigen Einkäufe innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß erledigt werden könnten - also nicht die Einkaufsdauer, sondern die Wegedauer zu den Märkten.

Das alles hatte es in meiner Kindheit gegeben:

50 Meter von meinem Elternhaus zum Edekamarkt, der eine Verkaufsfläche von 70 Quadratmetern hatte und hauptächlich regionale Produkte führte. 3 Sorten Bier, alle bei uns gebraut, 1 Sorte Mineralwasser, Harzer Grauhof Brunnen und 2 auf diesem basierende Limonaden, Orangeade und Zitronade mit den Namen Orvetta und Silvetta. Sprite und Fanta gab es nur im Urlaub. Es gab auch nur deutsche Weine außer einem Rotwein, Amselfelder Kadarka aus dem Kosovo. Fünfzig Meter weiter war ein Tante-Emma-Laden, da gab es Dinge die man beim Edeka nicht bekam wie Asterix-Spielfiguren, Wick-Hustenbonbons und Zigaretten. Direkt gegenüber war ein Kurzwarenladen, da konnte man Nähgarn und Nadeln einzeln kaufen und Comics. Später machte da ein linker Buchladen auf, der mein Bewusstsein nachhaltig prägen sollte und wo ich die ersten Hefte der Zeitschrift "Autonomie" erstand. 50 Meter weit in der anderen Richtung vom Edekaladen war die nächste Bäckerei. Zum Schlachter und zum Feinkostladen musste man etwa 200 Meter weit gehen. Supermärkte kannte ich aus US-Fernsehserien. Es gab allerdings einen Real-Markt in der Innenstadt, mitten im Zentrum mit dem ersten Großparkhaus der Stadt, da hinzufahren war ein Familienausflug.

So soll es wieder werden?

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