Samstag, 11. Juli 2015
Alexis Tsipras, Klassenverräter par excellence oder Getriebener in auswegloser Zwangslage?
Bevor das Drama um den Grexit oder Nichtgrexit richtig losging hatte die Vierte Internationale konstatiert, dass nur eine Syriza-Regierung in der Lage sei, ein Troika-Austeritätsdiktat bei den Griechen durchzusetzen und das exakt ihre historische Mission sei, so, wie auch nur rotgrün die Hartzgesetze hatten durchsetzen können. Interessant war in diesem Zusammenhang die Analyse der Vierten Internationale zur sozialen Rolle von Syriza: Eine der Zusammensetzung nach kleinbürgerliche Partei, die für eine poilitische Oligarchie der oberen zehn Prozent der griechischen Bevölkerung kämpfe, welche die bisherige Herrschaft von 13 Familien ablösen solle. Nun, es kam wie von den Trotzkisten vorausgesehen: Erst gibt es ein Referendum gegen das Austeritätsprogramm, dann setzt Tsipras selbst das Austeritätsprogramm mit einigen Schnörkeln durch. Wer hat uns verraten?.....


Die andere wirklich üble Seite der neuen griechischen Regierung zeigt sich in der Drohung gegenüber den Institutionen, äußerstenfalls die in Griechenland vegetierenden Flüchtlinge über die Grenze zu schicken. Eine linke Regierung, die sich nicht zu schäbig ist mit Rechtspopulisten zu koalieren, die das Leid der Flüchtlinge instrumentalisieren und diese Menschen als Verschiebemasse im Verhandlungspoker einzusetzen!

Hierzu finden sich beim Don einige Überlegungen:



http://rebellmarkt.blogger.de/stories/2510772/

Die westeuropäische parteiförmige Linke ist im Augenblick wie besoffen von Syriza - dabei handelt es sich letztlich um Steigbügelhalter des Systemerhalts, die in ihrer Poker- und Zockerstrategie sehr leichtfertig mit menschlichen Schicksalen umgehen, und im Zweifelsfall dann eben auch über Leichen.

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Finde die Analyse der Trotzkistischen Genossinnen und Genossen zu Griechenland auch recht treffend. Gestern fassten sie es so zusammen:

"Das überwältigende „Nein” der griechischen Wähler schockierte Syriza. In dem Moment waren nur zwei Alternativen möglich: Entweder konnte Tsipras die Abstimmung als Ausgangspunkt für eine Massenmobilisierung gegen die Kahlschlagpolitik nutzen, oder er musste kapitulieren. Wie nicht anders zu erwarten, wählte er die Kapitulation."

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Heinerstadt
In der Situation, sollte man Syriza zu gute halten, dass sie kaum eine andere Möglichkeit haben, als die Forderungen der Troika zu übernehmen. Sollte es tatsächlich zu einem Grexit kommen hieße das, dass Griechenland keinen Zugang zum Internationalen Geldverkehr hätte und das Griechenland momentan kaum in der Lage sein dürfte eine Währungsreform zu stemmen.

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Das ist ja richtig, wobei ich allerdings nicht "tertium non datum" sagen würde. Die Möglichkeit einer tatsächlichen sozialen Revolution, bei der eine ArbeiterInnen- und Unterschichtsregierung Banken und Konzerne enteignet erscheint in der griechischen Situation durchaus möglich. Und zum Anderen ist eine "linke" Regierung, die Troika-Forderungen (im Klartext: Fortführung eines Verarmungsprogramms) durchsetzt Wasser auf die Mühlen der faschistischen Goldenen Morgenröte. Hatten wir schonmal in Chile: Allende forderte die radikalen Kräfte auf sich zu entwaffnen und das Gewaltmonopol von Armee und Polizei anzuerkennen, und heraus kam Pinochet.

Ansonsten gilt für Tsipras das alte chinesische Gleichnis vom Beamten, der mit zwei Mündern unter einem Dach redet: In Griechenland scheinbar radikal und bis zuletzt aufpeitschend, in Brüssel versöhnlich und kompromissbereit, ohne bisher irgendetwas gebacken zu kriegen.

Ehrlich wäre eine wirklich radikale, klassenkämpferische "Angriff"-Position gewesen, ebenso aber auch eine von Vornherein reformistische, die die aktuellen Verhaltensweisen von Anfang an vertreten hätte. Das populistische Herumpendeln ist nicht ehrlich und erinnert eher an die Rolle, die Mirabeau in der Französischen Revolution gespielt hatte. Was herauskam: Eine Volksabstimmung, die von Vornherein tendenziell so inszeniert wurde, dass ein "Nein" wahrscheinlich war, und dann der daraus gewonnene Machtzuwachs als Voraussetzung für ein abgeschwächtes "Ja". Eine dem Programm nach pluralistisch-linke bis linksradikale Partei quasi als Kontaktbereichsbeamter, nämlich als der linkspopulistische Betriebsbulle der Troika.

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Syriza hat von vornherein gesagt, dass sie keynesianistische Politik machen und das Griechenlang den Euro behalten soll. Das vorrangige Ziel von Syriza war es Zahlungserleichterungen auszuhandeln. Das sie damit gescheitert sind, ist größtenteils der Verdienst von Merkel und Schäuble.

Was man Syriza ernsthaft vorhalten kann ist, dass sie sich bei den Verhandlungen mit der Troika so dämlich wie es nur geht angestellt haben und auch wohlgesonnene Verhandlungspartner vor den Kopf gestoßen haben.

Selbst wenn es in Griechenland zu einer Revolution kommen sollte bliebe offen, ob das den Griechen wirklich hilft. Letztendlich würde das mit großer Sicherheit zu einer Intervention der NATO oder zur völligen Isolation Griechenlands führen.

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Ich habe auch nicht gesagt dass die zum jetzigen Zeitpunkt wünschenswert wäre - ich bin mir da unsicher und mit vielen Zweifeln behaftet - sondern meine Kritik richtet sich dagegen wie mit Stimmungen und Ängsten Politik gemacht wird.

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"Ehrlich wäre eine wirklich radikale, klassenkämpferische "Angriff"-Position gewesen,..."

Das habe ich bei Lauermann aber schon besser gelesen.

Eine "radikale" Position bei einer saturierten Bevölkerung, die schneller altert als ein Pornodarsteller seine Unterhose ausziehen kann ... Respekt, das ist doch einmal eine klare Ansage !

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Ein im Juni erlassenes Gesetz garantiert den in Griechenland geborenen Kindern von Einwanderern die Staatsbürgerschaft (wie in den USA) - und das wurde GEGEN ihren Koalitionspartner verabschiedet. Dass Syriza überhaupt mit dieser Partei eine Regierung gebildet hat, kann man ablehnen, aber ich bezweifle, dass die Alternativen - Neuwahlen oder Machtverzicht - besser gewesen wären.
Insgesamt hat die Regierung oft widersprüchliche Aussagen gemacht - nicht nur die Regierung, auch die Partei ist schließlich sehr uneinig und von Lagern geprägt, was ja auch verständlich ist, wenn man sich ihre Entstehungsgeschichte vor Augen hält. Dementsprechend steht sie ja auch jetzt kurz vor der Spaltung. Ich bin mir aber sicher, dass die meisten antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen einsetzen, auch der Partei nahe stehen und großen Einfluss auf ihren Kurs haben. Ich weiß wirklich nicht, ob man Syriza jetzt auch noch für die fürchterliche Lage der Flüchtlinge in Griechenland verantwortlich machen kann.

Ansonsten stimme ich dir zu - ich glaube, das radikalste, was Tsipras jetzt tun könnte, wäre einzugestehen, was für massive Illusionen seiner Taktik zu Grunde lagen, wie umfassend die Niederlage ist, und wie gering jetzt noch seine Handelsfreiheit. Aber genau so eine Aussage würde natürlich ein neuer Vorwand sein, von "zerstörtem Vertrauen" zu faseln.

Ich weiß aber nicht wie weit der Vorwurf, Syrizas Strategie sei nicht "ehrlich" und die Kapitulation vom Wochenende stelle einen "Verrat" dar, die Situation erklären hilft. Es kann ja nicht nur an schlechtem Charakter liegen, oder an mangelnder taktischer Stringenz, dass fast jede moderat-linke Regierung der letzten Jahrzehnte fast notwendigerweise einknickte und ihr Programm "vergessen" musste, sobald sie an die Macht kam und sich den "Realitäten" stellen musste. In der jetzigen Situation ist vielleicht alle interne linke Kritik ziemlich müßig, bevor man sich nicht der Frage stellt, warum mittlerweile nicht einmal mehr moderate keynesianistische sozialdemokratische Politik ungestraft verfolgt werden kann - und ob eine solche Situation nicht von Anfang an Grundintention der heutigen Struktur des Euros war.

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Steilvorlage!
Danke für diese äußerst konzise Zusammenfassung der Verhältnisse. Ich laboriere ja intern an einem Grundsatzbeitrag zur Erklärung des Gesamtzusammenhanges Wandel vom Keynesianismus zum Neoliberalismus, Maastricht-Abkommen, Euro-Einführung, Hartzgesetze und aktueller Krise, der wird in den nächsten Tagen kommen, und Du hast da wichtige Schlüsselpositionen formuliert. Vielen Dank!

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„Sowohl Varoufakis als auch Tsipras handeln nach dem alten griechischen System, in dem der Staat die Wirtschaft kontrolliert. In der Krise ist der Privatsektor praktisch verschwunden; die Beamten haben aber einen vergleichsweise geringen Anteil an den Einschnitten zu tragen.

Das politische System Griechenlands hat immer so funktioniert: Wenn Du mich wählst, bekommst Du eine Stelle im Staatsapparat. Wer also die Beamten kontrolliert, gewinnt die Wahl. Auch Tsipras wollte dieses System beibehalten, konnte das nötige Geld dafür aber nicht auftreiben. Dieser Beamtenapparat ist für den ganz alltäglichen Wahnsinn in Griechenland maßgeblich mitverantwortlich. …

Ja, Europa muss solidarisch mit Tsipras sein. Aber Tsipras muss auch endlich konstruktiv arbeiten und nicht nur an seine Partei und seine Sitze denken. Da unterscheidet er sich nicht von allen anderen Politikern. Tsipras ist nicht Che Guevara. Es ist naiv zu glauben, dass er der gute Linke ist und alle anderen sind böse Mächte, die sich gegen ihn verschworen haben. Wer das glaubt, malt sich die Politik schwarz und weiß.“

http://www.kontextwochenzeitung.de/debatte/224/tsipras-ist-nicht-che-guevara-3015.html

Sehr guter Artikel zum Thema.

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