Dienstag, 15. Februar 2022
Nachtabschiebung statt "Chancen-Aufenthaltsrecht"
Wie rigoros nachts im zweiten Pandemiewinter vor Aufgang der Sonne Sammelabschiebungen über den Flughafen Hannover abgewickelt werden bleibt weitgehend unbeobachtet.

Am Flughafen Hannover gibt es -anders als in anderen Bundesländern- bisher keine regelmäßige, unabhängige Abschiebungsbeobachtung, die solche Sammelabschiebungen morgens um 6:30 Uhr jedenfalls fundiert beobachten könnte, um die schlimmsten Härten abzumildern.
Um die Sammelcharter voll zu bekommen, werden Menschen aus vielen Regionen Deutschlands nachts aus den Betten geholt.


https://www.grundrechtekomitee.de/details/pressemitteilung-nachtabschiebung-statt-chancen-aufenthaltsrecht


Der Kreis Unna hat am 18. Januar 2022 eine Familie nachts nach Bangladesch abgeschoben. Die Familie lebte seit 2016 in Deutschland und hätte vom von der neuen Bundesregierung geplanten sogenannten
"Chancen-Aufenthaltsrecht" profitiert. Dieses sieht für Menschen, die zum 01.01.2022 seit 5 Jahren in Deutschland leben und straffrei sind, einen Ausweg aus der Kettenduldung und ein Bleiberecht vor, ist aber gesetzlich noch nicht umgesetzt. Auch gibt es noch keine Vorgriffsregelung der Landesregierung.

Die Familie wurde seit vielen Jahren eng von Mitgliedern des Arbeitskreises Asyl Schwerte begleitet. Die sechsjährige Tochter war im vergangenen Sommer eingeschult worden. Insgesamt hat sich die Familie sehr um Integration bemüht, Sprachkurse erfolgreich absolviert, am gesellschaftlichen Leben in Schwerte teilgenommen und sich in Gemeindegruppen engagiert. Auch die Elterngruppen aus Kindergarten und Schule bestätigen das Engagement der Familie, zeigen sich entsetzt über die Art und Weise der Abschiebung und suchen nach Hilfsmöglichkeiten für die Familie.

Doch nicht nur die Abschiebung als solche ist empörend, sondern auch die Art und Weise des Vorgehens der Behörden. Die Beamt:innen kamen gegen 24 Uhr und brachten einen Schlüsseldienst mit. So drangen sie in dieMietwohnung der Familie ein: ein rechtswidriges Vorgehen, das gegen den Artikel 13 Grundgesetz zur Unverletzlichkeit der Wohnung verstößt. Nach dem Bericht der Familie kamen zahlreiche Beamt:innen in die Wohnung.

"Das Eindringen in das Schlafzimmer und damit in einen Intimbereich der Familie ist schon ußerordentlich fragwürdig und unsensibel und dann noch zu einem Zeitpunkt des Tiefschlafs - das kann in seinen Auswirkungen schon traumatisierend wirken", führen die ehrenamtlichen Betreuer des Arbeitskreises Asyl in Schwerte, Hans-Bernd Marks und Marianne Versin- Wenzler aus. Handys und Geld wurden abgenommen unter Verweis, diese in Bangladesch zurückzuerhalten.

Auf dem Weg zum Flughafen Hannover musste sich die sechsjährige Tochter aufgrund des enormen Stresses mehrmals im Auto übergeben. Doch die Bitte der Eltern, die Fahrt zu unterbrechen, wurde ignoriert. Nach Wahrnehmung der Familie befanden sich am Flughafen dann rund 35 Menschen aus Bangladesch, aber eine deutlich größere Zahl von Polizist:innen: eine traumatisierende und extrem beängstigende Erfahrung für die Familie und insbesondere für das Kind.


Die Frau der Familie hätte längst Arbeit gefunden. Ihr lagen konkrete Arbeits- und Ausbildungsangebote vor. Sie war langjährig engagiert. Doch der Kreis Unna hatte ein Arbeitsverbot verhängt. Für den Mann lief ein Klageverfahren zu seinem Asylfolgeantrag. Dies hat der Kreis bei seiner Entscheidung vollständig ignoriert. Die kleine Tochter hat nie in Bangladesch gelebt. Sie spricht kein Bengalisch und möchte wieder in Schwerte zur Schule gehen.

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und
Demokratie e.V.:
"Tag für Tag werden weiter Menschen in NRW abgeschoben, für die das von der neuen Bundesregierung geplante sogenannte "Chancen-Aufenthaltsrecht" greifen würde. Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration Joachim Stamp weigert sich bisher, einen entsprechenden Vorgriffserlass an seine Ausländerbehörden zu übermitteln. Und auch der Kreis Unna macht willfährig mit und konterkariert damit bewusst die Pläne des Bundes und zerstört damit das Leben einer Familie, die seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen lebt.
"Das Eindringen mit einem Schlüsseldienst in eine Mietwohnung zwecks Abschiebung ist rechtswidrig. Das Grundgesetz und das Kindeswohl scheinen im Kreis Unna bei Abschiebungen nicht zu gelten. Die nicht angekündigte Abschiebung mitten in der Nacht hat eine Familie mit ihrer kleinen Tochter zutiefst traumatisiert. Die Landesregierung muss sich fragen lassen, was ein Erlass wert ist, der achtabschiebungen bei Kindern verhindern soll, wenn dieser immer wieder missachtet wird. Dass die Behörden die Abschiebung zudem weiter durchgesetzt haben, als sich die kleine Tochter der Familie mehrfach im Auto übergeben hat, zeigt die Verrohung der Abschiebungspraxis auf. Um jeden Preis sollte dieser Sammelcharter nach Bangladesch mit Menschen gefüllt werden."

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