Dienstag, 2. Juli 2024
Unterwegs in der List
In der List in Hannover - wie auch in Linden und der Südstadt, im östlichen Ringgebiet in Braunschweig, im Bremer Ostertor- und Steintorviertel, in der Göttinger Anna- und Bertaustraße - gefällt mir immer wieder die schöne Architektur aus der Spätzeit des Neunzehnten Jahrhunderts, Jugendstil und Fin de Ciecle, bis zur Zwanziger-Jahre-Reformarchitektur. Umgangssprachlich, selbst in Stadtführern und Lexikonartikeln, ist meist von Gründerzeit die Rede.

Als gelernten Alltagshistoriker ärgert mich das. Gründerzeit meint die Zeit der Reichsgründung und des damit verbundenen industriellen Booms 1871-73, auf den die von Marx und Engels analytisch zur Charakterisierung der Entwicklungszyklen des Kapitalismus herangezogene Gründerkrise 1874/75, in langen Wellen bis 1894 folgte.

Diese schönen Häuser gehören zur sogenannten, nicht zur tatsächlichen Gründerzeit. Kein Einziges von ihnen wurde 1871-73 errichtet. Da wird ein eigentlich viel enger gefasster Begriff als Etikettierung einem anderen Gegenstand übergestülpt. Konkret wird der Begriff der Gründerzeit für den Zeitraum 1880 - 1928 verwendet.


Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Gebrauch von Ausdrücken, die in dieser Zeit entstanden sind. Z.B. Temperenzler. Der Begriff ist heute wenig in Gebrauch, aber meist meint man damit einen Antialkoholiker, der gar keinen Alkohol trinkt. Das aber wäre korrekt ein Abstinenzler. Ein Temperenzler ist jemand, der einen gemäßigten und verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol pflegt, zum Beispiel jeden Abend eine kleine Flasche Bier oder ein Achtel Rotwein trinkt, aber sich niemals besäuft.







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@Temperenzler: Diese Definition des Temperenzlertums stammt aus dem trinkfesten 19. Jahrhundert. Sehr viele heutige MedizinerInnen würden Personen, die jeden Tag Alkohol trinken, und sei es auch nur eine Flasche Bier oder ein Achtel Rotwein bereits als AlkoholikerIn bezeichnen.

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Da halte ich mich an die Alkoholismusdefinition der WHO: Alkoholiker ist, wer regelmäßig größere Mengen Alkohol trinkt, dabei die Willenskontrolle über den Alkoholkonsum verloren hat und dadurch gesundheitlich geschäidigt und in der sozialen Stellung und/oder hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist.

BtW nach der anderen Logik müsste dann nahezu geschlossen die erwachsene Bevölkerung von Südfrankeich, Portugal, Andalusien oder der Südpfalz als Alkoholiker bezeichnet werden.

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