Montag, 1. Januar 2024
Elemente der Gegenaufklärung, heute: Argentiniens Milei
Der neue Präsident hatte in seinem Wahlkampf ja den Eindruck eines ADHSlers auf Droge erweckt, man könnte auch sagen, die Körpersprache bei manchem Wahlauftritt entsprach einem epileptischen Anfall im Stehen. Verglichen damit war selbst der Redestil eines Joseph Goebbels ein Ausdruck ruhiger Gelassenheit. Inhaltlich vertritt er etwas, was es in der Parteienlandschaft Westeuropas nicht gibt, was aber schon sehr lange in der politischen Bloggosphäre eine Rolle spielt: Anarchokapitalismus bzw. Rechtslibertarismus. Eine Ideologie, die den Staat fast all seiner Funktionen außer Polizei, Justiz, Streitkräfte und Währung entkleiden will und sich von der total freien Marktwirtschaft ein Heilsversprechen macht.

Zu tun hatten wir auf diesem Blog mit diesem Thema schon einmal vor fast 20 Jahren. Da hatte ich noch zehntausende Leser, und es gab Postings mit 100 Kommentaren von 20 verschiedenen Leuten. Es war die Zeit der großen Blogschlachten.

Ausgehend von der Gründung der Achse des Guten durch Henryk M. Broder und die Springer-Redakteure Miersch und Maxeiner als Reaktion auf One Eleven hatte sich ein Bündnis von politischen Blogs gebildet, deren politisches Spektrum von liberal im Sinne der FDP bis rechtsextrem reichte, aber auch ins antideutsche Spektrum hinein und eben auch zu den Anarchokapitalisten mit ihrem Blog Eigentümlich frei, von uns eifrei genannt. Auf dem Münchner Nockherberg hatten sich 2005 einige der Protagonisten getroffen, und es existieren davon peinliche Fotos, die z. B. Broder Arm in Arm mit Politicallincorrect-Gründer Stefan Herre zeigen. Gemeinsamer Nenner war die Agitation gegen die Immigration von Muslimen und allgemein gegen die Linke und eine allgemein "prowestliche Haltung", die das Vorgehen der Allierten im Irak unterstützte, in einigen Fällen bis hin zu purer Kriegsbegeisterung.

Alle Blogs, die dieser unheiligen Allianz angehörten hatten die immer gleiche Blogroll mit Adressen quer durch das liberale, konservative, rechtsextreme und rechtslibertäre Lager. Mit teils ganz bizarren Bündnissen, etwa die neurechten Weikersheimer mit versprengten Antideutsche, und mittedrin Ayaan Hirsi Ali.

Auf Initiative von Don Alphonso gründete sich ein Gegenbündnis, dem u.a. rebellmarkt, chuzpe, die Blogs von Dr. Dean, Balou, Georg Klauda und Netbitch und eben unter vielen anderen auch dieses Blog angehörten.

Wir griffen die prowestlichen Blogs, wie sie sich nannten, auf vielen Ebenen an, vor allem, wo sie die Bushkriege unterstützten oder rassistische Positionen einnahmen, etwa bei der Unterstützung Theo van Goghs oder im Streit um die Mohamed-Karrikaturen in Jyllands Komposten. Mir persönlich ging es um die Befürchtung, dass da ein neuer, extrem massenkompatibler und weit über das rechte Lager hinausreichender Rassismus heranwuchs, nämlich ein Wohlstandsrassismus, der nichts gegen schwarze Ärzte und Architekten oder PoC im Allgemeinen hat, wohl aber gegen arme Migranten gerichtet ist, und ich modellierte im Einzelnen heraus, wie ein solcher Wohlstandsrassismus beschaffen ist. Aus diesem Kontext heraus entstand meine an die Elemente des Antisemitismus au der Dialektik der Aufklärung angelehnte Artikelserie Elemente der Gegenaufklärung.

Well, the world turns, das Bündnis der prowestlichen bzw. liberal/libertären Blogs bröckelte, und zu den intelligenteren und kultivierteren pflegte ich bald eher freundliche Beziehungen, jedenfalls im Sinne regelmäßiger Diskussionen.

18 Jahre später betritt jetzt ein rechtslibertärer Selfmadepoiltiker die Bühne der großen Politik, in einem Land, das seit Jahrzehnten durch Wirtschaftskrisen gebeutelt ist.

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Milei stellt gerade fest, dass man mit einer Kettensäge vielleicht Wahlkampf führen kann, vor Gericht damit dagegen jämmerlich abkackt.

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Was Blogs mal waren, ist jetzt durchkommerzialisiert und professionalisiert als „alternative Medien“. Manova-Chef (ehem. Rubikon) Roland Rottenfußer bezeichnet sich selbst als „libertär“, Diether Dehm (mit Wagenknecht Ex-Die-Linke) gar als „markt-libertär“ auf Soufisticated, nebst apolut dem „alternativen Medium“ des ehem. Ken Jebsen, welcher sich nun als Popstar vermarktet: „Kayvan auf Tour - Alle Tour-Termine! Jetzt Tickets buchen!“

Nachdem die selbst widersprüchliche Susan Bonath (RT DE) den Widerspruch unter dem Titel „Neoliberale U-Boote. Organisierte „Libertäre“ unterwandern unbemerkt die verschiedenartigsten Protestbewegungen.“ problematisierte, wurde sie angeblich bei Manova rausgeschmissen: „An dem Prozess, der zu der Kündigung führte, sind Tom-Oliver Regenauer sowie Dieter Dehm beteiligt.“

Wenn dann quasi „einer der ihren“ (Milei) tatsächlich Präsident wird und ihr politisches Programm auch umsetzt, ist es ihnen eher peinlich, denn er lässt sich post factum nur noch schlecht als der „Anwalt des kleinen Mannes“ verkaufen, als den sie sich vermarkten.

Diese kommerziellen Alternativmedienpopstars praktizieren ökonomisch ungefähr das, was in den 80ern als „The Great Rock 'n' Roll Swindle“ verfilmt wurde – und keiner von ihnen macht dabei transparent, welchen Anteil von ihrem Umsatz tatsächlich Spendengelder der umworbenen „kleinen Leute“ ausmachen gegenüber dem Sponsoren-Anteil von Oligarchengeldern, welche libertären „alternativen Medien“ und Leuten wie Milei den ökonomischen Erfolg erst ermöglichen.

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