Sonntag, 27. Dezember 2009
Die Selbstumkonditionierung
Es gab mal eine Zeit, da war ich ein hochsensibler anfälliger bis kränklicher Antisportler. Zwar war ich als Jugendlicher schon bergsteigerisch aktiv und deshalb natürlich einigermaßen fit, in meiner Studienzeit sollte sich das aber ändern. Von einem Akrobatik- und einem Karatekurs, die ich beim Unisport jeweils für ein Semester belegte abgesehen übte ich keine regelmäßige sportliche Betätigung aus, joggte lediglich von Zeit zu Zeit. Sport betrachtete ich als tendenzielle Zumutung, scheute jede körperliche Anstrengung, und war zugleich jemand, der dem Tranke wie auch gewissen rauchbaren Exotika sehr zugetan war. Ich weiß nicht, wie es sich damit heute verhält, aber in den 1970er und 1980er Jahren war eine solche Haltung unter Linksintellektellen, noch dazu Geisteswissenschaftlern weit verbreitet, und "No sports" gehörte mit zum Lebensgefühl der Meisten von uns. Entsprechend instabil war meine Konstitution: Alle möglichen psychosomatischen Wehwehchen, ein Heuschnupfen, der sich über Jahre allmählich Richtung Asthma weiterentwickelte, häufige Kreislaufzusammenbrüche und chronischer Durchfall bestimmten meine Befindlichkeit. Die Vorbereitungen zu einer bundesweiten Großdemo, bei der ich eine tragende Rolle spielte und also fit sein musste sorgten neben abenteuerlichen Wüstentripps dann dazu, dass ich begann, grundsätzlich völlig anders mit meinem Körper umzugehen. Zweimal wöchentlich Kampfsport im Dojo, erst eine eklektizistische Mischung aus Bo-Karate, Modern Arnis und Escrima, später Okinawa-Karate, gleichfalls zweimal wöchentlich Bodybuilding in der Muckibude, zweimal die Woche joggen und einmal die Woche Sauna waren das Programm, das mein Körpergefühl grundsätzlich ummodelte und mit einem Schlag alle körperlichen Beschwerden, die mich jahrelang gequält hatten beseitigte. Also, fast alle, den Heuschnupfen heilte meine Ärztin mit einer Mischung aus Akupunktur und Eigenblutbehandlung, und den Durchfall "kurierte" ich mit einer durch das Trinken von Brunnenwasser in einer Oase mir zugezogene Cholera-Infektion aus, die mein Immunsystem auf Dauer hochpowerte. Damit verknüpft gewann ich eine neue Haltung, die auch zu dem gehörte, was man so beim Kampfsport lernt; man könnte es vielleicht Krieger-Lebensgefühl nennen. Und Erlebnisse wie ein Abstieg an einer Felswand bei Gewitter und Dunkelheit führten dazu, dieses nachhaltig zu kultivieren.

Als man mir nach einer Schwerstverletzung eröffnete, dass ich wohl mit bleibenden Bewegungseinschränkungen zu rechnen hätte, fing ich nur kurze Zeit später das Sportklettern an mit dem Impetus "Euch werde ich es zeigen!" im Hinterkopf. Und ich würde heute sagen, dass ich mit über 40 weitaus fitter, vitaler und insgesamt zufriedener mit meiner Körperlichkeit bin als damals in meinen 20ern. Und auch emotional habe ich wenig gemein mit dem irritierbaren Nervenbündel von früher. Von der allgemein veränderten Grundhaltung abgesehen: Ein paarmal dem Tod ins Auge geschaut zu haben festigt das Selbstbewustsein ungemein.

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Großes Dank für die sports-posting!!!
Werd mich zwar nie in irgendwelche Steilwände begeben, aber zumindest absolviere ich nun - neben nicht so regelmässigen joggen - seit 2 Monaten 2 bis 3 mal die Woche den proletarisch günstigen McFit Fitness Training Parkur. Wieher. Es tut mir wirklich gut und mit 41 Jahren hab ich dieses Jahr einen Energie-Abfall festgestellt. Das ist weg. Dieses permanente vorm Computer-sitzen und das Ausstehen von psychisch anstrengenden Situationen mit krawatteten Männern und mittelalten Frauen in business outfit ist zwar gut fürs Girokonto, hat aber halt diese Effekte auf die Physis, denen gegengesteuert werden sollte, falls man sich nicht von dieser kleinen Ecke des Wahnsinns der Menschheits-Geschichte fertigmachen lassen will.
Die sportsposting hier haben sich jedenfalls bestärkend auf einen Gewohnheitswandel ausgewirkt. Keiner kann sagen, dass in Blogs nur dumme Ideen ausgestreut werden.

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Na gut, ich denke, ich schneide mir von Euch eine Scheibe ab und gelobe hiermit: nächstes Jahr wird alles besser. Immerhin gehe ich schon auf die 50 zu und mein Energieabfall wird zunehmend spürbarer.

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energieabfall, das wird hier ja gehandelt wie atommüll;-)

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Seltsam. Statt eine unerträgliche Situation zu ändern machen sich manche Leute stark, um sie aushalten zu können...

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Na, finde ich ja schön, in dieser Weise positiven Einfluss genommen zu haben. Ilnonno, was meinst Du mit Deinem Kommentar genau?

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Auch wenn ich dem Posting im Prinzip zustimme, sollten die Probleme/Konflikte die sich durch den Sport ergeben auch nicht vergessen werden. Gerade in meinem "Linken" Umfeld ist mir aufgefallen, das ansonsten verachtete "Leistungsstreben" im Sport um so mehr ausgelebt wird.
Wenn jemand aus welchen Gründen auch immer nicht mithalten kann, mit dem "Durchschnitt" der Gruppe, wird es zwar nicht offen kritisiert, allerdings indirekt. Das sich daraus ergebene Menschenbild, des gut durch trainierten, beweglichen, ohne größere schwächen lebenden Menschen, halte ich für sehr bedenklich. Da es eigentlich genau an an das allgemeine propagierte Menschen Bild anschließt.

Der Sportbereich ist für mich auch eins der klassischen Felder innerhalb der Linken, in dem die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis teilw. offen zu tage tritt. Solange die vorhandenen körperlichen Einschränkungen bei einen Menschen nicht stören dürfen die ruhig vorhanden sein, sobald diese allerdings irgendwie stören, wird der Mensch lästig. ;)

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Ich kenne das aus dem, was ich so als linke Szene erlebt habe, eigentlich diametral umgekehrt: Eine Wahrnehmung des unfitten, unsportlichen als moralisch besser und fast schon sich dafür rechtfertigen müssen, dass man Sportler ist. Abgesehen von einer Kampfsport-Bergsteiger-Segler-Fraktion, die das zwangsläufig anders sieht. Die linken Szenen der 70er, 80er und 90er Jahre, wie ich sie kennengelernt habe lebten mehrheitlich einen regelrechten Kult der Unsportlichkeit. So, wie ja auch sich chic machen suspekt war. Stuart Home hatte schon Recht, als er über Londoner Hausbesetzer schrieb "Sie waren nicht stubenrein, standen aber auf der richtigen Seite". Ehe sich alternative Fußballvereine etablierten und der FC St. Pauli Kult wurde herrschte bei vielen Linken auch ein regelrechter Fußball-Hass, manche gingen so weit, Fußball und Faschismus gleichzusetzen. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass sportliche Menschen im Durchschnitt weniger verbissen, weniger moralisch und humorvoller sind als unsportliche. Mal abgesehen vom Körpergefühl für einen selber...

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Deswegen gebe ich auch zum Jahreswechsel das sportliche Skihaserl. Frohes Fest an alle!

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Dankeschön!
Und beim Aprés-Ski nicht übertreiben.

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Selbstverständlich auch nicht untertreiben!

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@saltoftheearth: Ich bin Dir mit Jahrgang '67 und über drei Jahren Sport wahrscheinlich ein Stück voraus. Ich habe auch oft mit Leuten in diesen geschäftlichen Maskierungen zu tun, während ich doch eigentlich nur meine interessante und herausfordernde Arbeit machen will. Aber das eine geht halt nicht ohne das andere.

Seit ich Sport treibe, komme ich damit viel besser zurecht und nebenbei stieg auch die Ausdauer. Von Energieverlust wie vor vier Jahren kann keine Rede mehr sein. Ich vermute, dass es eine relativ einfache Erklärung für die Wirksamkeit gibt: wer etwas für seinen Rücken und seine Haltung tut, hat einfach ein anderes Selbstbewusstsein und eine überzeugendere Körpersprache. Das wird von anderen (auch) unterbewusst wahrgenommen.

Es müssen jetzt nicht alle so weit gehen wie Che (gewagte Alpinistik) oder ich (doppelter Treppenmarathon). Schon zwei bis drei Kraftkreise oder zwei bis drei Laufrunden in der Woche wirken Wunder. Allein dadurch, dass man sich selbst bezwingt …

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Biologisch ist der Mensch ein Bewegungstier. Dass physische und psychische Nachteile eintreten, wenn die regelmäßige Bewegung unter einen kritischen Wert fällt, ist doch klar. Der Spruch dazu heißt "Use it or loose it" – gilt übrigens auch für Frauen ;-)

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