Sonntag, 28. Dezember 2014
Revisited - neue Gedanken zu alten Auseinandersetzungen
Mein, soweit ich weiß inzwischen leider verstorbener Freund Medvech hatte das Motto „The Next revolution will be blogged!“, und wenn wir twittern und simsen mit dazu nehmen, lässt sich das zum Beispiel auf den Arabischen Frühling wirklich anwenden. Mit freilich ganz anderer politischer Stoßrichtung meinten das ab 2004 auch ganz andere politische Kräfte, nämlich ein Sammelsurium (oder gar ein Summelsarium, so dispers gemischt waren die) von Liberalen, Antideutschen, Anarchos und Neuen Rechten, die ein Blogbündnis gründeten. Global ging es der Hauptrichtung in diesem Bündnis gegen links, für einen beinharten Wirtschaftsliberalismus und um einen als Islamkritik getarnten Wohlstandsrassismus. Im Jahr 2005 trafen sich die Hauptvertreter auf dem Münchner Nockherberg, und zur vorgerückter Stunde waren dann Henryk M.Broder und Stefan Herre von Political Incorrect (heute PI News, das Blog featurerte damals noch mit Stetson tragenden Cowboys auf der Startseite und brachte die eigene Verwurzelung im rechtsevangelikalen Milieu viel offener zum Ausdruck als das heute der Fall ist) Arm in Arm zu sehen und wiederum in Gesellschaft der Springer-Journalisten Miersch und Maxeiner. Der Schulterschluss etablierter konservativer Medienmacher mit teils rechtsradikalen, teils wirtschaftsliberalen und teils rechtslibertären Sektierern war damals offenkundig. Umgekehrt bildete sich ein Bündnis linker, liberaler und feministischer Blogs als Gegenströmung, und es begann die Zeit der großen politischen Kommentarschlachten. Die intelligenteren unter den wirtschaftsliberalen BloggerInnen, allen voran Statler&Waldorf, zwei Wirtschaftswissenschaftler, deren Niveau von ihrer eigenen Kommentarkurve nicht verstanden wurde gingen mehr und mehr auf Distanz zu den offen rechtspopulistischen Blogs, und aus polemischen Auseinandersetzungen wurden zeitweise ernsthafte und in durchaus freundlichem Klima ausgetragene politische Diskussionen zwischen unterschiedlichen Lagern. Bemerkenswert war allerdings, auf welche politischen Theoretiker sich einige dieser Blogliberalen bezogen und wie sie argumentierten. Dass es libertäre Linke gibt und links nicht automatisch das Gegenteil von liberal bedeutet war ebensowenig in die meisten Köpfe dort zu kriegen, wie das Verständnis von Liberalismus eines war, dass eigentlich nur im Umfeld britischer Konservativer Sinn macht und weder mit der deutschen noch der US-amerikanischen Auffassung von Liberalismus kompatibel war. Bemerkenswert ist auch, wen die da als wesentliche Theoretiker behandelten – nämlich nicht etwa die wichtigsten Klassiker liberaler politischer Theorie wie etwa Mill, Dahrendorf oder Popper, sondern die etwas randständigeren Hayek und von Mises und Fréderic Bastiat, einen längst vergessenen Markttheoretiker des 19. Jahrhunderts. Das ist etwa so, als würde auf der Linken heutzutage Pierre Joseph Proudhon oder ein Wilhelm Weitling als relevant behandelt werden. Verschiedene Bekannte, denen ich Links zu Blogs wie Antibürokratieteam und Bissige Liberale ohne Gnade gesandt hatte waren damals schwer zu überzeugen gewesen dass das keine Satire sei und die Betreffenden sich selbst ernstnehmen würden. Dementsprechend stellte sich mir immer die Frage, wie relevant das Ganze ist und ob sich reale politische Kräfte dahinter verbergen würden. Hierzu hatte seinerzeit Momorulez gemeint, meine Kontakte seien zu traditionell links orientiert um das wahrzunehmen, aber es gäbe durchaus, und zwar nicht zu knapp Leute, die zwar nicht genauso ticken würden wie die wirtschaftsliberale Bloggosphäre, aber die doch mit denen einen gemeinsamen Nenner hätten, und dieses Gedankengut sei erschreckend gesellschaftsfähig.


Nun, betrachten wir die Bloggosphäre als eine Art Avantgarde für etwas, das erst später gesellschaftsmächtige Formen annimmt, so scheint die Saat jetzt aufzugehen, in Form von AfD, Pegida, HoGeSa und der schon etwas älteren rechtspopulistischen Pro-Bewegung.


Es ist jetzt nicht ganz drei Jahre her, als es zum Bruch mit dem für mich für viele Jahre wichtigsten Blogdiskussionspartner, nämlich Momorulez kam.

https://metalust.wordpress.com/

Ich hatte an diesem Bruch ziemlich lange geknappst – für mich war der, obwohl ich ihn nur ein Mal im realen Leben getroffen hatte und dieses Treffen eindeutig seltsame Züge hatte jemand, den ich als Freund betrachtet hatte, und zwar als realen, nicht in dem Sinne, wie etwa Facebook „Freunde“ schafft.

Schließlich, da die alte Nähe ja eh nicht mehr herzustellen war habe ich mich längere Zeit mit dem Thema nicht mehr beschäftigt, um dann im zeitlichen Abstand von zwei Jahren die alten Diskussionen mir noch einmal reinzuziehen und auch wieder auf seinem Blog vorbeizuschauen. Und erst jetzt meine ich die Mechanismen die da wirkten begriffen zu haben.

Die Gründe, weswegen er mit mir brach hingen zum Einen mit Auseinandersetzungen mit anderen Blogmenschen zusammen, bei denen ich nicht bereit war, seinen Standpunkt komplett zu teilen und ihm bedingungslos beizuspringen, was er erwartet und verlangt hatte. Bei seinen Konflikten mit Don Alphonso und Cassandra hatte ich jeweils meinen eigenen Standpunkt und versuchte, den Konfliktparteien gegenseitig den Standpunkt der je anderen Seite zu vermitteln, was zumindest bei den zwei Cassandra-Momo-Konflikten dazu führte, dass meine Vermittlungsversuche nicht etwa zu einem Verständnis der jeweils anderen Seite führten, sondern mir Aversionen von beiden Seiten einbrachten. Und zum Anderen war unsere gesamte über Jahre stattfindende Kommunikation auf eine spezifische Weise gestört. Das hatte etwas mit Othering zu tun, dem er sich von meiner Seite ausgesetzt sah. Das Abstruse hierbei war, dass ich gerade wegen Otheringserfahrungen lange Zeit ein intensives Verbundenheitsgefühl für ihn hatte, weil wir da einen teils ähnlichen Erfahrungshintergrund hatten: Er fühlte sich primär geothert, weil er wegen seines Schwulseins angefeindet, nicht ernstgenommen, diskriminiert worden war, bei mir waren es Erfahrungen wie zeitweise tägliche Prügel auf dem Schulhof, die dem Kleinen, Schwachen, Wehrlosen galten, der zugleich ein Besserwisser, Schreihals und Hochbegabter war, später, eigentlich bis heute, das ständige Gemeckere und Angemache wegen aus meiner Sicht belanglosen Äußerlichkeiten wie unaufgeräumter Wohnung, unpassender Kleidung, der Tatsache, dass ich meine Bergausrüstung ganzjährig im Kofferraum meines Autos lagere statt sie auf dem Boden aufzubewahren etc. Das mag sich sehr banal anhören, auf einer zentralen Ebene der Wirklichkeitserfahrung ist es das nicht, wenn man nämlich überhaupt nicht nachvollziehen kann, was andere Menschen an solchen Dingen nervt und man selber keinerlei Gefühl dafür hat,wieso etwa helle Hosen im Oktober unpassend wirken oder weiße Socken ummodisch sind und es einem ein Rätsel ist, woher andere Menschen so etwas wissen. Ich bin nun beileibe kein Nerd und im beruflichen Alltag sogar sehr chic, aber tief in mir drin steckt eine Person, die möglicherweise ein ADS oder eine andere neuromotorische Anomalie hat, und ich weiß, dass es Menschen gibt, die so jemanden am liebsten liquidieren, zumindest aber zwangstherapieren würden. Genau so etwas schien MR aber auch irgendwann von mir ihm gegenüber anzunehmen, obwohl nichts mir ferner läge. Wenn ich an ihm Kritik übte ging es mir da zumeist um Sachthemen, wobei zwei diametral unterschiedliche Menschen aufeinanderstießen: Der Historiker, für den Fakten einen Wert an sich darstellen und für den nur wirklich ist, was mit Quellen belegbar ist, so exakt wie gerichtsfeste Beweise, und der Assoziationskünstler, der permanent völlig ungenau ist.

Und dann stellte ich stets neben seine subjektiven Wahrnehmungen die ebenso subjektiven Meinigen, was von mir als ein Ergänzen zu einer Multi-Fluchtpunkte-Perspektive, nicht als ein Angriff auf seine Sichtweise gemeint war, von ihm aber als Wegbeißen oder gar als Umerziehungsversuche wahrgenommen wurde. So diskutierten wir wohl jahrelang aneinander vorbei, wobei ich die Diskussionen bis sie jeweils entgleisten als gemütliche Sofaplaudereien wahrnahm und er wohl als existenzielle Kämpfe um die Dominanz. Eines der extremsten Beispiele hatte sich schon sehr früh gezeigt: Da hatte er gepostet dass er Willy Brandt bewundere und ich dazu kommentiert dass ich Brandt eher als zweischneidiges Schwert wahrnähme, als den, der mit Mehr Demokratie wagen und Neuer Ostpolitik richtige Schritte eingeleitet hätte und zum Anderen der Berufsverbote-Willy und in der Sozialistischen Internationale der Internationale-Solidaritätsverhinderer, der Blockierer der Unterstützung für Nelkenrevolution und Sandinistas. Monate nach diesem kurzen Gedankenaustausch beschwerte er sich gegenüber der Bloggerin Somlu darüber, wie übel ich ihm da mitgespielt hätte. Das wäre Vereinnahmung und Ausgrenzung zugleich gewesen. Denn es wäre ja nicht um Willy Brandt gegangen, sondern ich hätte eine Hierarchie zwischen uns aufgebaut, da ja die radikalen Linken sich immer als purer und reiner als gemäßigte Linke wie er einer sei sehen würden und ich zudem durch eine linke Szene, also eine Kaderschmiede sozialisiert worden sei und er nicht. Daher sei es auch legitime Gegenwehr des Erniedrigten, wenn er mit Aggro reagiere.

Ich hatte einfach nur gesagt was ich von Willy Brandt hielt. Wie man in eine reine Faktenaussage oder Meinungsbekundung solche Beziehungsebenen hineinzuverlegen vermag ist mir nicht nachvollziehbar. Sein früherer Hauptvorwurf, ich höre ihm nicht zu bewegt sich auf der gleichen Ebene. Ich hatte ihm sehr gut zugehört, aber eben nicht immer zugestimmt, (wobei er anderen Leuten nur sehr bedingt zuhört und permanent subjektive Assoziationen, die mit dem Gesagten unmittelbar nichts zu tun haben als das eigentlich Gesagte interpretiert) und selbst Verständnisbekundungen meinerseits wurden regelmäßig in das glatte Gegenteil umgedreht. Zum Beispiel sagte ich früher zu seinen Schilderungen von Wahrnehmungen seiner Diskriminierung als Schwuler regelmäßig, ich könne da nur als Hetero drauf antworten, der diese spezifische Diskriminierungserfahrung nicht von innen her kennt. Das war im besten Foucault´schen Sinne als Bestimmung der Sprecherperspektive gemeint gewesen, so etwa „Du bist da qualifizierter als ich, ich kann dazu nicht so viel sagen, also ist das hier mein beschränkter Standpunkt“ und hatte ihm das auch so erklärt, aber regelmäßig war die Antwort gekommen, dass ich mich aus der angeblichen Angst, für schwul gehalten werden zu können von ihm distanziere und nicht solidarisch sei. Was er selbst bezogen auf Schwarze oder Lesben ständig macht, nämlich deren Perspektive in eigener Sache vorrangig zu behandeln und sich selbst da zurückzunehmen machte ich bei ihm auch, aber es wurde komplett umgebogen zu der Aussage „Ich bin doch nicht schwul“, nicht nur bei mir, auch beim Nörgler oder dem doch eigentlich sehr behutsamen und zurückhaltenden Mark oder Netbitch, die als Feministin mit BDSM-Praktiken zwischen allen Stühlen sitzt und von ihm als „Normalisiererin“ (im Sinne von ihn zum Hetero umerziehen Wollende) eingestuft wurde.

Das alles würde mit Jahren Abstand keine Rolle mehr spielen, wenn nicht aus diesen persönlichen, intersubjektiven Missverständnissen (ich meine das wortwörtlich: Es wurden Dinge anders verstanden, als sie gemeint waren) ein falsches Allgemeines abgeleitet würde – Da wurden nicht nur mir Haltungen unterstellt, die ich für falsch und bekämpfenswert halte, sondern einer ganzen Szene und im antirassistischen Kontext relevanten Zusammenhängen wie Flüchtlingsräten, Antiragruppen und Flüchtlingsselbstorganisationen antifeministische, latent-rassistische und paternalistische Grundpositionen unterstellt, die es dort nicht gibt.

Bezogen auf mich selbst läuft das bei bloggenden oder bloglesenden Menschen auf Rufschädigung hinaus, auf einer größeren politischen Ebene auf Spaltung. Ein von Meister MR erhobener Vorwurf in meine Richtung, der sehr schnell auf das „Stammkommentariat“ auf meinem Blog, dann auf die Antirazusammenhänge generell erhoben wurde, wenn sie sich nicht im Kontext Mädchenmannschaft-Brauner Mob- Surroundings bewegen, war es, hier fände Antirassismus ohne PoC statt und weiße heterosexuelle Männer würden sich nur selbst reproduzieren. Wie lächerlich!

Mir wurde unterstellt, ich könnte PoC nicht ertragen, wenn sie mir auf Augenhöhe begegneten, ich würde zwar Flüchtlingen helfen, aber nur, wenn sie hilfsbedürftige Opfer wären, als gleichwertige Menschen würde ich sie nicht akzeptieren. Wenn sie schutzlos auf mich angewiesen seien würde ich mich als hilfsbereiter Mensch erweisen, aber auch nur dann, um mich heroisch als Retter reproduzieren zu können, was wenig später auf alle möglichen antirassistischen Initiativen übertragen wurde. Abgesehen davon, dass mir hier ein geradezu dämonischer Charakter angedichtet wurde – ein narzisstischer, geradezu sadistischer Mensch, der sich daran aufgeilt, ausgelieferten Menschen zu helfen und sonst nichteuropäisch Aussehende nicht akzeptiert – frappierte mich der Zeitpunkt, zu dem er diesen Vorwurf erhob. Da standen wir nämlich noch in Kontakt zueinander. Das Allermindeste, was ich erwartet hätte wäre es gewesen, mich mal zu fragen, wie es denn da tatsächlich bei mir aussieht, statt das als Tatsachenbehauptungen ins Internet hinauszuposaunen.

Tatsache ist, dass ich mich seit nunmehr 32 Jahren in politischen Zusammenhängen bewege, in denen linke PoC eine maßgebliche Rolle spielen, zeitweise Identifikationsfiguren für mich waren und die eigenen antirassistischen Positionen im engen Kontakt mit denen entwickelt wurden. Von
Nilüfer Koc, Ambivalaner Sivanandan, Jean René Kwaka Mbangu, Semira Kücükaplan, Kenan Araz, Mbolo Yufanyi, Djalal Ali, Dana Mahmoud, Fouad Sayed Ali , Jasna Causevic habe ich sehr viel gelernt in der Hinsicht. Ich weiß nicht genau, wieso dieser Vorwurf zustande kam, kann mich allerdings daran erinnern, dass er in der Zeit, in der wir noch gut miteinander waren meinte, ich sollte mich am Konzept der Critical Whiteness orientieren und dabei die Erfahrungen, die die Sängerin, Polit-Aktivistin und PoC-Frau Noah Sow so gemacht habe wichtig nehmen. Darauf hatte ich seinerzeit sinngemäß erwidert, dass ich das CW-Konzept teilweise richtig finden würde, die Antira-Positionen im Umfeld der Materialien für einen Neuen Antiimperialismus aber für aussagekräftiger und weiterführender halten würde. In einem späteren Gespräch mit Noah hatte diese gemeint, dass das überhaupt kein Gegensatz sei, da es in einem Fall um eine kritische Selbstpositionierung im Kontext alltäglicher Rassismus, im anderen hingegen um eine theoretische Herleitung von Herrschaftsmustern ginge. Kann ich so akzeptieren. Momo leitete daraus aber wohl eine Ablehnung der von ihm geradezu kultisch verehrten Noah Sow (deren gemeinsames Blog mit Sesperado bei mir aus wirklich guten Gründen verlinkt ist, es geht tatsächlich in keinster Weise gegen sie) und einen Kontakte zu PoC vermeidenden „weißen“ Antirassismus ab, den es bloß in meinem ganzen Umfeld nicht gibt.

Nächster Schritt: Das Ganze wurde zunächst mal auf mein komplettes Blog- und KommentatorInnenumfeld übertragen, wir alle würden „ausrasten“, wenn von uns verlangt würde, PoC auf Augenhöhe wahrzunehmen (ausgerastet ist bei diesen Diskussionen im Wesentlichen er, die Übrigen waren doch eher gelassen), eine Weile später erfolgte dann der Übertrag auf ein viel weiteres Spektrum. Da wurde dann verdiente Antira-Aktivisten wie Olaf Bernau oder Vassily Tsianos bezichtigt, mit ihrer Kritik an dem postpubertär-durchgeknallten Auftritt der Politsekte RS auf dem Norbordercamp am Niederrhein, dessen konkretes Anliegen, Abschiebungen zu verhindern durch eine aufgezwungene Selbstkritik-Performance sabotiert wurde eine Durchsetzung weiß-männlicher-heteronormativer Perspektiven gegen alle anderen zu betreiben. Wer weiß, mit was sich Tsianos als Theoretiker so beschäftigt wird diesen Vorwurf sehr lustig finden.


http://queereinsteigen.wordpress.com/terminplan/ws-201213/tsianos/

Entscheidend ist, dass sehr persönliche, individuelle Erfahrungen aus Blogdiskussionen auf ganz andere, weit gefasste politische Debatten übertragen wurden mit dem Resultat einer Gleichsetzung. So nach dem Prinzip, die Kritiken an ihm und seinen Ansichten, die in unseren Blogdebatten geäußert wurden seien auch die Kritiken von Tsianos et al an Reclaim Society. Eine höchst interpersönliche, mit vielen Missverständnissen zwischen Einzelpersonen geführte Debatte wurde zum allgemeinen Politikum erhoben. Wobei das, was er inzwischen so vertritt, wie eine Art Lackmustest für ein hochmoralisches queerfeministisches Critical-Whiteness-Bloggerspektrum wirkt, so als die maximale Zuspitzung und zugleich holzschnittartige Vereinfachung von dem, was da so geschrieben wird, gewissermaßen Komplexitätsreduktion mit der Stichsäge.

Wirklich schreiend komisch fand ich es, als ich nach längerer Abwesenheit im letzten Sommer mal wieder auf seinem Blog las und er da äußerte, der Gaucho-Tanz eines Teils der deutschen Fußballnationalmannschaft sei Verächtlichmachung der indigenen UreinwohnerInnen Argentiniens gewesen. Ein Kommentator schrieb dann dazu, da sei er im Irrtum, denn die Gauchos seien keine Indigenen, sondern Nachkommen von aus Spanien eingewanderten Menschen. Binnen Kürzestem brachte er es fertig, die Auseinandersetzung dahin zu eskalieren, dass der Kommentator ihm eine weiße heteromännliche Perspektive aufzwingen und die eigene vernichten wolle. Das hat so viel Logik wie zu sagen, wer Momorulez wiederspricht handelt homophob da Momorulez schwul ist - auch wenn es thematisch um die Zusammensetzung der argentinischen Landbevölkerung geht. Hätte Loriot auch nicht besser hinbekommen.

Sowieso gehen mit diese ganzen Triggerwarnungen und diese Safer Space-Ideologie mächtig auf den Geist: Als ob da lauter Folteropfer säßen, oder Frauen, die vergewaltigt wurden und Selbsthilfeportale betreiben würden. In solchen Fällen würde ich die Berechtigung ihrer Anliegen rückhaltlos anerkennen. Ich habe allerdings eher den Eindruck, dass das in einer bestimmten Szene so eine Art radical chic ist. Dabei dann ebenso Mode wie diverse andere Äußerungsformen eigener hoher Moralität, die ich im Lauf meine Biografie in bestimmten Subkulturen entstehen und vergehen sah. Und dazu kommt eben mein völlig konträres Erfahrungsspektrum mit Geflüchteten bzw. meinem migrantischen Umfeld, wo die ganzen CW-PC-Verhaltensweisen lediglich als uncool angesehen werden und stattdessen ein abgründiger und sehr sarkastischer Humor gepflegt wird: Die deutschtürkische Kollegin, die eine Mitfahrgelegenheit anbietet und dazu sagt: „Pass auf, ich fahre nicht nur Auto wie ein Mädchen, sondern auch noch wie ein Türke“. Die Afrodeutsche, die ständig mit Sprüchen wie „Die Negerin will immer nur das Eine“ um sich schmeißt, der Inder, der jeden Vortrag mit „Ich möchte jetzt etwas Farbe in die Sache bringen“ einleitet usw. Noch heftiger war der Humor meiner kurdischen Freunde, die tanzten, als Bullen sie schikaniert hatten, um den Streifenwagen herum, klatschten rhytmisch in die Hände und skandierten "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!". Ich habe einige Zeit als einziger Deutscher in einem kurdischen Restaurant gearbeitet, und da bekam ich mit, wie ein Kollege auf dem Fußboden liegenden Döner zusammenkratzte und auf einen Teller tat. Ich fragte ihn, was er da tun würde, und er antwortete: "Der ist für einen Gast bei mir zu Hause. Er ist Kurde, und man sagt, die Kurden lassen alles mit sich machen, das will ich jetzt ausprobieren. Außerdem sagt man, die Kurden seien die Juden von heute, da muss man ja Menschenversuche machen!"(Tatsächlich war der Döner für seinen Hund).


Die antirassistischen Umfelder die ich so kenne gehen mit Alltagsrassismus mit beißendem Humor und nicht larmoyant-moralisierend um. Das fängt schon so an dass man in meinem Umfeld "Wir sind in Geflüchteten- und PoC-Zusammenhänge gut verdrahtet" eher nicht sagen würde sondern "Wir sind mit der Rasse befreundet", wo dann schon gleich mehrere ironische Brechungen mit drinstecken. Freilich kenne ich diese völlig spaßbefreite, ultraernste und stets extrem auf möglichst korrekte Sprachformen fixierte Sprech- und Umgangsweise aus meiner langen linken Szenebiografie zur Genüge. Nur halte ich das nicht etwa für notwendige Essentials emanzipativer Politik, sondern eher für so eine Art lästige Begleitumstände. Ob nun Schreibweisen mit Asteriten, das Proklamieren von Safe Places und Löschen unbequemer Blogkommentare (was für mich nichts Anderes ist als Zensur und mit meiner Vorstellung von freier Meinungsäußerung und dem Internet als freiem Medium unvereinbar ist) oder früher einmal Antideutschtum, Veganismus oder noch früher eine Hasssprache von links, in der Bonzen, Bullen und Yuppies „Pigs“ genannt wurden: Alles Formen von Kämpfen um die Lufthoheit über das Zwanghafte, geführt überwiegend von Bürgerkindern, die aus moralproduzierenden Haushalten (Lehrer- Pastoren-Psychologen-Juristenfamilien) stammen. Und herzlich irrelevant. Charakteristisch ist allerdings die Tatsache, dass Leute, die an diesem Sprachmoralismus Kritik üben, auch wenn sie politisch Verbündete sind bereits als "Hater" wahrgenommen werden. Vielleicht ist allerdings die sine ira et studio geführte Debatte um geprüfte Argumente etwas, zu dem Menschen mit Twitter-like-und -not- like-Hintergrund schon gar nicht mehr in der Lage sind.

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Tja, schwer, zu diesem Komplex noch irgendwas zu sagen, was wir nicht schon anderweitig verhackstückt haben.

Zu dem Stichwort "Assoziationskünstler" ist mir dieser Tage eine Textpassage über den Weg gelaufen, angesichts derer mir so manches in Ohr klingelte:

(...) Dieses automatische Wahrnehmen des Subtextes ist übrigens typisch für Angehörige der Queer-Community. Der Grund dafür ist einfach: Es geht gar nicht anders. Bis heute gibt es kaum Darstellungen von queeren Lebensrealitäten. Wenn deine eigene Geschichte aber nie erzählt wird, bleibt dir nichts anderes übrig, als auf Subtexte auszuweichen. (Quelle)

Ich glaube, das haben wir alle viel zu wenig auf dem Zettel gehabt, weil uns dieser Erfahrungshorizont halt doch gefehlt hat. Wie lange hat es gedauert, bis wir uns vor lauter Bemühen um Objektivierung von Sachverhalten tatsächlich mal auf Momos Perspektive einlassen konnten? Er hats einem auch nicht immer leicht gemacht, wohl wahr. Ich denke da an die erhitzte Debatte um das Stichwort "sich neu erfinden", was ging es da hoch her, bis mal klar wurde, von welch unterschiedlichen Kontexten aus um diese Begrifflichkeit gestritten wurde.

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Das wiederum ist mir, als zumindest parttime-BDSMer, gar nicht mal so fremd. Nur spielen sich die politischen Diskurse, auf die ich selber mich beziehe, in einem komplett anderen Universum ab. Und, im Gegensatz zu der symbolbeladenen Welt des MR, in meiner Realität gilt: Formulierungen sind austauschbar und Wortbedeutungen nicht so wichtig.

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Soll es in diesem Text denn um Momo gehen oder um die Gesamtperspektive Filterblasen - Blogrealitäten - aneinander vorbeischreiben? Ich hatte das eher wie Letzteres verstanden. Wobei es dann eine Sysiphosaufgabe wäre, da Gemeinsamkeiten und Wirkungsmechanismen herauszuarbeiten, so von Blogliberalen bis CW.

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Ja stimmt, es geht mehr um die Gesamtperspektive, wobei das mehr ein Herantasten ist als ein festes Statement. Lebt halt auch von den Kommentaren die noch kommen.

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verdächtig/versnobt/gefährlich-bürgerlich/potenzieller Spitzel
che, yeah ! Die Bergausrüstung ganzjährig im Kofferraum des Autos lagern. Auf sowas fahr ich ja total ab. Du hättest die Blicke meiner Musiker-Freunde sehen sollen (ich bin kein prof. Musiker, aber Musikerfreundschaften halten nun mal gegen unendlich lange), als ich erwähnte, dass ich jetzt gerade seit 5 oder zehn Jahren auf meiner Klampfe wieder neue Saiten aufgezogen hätte (bei Auftritten nahm ich zuletzt immer den Bass) ! Blicke, die mich noch nach durchschwitzter Alptraumnacht bis in die Mittagsstunden durchbohrten ...

huch, ich lese weiter, es wird ja immer besser: nichts ist g e i l e r, als im Oktober mit meiner elfenbeifarbenen Sommerschlaghose versonnen durch meinen linksliberalen HH-Vorortstadtstadtteil (abgefeimt-gesättigte obere Mittelklasse, mindestens, allerdings auch Amnesty-engagiert usw. ...) zu schlendern, nur um bei Aldi das typische Underdog-Food einzukaufen !, aber mal sehen, was noch kommt (Enttäuschung).

Etwas ernsthafter, ein interesanter Beitrag, der, ich gebe ja alles zu, zu Selbstreflexion einläd. Von Hayek hörte ich allerdings zum ersten Mal damals ausgerechnet von einem einstigen Arbeitskollegen vor ca. 2 Jahen, von meinem salafistischen Arbeitskollegen, meinem salafistischen Arbeitskollegen also, der von dem schwärmte. Allerdings, wie steht es eigentlich mit der Quellenlage hinsichtlich der erwähnten kontingenten Sach/bzw. Menschlagen? Bei den Leuten im Nebenstadtteil, die einander alle aus Punkertagen kennen, galt ich Jahrzehnte als verdächtig/versnobt/gefährlich-bürgerlich/potenzieller Spitzel (bis zum Auftritt mit der Rock-Band, dann auf einmal anders), in meinem Stadtteil dieselbe Zeitspanne als nichteinmal mitleiderregender Penner. Ist das mit "das Private ist politisch" gemeint ?

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Bei momorulez findet man auch eine Referenz auf Flüchtlingsarbeit, also Che, in den letzten 5 Postings.

Wo ich gerade den Spätantike/Früh MA Band der Neuen Fischerweltgeschichte zur Entspannung lese. Verlacht von meiner Umgebung und wissend, dass ich sowieso 90% vergessen werde.

Eurer Streit scheint sich irgendwie darum zu drehen, ob eine weiße Hete, die 4 von 5 Kriterien zur Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft erfüllt, so etwas wie Diskriminierung überhaupt sprachlich wiedergeben kann, oder ob es sich bei "wirklicher" Ausgrenzung nicht um eine Art Mystizismus handelt, der unmittelbar erfahren werden muss.

Das ganze erinnert an spätantike/früh MA Kirchenstreits, ob Jesus gottgleich, gottähnlich, gottverschieden sei oder ob Gott/Jesus bildlich dargestellt werden dürfen.
Diese Streits wurden auch nie aufgelöst.

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Du wirst lachen, ich las anlässlich von Weihnachten gerade etwas über den Monophysitenstreit und die Arianer.

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@mark, diesen Aspekt von sich selbst neu erfinden hatte ich bei Momo sogar von Anfang an begriffen. Das Problem war allerdings dass er sich daran dermaßen festbiss dass es mir praktisch unmöglich gemacht wurde, die Rezension eines der meiner Meinung nach politisch wichtigsten neuerschienenen Bücher fortzusetzen und damit meine eigene Textarbeit sabotierte. Problematisch finde ich auch, wie er Marginalisierung instrumentalisiert um selber auf der Seite des Wahren Guten Schönen zu stehen bzw. mir Stiefel anziehen wollte die nicht passten. Denn ich stehe ihm gegenüber nicht auf der Seite der Dominanzgesellschaft, sondern lediglich in einem anderen Marginalisierten-Boot als er. Mag ja sein, dass er aus der Perspektive "schwul" von mir aus gesehen ausgegrenzt und minoritär ist. Zugleich hat er mit der Muttermilch eine Art von Bildungsbürgerlichkeit eingesogen die mir fremd ist - Sohn eines Richters, Bürgermeisters und Abgeordneten und einer Psychotherapeutin. Verglichen damit bin ich, trotz Doktortitel, bildungsfern aufgewachsen. Und ich habe gelernt, was Armut bedeutet und Kampf um die materielle Existenz, was ihm ebenfalls fremd ist. Der Witz bei ihm war ja stets, dass die Privilegienchecks die er sonst so toll findet niemals an ihn angelegt werden durften.


@netbitch und lemmy, die Synopse mit Rechts- und Liberalblogs, Momo und Mädchenmannschaft und Co hat schon ihren Grund. Sie zeigt nämlich, wie sehr man sich trotz gemeinsamer Gegner und jahrelanger Bündnisse entfremden kann, ohne dass jemand die Seiten gewechselt hätte. Und auch Zerwürfnisse zwischen Leuten, die eigentlich auf der selben Seite stehen müssten. Völlig seltsam finde ich in der Hinsicht zum Beispiel den Schnaps-zur-Hand-Hashtag von Accalmie. Da hatte ich mich, ich meine anknüpfend an einen Thread von netbitch, aber das weiß ich schon nicht mehr bedauernd darüber geäußert, dass Frauenzusammenhänge in den 80er und 90er Jahren hinsichtlich Sich Wehren gegen sexualisierte Gewalt weiter gewesen sind als das heute der Fall ist, hatte das Fehlen einer Selbstverteidigungskultur beklagt und die Tatsache, dass fenministische/antirassistische/emanzipatorische Bewegungen in Deutschland keine Traditions- und Wissensweitergabe betreiben, weil es sich im Wesentlichen um Lebensabschnittsbewegungen junger Leute handelt und werde da prompt als Feind behandelt, oder bestenfalls als Idiot, ohne dass dort irgendwie gesagt wird warum. Reine Emotion ohne irgendein Argument.


btw. und diesem Beitrag bei Momorulez wiederum stimme ich bedingungslos zu, das ist großartig, was er da schreibt. Unser Zerwürfnis hat ja durchaus etwas Tragisches.
https://metalust.wordpress.com/2014/12/30/wessen-sorgen-ernst-nehmen-deutschvolkische-selbstbezuglichkeit-und-moglichkeiten-ihrer-auflosung/#more-5827

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lemmycaution, meintest Du so etwas: "Er ist wichtig auch in Zusammenhängen, wo sich Menschen z.B. in der Flüchtlingsarbeit engagieren, ebenso dort, wo harsche, narzißtisch gekränkte Reaktionen bei dem Verweis auf Marginalisierungserfahrungen und deren Potenzial erfolgen und dann zur Vertiefung auf irgendwelche vermeintlich objektivierenden Aufsätze zu deren Abwertung verwiesen wird."? Das ist in der Tat ein Klassiker. Ich glaube ganz sicher, dass der Gastgeber dieses Blogs damit gemeint ist, und es ist eine ziemlich krude Küchenpsychologie, die da zum Ausdruck kommt.

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"Der Witz bei ihm war ja stets, dass die Privilegienchecks die er sonst so toll findet niemals an ihn angelegt werden durften." und damit ist der fatale Mechanismus der Eindeutigkeit auch schon treffend beschrieben. Man wil eben eindeutig Opfer der Verhältnisse sein und wenn der Gegenüber nicht zu derselben Opfergruppe gehört - na wo der dann hingehört, ist ja wohl klar. Eindeutig eben!!!

Dass man in anderen Aspekten des gesellschaftlichen Seins aber sehr wohl zu den Siegern, zu "denen da oben" gehören kann; sprich: dass die gesellschaftlichen Rollen in ihrer Gesamtheit eben NICHT eindeutig sind und dass Opfer von Diskriminierungen in anderen Konflikten einen (un?)bewußten Rollenswitch durchleben können, ist offenbar ungeheuer schwer zu verstehen. Es existiert da bei so manchem eine Sehnsucht nach moralischer Eindeutigkeit, die die erkennbare Wirklichkeit aber nicht deckt. Und meine Erfahrung ist, dass dieser realitätsfernen Eindeutigkeitssehnsucht nur ganz schwer mit Argumenten zu kommen ist. (Wobei der beschriebene Rollenswitch natürlich mit ursprünglicher Ausgrenzungserfahrung zusammen hängen kann - aber wiederum nicht muß).

Erster Kommentar hier. Grüße!

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es gibt eigentlich nur Sonny Rollins
@Küchenpsychologie (workingklasshero)

leider muss ich hier ins Stammbuch schreiben, dass ich, Frischling im Netz aber auch sonst, nie und nie mehr auf eine solche geballte Ladung an Küchenpsychologie gestoßen bin wie unmittelbar nach dem Bruch Che // MR, und zwar bei den Kommentaren hier in diesem Blog.

Ist halt so.

Und ich hatte selber genug mit "hilflosen Helfern" zu tun, bei denen, wie ein Freund mir versicherte (ich gebe ja zu, kann als Gerücht gelten, hat aber selber solche Umfragen durchgeführt), die Wahrnehmung der eigenen Wichtigkeit und deren tatsächliche (im positiven wie im negativen Sinne) bei allen Berufsgruppen am weitesten auseinanderklafft, und deren Küchenpsychologie ihr Hauptinstrument der Selbstvergewisserung eben dieser vermeintlichen Wichtigkeit ist.

ick verstahe das alles also nicht ganz. MR ist nicht blasiert, ich bin wohl der einzige, der das Netz als einen space versteht, in dem alle dazu aufgefordert sind, meinen Stil zu kritisieren (macht nur keiner, selber schuld), und trotz seiner mitunter (gelinde gesagt) abenteuerlichen Konstruktionen, verstehe ich sein "Assoziationskünstlertum" durchaus positiv. Z.B. gelangte er neulich in einem Text, dessen Motivation mir bis heute rätselhaft geblieben ist, zu ganz wunderbaren, poetischen Formulierungen zu U. Jürgens. (Er sollte selber Chanson-Schreiber werden.) Ich kritisierte ihn nichtsdestotrotz, ich glaube, er verstand, weil es m.E. der Ausweis höchstgradiger Kunstfeindlichkeit (inbesondere im Pop, dort geradezu ein Sakrileg) ist, Kunstkritik mit Politik zu verbinden. Also, ich drehte mal wieder so richtig am Rad. Aber er erklärte mir ruhig, warum im Chanson Kunst eben doch mit Politik zu tun habe. Was mich betrifft: Ende der Durchsage.

Ist noch nie jemand je auf die Idee gekommen, die Gleichung aufzumachen: je privilegierter, desto irrelevanter ? Wer priveligiert ist, sollte sich mal schön in sein Studienzimmer zurückziehen, wo es nur die reine Theorie gibt, oder sich den schönen Künsten widmen (da schien mir MR in der Tat Fortschritte zu machen)!

Wer privilegiert ist und mehr will als, sagen wir, Aristoteles und Erasmus von Rotterdam, darf sich nicht wundern, wenn das Ergebnis bald kaum noch mit einem angeblichen Privilegiertenstatus in Einklang zu bringen ist.

Hat denn nie jemand mal Mitleid mit den "Priviligierten" ?

Ich jedenfalls habe mich mit ihm immer noch und wieder auf Sonny Rollins verständigt.

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Ich kenne nur Henry Rollins (Rose of Avalanche). Ich finde sehr vieles was Momo so schreibt hinreißend interessant, rührend, manchmal genial. Sonst würde mich das Thema auch gar nicht interessieren. Aber aus der Tatsache, dass Che (den ich persönlich kenne, Momo kenne ich nicht) sich nicht von Momo diktieren ließ, an welchen Personen er sich hinsichtlich antirassistischem Engagement orientieren solle (und der kennt da wirklich viele) abzuleiten, dass dieser narzisstische Kränkung dadurch erfahren würde, dass von Rassismus Betroffene ihre eigenen Erfahrungen schildern, daraus wiederum zu folgern, Postings und Kommentare, in denen Che den Hintergrund seines eigenen antirassistischen Engagements schilderte dienten nur der Abwertung solcher Erfahrungsberichte und dies alles dann auf die komplette Antiraszene zu übertragen, dazu gehört allerdings ein geballtes Maß an kruder Küchenpsychologie.

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@summacumlaudeblog, herzlichst willkommen als Kommentator hier! Diese ganze moralische-Eindeutigkeitsgeschichte ist ja mein Dauerthema, und meine Kritik an Political Correctness hat nichts damit zu tun, was rechte Kreise daraus machen, sondern bezieht sich auf eine innerlinke Selbstbezichtigungshaltung - Hartmut nannte das mal Zerknirschungsdiskurs - die ich seit so etwa 30 Jahren gut kenne und hasse. Meine Kernthese ist dabei, dass die bundesrepublikanische Linke umso mehr in Moral und moralischer Selbstaufwertung (und damit Herabwertung von Menschen, die die eigene Moral nicht teilen) sich bewegt, je weiter sie von politischer Durchsetzungsmöglichkeit entfernt ist. Und dabei spielt es ebenso eine zentrale Rolle, dass Linkssein im Sinne von linksradikal, Antifa oder Radikalfeminismus im Wesentlichen eine Generationenbewegung ist, die sich sagen wir mal jenseits der 35 nicht fortsetzt, daher Erfahrungen an Nachfolgende nicht weitergegeben werden und daher die gleichen Fehler sich jedes Jahrfünft wiederholen wie die Tatsache, dass Linkssein als eine Seinsform oder Szenezugehörigkeit, weniger als eine inhaltlich begründete Gesellschaftskritk begriffen wird. Und es hat, das ist meine feste Überzeugung, auch damit zu tun, dass im oben genannten Sinne linke Positionen in Germoney im Wesentlichen von Abkömmlingen moralproduzierender Haushalte - Lehrer-Pastoren-Professoren-Juristenkinder und nicht von Leuten aus der ArbeiterInnenklasse vertreten werden. Die Hochschulreformen der Achtziger sorgten schon dafür.


@workingclasshero: Weitgehende Zustimmung. Wobei ich Momorulez inzwischen schon für sprunghaft reagierend halte, dass er allein die Tatsache, dass ich die geradezu Johannes-der-Täufer-im-Verhältnis-zu-Jesus mäßige Verehrung, die er zelebriert für die von mir geachtete, aber nicht verehrte Noah Sow nicht teile bei ihm geradezu eine Kettenreaktion auslöste in der Hinsicht, dass ich PoC nicht akzeptiere, andere weiße Antiras das auch nicht tun usw. Für mich lohnt es sich nicht mehr, mich weiter damit im Einzelnen zu befassen, kennzeichnet andererseits aber auch wieder die seltsame Eigendynamik bestimmter Blogdebatten.

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Macht imho keinen Sinn, hier schlaue Sätze über momo zu schreiben, wenn er nicht an der Debatte teilnimmt und praktisch alle seine Haltung im Streit ablehnen.
Genug Angriffsfläche bietet er sowieso.

Für mich steht das hier im weiteren Kontext der unerträglichen Polemik und Intoleranz im Polit-Blogging-Kommentariat allgemein. Es gibt halt eine Schar an Menschenkindern, die mehr Bock auf eine Art argumentatives la_vida_loca haben als auf rationale Debatten haben. Seh da deutliche Parallelen zu Genovas Empörung über das Kommentariat auf spiegelfechter oder auch Don Alphonsos großartiger Artikel gestern.
http://blogs.faz.net/deus/2014/12/30/reden-koksen-und-untergehen-mit-pegida-2303/

Und es gibt eben andere Menschen, die Argumentation, Debatten, Toleranz als wertvoll ansehen. Mit erster Gruppe machen Gespräche halt keinen Sinn mehr, sobald ein gewisser Punkt erreicht ist. Erleb ich in meinem konfliktiven und emotionalen Projekten häufiger. Ich finds mittlerweile nicht mehr schwierig, dies einfach achselzuckend und lächelnd hinzunehmen.

Ich hab für meinen Teil die Erfahrung gemacht, dass mega-sture Menschenkinder ohne jeden Glauben an einem argumentativen Ausgleich stets halt auch ihre guten Seiten haben. Also lasse ich ihnen ihre einzigartige Meinung. Argumentieren ist ab einen gewissen Punkt völlig zwecklos.

In der realen Politik ist das extrem zerstörerisch. Im Internet lässt sich damit leben.

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@workingclassher

Zu welchem Ergebnis kommen wir, wenn wir MRs kommunikativen Akte, wie du sie rekonstruierst, auf das Plausible unter Vermeidung von fehlerhaft scheinendem reduzieren. Soll denn etwa die Arbeit des Che deswegen deligimiert werden, weil den Antrieben zu ihr womöglich moralische und gewissensgegründete Motive zugemischt sind? So etwas würde ich als Häme über das linke Misstrauen gegenüber ausschließlichmoralgeleitetem Handeln auffassen. Wie sollte die Moral in einer Gesellschaft wie dieser nicht verlogen sein? Der Nachweis des Moral/Gewissensgeleitet-Seins soll die politische Aktivität etwas ins lächerliche ziehen.

Denn wenn den 1st-person-Berichten von Diskriminierungserfahrungen zu lauschen eine Kränkung der Eitelkeit, der Selbstliebe, bedeuten würde, dann könnte dem nur so sein, wenn dieses Lauschen, der Akt, der Entschluss dazu, und so weiter, aus keinen anderen denn egoistischen Gründen passiert wäre. Das ist aber hochgradig unwahrscheinlich. Außerdem kann man immer und zu jeder Zeit die Reinheit der Motive von jemandem infrage stellen, ist also extrem langweilig, das mit der narzistischen Kränkung sehe ich also als eine nicht wirklich elegant zuendegedachte, verpuffende Polemik.

Wenn also das Zuhören, von dem wir gesprochenhaben, verletzungen, Kränkungen, mitsichbringt, um welche Fakultäten wird es sich handeln? Richtig, es ist das Ego, sofern es sich auf ein gutes Gewissen stützt, es ist das Gewissen, wie es sich in unserem positiven Selbstbild spiegelt, das
Einbuße erleidet.

Dass aber das "gute Gewissen", wie es sich in unserem vielleicht menschlicherweise beschönigendem Selbstbild spiegelt, einbuße erleidet, ist ganz normal und menschlich. Ich kenne es jedenfalls nicht anders, wenn z.B. der Typ aus Togo/Brasilien berichtet, wie das so war Endsiebziger/im Vergleich zu heute, dann bin ich einfach nur geschockt und beschämt.

Aus dem Motiv des Gewissens nun einen Zweck der Bekämpfung dieses unangenehmen Gefühls zu machen, ist der älteste Trick aus der Kiste des Psychologisierens. Aber selbst dieser Motivzusammenhang kommt alle Nas lang vor, es lässt sich eben kaum, genauso wie Handeln aus moralischen Gründen, vermeiden, - ohne egoistische Motive altruistisch/(oder vernunftgeleitet, politisch revolutionär, usw.) zu handeln.

Und da fand ich Kant mal ziemlich überzeugend, gute Gewissensgründe sprechen sich relativ schnell herum, wenn es sich nicht gerade um Organisationen zum Zwecke es Verbrechens handelt, Mafia o.ä. Es liegt hier nahe, Haltungen zu verallgemeinern.

Weiter: 'Berichte' von Diskriminierungserfahrungen lassen sich nicht 'abwerten'. Denn ein Bericht ist ja bloß ein Bericht und keine Wertung. Um Wahrheitsverleugnung wird es sich ja wohl nicht handeln. Also muss es sich um eine Abwertung von Berichtenden handeln. - Aber darüber, dass oft und an vielen Stellen besser ein solcher 1st-person-Erfahrungsbericht stände als so manchen Geschwafel, bestand doch Einigkeit, oder?

Auf jeder Ebene jedes Argumentationsschrittes findet also eine leichte Verschiebung statt, sodass am Ende eine gleicherweise hanebüchene wie sinnleere Polemik daraus geworden ist. Ich kann aber bei meiner Übersetzungsarbeit nicht entscheiden, wer nun dafür verantworlich ist, da ich nur Deine Darstellung kenne.

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Das ist jedenfalls auf der Ebene der phänomenologischen Schilderung der Abläufe eine äußerst präzise Beschreibung, und wenn ich noch nicht weiß, was ich das schlußfolgern soll. Chapeau!

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Und hier noch das Kulturprogramm:
Gauchos sind schon irgendwie die Urbevölkerung des ländlichen Argentiniens. Zumindest eher als die "Nachkommen von aus Spanien eingewanderter Menschen".
Die Kultur entstand in der extrem gering besiedelten Frontier der argentinischen Pampa. Da gabs im 18. Jahrhundert große freilaufende Herden an Pferden und Rindern, die von den Weiden um Buenos Aires abgehauen sind. Die Gauchos waren Mestizen. Im Zuge des Beginns der Konsolidierung des Raums unter kolonialspanischer Herrschaft gerieten sie zunehmend in Arbeitsverhältnisse für Patrone, die auch Rechtstitel über die Rinder hatten. Die Beziehung war aber vor der Einzäunung der Weiden Mitte des 19. Jahrhunderts lange Zeit von gegenseitiger Abhängigkeit geprägt. Bei Fehlverhalten des Patrons machten sich die Gauchos von der Weide. Es gab noch genug ungenutztes Land.
Von Buenos Aires aus wurden die Gauchos in der politischen argentinischen Literatur des 19. Jhdts. wahlweise als wild, ursprünglich und irgendwie edel (http://de.wikipedia.org/wiki/Mart%C3%ADn_Fierro) oder in ihrer Gefolgschaft undemokratischer strongmen als Träger der Barbarei (http://de.wikipedia.org/wiki/Barbarei_und_Zivilisation) dargestellt. Polemisch gesprochen: Wobei ich in dem Wikipedia-Artike zu Martín Fierro deutliche Anklänge zu deinen Ideen der glücklichen anti-imperialen Landeier auf kleinen Farmen sehe.

In der chilenischen Frontier existierte eine ähnliche Kultur der Huasos. In den langen und wechselvollen Kämpfen um die Unabhängigkeit gab es einen Rechtsanwalt, der mit einer großen Huaso Truppe einen militärisch entscheidenden Guerrilla-Krieg gegen die sich zeitweise wieder konsolidierende spanische Herrschaft führte: Manuel Rodríguez. Im Verlauf der Kämpfe akkulturierte Rodríguez immer mehr in die Welt der Huasos, durchaus ähnlich wie Lawrence von Arabien. Er machte sich zum Vertreter klarer sozialrevolutionärer Forderungen, wurde von den Machthabern der Unabhängigkeitsbewegung entsprechend als "notorischer Unruhestifter mit diktatorischen Gelüsten" verhaftet, trotz seiner militärischen Verdienste und persönlicher Freundschaft zu den Machthabern zum Tode verurteilt und nach kurzem Prozess erschossen.
Die Mapuche kämpften derweil übrigens deutlich überwiegend auf Seiten der Spanier, da sie korrekt einschätzten, dass sie mit einem spanisch-kolonialen Chile fertig würden, mit einem unabhängigen Chile aber nicht.

Der Riesenarsch Hugo Chávez kommt auch aus einer Frontier-Gegend mit einer mestizisch/mullatischen Reiterkultur, deren Träger in den Kämpfen um die Unabhängigkeit militärisch entscheidend waren. Zu seiner Lebenszeit bestand diese Kultur aber nicht mehr als gelebte Realität sondern als Mythos.

Und genau das ist das Problem mit momorulez, spiegelfechter-Kommentatoren, Pegida-Freaks und den Bolibananischen. Die huldigen einen Mythos und klinken sich aus unperfekten Debatten in einer komplexen Welt aus. Wirklich unsympathisch find ich das letztlich auch nicht. Problematisch wird es, wenn sie sich auf Schutzlose stürzen. Sei es, ob sie ohnehin Schwachen Angst einjagen oder ob sie - ausgestattet durch Macht - andere zu Schutzlosen machen.

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@ lemmy caution Alles richtig - nur: um diese Moraldogmahaltung, die jedes vernünftige Reden unmöglich macht, ging es Che ja gerade. (Wir alle haben da unsere Erfahrungen, ich z.B. in haltlosen Diskussionen Anfang der 90er, als es um Nachhilfe für Asylbewerberkinder ging. Nach der Besprechung stand ich als "Fascho" enttarnt da, weil ich mögliche Sprachschwierigkeiten thematisiert hatte (!?!?). Was aus dem Projekt wurde, weiß ich nicht. Ich bin dann nach Berlin geflohen.)

Was die Politblogs angeht, so hat bersarin dazu im Kommentarteil bei mir schon alles geschrieben: So kommt es eben, wenn der ambitionierte Polit- Blogger Zentralkommitee, Staatsrat, eingesperrter Oppositioneller und Folterknecht in einer Person ist. Mein Blog, meine Welt. Da kannst nix machen.

Das Veröffentlichen von Kommentatoren-Klarnamen in der besagten, unsäglichen Genova/Spiegelfechter-Debatte war aber trotzdem nicht korrekt, zumal der Verdacht der Sippenhaftung weiter im Raum steht. Weiterhin hat diese Geschichte mit dem Phänomen Politblog nur initial zu tun. Wie es sich dann dynamisierte - na ja. Aber auch hier: Ich verlasse die Küche. Da ist mir zu viel Erregung bei zu wenig echtem Streiwert drin.

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anarchist
Fehlfarben, ich lebe seit Jahren auf hartz iv weniger ca 200 € wg. schulden usw- , und habe überlebt. dass ich überhaupt es in die sozialversicherungssysteme geschafft habe, verdanke ich dem wirklich einzigen Proleten aus meinem bekanntenkreis (der Tip mit dem Job bei der Post), ansonsten haben mich Leute mit durchgefüttert, die ich vom Musi-Machen her kenne. Seit Jahren. Ich fühle mich als Ursprungs-Anarchist. Die Leute, die kein Gesetz kennen, außer ihre Kunst, haben mir die letzten Jahre das Überleben ermöglicht. Ohne die Unterstützung von solchen verrückten Kerlen, die ich sogar manchmal von H-Moll anstatt Fis-Moll, überzeugen konnte, hätte ich einfach nicht überlebt. Für mich die Gleichung: Verrückt genug=Überlebenssicherung. Ich fühle mich als Ursprungs-Anarchist. Und ich pflege den Glauben, dass MR verrückt genug dazu wäre.

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