Montag, 9. April 2018
Ein letzter Funke Hoffnung
Familiennachzug in Deutschland

Die syrische Familie Haj Ali leidet unter dem ausgesetzten Familiennachzug. Die Mutter ist mit vier Kindern in der Türkei, der Vater mit dreien in Northeim.
NORTHEIM taz |

http://www.taz.de/%215492787/


Die Kinder liegen auf dem Bauch auf dem weichen hellgrünen Teppich. Im Fernsehen läuft ein arabischer Trickfilm. Die drei Brüder schauen teilnahmslos zu. Zubeir (9), Fermis (8) und Murad (6) kichern nicht über die einfach gezeichneten Figuren im Fernsehen. Sie lächeln nicht einmal – und das wird in den folgenden fünf Stunden dieses Besuchs so bleiben.
Es ist Dienstagnachmittag. Draußen regnet es. Die Jungs haben noch ihre Schlafanzüge mit Schneemännern und Autos darauf an. Seitdem ein Facharzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie aus dem niedersächsischen Northeim sie für schulunfähig erklärt hat, ist das ein typischer Tag. „Sie spielen nicht“, sagt Samir Faziki. Der junge Mann sitzt auf dem blauen Ledersofa und hebt hilflos die Hände.
Faziki ist ein Erziehungsbeistand vom Jugendamt der Stadt Northeim, nördlich von Göttingen. Hierher sind die Jungs mit ihrem Vater Maher Haj Ali aus dem syrischen Bürgerkrieg geflüchtet und leben jetzt in einer Altbauwohnung.
Faziki soll die Jungs dazu motivieren, dass sie rausgehen, lernen, Spaß haben, aber das klappt nicht. „Für sie wäre es wie ein Verrat, wenn sie jetzt spielen würden“, sagt Faziki.
Die Kinder protestieren. Sie kämpfen auf ihre Weise dagegen an, dass ihre Mutter und ihre vier anderen Geschwister nicht bei ihnen sein dürfen. Das verhindert der deutsche Staat.
Halbgarer politischer Kompromiss
In den Sondierungsverhandlungen, als noch gar nicht klar war, ob Union und SPD gemeinsam regieren würden, waren sich die Parteien schon in einer Sache einig: Sie setzten den Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus noch bis August dieses Jahres aus. Danach dürfen 1.000 Menschen pro Monat nachgeholt werden. Wie diese ausgewählt werden, ist noch unklar.
Horst Seehofer (CSU), der damals noch nicht Innenminister war, hatte argumentiert, dass ohne die Obergrenze eine „massive Zuwanderung“ drohe und die „Integrationsfähigkeit Deutschlands total überfordert wäre“. Die SPD schluckte diese Kröte, und die Familie Haj Ali wurde Opfer eines halbgaren politischen Kompromisses.
Die Kinder haben ihre Mutter seit Oktober 2015 nicht mehr gesehen, nur mit ihr telefoniert. Sie sitzt mit vier Kindern in Izmir in der Türkei fest, die jüngste Tochter, Malven, ist erst auf der Flucht zur Welt gekommen. „Ich habe meine Schwester noch nie gesehen“, sagt Zubeir mit leiser Stimme und dann lauter: „Kann das sein?“
Seine langen Haare fallen ihm ins Gesicht. Er ist mit neun Jahren der Älteste der Brüder. „Ich kann nicht mehr“, sagt er in gutem Deutsch. „Immer heißt es, sie kommt noch ein Jahr später, noch ein Jahr später. Ich will meine Mama haben.“
In der Schule war die Situation zuletzt unerträglich für ihn. Er sah, wenn andere Kinder von ihren Müttern zur Schule gebracht wurden. „Ich bin dann traurig“, sagt Zubeir. „Ich will niemanden sehen, der mit seiner Mutter zusammen ist. Ich hab keine Lust auf das.“
Ein neues Zuhause
Die Situation eskalierte. „Alle drei Kinder zeigen provokatives Verhalten und äußern, dass sie so nicht mehr leben wollen“, heißt es in einem Bericht der Schulleiterin der Ganztagsschule, in die Zubier, Fermes und Murad gingen, der der taz vorliegt. Sie setzten sich gefährlichen Situationen aus, kletterten auf Fensterbretter oder Treppenbrüstungen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. „Sie äußern, dass sie damit erreichen möchten, dass wir ihre Mutter nach Deutschland ­holen.“
Faziki erklärt das so: „Sie denken, die Schule könne etwas machen und will nur nicht.“ Er versuche den Kindern zu erklären, dass die Lehrer nichts unternehmen könnten, genau wie er selbst und auch die ehrenamtliche Unterstützerin der Familie nicht.
Dabei sah bis Mai 2017 noch alles ziemlich gut aus: Die Kinder gingen zur Schule, fanden Freunde und lernten Deutsch. Auch der Vater, Maher Haj Ali, besuchte einen Sprachkurs. Er machte aus der Wohnung ein Zuhause. In den Regalen im Wohnzimmer stehen Glasbilderrahmen mit den Fotos aller Kinder. Über dem Fernseher kleben schwarz-silberne Wandtattoos in Herzform.
Die Familie kam im November 2015 nach Deutschland. Erst im Januar 2017 entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass die Haj Alis nicht den vollen, sondern nur den subsidiären Flüchtlingsstatus bekommen. Der Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz ist aber seit dem Asylpaket vom 17. März 2016 ausgesetzt.
Haj Ali klagte dagegen, dass ihm das Bundesamt für ­Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht den vollen ­Flüchtlingsstatus zuerkannt hatte, ­sondern nur den subsidiären. Das Verwaltungsgericht Göttingen gab ihm im April 2017 recht. Anerkannte Flüchtlinge haben ein Recht auf Familiennachzug.
Ruhelos und depressiv
„Da war hier Halligalli“, sagt Kerstin Munzinger. Die ehrenamtliche Helferin unterstützt die Familie schon seit zwei Jahren. „Wir haben gefeiert“, erinnert sie sich. Da dachten sie noch, die vierwöchige Widerspruchsfrist gegen das Urteil wäre reine Formsache und die Familie bald wieder vereint. Doch drei Tage vor Ablauf legte das Bamf Widerspruch ein – und bekam vom Oberverwaltungsgericht recht. „Seitdem ist die Stimmung dramatisch gekippt“, sagt Munzinger, eine 55-jährige Northeimerin, die als Gartenbauingenieurin arbeitet. „Ab diesem Zeitpunkt ging es für alle so richtig den Bach runter.“
Maher Haj Ali vergaß Termine und wurde immer ruheloser, am Ende depressiv. Die Kinder bekamen regelmäßig heftige Albträume, ständig taten ihnen der Kopf weh. „Sie sind schon mehrfach in der Schule eingeschlafen“, heißt es im Bericht der Schulleiterin.
Die Kinder vermissen nicht nur ihre Mutter, auch ihre Flucht allein hätte ausgereicht, um einen Menschen zu traumatisieren
Wenig später erklärt ein Arzt die Kinder für schulunfähig. „Der Vater als auch die Kinder brechen unter der Last der Sorge um die Mutter mit ihren Kindern zunehmend zusammen“, schreibt der Psychiater. Seither kommt eine Lehrerin für ein paar Stunden am Tag, um mit den Kindern Deutsch und ­Mathe zu üben, aber die Probleme sind dieselben wie in der Schule.
Maher Haj Ali, ein sportlicher Typ mit ordentlich frisierten Haaren und silbernen Ringen an den Fingern, schickt die Kinder aus dem Raum und öffnet ein Fenster, bevor er sich eine Zigarette ansteckt. Er sieht erschöpft aus. Zwischen seinen Augenbrauen hat sich eine tiefe Falte in die Haut gegraben. Ein Arzt stellte eine schwere Depression bei ihm fest. Jetzt nimmt er Antidepressiva. „Es gibt keine guten Tage, nur weniger schlimme“, sagt Haj Ali auf Arabisch. Faziki übersetzt für ihn.
Die Kinder vermissen nicht nur ihre Mutter, auch ihre Flucht allein hätte ausgereicht, um einen Menschen zu traumatisieren. In der syrischen Stadt Amuda hatte Haj Ali als Maler und Taxifahrer gearbeitet. Doch durch den Bürgerkrieg wurde der Ort abgeschnitten. „Erst kamen keine Lebensmittel mehr rein, dann gab es auch kein Benzin mehr.“
„Mit einem Bein im Boot, mit dem anderen im Grab“
Er floh in den Irak, holte auch seine Familie in das Zeltlager im kurdischen Autonomiegebiet im Regierungsbezirk Dahuk nach. Von Deutschland hat Haj Ali schon lange geträumt. „Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass Deutschland den Kurden Asyl gibt“, sagt er. Auch seine Mutter lebte da schon in Northeim. Das Ziel war also klar, aber das Geld fehlte. Denn um vom Irak über die türkische Grenze zu kommen, mussten sie Schlepper bezahlen. Die Familie trennte sich.
Haj Ali machte sich mit Fermes und Murad auf den Weg über die Berge. Einen Teil der Strecke mussten sie laufen. „Da war eine Schlucht und darüber nur ein Brett“, sagt der Familienvater. „Da mussten wir rüber.“ Die Route führte über Schleichwege weiter. Sie schafften es. Ein Freund brachte Zubeir später nach.
In der Türkei bezahlten die vier den nächsten Schlepper für die Überfahrt nach Griechenland. Das Schlauchboot war überfüllt, der Motor zu klein und das Wetter schlecht. Man braucht keinen Dolmetscher, um Haj Alis Gesten zu verstehen: Mit der Hand zeigt er, wie sich die Wellen aufgebaut haben und dann das Boot abrupt heruntergestürzt ist.
„Wir hatten Angst, dass wir umkippen“, sagt er und zieht den sechsjährigen Murad zu sich heran. Er legt den Arm um dessen Oberkörper. „So habe ich ihn festgehalten. Die ganze Zeit.“ Die Kinder zitterten vor Kälte, weil das Wasser im Boot bis zu den Knien stand. Alle schöpften mit ihren Turnschuhen das Wasser heraus. Da ging auch noch der Motor aus. „Wir standen mit einem Bein im Boot und mit dem anderen im Grab“, sagt Haj Ali.
Sie trieben ab, zurück zur türkischen Küste, als endlich jemand den Motor wieder zum Laufen bekam. Von Griechenland ging es in Bussen über die Balkanroute bis nach Österreich. Da folgte die größte Katastrophe. Haj Ali und die Kinder verloren sich in der Menschenmenge vor den Bussen Richtung Deutschland aus den Augen. Der Zufall rettete sie: Ein Fremder, von dessen Telefon Haj Ali seine Mutter in Northeim angerufen hatte, erkannte die Kinder. Er kontaktierte die Großmutter und brachte die Jungen zu ihr, bevor er weiterreiste. Erst Tage später konnten sie sich dort wieder in die Arme schließen.
In Deutschland lieh sich Haj Ali überall Geld, damit seine Frau mit den Kindern in die Türkei reisen konnte. Sie müssten da jetzt mit sehr wenig Geld überleben, sagt die Helferin Kerstin Munzinger und redet sich dann über das deutsche Asylsystem in Rage.
Die Zustimmung fehlt noch
„Ich hätte das als Deutsche nicht für möglich gehalten.“ Sie meint, dass sich an der Situation nichts ändere, obwohl es den Kindern offensichtlich schlecht gehe. Die Helferin schreibt deshalb an Bundestagsabgeordnete und hält den Kontakt zu den Behörden sowie der Anwältin der Familie. „Aber diese dramatische Situation fällt hier komplett durchs Raster.“ Munzinger reibt sich auf, investiert einen Großteil ihrer Freizeit. Aufgeben will sie nicht – auch wenn sie sieht, dass Haj Ali den Mut verloren hat.
Die 55-Jährige hat noch eine Hoffnung: Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Der besagt, dass Ausländern aus dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Diese dringenden Gründe müssen allerdings bei der Mutter und ihren Kindern in der Türkei vorliegen – dass die Kinder hier ihre Mutter vermissen, zählt nicht. Deshalb fieberten alle auf einen Termin der 32-jährigen Mutter im Generalkonsulat in Izmir hin.
Ein paar Tage später kam tatsächlich eine Mail vom Auswärtigen Amt: Das Generalkonsulat Izmir sei gebeten worden, das Visumverfahren für die Frau und ihre Kinder durchzuführen, heißt es darin. Nun fehle nur noch die Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde.
„Wir trauen uns noch nicht, uns zu freuen“, sagt Munzinger am Telefon. „Wir wissen ja noch nicht, was wieder dazwischenkommen kann.“ Trotzdem schleicht sich die Hoffnung ein. Dieses Mal könnte es klappen.
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Kurz zur Info: Für Vollzitate braucht man die Genehmigung des Urhebers bzw. des Inhabers der Nutzungsrechte, sofern die komplett übertragen wurden, sonst kann das Ärger geben. Besser nur eine kurze Passage zitieren und auf den Artikel verlinken.

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Die Redaktion hat den Flüchtlingsräten die Genehmigung zum Vollzitat erteilt.

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Wenn das auch das Blog einschließt, ist's ja gut.

Ansonsten Zitat und Link zur Website des Flüchtlingsrats.

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Wenn es so wichtig ist, mit der Familie zusammen zu sein, warum gehen sie dann nicht in die Türkei zurück?

Die Möglichkeit kommt offenbar niemandem in den Sinn, als könne man nur in Deutschland leben und nicht anderswo.

Es gibt kein Menschenrecht, in Deutschland zu leben.

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Gilt das auch für die syrischen, irakischen und iranischen Christen? 2016 waren 12,2 Prozent der Asylbewerber in Deutschland Christen - die haben auch Familien und bekommen oft nur den subsidiären Schutz. Ebenso die äthiopischen und eritreischen Christen, die nach Deutschland geflüchtet sind.

Die Zahlen zeigen, dass bei vielen Christen die Hoffnungslosigkeit längst die Oberhand gewonnen hat: 2011 noch lebten unter den gut 21 Millionen Menschen in Syrien – je nach Quelle – 1,2 bis knapp 2 Millionen Christen verschiedener Konfessionen. Heute sind nach vorsichtigen Schätzungen über die Hälfte von ihnen aus dem Land geflohen. (Quelle)

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Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, hier eine religiöse Unterscheidung zu treffen, Frau Arboretum?

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Weil bei der öffentlichen Diskussion über die Flüchtlinge immerzu mit dem "christlich-jüdischen Abendland", wahlweise auch mit den "chistlich-jüdischen Traditionen" usw. argumentiert wird - und das gerne auch im Hinblick auf den Familiennachzug.

Wie gesagt, die Diskussion um den Familiennachzug betrifft die genauso, weil sie meist auch nur befristeten subsidiären Schutz bekommen haben. Und die Koalition hatte sich bereits auf 1.000 Angehörige pro Monat geeinigt, was anscheinend vielen Leuten immer noch zu viel ist.

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Ich verstehe den Zusammenhang zur Ursprungsfrage nicht. Können Sie den erläutern?

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willy56 fragte: Wenn es so wichtig ist, mit der Familie zusammen zu sein, warum gehen sie dann nicht in die Türkei zurück?

Woraufhin ich nachfragte, ob er meint, dass auch christliche Flüchtlingsfamilien, die voneinander getrennt sind, in die Türkei oder sonstwohin zurückgehen sollen, um wieder zusammen sein zu können. Der Nachname der syrischen Familie, um die es in dem Artikel geht, lässt vermuten, es könnte sich um eine muslimische Familie handeln, wir wissen es aber nicht. Würde es für willy56 einen Unterschied machen, wenn es assyrische oder chaldäisch-katholische Christen wären?

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Ich sehe diese Unterscheidung nach Religionszugehörigkeit in der Frage nicht. Was wäre denn Ihre Antwort, wenn in der Frage tatsächlich kein Unterschied zwischen Christen, Muslimen und (der Vollständigkeit halber) anderen gemacht wird?

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Wessen Frage meinen Sie jetzt nun?

Hierzulande geraten viele Leute beim Gedanken an die Familienzusammenführung in Wallung. Wegen der Kosten und überhaupt Muslime usw. usf. (der Kommentar von willy56 lässt darauf schließen, dass er auch dazu gehört.) Es gibt aber kaum belastbare Zahlen, wie viele Menschen überhaupt die Kriterien dafür erfüllen. Mal abgesehen davon, dass die Behörden schon die ganze Zeit, also auch bereits bevor die Familiennachzug ausgesetzt wurde, Empfängern von Sozialleistungen wie Hartz 4 den Nachzug von Angehörigen verweigern. Und von diesem Recht haben die auch durchaus Gebrauch gemacht. Von den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen - die Mehrheit war zwischen 16 und 17 Jahren - sind inzwischen auch schon viele 18 geworden, die können auch keine Familienangehörigen wie Eltern oder Geschwister nachholen.

Des Weiteren ist jetzt auch Mossul offiziell befreit, und die Bundeswehr bildet nun die irakische Armee aus. Damit könnte für irakische Flüchtlinge der Grund für den subsidiären Schutz wegfallen - ich schrieb ja hier schon an anderer Stelle, dass ich damit rechne, dass denen in naher Zukunft verstärkt Rückkehrhilfen angeboten werden, zumal wenn sie Hartz 4 beziehen.

Soweit ich weiß, steht im Koalitionsvertrag, dass pro Monat 1.000 Angehörige nachziehen dürfen. Das sind 12.000 Menschen im Jahr - ich glaube nicht, dass die Welt davon untergeht. Sie etwa?

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Wie wären Ihre Antworten auf die Frage von willy56 in den beiden möglichen Fällen:
a) ohne, wie im Fragetext oder
b) mit Betrachtung der Religionszugehörigkeit, wie von Ihnen in Betracht gezogen?

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Muslime haben genauso viele Fluchtgründe wie Christen, wenn sie ins Feindbild der Daesh ("IS") fallen: Alaviten, Shiiten, Ismailiten. Dann noch "Heiden", die von verschiedenen Gruppen als Auszurottende angesehen werden: Yeziden, Mandäer, Drusen. Und das geht schon länger so als der Daesh aktiv war, z.B. die Schlächtereien im Tur Abdin, über die ich hier vor Jahren berichtet hatte.


Btw letztendlich ist das nur vordergründig ein Religionskrieg, es geht um die Kontrolle begrenzter Ressourcen durch klanartige Strukturen und um die Vernichtung überflüssiger Esser.

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Ich verstehe nicht, was die Fluchtgründe und die Religionszugehörigkeit mit der Frage zu tun haben, tut mir leid. Ich hätte mir wirklich Meinungen und Gründe zum konkreten Fall und zur konkreten Frage erhofft.

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Muslime haben genauso viele Fluchtgründe wie Christen, wenn sie ins Feindbild der Daesh ("IS") fallen

Sehe ich genauso. Ich gehöre auch nicht zu denen, bei denen das Thema Familienzusammenführung sofort Schnappatmung auslöst. Ich unterscheide da auch nicht im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit - ich denke, das wissen Sie auch, texas-jim. Aber Sie und ich waren ja schon 2014 hinsichtlich der Flüchtlinge und Pegida verschiedener Meinung, als wir über das Tal der Ahnungslosen diskutierten.

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Keine Einischung damit beabsichtigt, doch das geht einfacher: "Es gibt kein Menschenrecht, in Deutschland zu leben." -- Korrekt, aber es gibt Rechtstitel. Wer das in Frage stellt, hat den demokratisch verfassten Rechtsstaat nicht verstanden.

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Mit unseren verschiedenen Meinungen, Frau Arboretum, habe ich kein Problem. Ich wollte ja Ihre Meinung zur Frage hören. So nach dem klassischen Schema: Meinung, Begründung und Argument. Es interessiert mich immer noch.

Die Rechtstitel, h.z., hat niemand in Abrede gestellt. Es kommt dem Kern der Frage aber vielleicht schon näher, ob es im konkreten Fall bei subsidiärem Schutz sinnvoll ist, den langen Weg durch die Instanzen zu gehen. Diese Zeit schadet vermutlich den Kindern, und am Ende winkt mit dem subsidiären Schutz womöglich doch eine Abschiebung für alle. (Das war ein beispielhafter Gedankengang, den ich mir durch Antworten auf die Frage von willy56 erhofft hatte.)

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Wieso sollte ich wie in Ihrem beispielhaften Gedankengang argumentieren, besagt der doch im Grunde nichts anderes, als dass der Vater Maher Haj Ali mit den drei Kindern lieber in die Türkei hätte zurückkehren sollen, wo seine Frau mit den anderen vier Kindern ist, weil er und die drei Kinder in Deutschland nur subsidiären Schutz genießen.

Ein Grund, warum er das nicht tat, dürfte gewesen sein, dass seine Kinder in der Türkei deutlich schlechtere Chancen auf Schulbildung haben. Nach offiziellen Zahlen bekommen rund 370.000 syrische Kinder im schulpflichtigen Alter noch keinen Unterricht. Hinzu kommt, dass die privaten syrischen Schulen in der Türkei, an denen bislang etwa 400.000 syrischen Kinder eine - wie auch immer geartete - Bildung in ihrer Muttersprache bekam, bis 2019 alle geschlossen werden. Um diese Kinder an türkischen Schulen aufnehmen zu können, wären allein 26.000 neue Räume und 50.000 neue Lehrer nötig. Türkische Schulklassen sind ohnehin schon die vollsten in Europa. Zahlreiche syrische Kinder leisten trotz Schulpflicht Kinderarbeit, um die Familien durchzubringen. Das schadet Kindern bestimmt. Beim Weg durch die Instanzen besteht wenigstens Hoffnung.

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Nun, von der Schließung der Schulen hat der Vater vermutlich noch nicht so lang gewusst, der von Ihnen verlinkte Artikel ist ja wenige Wochen respektive Monate alt und die Familie schon seit 2015 hier. Und Bildung fällt sicher in der Muttersprache leichter. Das alles hätte in meinen Augen eher für die Türkei gesprochen. Aber sei es drum, mit der derzeitigen Situation sehe ich keinen Gewinn, vor allem nicht für die Kinder. Und ich zweifle nach wie vor am Sinn einer solchen Gewaltaktion durch die Instanzen, deren Dauer und Ausgang ich nicht abschätzen kann, die aber sicher verheerende Folgen hat.

(Ich habe übrigens nicht von Ihnen verlangt, daß Sie in meinem Sinn argumentieren. Nur entlang der Fragestellung, auf die Sie ganz zu Beginn geantwortet haben.)

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Glauben Sie ernsthaft, 2015 hätte es bessere Bildungschancen für syrische Flüchtlingskinder in der Türkei gegeben? Bitteschön, hier ein Bericht aus dem Jahr 2015, demzufolge nur 200.000 syrische Kinder der damals 700.000 schulpflichtigen Kinder einen Platz an einer türkischen Schule fanden, weil viele türkische Schulen sie abwiesen. Deshalb gründeten geflüchtete syrische Lehrerinnen und Lehrer dort auch syrische Schulen. Und aus dem gleichen Grund entschlossen sich viele syrische Familien, weiter nach Europa zu fliehen.

Und bevor Sie mir jetzt mit den Hilfsgeldern kommen:

Was passiert mit dem Geld für syrische Flüchtlingskinder?
Geldfluss für Bildung nicht transparent, Ziele verfehlt, Daten fehlen

Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern, die letztes Jahr dafür hätten sorgen sollen, dass Flüchtlingskinder aus Syrien zur Schule gehen können, haben diese entweder nicht oder nur verspätet erreicht. Zudem konnte aufgrund schlechter Dokumentation oder Berichterstattung nicht nachverfolgt werden, wohin das Geld genau floss, so Human Rights Watch heute. (14.09.2017)

Dass sich Haj Ali für Deutschland entschied, liegt auch nahe, denn wie im Artikel zu lesen ist, lebte hier schon seine Mutter (in Northeim).

Im Übrigen kann ich argumentieren wie ich will - ganz egal, was Sie "verlangen". Warum ich willy56 eingangs diese Frage gestellt habe, habe ich hinreichend erläutert.

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"[...], ob es im konkreten Fall bei subsidiärem Schutz sinnvoll ist, den langen Weg durch die Instanzen zu gehen." --- Gegen diese quälende Ungewissheit kann man gesetzliche Maßnahmen ergreifen, die eine ordentliche Verfahrensbeschleunigung sicherstellen. In der Verwaltung kräftig Wind zu machen ist nämlich eine weitere Option, die nirgendwo angesprochen wird. Denn zu bedenken ist ja, dass auf den Familiennachzug wie im konkreten Fall kein Rechtsanspruch besteht. Ermessensentscheidungen erfolgreich zu bekämpfen, ist in der Tat eine mühsame Angelegenheit mit höchst ungewissem Ausgang.

Wüsste ich es nicht besser, würde ich den Kommentar von willy56 als zynisch bezeichnen. So aber nenne ich ihn, insbesondere die Fragestellung, schlicht grausam. Und damit kommt er der EMRK konflikthaft bedenklich nahe. Erinnert mich sehr an den Ausspruch: "Dann geh' doch nach drüben!". Solche Leute haben ein schlechtes Verhältnis zu Autorität.

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Das von texas-jim weiter oben "beispielhaft" angeführte Argument finde ich auch nicht besser.

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Da habe ich Ihren Punkt ja nach wie vor nicht verstanden, da ich bislang keine Gründe gehört habe, warum eine etwaige Familienzusammenführung von der Religionszugehörigkeit abhängen sollte oder warum der Fluchtgrund, den übrigens niemand angezweifelt hat, eine Rolle spielen sollte.

Für mich bleibt die Ursprungsfrage, wieso sowohl die betroffene Familie als auch andere die Zusammenführung ausschließlich in Deutschland für möglich halten. Den Bildungsvorteil kann ich in der derzeitigen Situation halt auch nicht erkennen, eben aufgrund der Trennung und der Sprachbarriere.

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Die Situation halte ich wie Sie, h.z., für grausam. Daher stellt sich für mich die Frage, ob eine Zusammenführung in einem anderen Land und damit evtl. schneller erfolgen kann, auch als durchaus berechtigt dar.

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Ich weiß nicht, wo Ihr Problem liegt, texas-jim. Ich habe willy56 lediglich gefragt, ob das für ihn einen Unterschied machen würde. Denn wie Sie wahrscheinlich in der öffentlichen Diskussion mitbekommen haben dürften, lehnen viele den Familiennachzug ab, weil sie fürchten "vom Islam überrannt" zu werden.

Die Sprachbarriere besteht in der Türkei genauso, denn wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist die dortige Amtssprache Türkisch. Und wenn ich das Zitat von Maher Haj Ali richtig deute, zählt die Familie zu den syrische Kurden.

Außerdem lebt die Großmutter väterlicherseits in Niedersachsen, auch deshalb wollte die Familie nach Deutschland.

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Lassen Sie mich kurz Sarkasmus (der selbstverständlich nicht gegen Sie, texas-jim, persönlich gerichtet ist) üben: Deutschland besteht darauf, eine bräsige Verwaltung zu pflegen, hinter die sich der deutsche Michel gerne zurückzieht, wenn es ihm nützlich erscheint.

Nein, im Ernst jetzt. Die aktuellen Probleme Deutschlands mit vielen Einzelfällen gehen auf ein katastrophales Organisationsversagen in 2015 zurück, als keine vernünftige Handhabung (Registrierung) der ankommenden Flüchtlingszüge zustande gebracht wurde. Daran hat sich im Grunde bis heute nicht geändert. Dieses Versagen kann ich nicht als stichhaltiges Argument dafür gelten lassen, dass eine Zusammenführung in einem anderen Land erfolgen solle.

Nachtrag zur Klarstellung: Ich halte die von willy56 gestellte Frage für grausam.

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Als wir in den Neunziger Jahren mit 300 Leuten in die Ausländerbehörde marschierten und dort Festplatten neu formatiert haben liefen hinterher die Bewilligungen echt flotter. Was hilft ist die Propaganda der Tat.

Als es in den Wohnheimen kein Vitamin-C-haltiges Essen gab und Zumutungen wie Schweinefleisch für Muslime sind wir mit Flüchtlings zusammen losgezogen und haben einen Supermarkt geplündert, und mein Freund Matthias Lange, nach dem heute ein Preis für Fluchthilfe benannt ist kündigte auf einer anschließenden Demo an, dass das jetzt jeden Tag passieren würde, wenn die jetzt nicht korrekt versorgt würden. Prompt klappte es, und nur so geht das. Als ein Wachmann in einem Flüchtlingswohnheim mit geschwungenem Schlagstock eine Genossin davon abhalten wollte, die Zustände dort - Schimmel an den Wänden, Unterbringung in drangvoller Enge - mit der Kamera dort zu dokumentieren bin ich ihm in den Arm gefallen. In Folge bekamen wir Zugang. Legal -illegal - IKEA-Regal. Bürgerrechte lassen sich nicht immer gesetzeskonform durchsetzen.

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Es wird eng unterm Hut vom Sparschwein, wenn jeder mit seinen romantischen Erinnerungen daherkommt, "wisst ihr noch, wie wir das Postamt zerlegt haben, wo die bösen Briefe herkommen, was für eine Freude! Die waren so klein mit Hut, niemand hat uns mit Maschinenpistolen zurückgehalten, wir sind Helden." Gleiches Unrecht für alle wünschst du dir sicher nicht. Wünschst du dir nicht. Du dir nicht.

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Das sind keine romantischen Erinnerungen, sondern aus empirischen Erfahrungen abgeleitete Handlungsempfehlungen für Gegenwart und Zukunft.

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Wer vor dem Krieg flieht, um sein Leben zu retten, sucht Sicherheit. In der Türkei sind die Syrer in Sicherheit; es gibt keinen Grund, warum sie noch sechs weitere Grenzen überschreiten sollten, um nach Deutschland zu kommen; ganz egal ob Christen oder Muslime oder sonstwas.

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http://www.dw.com/de/syrische-fl%C3%BCchtlinge-verlassen-deutschland/a-43352239

"Syrische Flüchtlinge, die mit einem gültigen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, verlassen offenbar zunehmend die Bundesrepublik. Dies hätten gemeinsame Recherchen ergeben, berichteten das ARD-Politikmagazin "Panorama" und das Reporterformat "STRG_F". Als Grund würden viele Syrer die erschwerte Familienzusammenführung nennen.

Den Berichten zufolge reisen viele Flüchtlinge illegal und auf zum Teil riskanten Routen in die Türkei, da sie kein Visum für die Ausreise dorthin erhalten. Oftmals nehmen sie demnach die Hilfe von Schleusern in Anspruch."

Es geht also, so furchtbar kann es in der Türkei nicht sein. Und die riskanten Routen und die Schlepper haben bei ihrer Einreise auch niemanden beunruhigt.

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Ich halte die langsam arbeitende Verwaltung und den noch länger dauernde Rechtsstreit ebenfalls für grausam, h.z. Vor allem, da ich dessen Ausgang überhaupt nicht abschätzen kann. Daher finde ich die Frage nach wie vor richtig, ob auf eine Zusammenführung in Deutschland zu warten und zu hoffen das richtige ist. Es wird dauern, das Ergebnis ist unwägbar, und bis dahin geht soviel kaputt. Er wäre ja nicht der erste, der sich auf dem Weg zu seinem vermeintlichen Recht das Leben zerdeppert hätte.

Daß allerdings, wie willy56 schreibt, die Ausreise in die Türkei überhaupt nicht legal möglich ist, spricht doch ebenso für eine Zusammenführung in Deutschland wie die bereits hier lebende Großmutter, die Frau Arboretum erwähnt hat.

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Ich kenne keine Details der Kochtöpfe in Ihrer Geschichte, che, aber der Gedanke, es sei vertretbar, aufgrund von lediglich unpassendem Essen einen Supermarkt zu stürmen, überrascht mich. Es ging ja nicht ums Verhungern, nehme ich an?

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Nein, es ging um Vitamine und die Gefahr von Skorbut. Und um Menschenwürde. Und darum den selbstherrlich über menschliche Schicksale entscheidenden Beamten aufzuzeigen wo der Hammer hängt.

Und im Übrigen halte ich illegale Protestaktionen und zivilen Ungehorsam für etwas, was für den Emanzipations-und Reifungsprozess junger Menschen zwingend notwendig ist.

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"lediglich unpassendes Essen" - wenn wir uns überlegen was für gläubige Muslime oder Juden Schweinefleisch bedeutet ist das ja ein hübsches Diminuitiv. Wie wäre es mit folgendem Gedankenexperiment: Tote Menschen benötigen ihr Fleisch nicht mehr. Also werden verstorbene Häftlinge zur Speisung ihrer Mitgefangenen verarbeitet, weil das Einkaufskosten spart. Die Häftlinge sollen sich gefälligst nicht darüber aufregen, Grund für eine Revolte ist das jedenfalls nicht, ist ja nur unpassendes Essen. Capisce?

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