Sonntag, 28. Februar 2016
Das Fahrrad, die Mode und die sublimen Codes
che2001, 19:09h
Ich meinte, jetzt zum Frühjahr werde ich mein Fahrrad wieder flottmachen. Der G. sagte, "Nimm meines statt Deiner alten Schlurre!", und ich erwiderte, dass mein Fahrrad hervorragend und sehr schön sei, worauf er verächtlich antwortete "wo das schön sein soll will ich aber echt mal wissen."
Sein Fahrrad ist ein Winora Damenrad mit großem Gepäckkorb und Torpedo-5-Gang Nabenschaltung. Meins ist ein wettbewerbstaugliches Mountainbike von K2 mit 28-Gang-Shimano-Cross-Schaltung. Der G. kennt nicht die Formensprache eines MTB, für ihn ist das ein hässlicher unförmiger Klotz, und so völlig dysfunktional ohne Gepäckträger. So ist das halt mit der Nichtwahrnehmung unbekannter Fakten, und auch der daran geknüpften kulturellen Codes. Die A., an sich ein Popkulturjunkie mit ausgeprägtem Designer-Outlet-Center-Einkaufsverhalten kann mir bei Shirts, deren bunte Beschriftung mir nichts sagt und bei denen ich mir denke "Wieso trägt jemand so etwas im Geschäftsleben statt eines Anzugs" sagen, von welchem Markenhersteller die sind und dass die 200 Euro kosten. Ihrerseits rümpfte sie darüber die Nase, dass Leute zu einer Vernissage in Outdoorklamotten kamen. "Wellensteyn wäre ja gegangen, aber doch keine Gore-Tex-Sachen", meinte sie genervt. Da konnte ich ihr dann erklären, dass Black Diamond und Arc´teryx Marken sind, die z.T. preislich über Armani, Versace und Gucci liegen und dass in IT-Kreisen diese Klamotten ebenso angesagt seien wie in der Kletterszene. Ups. Weit ist es gekommen - in den Achtzigern kaufte ich mir Klamotten im Second-Hand-Laden nach Gewicht, das Kilo 10 Mark. Aber auch damals waren 12-Loch-Dr-Martens und Hein Gericke natürlich Pflicht. Dafür steht glaube ich heute Carhartt.
Sein Fahrrad ist ein Winora Damenrad mit großem Gepäckkorb und Torpedo-5-Gang Nabenschaltung. Meins ist ein wettbewerbstaugliches Mountainbike von K2 mit 28-Gang-Shimano-Cross-Schaltung. Der G. kennt nicht die Formensprache eines MTB, für ihn ist das ein hässlicher unförmiger Klotz, und so völlig dysfunktional ohne Gepäckträger. So ist das halt mit der Nichtwahrnehmung unbekannter Fakten, und auch der daran geknüpften kulturellen Codes. Die A., an sich ein Popkulturjunkie mit ausgeprägtem Designer-Outlet-Center-Einkaufsverhalten kann mir bei Shirts, deren bunte Beschriftung mir nichts sagt und bei denen ich mir denke "Wieso trägt jemand so etwas im Geschäftsleben statt eines Anzugs" sagen, von welchem Markenhersteller die sind und dass die 200 Euro kosten. Ihrerseits rümpfte sie darüber die Nase, dass Leute zu einer Vernissage in Outdoorklamotten kamen. "Wellensteyn wäre ja gegangen, aber doch keine Gore-Tex-Sachen", meinte sie genervt. Da konnte ich ihr dann erklären, dass Black Diamond und Arc´teryx Marken sind, die z.T. preislich über Armani, Versace und Gucci liegen und dass in IT-Kreisen diese Klamotten ebenso angesagt seien wie in der Kletterszene. Ups. Weit ist es gekommen - in den Achtzigern kaufte ich mir Klamotten im Second-Hand-Laden nach Gewicht, das Kilo 10 Mark. Aber auch damals waren 12-Loch-Dr-Martens und Hein Gericke natürlich Pflicht. Dafür steht glaube ich heute Carhartt.
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mark793,
Sonntag, 28. Februar 2016, 20:54
Tja, schön beschrieben. Selbst wenn Du denkst, Deine Klamotten wären nicht in erster Linie dazu da, ein statement abzugeben, werden sich Interpretations- und Dechiffrierkünstler finden, die sonstwas aus Deiner Kluft herauslesen. Und selber ist eins ja auch nicht völlig frei von solchen Anwandlungen, Mitmenschen anhand ihres Outfits zu kategorisieren.
Und Fahrräder, das ist ja auch ein weites Feld. Wenn es darum geht, Porreestangen und andere Einkäufe vom Wochenmarkt nach Hause zu schaffen, hat auch ein Winora-Damenrad seine Daseinsberechtigung. aber zu glauben, das sei die einzig denkbare Art, radzufahren, das spricht schon für eine gewisse Borniertheit.
Und Fahrräder, das ist ja auch ein weites Feld. Wenn es darum geht, Porreestangen und andere Einkäufe vom Wochenmarkt nach Hause zu schaffen, hat auch ein Winora-Damenrad seine Daseinsberechtigung. aber zu glauben, das sei die einzig denkbare Art, radzufahren, das spricht schon für eine gewisse Borniertheit.
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lacommune,
Dienstag, 1. März 2016, 16:16
Outdoorklamotten- und Carharttträger würde eine Abschiebung gut tun, zwecks Aneignung von Geschmack. Vielleicht kann da Žižek, der alte Spartaner, was organisieren.
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che2001,
Mittwoch, 2. März 2016, 00:58
Ach ja? Und was trägst Du so oder hältst Du für geschmackvoll? Täte mich echt interessieren!
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futuretwin,
Mittwoch, 2. März 2016, 14:42
Carhartt ist Mainstream, Outdoor genauso. Ersteres vielleicht noch etwas stylisher, während ich letzteres mit dem Ökobürgertum, typischen Grünenwählern assoziieren würde. In den Neunzigern und Nullern war Carhartt noch ne Skatermarke und daher auch in der Punk/HC-Szene beliebt. Heute eher nicht mehr.
Ich selbst bin mit meinen Dickies da auch ein bisschen "hängengeblieben" auf dem 90s-Style. Aber Dickies ist nie so mainstreamig geworden wie Carhartt, imho.
Ich selbst bin mit meinen Dickies da auch ein bisschen "hängengeblieben" auf dem 90s-Style. Aber Dickies ist nie so mainstreamig geworden wie Carhartt, imho.
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futuretwin,
Mittwoch, 2. März 2016, 15:27
@lacommune
Bei aller Sympathie für Žižek, als Stylekoryphäe würde ich dem nicht nachfolgen wollen. ;-)
Bei aller Sympathie für Žižek, als Stylekoryphäe würde ich dem nicht nachfolgen wollen. ;-)
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mark793,
Mittwoch, 2. März 2016, 16:06
Hm, ich stelle fest, dass mit weder Dickies noch Carhartt was sagen. Tendenziell neige ich auch mehr zu Outdoor als zu Brioni und Business-Look, ich mach mir aus Klamotten überhaupt nicht viel - nur schwarz müssen sie sein.
Skater sind mir nie als besonders modisch aufgefallen, mir schien immer, als ginge es darum, möglichst schlunzig auszusehen und dabei möglichst leer und gelangweilt aus der Wäsche zu gucken...
Skater sind mir nie als besonders modisch aufgefallen, mir schien immer, als ginge es darum, möglichst schlunzig auszusehen und dabei möglichst leer und gelangweilt aus der Wäsche zu gucken...
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lacommune,
Mittwoch, 2. März 2016, 22:30
Ich meinte die Abschiebung organisieren. Schließlich kokettiert er auch mal mit Stalin oder kann sich für spartanische Disziplin begeistern. Die echten Spartaner waren natürlich nicht disziplinierter als ihre Zeitgenossen, sondern ihrem Staat bis in den Tod ergeben und von klein auf einer Verrohung ausgesetzt. Klar auch diese Gesellschaft war Wandlungen unterworfen. Und Žižek ist relativ harmlos.
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che2001,
Mittwoch, 2. März 2016, 23:53
Da, wo ich mich bewege ist Carhartt so sehr eindeutig autonomes Outfit wie Thor Steinar rechtsradikales. Ein Genosse persiflierte das mal mit "politisch sein heißt Marke tragen." Outdoor-Klamotten von Black Diamond und Arcter´yx sind nicht bei Öko-Spießern modern, sondern in der Hardcore-Kletterszene (also bei Leuten, die die Eiger-Nordwand oder mindestens den Detmolder Grat machen) und zum Anderen bei Führungskräften in der IT-Branche.
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vert,
Freitag, 4. März 2016, 18:58
hehe, ich dachte erst: die debatte ist aber ganz schön 2008, aber carhartt, die in den usa völlig uncoole arbeitskleidung verkaufen, scheint ja geblieben zu sein. (aber auch die modischen eu-produkte sind ja soweit sinnvoll, dass man sich echt überlegen muss, ob man die neue hose wirklich braucht, da die alte gar nicht kaputt gehen will;-)
an streetwear wird ja sonst gerne noch cleptomanicx getragen - und vision ist wieder da #flashback
an streetwear wird ja sonst gerne noch cleptomanicx getragen - und vision ist wieder da #flashback
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lacommune,
Freitag, 4. März 2016, 20:58
Marken sind mir bei Kleidung eigentlich nicht wichtig, außer beim Schuhwerk, als Statussymbol. Emerica, Nike, Vans können cool sein, Cheap Monday Hosen auch. Das ist neu quasi immer unter 100€, also Peanuts. Für manche aber auch die Hälfte davon, was vom Arbeitslosengeld 2 für einen Monat übrig bleibt, nach den Sanktionen.
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che2001,
Samstag, 5. März 2016, 20:13
Außer Nike habe ich diese Markennamen noch nie gehört. Ich selbst bin da völlig schmerzbefreit, ob nun jemand im Markenanzug, als Stachelpunk, in der Gallabeja oder meinetwegen in der Ritterrüstung umherläuft, anything goes. Ich fahre auch auf diese Codes und sublimen Botschaften überhaupt nicht ab, ich registriere sie nur, mit dem Interesse eines Ethnologen, der sich dieser Gesellschaft nur sehr bedingt zugehörig fühlt. Entsprechend ambivalent gestaltet sich mein eigenes Outfit: Im Business schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte, italienische Designerschuhe, in der Freizeit dunkles Leder oder Outdoorklamotten, das eine als Reminiszenz an meine autonome Vergangenheit, das andere ans Bergsteigen. Ich pendle da ganz locker zwischen, der Business-Suit ist für mich ebensosehr Arbeitskleidung wie in einem anderen Job es ein Laborkittel oder ein Blaumann wäre. Geht halt nicht ohne.
In meiner wirklich wilden Zeit war mein ganzes Outfit so sehr Statement, dass man mich den Einmann-Kampftrupp nannte: Gefütterte Offiziersstiefel mit Stahlkappen, verschraubt und mit Seriennummer (wegen denen wurden ein Genosse und ich mal für BGS in Zivil gehalten), schwarzrote Streifenjeans, Stachelgürtel, Stachelarmband, schwere gepolsterte Motorradjacke mit Antifa-Aufnäher auf der einen Schulter und PKK-Emblem mit Black-Power-Faust auf der anderen, schwarz-weiße Kufaya (Original auf dem Sinai gekauft), auf dem Kopf schwarzes Barett mit schwarz-rotem Stern. Ach ja, und die Schnürbändsel an den Stiefeln waren leuchtend grün als Parodie auf den Schnürbandfarbenfetisch der Skins.
In meiner wirklich wilden Zeit war mein ganzes Outfit so sehr Statement, dass man mich den Einmann-Kampftrupp nannte: Gefütterte Offiziersstiefel mit Stahlkappen, verschraubt und mit Seriennummer (wegen denen wurden ein Genosse und ich mal für BGS in Zivil gehalten), schwarzrote Streifenjeans, Stachelgürtel, Stachelarmband, schwere gepolsterte Motorradjacke mit Antifa-Aufnäher auf der einen Schulter und PKK-Emblem mit Black-Power-Faust auf der anderen, schwarz-weiße Kufaya (Original auf dem Sinai gekauft), auf dem Kopf schwarzes Barett mit schwarz-rotem Stern. Ach ja, und die Schnürbändsel an den Stiefeln waren leuchtend grün als Parodie auf den Schnürbandfarbenfetisch der Skins.
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che2001,
Sonntag, 6. März 2016, 17:19
Das Vermummungsverbot als Styleikone und Modeschöpfer: Oder die fashionnormierende Kraft des Faktischen
@" In den Neunzigern und Nullern war Carhartt noch ne Skatermarke und daher auch in der Punk/HC-Szene beliebt." ----- Carhartt war zu dieser Zeit auch noch aus einem anderen Grunde bei Autonomskis beliebt, und das hängt mit der sukzessiven Durchsetzung des Vermummungs- und Bewaffnungsverbots zusammen. Während in den Achtzigern noch schwarze Blöcke uniform behelmt und mit schwarzen Hasskappen vermummt sowie mit Knüppel bewaffnet waren ließ sich dies nach 1990 (mit Ausnahme der Antifa (M), die in Absprache mit der Polizei behelmt auftrat, aber das ist eine andere Geschichte) nicht mehr aufrechterhalten. Nachdem forciert gegen HasskappenträgerInnen mit Greiftrupps vorgegangen wurde oder nämliches Outfit zur Bildung von Polizeikesseln führte verlegte sich mensch darauf, Ray-Ban-Sonnenbrillen, modische Halstücher und schwarze Mützen als Ersatz-Vermummung zu tragen, und da machte die Marke Carhartt-Furore. In der Zeit spielte überhaupt Distinktionsverhalten politischer Kleingruppen eine enorme Rolle, wir lästerten über "Pop-Linke und McAntifa".
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