Sonntag, 10. Oktober 2010
Sonntagsspaziergang
" Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade.
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb. Das weiche grau
Von birken und von buchs. Der wind ist lau.
Die späten rosen welkten noch nicht ganz.
Erlese küsse sie und flicht den kranz.

Vergiss auch diese lezten astern nicht.
Den purpur um die ranken wilder reben.
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht."


Nicht, dass mich nun gerade sonderlich viel mit Stefan George verbindet, aber dieses Gesicht kam mir an diesem Wochenende ständig in den Sinn.

Der Herbst leitet sich gerade grandios ein, und ein Spaziergang durch die erweiterte Nachbarschaft (Spaziergänge dauern bei mir mehrere Stunden, entsprechend erweitert ist mein Nachbarschaftsbegriff) lassen mich mal wieder fühlen, wie gut ich es hier getroffen habe. Norddeutschland ist ja, wenn man nicht gerade in Hamburg, Rostock-Warnemünde, Kiel oder Oldenburg lebt von den Miet- und Grundstückspreisen her überwiegend sehr günstig, und gab es noch in den 1980er Häuserkämpfe um billigen Wohnraum, haben sich seither die Wohnungsmärkte so sehr entspannt, dass Hausbesitzer öfter Leerstand Neuvermietungen vorziehen, weil sie allzuviel ohnehin nicht bekommen können. Ich selbst zahle für eine 76qm-Wohnung 264 Euro und wohne in Innenstadtlage in einem Haus mit eigenem Park. Da habe ich nun besonderes Glück gehabt, das ist auch bei uns überhaupt nicht normal, aber sagen wir so, mehr als das Doppelte könnte kein Vermieter hier verlangen. 500 Euro für 100 oder auch 120 Quadratmeter sind marktüblich. Wenn ich so etwas Bekannten in Bayern oder BaWü oder auch Hamburg und Düsseldorf erzähle können sie sich das immer nicht vorstellen. Da hatte mich ein süddeutscher Freund schon mal durch ein Neubaugebiet geführt, um meine Reaktion zu testen. Ich wusste nicht, was das sollte, es war halt ein ganz normales Baugebiet mit der üblichen Mischung von Toskanavillen, Bungalows und Klinker-Stadthäusern, wie es allein in unserem Speckgürtel Dutzende gibt. Später bekam ich dann mit, dass er dachte, ich müsste beeindruckt sein von so viel Wohlstand und Feistigkeit. Aufgrund der Angaben, die ich über Quadratmeterpreise bei uns in der Gegend gemacht hatte war er zu dem Schluss gekommen, unsere Wohngegenden müssten so aussehen wie Tenever, Marzahn oder Halle-Neustadt. Dass ich in einem Altbauviertel in der Innenstadt wohne konnte er kaum glauben. Ich hatte im Urlaub auch mal ein Gespräch mit einem Baden-Badener (nein, das war kein Badeurlaub), in dem es um Bauherrn ging. Er konnte kaum fassen, dass die Mehrzahl der Leute, die sich bei uns aktuell ein Eigenheim bauen Arbeiterfamilien sind - das eigene Einfamilienhaus wäre bei ihm eine Angelegenheit der oberen Mittelschicht und darüber, erzählte er.

Nicht weit von dem alten Arbeiterviertel, in dem ich wohne beginnt eines der traditionell "besseren" Viertel, wo das Wohnen dann schon etwas teurer wird, dafür aber auch etwas geboten. Auch hier wohnen aber nicht etwa geschlossene Eliten, sondern eher so die grün-alternative Mittelschicht, durchmischt mit türkischgriechischitalienischen Restaurantbetreiberfamilien und ziemlich vielen Künstlern.





So etliche benutzen geschmackvolle Gefährte, nach denen auch ein Don oder eine Netbitch sich die Finger lecken würde









und gleich nebenan ersteckt sich ein ausgedehnter Park, der mit Besonderheiten wie Mammutbäumen und einem Boulderfelsen aufwartet.















Wie gesagt: Innenstadtlage, bzw. am Rand von dieser, aber jedenfalls nicht Vorstadt.

... comment

 
Ich will ja Dein wohlverdientes Idyll nicht stören, es wundert mich aber, das in dieser Form zu lesen bei jemandem, der sich schon vehement mit Problemen der Gentrifizierung auseinandersetzt. Bei euch kein Thema? Würd´mich wundern.

... link  

 
Gentrifizierung hat ja nicht einfachmit Grundstückspreisen oder Mieten zu tun. Es gibt hier gezielte Vertreibung von Junkies, Berbern, Punks, Flüchtlingen, und in der Altstdt, vorzugweise am Wasser, auch Grundstücksspekulationen und Mietwucher, die sich gewaschen haben. Das gilt aber nicht für die beiden Viertel, um die es hier geht: Das Eine verslummt eher moderat, das Andere war schon immer chic, da passt der Ausdruck Gentrifizierung nicht.

... link  

 
So macht Kapitalismus Spaß
Gentrifizierung setzt u.a. akkumulierten Wohlstand, eine starke Ungleichheit der Lebensverhältnisse und nicht zuletzt eine leidig lebendige Immobilien-Entwicklerszene voraus, die sich über einzelne, "hippe" Stadtteile hermachen.

Davon gibt es dort, wo Che lebt, eben weniger. Außerdem ist es einfach investitionstechnisch nicht so spannend, wenn sich die kalten Quadratmetermieten um 60 Prozent von 4,20 auf 6,70 Euro steigern. Liegt das durchschnittliche Ausgangsniveau des Wohnungs"marktes" jedoch bei 9 Euro oder höher (wie in Hamburg, Köln, Düsseldorf oder München), oder gibt es dank Lobbyisten/Beamten/Konzernzentralen eine kaufkräftige Sonderschicht (wie in Berlin), dann lohnt sich eine intensivierende Einflussnahme auf Gentrifizierungsprozesse durch die Immobilien- und Entwicklerwirtschaft deutlich mehr. Im Fall von 9 Euro Miet-Grundniveau geht es dann nicht mehr um 2,50 Euro/qm Beute, sondern gleich um 5,40 Euro/qm Beute.

(Kapitalismus: beinhaltet auch Raubzüge auf Kosten der Übrigen)

... link  

 
@das eine verslummt eher moderat...
Tja, so kenn ich das auch noch aus dem Mannheimer Multikultiviertel, wo ich lange Jahre wohnte. Ende der 80er/Anfang der 90er sah es so aus, als könnte die Neckarstadt-West zumindest im vorderen Teil dauerhaft die Kurve kriegen. Was genau den beginnenden Gentrifizierungsprozess dann erlahmen ließ und ins Stoppen brachte, könnte ich gar nicht so genau sagen. Aber was ich sagen kann, ist, dass viele Leute, die ich kenne, dem Kiez den Rücken gekehrt haben. Ich würde mich nun auch nicht zu der Behauptung vesteigen, das wäre eine Riesenkatastrophe für das Viertel, aber man merkt doch deutlich, dass überwiegend die Leute dort geblieben sind, die kaum die nötoigen Spelräume haben, sich was besseres zu suchen.

Ich meine, niedrige Mieten, türkische Gemüseläden und all das ist schön und gut. Aber wenn man beim Versandhandel wegen der schlechten Zahlungsmoral im Viertel einen miesen Schufa-Score bekommt und nur noch gegen Vorkasse beliefert wird und sich fragt, würde ich mein Kind auf die hiesige Sprengelschule schicken wollen, kommt schon die Frage auf, ob es das wert ist.

... link  


... comment