Vom Scheitern linker Bewegungen
Gerade ein paar Blogs nebenan etwas darüber gelesen, dass der Grund für das Scheitern linker Strömungen in der furchtbaren Zerstrittenheit der Linken untereinander und in unfairen, dehumanisierenden Diskussions- und Diskursmustern zu finden sei. Abgesehen davon, dass zwischen den Kämpfen von Leninisten gegen Anarchisten und Stalinisten und Trotzkisten zwischen Kronstadt und Zaragoza, dem Diskussionsgebaren der 67er, den Antisexismusdiskursen der 80er und 90er und der Streitkultur auf Blogs dochmal deutlichst unterschieden werden muss (bis hin zu der Binse, dass ein zorniges Angeranze noch kein Massaker und eine Saalschlacht kein Bürgerkrieg ist) und der Tatsache, dass 68er-Gebashe längst ein Selbstläufer ist (und der Begriff Gebashe wiederum ein neudeutsches Modewort, das eigentlich Gedisse heißen muss, denn "Bashing" meint im Englischen jemanden brutal zusammenschlagen, so etwa das, was Alex und seine Jungs in Clockwork Orange tun), der seinen eigenen Regeln unterliegt und Mythen erzeugt, die mit dem Betrachtungsgegenstand nichts zu tun haben, abgesehen von solchen Dingen also würde ich ja mal sagen, dass der Hauptgrund für das Scheitern linker Bewegungen zumindest in Mitteleuropa nicht in den mit Sicherheit unerfreulichen Aspekten mitunter brianesker Diskussionsstile, unfruchtbarer Streitigkeiten und sinnloser Konkurrenzkämpfe zwischen Politgruppen liegt, sondern zunächst einmal die Tatsache, dass die gesellschaftlich Mächtigen nicht links sind, kein Interesse an einem Erfolg linker Bewegungen haben und die Integrationskraft des Systems eine Große ist.
BtW, und ich habe die großen Debatten der 80er und 90er, wo ich ja mittendrin gestanden habe, die Militanz- oder Gewaltfragendebatte, die Vergewaltigungs- und Sexismusdebatte, die Antisemitismus- und Rassismusdebatte und die Organisationsdebatte, schließlich die Mißbrauch-mit-dem-Mißbrauch-Debatte sicherlich gänzlich anders erlebt, als das, was darüber heute so kolportiert wird. Aber bitteschön - wir waren das Original.
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netbitch,
Samstag, 30. Oktober 2010, 20:41
Nein nein, schuld am Scheitern linker Bewegungen waren immer die bösen Feministinnen zusammen mit den dogmatischen WortführerInnen. Und ein Arbeitslager ist so etwas ein Buch von Butler. Aber die da obenmachen eh was sie wollen. Die sitzen auf einer Wolke und heißen Marx, Engels, Luxemburg und de Beauvoir.
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che2001,
Samstag, 30. Oktober 2010, 21:17
Dein Diskursremix ist wie üblich Klasse, fällt aber diesmal etwas knapp aus. Habe aber gelacht!
Ich nehme diese verunglückte Debatte aber lediglich zum Anlass, mal das Augenmerk auf die linken Theoriediskurse und Selbstverständnisdiskussionen der letzten Jahrzehnte zu legen. Die haben es nicht verdient, vergessen zu werden. Zumal sowohl die Nicht-mehr-Linken als auch so ein linksliberales Neubürgertum, die das Alles am Rande mitbekommen haben, eher ein Interesse an Vergessenspolitik bzw. Dämonisierung haben, das hat sich ja oft genug gezeigt. Ob nun bei Sexismus- und Vergewaltigungsdebatten Feministinnen als männerfeindliche Aggressorinnen dargestellt wurden oder Katharina Rutschky und Wiglaf Droste als verfolgte Unschuld, immer werden Opfer zu Tätern gemacht. Mit zum Teil krassen Überzeichnungen und Feindbildprojektionen. Wir hatten mal bei einer Droste-Lesung eine Mahnwache veranstaltet, mit der wir auf seine Verharmlosung von sexuellem "Mißbrauch" von Kindern und Jugendlichen hinwiesen, und ein Pressefotograf machte Fotos von der Mahnwache und dem Eintreffen Drostes und der Gäste. Die Lesung selber wurde von uns nicht behindert. Bei den Zuhörerinnen entstand ob der Anwesenheit des Fotografen aber das Gerücht, wir fotografierten die Gäste, um eine "Sexisten-Kartei" anzulegen. Ich bekam auch den Vorwurf zu hören, ich machte bei dieser Aktion nur mit, um mich bei den Frauen einzuschleimen, sozusagen zur Sicherung von Rohrverlegemöglichkeiten.
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glanzor,
Samstag, 30. Oktober 2010, 23:19
Komisch. Ich hatte heute den genau gegenteiligen Gedanken. Also, dass der Grund für den relativen Erfolg der Radikalen Linken (im Vergleich zu, sagen wir, den Rechten) gerade in der Streitkultur liegt, dass eben gestritten wird, auch mit Minderheitsmeinungen, anstelle sie authoritär abzudrücken oder für irrelevant zu erklären.
Konflikte auszutragen, wenn auch in etwas unschöner Form, halte ich sowieso eher für etwas positives.
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che2001,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 00:27
Das sehe ich genauso. Aber Etliche sehen das genau andersherum, vor allem Exlinke oder Linksliberale, die damit ihr eigenes Nichtmehrmitmachen oder ihr Niemitgemachthaben bzw. ihre Distanz legitimieren. Götz Aly ja auch.
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momorules,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 01:45
Ich finde es geradezu grotesk, angesichts der grenzdebilen Anwürfe irgendwelcher ahnungslos Beleidigten so eine Debatte so zu führen, dass man sich auch noch auf dessen Prämissen einlässt. Das ist einfach eine derart verblödete Vorgabe, die ihre Antwort schon in sich trägt: Beleidigte, machtgeile Hetero-Männer, die "Die Reihen fest geschlossen!" gröhlten und davon träumten, große, wortgewaltige Anführer zu sein, haben es immer wieder verbockt. Ganz einfach. Mal vom Kapital ganz abgesehen ;-) ...
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che2001,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 01:57
Vielleicht ist der netbitchige Ansatz (Veralberung) tragfähiger. Ansonsten zurück zum Kapital. Nörgler, Dein Auftritt!
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momorules,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 02:04
Meine Bereitschaft zur Selbstveralberung hält sich bei existenziellen Fragen trotz allem Willen zur Selbstironie deutlich in Grenzen, gebe ich zu. Aber zurück zum Kapital, ja. Als hätte es irgendwas mit irgendwelchen innerlinken Debatten zu tun, daß wir die Weltrevolution noch nicht hatten.
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che2001,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 12:28
Och, ich würde noch der eigenen Hinrichtung humoristische Aspekte abgewinnen, aber es wurdest ja nicht Du veralbert, sondern einige Stilblüten der Formulierungen, die da so auftauchten, und zwar tendenziell von anderen Leuten als nun Dir.
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momorules,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 12:35
Ach, selbst wenn, Netbitch dürfte mich selbstverständlich jederzeit nach Herzenslust veralbern!
Nee, ich halte den Hintergrund der Diskussion nicht für witzig. Da sind mir einige Deutungsmuster zu mächtig und omnipräsent geworden.
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ilnonno,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 14:00
Wie wäre es mit einer Trennung in U- und E-Politik?
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alterbolschewik,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 14:48
Ich denke schon, daß es einen Zusammenhang zwischen bestimmten innerlinken Debatten und der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit dieser Linken gibt. Nur glaube ich, daß Ursache und Wirkung verwechselt werden. Es ist meines Erachtens die gesellschaftlich produzierte reale Ohnmacht, die zu den wirklich unappetitlichen Selbstzerfleischungen, die wir alle miterlebt haben, geführt hat: Da der eigentliche Gegner zu abstrakt oder zu unangreifbar wurde, griff man stattdessen auf real existierende Mißstände innerhalb der Linken zurück, die mit unerbittlicher Kompromißlosigkeit angeprangert wurden. Hier konnte man noch einmal seine ganze Radikalität kompromißlos ausleben, weil die jeweils Angegriffenen auch brav mitmachten. Die ganzen Antisemitismus- oder Sexismusdebatten (die zu Anfang ja durchaus ihre Berechtigung hatten), hätte man an einem bestimmten Zeitpunkt ganz schnell abkürzen können, wenn man sie einfach ignoriert hätte. Dann wäre aber wahrscheinlich auch aufgefallen, daß man sonst nicht mehr allzuviel zu sagen hat, zumindest nichts, was außerhalb einer bestimmten Szene noch irgendjemand interessieren würde.
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momorules,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 16:12
Ich habe ja in diesen, wie nenn ich's, Zirkeln, meine ich nicht böse, nie so tief drin gesteckt wie ihr, eigentlich so gar nicht, deshalb kann ich Manches nicht beurteilen. Was ich seit der "New Economy" meinerseits immer stärker wahr genommen habe, ist trotzdem eine allzu starke Orientierung an dem, was außerhalb bestimmter Szenen alle interessiert, und ein immer fassadenhafteres Geblubber der ganz normalen Feld-, Wald- und Wiesenlinken, SZ-orientiert, hinter dem sich eine immer aggressivere Selbstgerechtigkeit breit macht und eine große Bereitschaft, die Ressentiments der Rechtsausleger des Feuilletons zu übernehmen. Das sind freilich andere Kreise als die, die sich ggf. in Sexismus-Debatten zerfleischen, um dann mit 35 doch genau so bieder ihre Kleinbürgerträume zu leben. Die hier wahrscheinlich auch gar nicht als links wahr genommen würden, sich aber selbst noch so nennen würden.
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che2001,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 16:38
Die Leute, die wir Szene-Leute "Die Unpolitischen" nannten.
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entdinglichung,
Montag, 1. November 2010, 11:02
bei uns in der Antifa hiessen die vor 20 Jahren teilweise "die Normalen"
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 11:06
"Normalos" hießen die bei uns vor 30 Jahren, "Die Unpolitischen" war 90er.
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noergler,
Montag, 1. November 2010, 15:25
Ich finde nicht recht den Anknüpfungspunkt für einen "Auftritt". Dennoch danke, Che, für die freundliche Aufforderung.
Etliches von dem, was Alterbolschewik schreibt, sehe ich auch so. Da merkt man gleich, wer die Zeit der K-Gruppen selbst noch miterlebte.
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 16:04
Na ja, genau genommen waren das nicht die K-Gruppen, sondern die erste Generation der Autonomen plus spezifisch Freiburger Politsekten wie die ISF, die Bunte Liste Freiburg und die MRI (Marxistisch-Reichistische Initiative). Ein Summelsarium aus der Gründergeneration der Antideutschen und freudomarxistischen Splittergruppen mit den Zügen von Psychosekten (ritualisiere Selbstkritik im Sinne von Gruppentherapie mit heißem Stuhl, z.T. sozialistischer Fickzwang).
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entdinglichung,
Montag, 1. November 2010, 16:25
bei MRI/BgA nur "mit dem Zügen von Psychosekten" ... ich würde sagen, dass das eine Psychosekte par excellence ist
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loellie,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 16:25
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che2001,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 17:44
Welche Debatten das waren habe ich oben ja schon erwähnt.
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saltoftheearth,
Sonntag, 31. Oktober 2010, 16:44
... bin nicht so der Historiker, aber vermutlich bereits in populistischen Bewegungen im alten Rom. Und wir erleben Streit doch auch Mitte-Links oder Mitte-Rechts (aktuelle Bundesregierung).
Politik besteht halt zu einem nicht kleinen Teil aus Fragen,
- ob das Zirkus-Zelt in Ost-West oder in Nort-Süd Richtung aufgestellt wird
- ob der Messerwerfer
- die tanzenden Guanacos
- oder eben der Mann der mittels einer Kanone durchs Zirkuszelt geschossen wird
ins Programm genommen wird.
Ohne schlecht über die Herrschaften zu sprechen, aber auf neo-liberalen oder neo-konservativen Blogs hatte ich letztens auch den Eindruck, dass für die Erklärung des Scheitern der übertriebenen Hoffnungen in Politik fehlende Geschlossenheit und Medienkampagnen des Mainstreams herhalten müssen. Von diesem Winkel betrachtet ist das Lammentieren der Linken über die Gründe der nicht stattfindenden Transformation einer ungerechten in eine "gerechte" Welt sogar einen großen Erfolg. Es wird von anderen politischen Gruppen übernommen.
Teile der Ideen find ich persönlich völlig sinnvoll, andere wiederum haarsträubend.
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 01:01
@Alter Bolschewik: "Dann wäre aber wahrscheinlich auch aufgefallen, daß man sonst nicht mehr allzuviel zu sagen hat, zumindest nichts, was außerhalb einer bestimmten Szene noch irgendjemand interessieren würde." --- Das hattest Du 1990 in "Mit den überkommennen Verhältnissen radikal brechen!" ja bereits überzeugend geschrieben;-)
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workingclasshero,
Montag, 1. November 2010, 11:25
Wo Du dankenswerter Weise oben schon den falschen Gebrauch des Wortes Bashing erwähnst, möchte ich noch mal illustrieren, wo das eigentlich herkommt. Allgemein kann es sowohl beschimpfen oder beleidigen als auch verprügeln bedeuten, populär wurde der Begriff aber durch die Lieblingstätigkeiten englischer Naziskins der 70er, nämlich Queerbashing (Schwule krankenhausreif schlagen) und Pakibashing (Pakistanis krankenhausreif schlagen), am liebsten mit dem Bordsteinkick, d.h. Schädel auf die Bordsteinkante legen und gegentreten. Und wer auf der Insel aufgewachsen ist, wird auch das assoziieren, wenn er oder sie im deutschen Sprachgebrauch "Bashing" hört oder liest.
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alterbolschewik,
Montag, 1. November 2010, 12:55
@che: Shit, so ist das halt bei alten Männern: Wenn sie denken, sie hätten einen originellen Gedanken, dann haben sie den schon vor zwanzig Jahren formuliert und nur wieder vergessen. Ein Kunstgeschichte-Professor, bei dem ich hin und wieder in den Vorlesungen saß, skizzierte einmal den Entwurf eine "Alzheimer-Ästhetik", nachdem er bei der Lektüre eines Buches eine sehr treffende Bemerkung fand, dazu eine Randbemerkung machen wollte und feststellen mußte, daß er eben diese Randbemerkung schon vor Jahren hingeschrieben hatte.
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 14:04
Hatte eben gerade so die Art Begegnung mit einer jungen Frau, die das "Alter Mann" doch sehr sehr relativiert;-)
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netbitch,
Montag, 1. November 2010, 16:47
Techtel? Was Ernstes? Tät mich ja freuen!
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 19:05
Nur ein Flirt im Supermarkt, aber Labsal für die Seele.
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netbitch,
Montag, 1. November 2010, 19:30
Ah, wieder Neues aus der Rubrik "Unbekannte Frauen in der Öffentlichkeit anlächeln und unerwartete Szenen in Sauna und Schwimmbad";-)
Wie jung war die denn?
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 20:13
Die kann erste Hälfte 20 oder auch 35 gewesen sein, sehr schwer zu schätzen. Ausgesprochen schön, relativ groß und, um mit Wecker zu sprechen "ungeheuer fleischlich." Migrantin mit Tattoos, eher freakig.
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netbitch,
Montag, 1. November 2010, 20:52
Das passt alles ziemlich gut. Um das mal ehrlich auf den Punkt zu bringen: Dieses Dein Flirtverhalten ist schon sehr speziell. Einerseits wird Eine von Dir so freundlich-jungenhaft angelächelt, dass es geradezu rührend wirkt, und andererseits signalisiert Deine Körpersprache das fickenwollen unmißverständlich deutlich. Das irritiert Viele. Und ich glaube, das irritiert umso weniger, je weniger die Frauen Akademikerinnen und aus bürgerlichen Familien, je weniger protstantisch und norddeutsch die sind. Wahrscheinlich hättest Du die besten Chancen bei mexikanischen Krankenschwestern und syrischen Kellnerinnen.
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che2001,
Montag, 1. November 2010, 23:48
Wahrscheinlich ein Topptreffer. Krankenschwester oder MTA könnte gut sein, der Markt ist direkt neben dem Klinikum, und rein ausstrahlungstechnisch würde so ein Berufsbild zu ihr passen. Danke auch für die Blitzanalyse, die ich als Kompliment fasse.
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alterbolschewik,
Dienstag, 2. November 2010, 00:51
Ha, so eine präzise netbitch-Analyse hätte ich auch mal gerne. Schade, daß wir uns nie persönlich kennengelernt haben und in absehbarer Zeit auch nicht werden...
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microgod,
Montag, 1. November 2010, 11:20
Habe in vielen Vorstandssitzungen eines Kreisverbandes miterleben dürfen, wie die Diskussions- und Streitkultur in der Praxis aussieht, insbesondere unter Würdigung des Gender Mainstreaming. Da wurde regelmäßig mehr Zeit auf die politisch-korrekte Formulierung verwendet, als auf den politischen Inhalt selbst. Man wählt sich gar zwei Vorstandsvorsitzende, eine weibliche und einen männlichen. Beide haben nix zu sagen in ihrer Führungsposition, aber so ist es auch gewollt. Die wahre Autorität liegt nämlich beim Schatzmeister, der sein Amt nicht mit jemandem teilen muß - und der die wirklich wichtigen Dinge lieber privat mit Landes- und Bundesverband regelt, unter Umgehung der offiziellen Kanäle wie Emailverteiler etc...
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momorules,
Montag, 1. November 2010, 11:38
Na ja, der "politisch-korrekte Sprachgebrauch" ist ja den Inhalten nicht äußerlich, wie Workingclasshero gerade belegte - ebenso wenig die Besetzung von Posten.
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saltoftheearth,
Montag, 1. November 2010, 13:18
In jedem Fall ist ein Vielklang von nebeneinander existierenden Stimmen glaubhafter als die Suche nach dem heiligen Gral der perfekten Theorie.
Bezüglich Revolution bin ich mehr als skeptisch, aber man kann Menschen erreichen durch unmittelbare Aufdeckung von Leid und Ungerechtigkeit.
Stattdessen suchen da zu viele nach dem "Beweis" des "Scheitern" des "Kapitalismus". Und biegen sich eine komplexe Realität zu einer in sich plausiblen Grossen Theorie zusammen. Je mehr man in diesem Wortsalat der Theorie arbeitet, desto diskursunfähiger wird man in Verbindung mit dem Rest der Welt.
Konfrontation macht die ach so liebe Diskussion irgendwie temperamentvoller für die lieben Diskutanten, nur bewirkt sie wenig. Letztlich enthält jedes System inhärent ein Moment der Stabilisierung. Ohne das droht der Bürgerkrieg, den meistens die meisten nicht wollen. Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Mitte-Links hat natürlich die Gefahr, sich in ein fröhliches Raumschiff zu verwandeln, das die, für die man angeblich streitet, nicht mehr erreicht. Daran hat die SPD genauso zu knabbern wie übrigens auch die chilenische Concertación.
Global vernetzt ist die Linke kaum. Shilecito zwischen jenem Gebirgszug und dem Pazifischen Ozean wird auf unbestimmte Zeit der verwunschene Ort des ewigen Kampfes zwischen Pin8 und Don Salvador Allende Gossens bleiben. Kein Ort für die höchst komplexen und widersprüchlichen Auseinandersetzungen jetzt.
Das Feilen an der diskursiven Rechthaberei hilft den Erniedrigten und Beleidigten kein Stück.
as allways...
Und vielleicht einfach mal die Akzeptanz, dass marktwirtschaftliches Schwellenland zwar nirgendwo zum neoliberalen Traum einer Angleichung innerhalb der Gesellschaft durch Wettbewerb führt, aber die Erniedrigten und Beleidigten ein paar Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet, ihnen die Lebensqualität dank steigenden Sozialhaushalt insbesondere für Wohnraum und Bildung verbessert sowie vor allem, dass sich die Wahl der individuellen Lebensentwürfe dank der real gestiegenen Toleranz erweitert.
Stattdessen wird sich an der Dependenztheorie festgeklammert, die endgültig albern wird, wenn sich Opel Modelle mit General Motors Logo aus chinesischer Fertigung von chinesischen Marken im Niedrigpreissegment verdrängt werden, während die oberen 2/5 + (Kollektiv-) Taxi-Betreiber auf Toyota/Hunday schwören und die paar Audis, BMWs und Mercedes bei streng kontrollierter Höchstgeschwindigkeit von 120 ein Nischendasein führen.
Die leider sehr stabile Tradition des Schönredens jedes verzweifelten Pupses traditioneller Sympathie-Träger namens Venezuela, Kuba und Nikaragua, wo doch selbst Karl Marx eindeutig Kapitalismus als Fortschritt gegenüber den dem Rückfall in senioral-feudale Zustände wertete.
Die völlige Nicht-Wahrnehmung der Tatsache, dass die sehr ernsthafte, aufrichtige und spannende Aufarbeitung der eigenen eben auch problematischen revolutionären Geschichte die Wahlsiege der Concertación, der Kirchners, der Lulas/ Dilma Rousseffs und des Pepe Mujicas überhaupt erst möglich gemacht haben. Das bewirkte etwas, dass die schöngefeilten Diskurse nie bewirken werden: Es verbessert die Lebensumstände einer Menge Erniedrigter und Beleidigter und wird von mitte-rechts Regierungen ausgeweitet. Sonst werden die nämlich nicht wiedergewählt.
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first_dr.dean,
Mittwoch, 3. November 2010, 20:24
Schlechtes und abstoßendes Verhalten in Diskussionen ist sicherlich kein linkes Privileg, obleich man objektiv den Eindruck gewinnen kann, die radikale Linke neigt verblüffend oft dazu. Nur: Warum ist so? Und was bewirkt es?
Da gibt es mehrere Antworten darauf. Zu einem Teil gehört das Übergeschnapptsein und ein gestörter sozialer Umgang in die soziale Eigendynamik von Gruppenprozessen bei Extremisten. Ein Plenum von beispielsweise 20 Leuten kann jederzeit durch zwei bis drei lautstark und konfliktsträchtig auftretende radikallinke Arschlöcher/innen massiv dysfunktional gemacht werden. Ich würde mich im Übrigen wundern, wenn sich Verfassungsschutz & Co dieser Möglichkeit verweigern würden. Sorry to have said that.
Eine weitere wichtige Perspektive ist meines Erachtens, die in der radikalen Linken asoziale, oder neutraler formuliert, spezielle Diskurspraktiken auch als Machtmittel zu betrachten. Der Machtkampf in hierarchisch-demokratischen Organisationen (z.B. "Volksparteien") erfolgt auf andere Weise, während (nicht nur!) in vielen radikallinken Gruppierungen die unmittelbare Aggression und Mackergehabe eine wirkungsvolle Möglichkeit zur Machtentfaltung bietet. Anders gesagt, Diskursmackertum ist in radikallinken Zusammenhängen weit verbreitet.
P.S.
Ich hoffe auf Widerspruch.
P.P.S.
Dort, wo sich relativ wenig politisierte oder (in dieser Hinsicht auch gut) vorwiegend linksliberale Bürger treffen, dort herrscht in der Regel ein deutlich angenehmeres und auch produktiveres Diskursklima.
P.P.P.S
Widerspruch gerne auch auf das P.P.S.
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che2001,
Mittwoch, 3. November 2010, 20:42
Bevor ich dazu was sage, weise ich darauf hin, dass Du Post hast.
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kritik-und-kunst,
Mittwoch, 3. November 2010, 23:11
hi dr. dean
"Ein Plenum von beispielsweise 20 Leuten kann jederzeit durch zwei bis drei lautstark und konfliktsträchtig auftretende radikallinke Arschlöcher/innen massiv dysfunktional gemacht werden. Ich würde mich im Übrigen wundern, wenn sich Verfassungsschutz & Co dieser Möglichkeit verweigern würden. Sorry to have said that."
tja, da bin ich wohl unabhängig von Dir zu ähnlichen Überlegungen gekommen. ähem!
Ansonsten gilt für "Statistik" (darum ging es, ohne jene Debatte bei Momo wäre dieses Posting von che nicht entstanden) dies hier:
http://kritikundkunst.wordpress.com/2010/11/01/blogroll-entmullt/#comment-529
Wer, wie geschehen, Statistik mit "Faschismus" kontaminieren/konnotieren will, möge dann doch bitte auch die linke Traute haben, die Verfasser von "Zur Lage der arbeitenden..." und des "Kapitals" als zumindest Quasi-Faschisten zu labeln!
Ches Beiträge, auch die vehementesten, wurden bei mir zensurfrei veröffentlicht. Mal sehen, obs anders herum genauso läuft.
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che2001,
Mittwoch, 3. November 2010, 23:36
Lieber Dean, den V-Schutz-Ausdruck "Extremisten" lese ich hier nicht so gern. Inhaltlich kann ich Dir teilweise Recht geben und teils auch nicht. Dazu habe ich zu ambivalente Dinge erlebt. Von einem Plenum, indem zum Thema Sexismus ein Mann, Brust raus, Bauch rein, Muskeln zeigend dröhnte, das Verhalten vieler Männer würde von Frauen ja kritisiert, er könne das nicht verstehen, er hätte keine Probleme mit Frauen über die stachelberingte Radikalfeministin mit Schwanz-ab-Positionen, die später ihre Marx-Adorno-Foucault-Butler-Bände auf die Straße schmiss (wo sie dann von GenossInnen begierig aufgesammelt wurden) und heute die devote Gespielin ihres Meisters ist bis hin zu dekonstruktivistischen Frauen, die die ganze Dworkin-Schwarzer-Moral als implizit biologistisch demontierten (Netbitch war Eine davon), und meine Gruppenzusammenhänge in den 90ern waren völlig anders. Meine Bezugsgruppe 1 wurde "Das kontrollierte Plenum" genannt, weil wir so absolut aggressionsfrei und ausredenlassend miteinander umgingen, und in der Kurdistangruppe ging es zu wie in einer sehr lieben, nichtpatriarchalen Familie. Die kritisierten aber Bezugsgruppe 1 bereits als zu zurückhaltend und unstrukturiert. Die linksliberalen BürgerInnen erlebte ich schon wieder eher als latent repressiv und vorurteilsgeladen, z.B. präsentierte ich da mal ein Plakat gegen staatlichen Rassismus, das einen von Cops abgeführten Schwarzen in Handschellen (vor der Abschiebung) zeigte und bekam da "Was soll jetzt dieser Drogenhändler?" zu hören. @Mackertum: Also das kenne ich eher so, dass vorzugsweise Frauen, Migranten und Schüchterne aufgefordert wurden, etwas zu sagen und bei den Redebeiträgen der männlichen Großschwadronierer die Leute nach und nach auf den Raucherflur gingen, inklusive "Ihr könnt wieder reinkommen, Lars ist fertig."
Dass bei Debatten, wo es wirklich um was ging die Fetzen flogen erklärt sich aus der Natur der Sache. In der Militanzdebatte ging es um die Frage, ob man bereit ist, sich und andere zu verletzen und das Risiko von Krankenhaus und Knast auf sich zunehmen inklusive Spitzel in den eigenen Reihen, in der Sexismusdebatte um Vergewaltiger in den eigenen Gruppenzusammenhängen. Dass da nicht geredet wurde wie beim Kaffeekränzchen dürfte klar sein.
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che2001,
Donnerstag, 4. November 2010, 00:00
@kritik-und-kunst, tatsächlich hatte Momorulez geschrieben, Deine Statements zu schwulen, feministischen und schwarzen Subjektivitäten hätten strukturelle Ähnlichkeit mit rechten Diskursmustern wie bei PI. "Ähnlichkeit", nicht, Du wärest ein Rechter. Nicht identitär, sondern im Sinne einer Positionierung. Ich würde das, um mit Dir zu sprechen, viel "unaufgeregter" sehen, aber ich bin auch kein Schwuler mit all den Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, die die haben. Akzeptier doch einfach mal, dass manche Leute auf die Selbstverständlichkeit, mit der weiße heterosexuelle bildungsbürgerliche Männer ihre Standpunkte als das Allgemeine voraussetzen allergisch reagieren und sich bedroht oder marginalisiert fühlen. Nörgler hat das kapiert, ich habe es kapiert, Dean hat es nach witzigen Kapriolen ("Katzenblogger") kapiert, warum nicht auch Du? Dann willkommen im Club!
BTW. Und wenn Du schon wieder bei Dir drüben andere Standpunkte und Wahrnehmungsweisen als "Lügen" abqualifizierst, dann weiß ich wirklich nicht mehr weiter.
Zu dem Isi-Komplex sage ich nichts mehr, ich hatte (wie auch Netbitch und Workingclasshero) bislang angenommen, das wäre eine mit Dir verkrachte Bekannte aus Deinem real life, jetzt zu erfahren, dass Ihr Euch gar nicht kennt macht die Sache unübersichtlich, und nachdem Nörgler und ich im dortigen Kommentarbereich schon als Linksliberale und diese wiederum als der Hauptfeind bezeichnet wurden will ich das auch gar nicht mehr so genau wissen.
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kritik-und-kunst,
Donnerstag, 4. November 2010, 00:36
Zunächst:
"Zu dem Isi-Komplex sage ich nichts mehr, ich hatte (wie auch Netbitch und Workingclasshero) bislang angenommen, das wäre eine mit Dir verkrachte Bekannte aus Deinem real life etc"
Bruharhar! Ich würd mal über Eure Fehlanalyse nachdenken!
(Sorry, aber diese Frau läuft virtuell wirklich seit Jahren Amok. Ich kenn die nicht, ad sinistram kennt die nicht, andere kennen die nicht. Ich weiß, dass einige - nicht ich - inzwischen sogar darüber nachdenken, die Staatsanwaltschaft einzuschalten - und das sind wirklich aufrechte Linke! Soviel zu Isi. Wenn die reale Person Isi der virtuellen "Isi" entspricht, so habe ich Mitleid mit ihr! edit: O es sich bei Isi um E oder um G oder um M oder um J handelt, weiß ich natürlich nicht...glaub ich allerdings auch nicht!)
Zum eigentlichen. Du darfst mich übrigens gerne "Hartmut" nennen - ich poste ja mit Klarnamen (und allen Nachteilen, die das mit sich bringt).
"Und wenn Du schon wieder bei Dir drüben andere Standpunkte und Wahrnehmungsweisen als "Lügen" abqualifizierst, dann weiß ich wirklich nicht mehr weiter."
Du hast gelogen (oder nicht recherchiert), ganz einfach. Ich wurde - screenshot liegt vor, ich sende ihn Dir gegen 200.- Euro zur Vorkasse gerne zu (sorry, aber irgendwann habe ich es wirklich nicht mehr nötig, anderer Leutz Recherche-Arbeit unbezahlt zu leisten!) - im Indikativ als Rechter bezeichnet. Die zu polierende Schnauze inklusive.
"aber ich bin auch kein Schwuler mit all den Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, die die haben." Habe ich alles so eingeräumt. Und nun? Angesichts dessen, was mir man zugeschmutzt hat, finde ich mich überfair. Nur Korherr/Wannsee - da jibbet auffe Ömme, und das ist auch gut so und richtig so! Da fahre ich den knallharten Gegen-Aggro! "Korherr/Wannsee" ist Hotel Lux, ist Moskau, 30er, ist das linke Besserungs- und Erziehungs-KZ, und weiter gar nix.
Fänds übrigens gut, wenn Du mal auf Engels und Marxens weitumfängliche Verwendung von Statistiken eingingest.
Persönliches zum Schluss: ich kannte mal jemanden - ein naher Verwandter -, der schwul war. In seiner Familie galt: "Und wenn Du schwul bist, dann prügel ich das aus Dir raus!" ich habe, frühpubertär, im Rahmen meiner damals schwachen Kräfte versucht, zu helfen. Momos Aggro-Vorwürfe tun einfach auch außerpolitisch schlicht weh. Weil sie nicht stimmen. Was wäre eigentlich, wenn mein Sohn schwul würde? Na, was wäre dann? "Möchtest Deinen Freund mit in den urlaub nehmen?" D a s wäre dann, und weiter nix!
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che2001,
Donnerstag, 4. November 2010, 00:47
Dann beenden wir hiermit das Gespräch. Das wird mir jetzt zu blöd. Ich hatte versucht, zwischen gegensätzlichen Positionen zu vermitteln, ohne meinen Standpunkt aufzugeben, aber jetzt reicht es.
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kritik-und-kunst,
Donnerstag, 4. November 2010, 00:49
"Ich hatte versucht, zwischen gegensätzlichen Positionen zu vermitteln"
hattest Du nicht. Ich habe - angesichts der widerwärtigen Unverschämtheiten, mit denen ich belästigt wurde - ja nun wirklich eine milde Antwort formuliert. Selbst die wird verworfen. Irre!
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che2001,
Donnerstag, 4. November 2010, 01:10
Ich verstehe ja Deine Verletzung, und auch, dass Du mit Momorulez nicht mehr kommunizieren willst, aber ansonsten habe ich keine Lust mehr, mich mit diesem Unfug weiterhin zu beschäftigen.
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kritik-und-kunst,
Donnerstag, 4. November 2010, 01:15
Natürlich nicht, Ihr seid soeben pleite gegangen. Peinlich, che, peinlich. Mit schönen Grüßen an die mir unbekannte Isi!
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momorules,
Donnerstag, 4. November 2010, 01:42
Erst gegen Denkverbote wettern, und dann mit dem Anwalt drohen :-D - hat er ja gar nicht. Habe mich nur verlesen.
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kritik-und-kunst,
Donnerstag, 4. November 2010, 01:53
richtig, hat er nicht. Ich versuche da noch Einfluß zu nehmen. Angesichts dessen, was da auch unterirdisch abläuft, kann ich die Freunde aber auch verstehen.
Viel Spaß weiterhin mit Deiner Freundin: Passt wirklich. Kannste die uns nicht abnehmen? Vielleicht gibt sie dann Ruhe...
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momorules,
Donnerstag, 4. November 2010, 02:01
Ich nehm die "euch" gerne ab und sage ansonsten: "Ich bin Migrant, und er hat mich kriminell genannt! Ich bin ein Krimineller, hat er gesagt!" Stellvertretend.
Auch wenn Chinaski lieber Frauen fickt ... seufz.
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kritik-und-kunst,
Donnerstag, 4. November 2010, 02:11
Momo, mit Deinen versuchen, das rennen jetzt noch zu gewinnen, wirste so nix werden. Isi ist Dein problem, nicht meines.
Versuch doch mal, den Verdacht, ich sei Staatsschutzmitarbeiter, zu streuen. Vielleicht klappt das noch!
kopfschüttelnd...
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momorules,
Donnerstag, 4. November 2010, 02:22
Wie kommst Du denn jetzt schon wieder darauf? Die Vorstellung, Isi und ich seien Super-Mitarbeiter des VS, um "die Linke" zu zerstören, die hatte ja nun nicht ich proklamiert.
Chinaski ist trotzdem toll. Von dem träume ich heute nacht.
Ich will keine Rennen gewinnen. Zumindest nicht hier. Ich will ganz genau wie Du auch nur akzeptiert, geliebt und anerkannt werden. Wie wir alle. Zu fressen haben, meine Philosophen lesen und meinen Hund knuddeln. Mehr nicht. Wie wir alle eben einfach mein ureigenstes Leben leben. So kitschig das ist. Ist aber so. Und ich will das für alle Anderen auch.
Und in diesem Sinne wünsche ich Dir in Deinem ureigensten Leben eine gute Nacht.
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netbitch,
Donnerstag, 4. November 2010, 19:20
"Rennen gewinnen", tstststs. Immer diese Kerle, für die Diskussionen kein Meinungsaustausch sind, sondern ein Wettkampf ist oder ein Streit, in dem obsiegt wird.
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noergler,
Freitag, 5. November 2010, 09:43
Das kömmt daher, weil die Konkurrenz die regulative Idee der gesellschaftlichen Oberfläche ist.
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