Montag, 19. April 2021
Bis zu 8-fach höhere Mortalität: SARS-CoV-2 gefährdet chirurgische Patienten ? Fachgesellschaft spricht mit der STIKO
che2001, 19:19h
Dr. Klaus Fleck
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh) plädiert dafür, Patienten im Vorfeld größerer elektiver OPs mit Priorität gegen SARS-CoV-2 zu impfen, um postoperative Komplikationen und Todesfälle zu vermeiden. Untermauert wird diese Empfehlung von aktuellen Ergebnissen einer Modellierungsstudie der internationalen COVIDSurg Collaborative, einer weltweiten Forschungskooperation. Ergebnisse stellte DGCh-Vizepräsident Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen von der Goethe-Universität Frankfurt am Main anlässlich des 138. Deutschen Chirurgenkongresses vor [1].
Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen
?Zwar handelt es sich bei der aktuellen Analyse von Mortalitätsdaten um eine Beobachtungsstudie mit mathematischer Modellierung und keine prospektiv-randomisierte Untersuchung?, kommentierte Schmitz-Rixen. ?Aufgrund der großen Teilnehmerzahl kann man hier jedoch durchaus von aussagekräftigen und reliablen Daten sprechen.?
Daten von 141.000 Patienten erhoben
An der COVIDSurg Collaborative Studie nehmen bislang 1.667 Kliniken aus 116 Ländern und fast 15.000 Ärzte teil, die anonymisierte Daten zu mehr als 141.000 Patienten lieferten. Das Projekt wurde im vergangenen Jahr von der Universität Birmingham initiiert.
Die wichtigsten Ergebnisse: Perioperativ (kurz vor, während oder kurz nach einem Eingriff) infizierten sich weltweit zwischen 0,6% und 1,6% aller Patienten mit SARS-CoV-2. ?Dies hatte in allen Altersgruppen einen deutlichen Effekt auf das Risiko der Patienten, innerhalb von 30 Tagen nach der Operation insbesondere pulmonale Komplikationen zu entwickeln und zu sterben?, so Schmitz-Rixen.
Das Risiko nahm wie zu erwarten mit steigendem Alter zu. So war die 30-Tage-Mortalität bei über 70-Jährigen mit einer SARS-CoV-2-Infektion um das 7- bis 8-Fache höher als bei Nichtinfizierten der gleichen Altersgruppe. In der Subgruppe mit operierten onkologischen Patienten stieg die Mortalität besonders hoch auf bis zu 18,6%.
?Daten ? insbesondere aus Israel ? haben nun gezeigt, dass die COVID-19-Impfung die postoperativen Mortalitätsraten deutlich senken kann", erklärte Schmitz-Rixen. So reiche in der Gruppe mit 50- bis 69-jährigen zu operierenden onkologischen Patienten rechnerisch bereits die Impfung von 559 Personen aus, um 1 COVID-19-Todesfall zu verhindern.
Bei gesunden Gleichaltrigen werde dieser Effekt erst mit durchschnittlich 13.000 Impfungen erzielt. ?Die präoperative Impfung ist als äußerst effektiv anzusehen und definitiv besser, als die Patienten nur auf SARS-CoV-2 zu testen?, kommentiert der Experte.
Chirurgen fordern höhere Impf-Priorisierung für Patienten
Daraus folgt nach den Worten des DGCh-Vizepräsidenten: ?Nicht nur vor einer Krebsoperation, sondern vor allen größeren und planbaren chirurgischen Eingriffen sollten die Patienten möglichst gegen COVID-19 geimpft und der Eingriff dann soweit im Einzelfall möglich um einige Wochen verschoben werden.? Ideal sei die komplette Impfung, doch auch bereits mit der Erstimpfung sei einiges gewonnen.
Nicht nur vor einer Krebsoperation, sondern vor allen größeren und planbaren chirurgischen Eingriffen sollten die Patienten möglichst gegen COVID-19 geimpft ? werden. Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen
Als Beispiele für nicht-onkologische Operationen nannte Schmitz-Rixen im Gespräch mit Medscape größere Gefäß-OPs, etwa bei einem Bauchaorten-Aneurysma, aber auch die Adipositas-Chirurgie, Endoprothesen, hier vor allen den Prothesenwechsel, die Korrektur großer Bauchwand-Hernien, nicht-onkologische thorakale Eingriffe wie eine Trichterbrust-Korrektur, OPs bei pulmonaler Hypertonie, elektive Herzklappen-OPs oder Darmresektionen bei gutartigen Krankheiten.
Krebspatienten fallen hierzulande in die Priorisierungsgruppe 2. ?Allerdings ist diese Gruppe noch nicht durchgeimpft?, berichtet der DGCh-Vizepräsident. ?Vor allem aber gehören die meisten für größere Eingriffe vorgesehenen chirurgischen Patienten derzeit noch der Priorisierungsgruppe 3 an, deren Impfung aktuell möglicherweise erst für Juni oder Juli erwartet wird.? Es sei daher geboten, diese Personen baldmöglichst höher zu priorisieren, wozu es von Seiten der DGCH bereits Kontakt mit der Ständigen Impfkommission gebe.
Bei positivem Infektionsbefund OPs möglichst verschieben
Auch Patienten, die kurz vor einem größeren chirurgischen Eingriff positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, haben mittelfristig höhere Risiken. So zeigte eine weitere auf COVIDSurg Collaborative Daten beruhende prospektive Studie, dass sich die postoperative Mortalität bei ihnen in den ersten 6 Wochen nach Infektionsdiagnose zunächst auf das 4-Fache, dann noch auf das 3,5-Fache erhöhte und erst ab der 7. Woche wieder auf Normalwerte verringerte.
?Selbst wenn positiv auf SARS-Cov-2 getestete Patienten keine oder nur milde Symptome haben?, so Schmitz-Rixen weiter, ?gilt hier die Empfehlung, größere chirurgische Eingriffe um mindestens 7 Wochen zu verschieben, sofern die individuelle Situation des Patienten dies erlaubt?. Sollten COVID-19-Symptome nach dieser Zeit fortbestehen, sei eine noch längere Verschiebung angeraten.
Klar ist, dass das Aufschieben von Operationen selbst mit Risiken verbunden sein kann. Nach Schätzungen der COVIDSurg Collaborative hatte sich allein während der 1. Welle der Pandemie innerhalb von 12 Wochen ein weltweiter Operationsstau von 28 Millionen Eingriffen gebildet.
In Deutschland habe es 2020 etwa vermehrt Amputationen gegeben, weil Patienten aus Furcht vor Infektionen oder aufgrund fehlender Ressourcen zu spät in die Klinik gekommen seien, so der Experte. ?Auch diese Probleme müssen wir organisatorisch besser in den Griff bekommen.? In Großbritannien etwa würden COVID-19-Patienten in teilweise nur für sie reservierten Krankenhäusern behandelt, um Operationsstaus entgegenzuwirken.
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCh) plädiert dafür, Patienten im Vorfeld größerer elektiver OPs mit Priorität gegen SARS-CoV-2 zu impfen, um postoperative Komplikationen und Todesfälle zu vermeiden. Untermauert wird diese Empfehlung von aktuellen Ergebnissen einer Modellierungsstudie der internationalen COVIDSurg Collaborative, einer weltweiten Forschungskooperation. Ergebnisse stellte DGCh-Vizepräsident Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen von der Goethe-Universität Frankfurt am Main anlässlich des 138. Deutschen Chirurgenkongresses vor [1].
Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen
?Zwar handelt es sich bei der aktuellen Analyse von Mortalitätsdaten um eine Beobachtungsstudie mit mathematischer Modellierung und keine prospektiv-randomisierte Untersuchung?, kommentierte Schmitz-Rixen. ?Aufgrund der großen Teilnehmerzahl kann man hier jedoch durchaus von aussagekräftigen und reliablen Daten sprechen.?
Daten von 141.000 Patienten erhoben
An der COVIDSurg Collaborative Studie nehmen bislang 1.667 Kliniken aus 116 Ländern und fast 15.000 Ärzte teil, die anonymisierte Daten zu mehr als 141.000 Patienten lieferten. Das Projekt wurde im vergangenen Jahr von der Universität Birmingham initiiert.
Die wichtigsten Ergebnisse: Perioperativ (kurz vor, während oder kurz nach einem Eingriff) infizierten sich weltweit zwischen 0,6% und 1,6% aller Patienten mit SARS-CoV-2. ?Dies hatte in allen Altersgruppen einen deutlichen Effekt auf das Risiko der Patienten, innerhalb von 30 Tagen nach der Operation insbesondere pulmonale Komplikationen zu entwickeln und zu sterben?, so Schmitz-Rixen.
Das Risiko nahm wie zu erwarten mit steigendem Alter zu. So war die 30-Tage-Mortalität bei über 70-Jährigen mit einer SARS-CoV-2-Infektion um das 7- bis 8-Fache höher als bei Nichtinfizierten der gleichen Altersgruppe. In der Subgruppe mit operierten onkologischen Patienten stieg die Mortalität besonders hoch auf bis zu 18,6%.
?Daten ? insbesondere aus Israel ? haben nun gezeigt, dass die COVID-19-Impfung die postoperativen Mortalitätsraten deutlich senken kann", erklärte Schmitz-Rixen. So reiche in der Gruppe mit 50- bis 69-jährigen zu operierenden onkologischen Patienten rechnerisch bereits die Impfung von 559 Personen aus, um 1 COVID-19-Todesfall zu verhindern.
Bei gesunden Gleichaltrigen werde dieser Effekt erst mit durchschnittlich 13.000 Impfungen erzielt. ?Die präoperative Impfung ist als äußerst effektiv anzusehen und definitiv besser, als die Patienten nur auf SARS-CoV-2 zu testen?, kommentiert der Experte.
Chirurgen fordern höhere Impf-Priorisierung für Patienten
Daraus folgt nach den Worten des DGCh-Vizepräsidenten: ?Nicht nur vor einer Krebsoperation, sondern vor allen größeren und planbaren chirurgischen Eingriffen sollten die Patienten möglichst gegen COVID-19 geimpft und der Eingriff dann soweit im Einzelfall möglich um einige Wochen verschoben werden.? Ideal sei die komplette Impfung, doch auch bereits mit der Erstimpfung sei einiges gewonnen.
Nicht nur vor einer Krebsoperation, sondern vor allen größeren und planbaren chirurgischen Eingriffen sollten die Patienten möglichst gegen COVID-19 geimpft ? werden. Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen
Als Beispiele für nicht-onkologische Operationen nannte Schmitz-Rixen im Gespräch mit Medscape größere Gefäß-OPs, etwa bei einem Bauchaorten-Aneurysma, aber auch die Adipositas-Chirurgie, Endoprothesen, hier vor allen den Prothesenwechsel, die Korrektur großer Bauchwand-Hernien, nicht-onkologische thorakale Eingriffe wie eine Trichterbrust-Korrektur, OPs bei pulmonaler Hypertonie, elektive Herzklappen-OPs oder Darmresektionen bei gutartigen Krankheiten.
Krebspatienten fallen hierzulande in die Priorisierungsgruppe 2. ?Allerdings ist diese Gruppe noch nicht durchgeimpft?, berichtet der DGCh-Vizepräsident. ?Vor allem aber gehören die meisten für größere Eingriffe vorgesehenen chirurgischen Patienten derzeit noch der Priorisierungsgruppe 3 an, deren Impfung aktuell möglicherweise erst für Juni oder Juli erwartet wird.? Es sei daher geboten, diese Personen baldmöglichst höher zu priorisieren, wozu es von Seiten der DGCH bereits Kontakt mit der Ständigen Impfkommission gebe.
Bei positivem Infektionsbefund OPs möglichst verschieben
Auch Patienten, die kurz vor einem größeren chirurgischen Eingriff positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, haben mittelfristig höhere Risiken. So zeigte eine weitere auf COVIDSurg Collaborative Daten beruhende prospektive Studie, dass sich die postoperative Mortalität bei ihnen in den ersten 6 Wochen nach Infektionsdiagnose zunächst auf das 4-Fache, dann noch auf das 3,5-Fache erhöhte und erst ab der 7. Woche wieder auf Normalwerte verringerte.
?Selbst wenn positiv auf SARS-Cov-2 getestete Patienten keine oder nur milde Symptome haben?, so Schmitz-Rixen weiter, ?gilt hier die Empfehlung, größere chirurgische Eingriffe um mindestens 7 Wochen zu verschieben, sofern die individuelle Situation des Patienten dies erlaubt?. Sollten COVID-19-Symptome nach dieser Zeit fortbestehen, sei eine noch längere Verschiebung angeraten.
Klar ist, dass das Aufschieben von Operationen selbst mit Risiken verbunden sein kann. Nach Schätzungen der COVIDSurg Collaborative hatte sich allein während der 1. Welle der Pandemie innerhalb von 12 Wochen ein weltweiter Operationsstau von 28 Millionen Eingriffen gebildet.
In Deutschland habe es 2020 etwa vermehrt Amputationen gegeben, weil Patienten aus Furcht vor Infektionen oder aufgrund fehlender Ressourcen zu spät in die Klinik gekommen seien, so der Experte. ?Auch diese Probleme müssen wir organisatorisch besser in den Griff bekommen.? In Großbritannien etwa würden COVID-19-Patienten in teilweise nur für sie reservierten Krankenhäusern behandelt, um Operationsstaus entgegenzuwirken.
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