Donnerstag, 15. April 2021
Zahlreiche Fallberichte, aber noch wenig Evidenz: Bessern sich Long-COVID-Symptome nach Impfungen mit mRNA-Vakzinen?
che2001, 18:14h
Brenda Goodman
Einige Wochen, nachdem Aaron Goyang die 2. Dosis eines mRNA-Impfstoffes erhalten hat, schien sein langer Kampf mit COVID-19 endlich vorbei zu sein. Der 33-jährige Röntgenassistent aus Austin, Texas, hat sich vermutlich im letzten Frühjahr bei einem Patienten mit Husten und Luftnot angesteckt.
Aaron Goyang
Damals gab es kaum Tests, und als er dann schließlich mehrere Wochen nach seiner Erkrankung doch untersucht wurde, war das Ergebnis negativ. Seine anfänglichen Symptome waren verschwunden, aber eine Woche später erlitt er einen Rückfall.
In den folgenden 8 oder 9 Monaten habe er eine Achterbahnfahrt mit wiederkehrender extremer Kurzatmigkeit und Engegefühl in der Brust erlebt, so Goyang. Die Symptomatik war mitunter so stark, dass er in die Notaufnahme musste. Um seine Arbeitstage zu überstehen, brauchte er einen Inhalator.
?Selbst, wenn ich nur herumsaß, konnten Beschwerden einsetzen und mich förmlich wegreißen?, berichtet der Röntgenassistent. ?Es fühlte sich so an, als würde mich jemand umklammern. Ich konnte einfach nicht tief genug einatmen.?
An besseren Tagen ging er ein wenig spazieren, immer darauf bedacht, es nicht zu übertreiben. Einmal versuchte er zu joggen, was ihn beinahe wieder ins Krankenhaus gebracht hätte. ?Ich habe mich gefragt, ob ich wohl jemals wieder normal würde joggen können?, sagt er.
Überraschende Wende nach der Impfung
Doch einige Wochen, nachdem er den Impfstoff von BioNTech/Pfizer erhalten hat, konnte er problemlos wieder 2 Kilometer laufen. ?Ich war unheimlich dankbar.?
Mit dieser Erfahrung ist Goyang nicht allein. In Social-Media-Gruppen tauschen sich Patienten aus, die unter dem sogenannten Long-COVID-Syndrom leiden (auch ?post-acute sequelae of SARS-CoV-2?, PASC, genannt). Sie werden mitunter als ?long hauler? bezeichnet, also Patienten, die etwas ?lange mit sich herumtragen?, doch die Terminologie ist noch im Fluss.
In sozialen Medien wird intensiv über Impfungen und über Long-COVID diskutiert. Manche Patienten berichten, dass ihre Symptome irgendwann endlich verschwunden waren, was die Hoffnung schürt, dass Long-COVID zeitlich begrenzt ist.
Zu den bekanntesten Patienteninitiativen zählt ?Survivor Corps? mit 159.000 Mitglieder. Sie versuchen, einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie zu leisten. Die Organisation führte kürzlich eine Umfrage durch, um Gerüchten nachzugehen, dass Long-COVID-Patienten von einer Impfung profitieren.
?Von 400 Patienten zeigten 36% eine Verbesserung der Symptomatik. Das konnte eine leichte Besserung bedeuten oder aber auch das völlige Verschwinden der Symptome?, sagte Diana Berrent, die als Long-COVID-Patientin eine eigene Facebook-Gruppe gegründet hatte. Survivor Corps bemüht sich darum, aktiv um die Patienten-Interessen zu vertreten und dient auch als Datenquelle für die COVID-19-Forschung.
Berrent wurde während der Pandemie zu einer wichtigen Person, der man vertraut und zuhört. Im vergangenen Oktober interviewte sie den Leiter der National Institutes of Allergy and Infectious Diseases und US-Regierungsberater in epidemiologischen Fragen Dr. Anthony Fauci.
?Die Konsequenzen aus diesen Ergebnissen sind enorm?, sagt Berrent. ?Einige der Schäden sind dauerhaft. Die Narben im Herzmuskel und die Lungenschädigungen werden durch eine nachträgliche Impfung nicht verschwinden, aber wenn sich die Patienten besser fühlen, ist das ein Hinweis darauf, dass Viren persistieren.? Den Begriff ?post-acute sequelae of SARS-CoV-2? hält sie für wenig treffend.
Ärzte bestätigen die Fallberichte
Dr. Daniel Griffin, Infektiologe an der Columbia University in New York City, berichtet, jeder 5. Patient, den er im letzten Jahr wegen COVID-19 behandelt habe, sei bisher nicht wieder gesund geworden. Viele von ihnen seien ? wie auch Goyang ? im Gesundheitswesen tätig.
?Ich weiß nicht, ob allen klar ist, dass viele unserer Mitarbeiter entweder dauerhaft beeinträchtigt oder gestorben sind?, sagt Griffin.
Ärzte und Pflegekräfte waren auch unter den Ersten, die geimpft wurden. Griffin sagt, dass viele seiner Patienten 1 oder 2 Wochen nach der Impfung zu ihm gesagt hätten: ?Ich fühle mich tatsächlich besser.? Und einige von denen, die das sagten, seien 1 Jahr lang krank gewesen.
Dann kamen Anrufe und Kurznachrichten von anderen Ärzten, welche dieselben Erfahrungen gemacht hatten.
Der Nutzen der Impfung kam für manche Long-COVID-Patienten überraschend. Griffin sagt, dass sich viele seiner Patienten, bevor die Impfstoffe auf den Markt kamen, Sorgen darüber machten, dass eine Impfung ihr Immunsystem überstimulieren und die Symptome verschlimmern könnte.
Tatsächlich berichteten nur 3 bis 5% in den sozialen Medien, dass sich ihre Symptome nach der Impfung verschlimmert hätten, wobei der Grund dafür unklar ist.
Griffin schätzt, dass sich bei 30 bis 50% aller Patienten die Symptome nach Gabe eines mRNA-Impfstoffes bessern. ?Ich treffe all diese Menschen, die mir erzählen, dass sich der Nebel in ihrem Kopf lichtet, dass die dauernde Müdigkeit verschwunden ist und ebenso das dauernde Fieber?, sagt er. ?Aber ich sehe es nicht nur persönlich, sondern höre es auch von meinen Kollegen.?
Diese Beobachtungen hätten, so Griffin, mehrere Studien angestoßen. Es gebe verschiedene Theorien dazu, in welcher Weise die Impfstoffe das Long-COVID-Syndrom beeinflussen könnten.
COVID-19-Impfungen als Schub für das Immunsystem?
Eine Hypothese ist, dass SARS-CoV-2 weiterhin das Immunsystem stimuliert und dieses noch monatelang gegen das Virus ankämpft. Wenn das der Fall sei, so Griffin, könne der Impfstoff dem Immunsystem genau den Schub verleihen, der erforderlich sei, um dem Virus endgültig den Garaus zu machen.
Prof. Dr. Donna Farber, Mikrobiologin und Immunologin an der Columbia University, hat solche Berichte ebenfalls gehört. ?Möglich, dass das Virus bei Long-COVID auf niedrigem Niveau persistiert ? nicht genug, um eine starke Immunantwort zu stimulieren, die das Virus beseitigt, aber gerade genug, um weiterhin Symptome zu verursachen?, so ihre Einschätzung. ?Die Aktivierung der Immunantwort wäre daher ein therapeutischer Ansatz, worüber die Viruselimination angeregt werden kann.
Für Farber gleicht Long-COVID ein wenig der Lyme-Borreliose. Manche Patienten müssen monatelang Antibiotika einnehmen, bis ihre Symptome verschwinden.
Griffin sieht noch einen anderen Erklärungsansatz. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass Menschen mit Long-COVID-Symptomen Autoantikörper entwickeln. SARS-CoV-2 könnte vielleicht eine Autoimmunerkrankung auslösen, welche die langfristigen Symptome erzeugt.
Falls dies zutreffe, sagt Griffin, könnte ein Impfstoff den Körper dabei unterstützen, seine Toleranz gegenüber sich selbst wieder zu normalisieren, ?sodass dann vielleicht eine gesunde Immunantwort erzeugt wird?. Um diese Fragen zu klären, seien zweifelsohne weitere Studien nötig.
So oder so seien die Impfstoffe jedoch für Long-COVID-Patienten ein dringend benötigter Silberstreif am Horizont, erklärt Griffin. Besorgten Patienten sei zu raten, dass sie zumindest vor einer weiteren SARS-CoV-2-Infektion geschützt würden.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Einige Wochen, nachdem Aaron Goyang die 2. Dosis eines mRNA-Impfstoffes erhalten hat, schien sein langer Kampf mit COVID-19 endlich vorbei zu sein. Der 33-jährige Röntgenassistent aus Austin, Texas, hat sich vermutlich im letzten Frühjahr bei einem Patienten mit Husten und Luftnot angesteckt.
Aaron Goyang
Damals gab es kaum Tests, und als er dann schließlich mehrere Wochen nach seiner Erkrankung doch untersucht wurde, war das Ergebnis negativ. Seine anfänglichen Symptome waren verschwunden, aber eine Woche später erlitt er einen Rückfall.
In den folgenden 8 oder 9 Monaten habe er eine Achterbahnfahrt mit wiederkehrender extremer Kurzatmigkeit und Engegefühl in der Brust erlebt, so Goyang. Die Symptomatik war mitunter so stark, dass er in die Notaufnahme musste. Um seine Arbeitstage zu überstehen, brauchte er einen Inhalator.
?Selbst, wenn ich nur herumsaß, konnten Beschwerden einsetzen und mich förmlich wegreißen?, berichtet der Röntgenassistent. ?Es fühlte sich so an, als würde mich jemand umklammern. Ich konnte einfach nicht tief genug einatmen.?
An besseren Tagen ging er ein wenig spazieren, immer darauf bedacht, es nicht zu übertreiben. Einmal versuchte er zu joggen, was ihn beinahe wieder ins Krankenhaus gebracht hätte. ?Ich habe mich gefragt, ob ich wohl jemals wieder normal würde joggen können?, sagt er.
Überraschende Wende nach der Impfung
Doch einige Wochen, nachdem er den Impfstoff von BioNTech/Pfizer erhalten hat, konnte er problemlos wieder 2 Kilometer laufen. ?Ich war unheimlich dankbar.?
Mit dieser Erfahrung ist Goyang nicht allein. In Social-Media-Gruppen tauschen sich Patienten aus, die unter dem sogenannten Long-COVID-Syndrom leiden (auch ?post-acute sequelae of SARS-CoV-2?, PASC, genannt). Sie werden mitunter als ?long hauler? bezeichnet, also Patienten, die etwas ?lange mit sich herumtragen?, doch die Terminologie ist noch im Fluss.
In sozialen Medien wird intensiv über Impfungen und über Long-COVID diskutiert. Manche Patienten berichten, dass ihre Symptome irgendwann endlich verschwunden waren, was die Hoffnung schürt, dass Long-COVID zeitlich begrenzt ist.
Zu den bekanntesten Patienteninitiativen zählt ?Survivor Corps? mit 159.000 Mitglieder. Sie versuchen, einen aktiven Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie zu leisten. Die Organisation führte kürzlich eine Umfrage durch, um Gerüchten nachzugehen, dass Long-COVID-Patienten von einer Impfung profitieren.
?Von 400 Patienten zeigten 36% eine Verbesserung der Symptomatik. Das konnte eine leichte Besserung bedeuten oder aber auch das völlige Verschwinden der Symptome?, sagte Diana Berrent, die als Long-COVID-Patientin eine eigene Facebook-Gruppe gegründet hatte. Survivor Corps bemüht sich darum, aktiv um die Patienten-Interessen zu vertreten und dient auch als Datenquelle für die COVID-19-Forschung.
Berrent wurde während der Pandemie zu einer wichtigen Person, der man vertraut und zuhört. Im vergangenen Oktober interviewte sie den Leiter der National Institutes of Allergy and Infectious Diseases und US-Regierungsberater in epidemiologischen Fragen Dr. Anthony Fauci.
?Die Konsequenzen aus diesen Ergebnissen sind enorm?, sagt Berrent. ?Einige der Schäden sind dauerhaft. Die Narben im Herzmuskel und die Lungenschädigungen werden durch eine nachträgliche Impfung nicht verschwinden, aber wenn sich die Patienten besser fühlen, ist das ein Hinweis darauf, dass Viren persistieren.? Den Begriff ?post-acute sequelae of SARS-CoV-2? hält sie für wenig treffend.
Ärzte bestätigen die Fallberichte
Dr. Daniel Griffin, Infektiologe an der Columbia University in New York City, berichtet, jeder 5. Patient, den er im letzten Jahr wegen COVID-19 behandelt habe, sei bisher nicht wieder gesund geworden. Viele von ihnen seien ? wie auch Goyang ? im Gesundheitswesen tätig.
?Ich weiß nicht, ob allen klar ist, dass viele unserer Mitarbeiter entweder dauerhaft beeinträchtigt oder gestorben sind?, sagt Griffin.
Ärzte und Pflegekräfte waren auch unter den Ersten, die geimpft wurden. Griffin sagt, dass viele seiner Patienten 1 oder 2 Wochen nach der Impfung zu ihm gesagt hätten: ?Ich fühle mich tatsächlich besser.? Und einige von denen, die das sagten, seien 1 Jahr lang krank gewesen.
Dann kamen Anrufe und Kurznachrichten von anderen Ärzten, welche dieselben Erfahrungen gemacht hatten.
Der Nutzen der Impfung kam für manche Long-COVID-Patienten überraschend. Griffin sagt, dass sich viele seiner Patienten, bevor die Impfstoffe auf den Markt kamen, Sorgen darüber machten, dass eine Impfung ihr Immunsystem überstimulieren und die Symptome verschlimmern könnte.
Tatsächlich berichteten nur 3 bis 5% in den sozialen Medien, dass sich ihre Symptome nach der Impfung verschlimmert hätten, wobei der Grund dafür unklar ist.
Griffin schätzt, dass sich bei 30 bis 50% aller Patienten die Symptome nach Gabe eines mRNA-Impfstoffes bessern. ?Ich treffe all diese Menschen, die mir erzählen, dass sich der Nebel in ihrem Kopf lichtet, dass die dauernde Müdigkeit verschwunden ist und ebenso das dauernde Fieber?, sagt er. ?Aber ich sehe es nicht nur persönlich, sondern höre es auch von meinen Kollegen.?
Diese Beobachtungen hätten, so Griffin, mehrere Studien angestoßen. Es gebe verschiedene Theorien dazu, in welcher Weise die Impfstoffe das Long-COVID-Syndrom beeinflussen könnten.
COVID-19-Impfungen als Schub für das Immunsystem?
Eine Hypothese ist, dass SARS-CoV-2 weiterhin das Immunsystem stimuliert und dieses noch monatelang gegen das Virus ankämpft. Wenn das der Fall sei, so Griffin, könne der Impfstoff dem Immunsystem genau den Schub verleihen, der erforderlich sei, um dem Virus endgültig den Garaus zu machen.
Prof. Dr. Donna Farber, Mikrobiologin und Immunologin an der Columbia University, hat solche Berichte ebenfalls gehört. ?Möglich, dass das Virus bei Long-COVID auf niedrigem Niveau persistiert ? nicht genug, um eine starke Immunantwort zu stimulieren, die das Virus beseitigt, aber gerade genug, um weiterhin Symptome zu verursachen?, so ihre Einschätzung. ?Die Aktivierung der Immunantwort wäre daher ein therapeutischer Ansatz, worüber die Viruselimination angeregt werden kann.
Für Farber gleicht Long-COVID ein wenig der Lyme-Borreliose. Manche Patienten müssen monatelang Antibiotika einnehmen, bis ihre Symptome verschwinden.
Griffin sieht noch einen anderen Erklärungsansatz. In mehreren Studien wurde gezeigt, dass Menschen mit Long-COVID-Symptomen Autoantikörper entwickeln. SARS-CoV-2 könnte vielleicht eine Autoimmunerkrankung auslösen, welche die langfristigen Symptome erzeugt.
Falls dies zutreffe, sagt Griffin, könnte ein Impfstoff den Körper dabei unterstützen, seine Toleranz gegenüber sich selbst wieder zu normalisieren, ?sodass dann vielleicht eine gesunde Immunantwort erzeugt wird?. Um diese Fragen zu klären, seien zweifelsohne weitere Studien nötig.
So oder so seien die Impfstoffe jedoch für Long-COVID-Patienten ein dringend benötigter Silberstreif am Horizont, erklärt Griffin. Besorgten Patienten sei zu raten, dass sie zumindest vor einer weiteren SARS-CoV-2-Infektion geschützt würden.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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