Montag, 8. Juli 2024
Was sind das eigentlich für Welche?
Seid geraumer Zeit bemerke ich eine Gruppe von Leuten, die eine eigene Subkultur zu sein scheinen, die ich nicht einordnen kann. In Gruppen auftretende junge Männer, die völlig kahlköpfig sind, nicht wie Skinheads sondern glattrasiert kahl, in Trainingsanzügen von Adidas oder Nike und Turnschuhen. Weiß jemand, was das für Leute sind?

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Früher, Ende der 1990er, Anfang der 2000er, war das die Hardcore-Techno und Gabba-Fraktion, meine ich mich zu erinnern.

Muß ich ansonsten mal darauf achten, ist mir bisher nicht aufgefallen.

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Ich glaube nicht, dass sich heute noch Viele an die Raver von vor 35 Jahren erinnern. Ich vermute, dass es sich eher um eine neue Generation von Hooligans handelt. Boneheads in Sportklamotten.

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In Russland wären das gopniks.

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Die gobniks kamen mir auch als erste in den Sinn.

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An das Outfit der Hardcore-Techno-Freaks und Raver in den 90ern vermag ich mich noch gut zu erinnern. Die trugen meist Trainingsanzüge in nicht passender Kombi, also Adidas-Hosen mit den drei Längsstreifen zu Nike- oder Puma-Oberteilen oder auch silbernen Discojacken, waren aber nicht einheitlich völlig kahlrasiert. Insofern könnte Netbitch schon richtig liegen. Ich vergaß, zu erwähnen, dass das fast durchwegs 2-Meter-Schränke sind. Vielleicht also so was wie Rausschmeißer aus dem Rotlichtmilieu?

BTW. mit dem Techno-Outfit verbinde ich ganz eigene Stories, denn das war auch das Outfit eine der bekanntesten linksradikalen Gruppen der 90er: Die autonome Antifa (M). In Göttingen domiziliert, aber bundesweit aktiv rekrutierte die ihren Nachwuchs in der Technoszene und tauschte dementsprechend die Nonkonformistenuniform der Autonomen - Motorradlederjacke, Palituch und Dr. Martens bzw. BW-Stiefel, ich trug damals gefütterte Offiziersstiefel mit Stahlkappen - gegen Technoklamotten. Es gab sogar eine Persiflage darauf. Das Theater im OP (THOP) gab ein Stück "Raumschiff Cloppenburg", in dem Star Trek und Antifa (M) zusammen veräppelt wurden, da die Kleidertracht den Anzügen der Enterprise-Crew ähnelte. Einer der Hauptcharaktere hieß Jupiter Heimbacken, ein Seitenhieb auf den damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner, in einer anderen Satire aus meiner Feder Arndt Alfred Armbruster aka Armleuchter genannt.

Da ich mit Technojugendlichen nichts, mit der (M) aber sehr viel zu tun hatte verband ich mit dem Outfit in erster Linie diese Gruppe. Als ich zum ersten Mal einen Auftritt von Tocotronic sah dachte ich "Oh mein Gott! Jetzt macht die Antifa (M) auch noch Musik!"

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Die Trainingsjacken von Adidas haben sich bis in die frühen 2010er Jahre sogar gehalten, aber dort in der Tat eher bei dermit linker Theorie angehauchten Polit- und Kunstszene - gerade in Weimar und Leizig ist mir das seinerzeit aufgefallen. Tocotronic fing damit in dieser eher ironisch-gebrochenen Weise Mitte der 1990er Jahre an. Die Band fand ich zwar damals sehr gut und erfrischend gut. Ihr Modestil begeisterte mich weniger. Mit autonomer Antifa hatten die aber eher weniger zu tun. Phänomen Hamburger Schule eher - siehe meinen Text dazu hier:

https://bersarin.wordpress.com/2024/06/07/wir-sind-alt-in-der-hamburger-schule-zu-natascha-geiers-ndr-dokumentation/

Es war das bei Tocotronic damals eher so eine lose Verbindung zur Hafenstraße. Man ist in die einschlägigen Bars gegangen. Mir war es dort immer zu siffig und ich fand das ekelhaft. Wie auch die Rote Flora. Deshalb bin ich dann rechtsradikal geworden. Aber die waren auch nicht sauberer. Die hatten braune Unterhosen. (Nein, der vorletzte Satz war ein Scherz.)

Diese Szene verstand sich als links, teils auch linksradikal - wenn man an die Goldenen Zitronen denkt. Etwa auch die Wohlfahrtsausschüsse nach Rostock-Lichtenhagen 1992. Leider war das ein wenig mit dem Makel behafet: der Wessi erklärt jetzt mal dem Ossi den Osten. Kam bei den dortigen (wenigen) Linken dann auch nicht so gut an. (Könnte man jetzt einen Diskurs linker Kolonialismus anknüpfen)

Zu diesem Linkssein - gerade bei Blumfeld mit Jochen Distelmeyer und bei Tocotronic - kamen die Versatzstücke poststrukturalistischer Philosophie auch zum tragen, die manche Band gerne in ihre Texte einbaute. Manchmal sehr lustig, wie Kristof Schreuf: "Und was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarettenfabrik".

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Versypht (nur echt in dieser Schreibweise, der Begriff leitet sich nämlich von der Syphilis her) waren nicht nur Hafenstraße und Rote Flora, sondern auch das Göttinger JUZI und viele andere Treffpunkte dieser Art. Nur die Brunsviga in Braunschweig, das KOMM in Nürnberg und das E Werk in Erlangen wichen davon ab. Gestört hat mich das im Großen und Ganzen nicht, wenn ich es auch nicht angenehm fand. Als es im JUZI zu arg wurde haben allerdings das autonome Antirassismusplenum und die Phantom-Antifa zusammen geschrubbt.


Und dann wurde dieses Poster aufgehängt:

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@"Mit autonomer Antifa hatten die aber eher weniger zu tun." ------- Das ist Göttingen-spezifisch. Alles, was links war von den Grünen, hatte in den späten Achtzigern bis Nullern irgendwie mit autonomer Antifa zu tun, weil das eine Frontstadt war, deren linke Szene - das umfasste aus Nazi-Sicht selbst skateboardfahrende Jugendliche - für die Neonazis bundesweit ein Angriffsziel war und die Polizei bis rauf zum LKA-Staatsschutz mit denen zusammenarbeitete. Umgekehrt war die Ausstrahlungskraft der autonomen Szene in die Jugend- und Studierendenmileus so stark, dass man hier von kultureller Hegemonie sprechen kann. Zumal autonome Gruppen sich in Dauerbündnissen mit DGB und bestimmten Kirchengemeinden sowie den VVN-Geprägten Bürgerinnen und Bürgern gegen Rechts befanden, was so weit ging, dass z.B. IG Metall-Jugend und Antifa nahtlos ineinander übergingen.

Mit dem Schlagstock für den Straßenkampf gegen Nazis und Bullen zu trainieren war geradezu hip und so verbreitet, dass da auch ein Richter und Werbetexter und GrafikerInnen und sehr viele Frauenbewegte mitmachten.

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Heute werden die Trainingsjacken von Adidas gegen Outdoor-Jacken von Jack Wolfskin getauscht. Die Träger dieser Funktionswäsche erscheinen nach außen wie harmlose Bürger, die keinem Schaf etwas zuleide tun können, solange sich dieses rechtzeitig im Uhrenkasten versteckt.

Ganz tief in ihren verkümmerten Seelen rumort es. Die Wolfskinner bekennen sich zum Recht des Mörders und finden in Österreich mächtige Mitstreiter. Tut der Bestie nichts an, stärkt den Schutz des lange vermißten Wilderers!

Wer will schon in Klamotten aus Schafswolle schweißtreibende Wanderungen genießen, sich frohgelaunt die Natur erschließen? Industriell hergestellte Textilfasern mit einer Wolfspfote als Logo, so marschieren sie vereint mit den TAZ-Lesern. Links und rechts auf einem gemeinsamen Weg zu den Wolfsrudeln, die versteckt in den Bergwäldern das segensreiche Tun der Wildkontrolle ausüben. Kolateralschäden bei den Bauern anvertrauten Haustieren müssen da hingenommen werden.

Schafe sind zu dumm, um sich selbst zu verteidigen. Sie hoffen auf Mensch und Hund, auf elektrischen Weidezaun und Gott, der seine Lämmer täglich zählt und keines verloren gibt. Na klar, ohne Gottvertrauen geht gar nichts. Aber manchmal fallen Haustiere eben der Mordlust von Wölfen zum Opfer und verenden blutend im eigenen Wohnzimmer.

Der Schäfer unterhalb des Großglockners trägt jetzt auch eine Trainingsjacke mit den drei Streifen, wenn er nachts bei seiner Herde sitzt und dem Geheul der Wölfe zuhört. Das Wolfskin-Modell erzeugte einen Blutgeruch in seiner Nase, die TAZ hat er abbestellt.

Bewegt sich dort etwas am Waldesrand? Er denkt an das fünfte Gebot: "Du sollst nicht töten - sondern töten lassen!"

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Wobei unter stark mode- und markenbewussten Alpinisten und sonstigen Outdoorfreaks Jack Wolfskin eher den Ruf einer Schnarchnasenmarke hat. Als hip und angesagt gelten The North Face, Mammut, Arcteryx und Black Diamond. Eine Bergkameradin von mir hat sich ihre Outdoorklamotten selbst angefertigt. Selbst gestricktes Zeug mit eingezogener Membran vom alten Regenschirm ;-)

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Wenn schon, dann Veilance (von Arc’teryx). Cutting edge und citytauglich.

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Bei den Preisen von "Veilance" würde ich auch, so ich könnte, die "Eigenmarke" der phantasiebegabten Bergkameradin bevorzugen. Habe mal bei "ebay" nachgesehen, da will so ein Komiker 500.- € für eine gebrauchte Veilance-Jacke, sehr hip, da die Ausstattung auf das Nötigste beschränkt ist.

Andernorts zeigt man eine "The North Face" - Regenjacke (Jacket Mens Small Blue Summit Series Soft Shell Mountain Vintage), ebenfalls gebraucht mit drei reißverschlußbewehrten Außentaschen für lächerliche 29,99 €.

So leicht ist das nicht, die richtige Wahl zu treffen, auch wenn man in der Einsamkeit hochgelegener Bergwiesen viel Zeit zum Nachdenken hat. 🐺

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Ein etwas robusterer Anzug für alle Fälle.

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Diese Klamotten sind nicht für hochgelegene Bergwiesen gedacht, sondern für den harten Einsatz in Fels und Eis. Was der Name "Summit series" ja schon sagt.


Auch wenn viele Prahlhänse damit im Großstadtdschungel ums Überleben kämpfen. Und andererseits auf einem Steig, an dessen Einstieg auf einem Schild "Profis tragen Helm" steht Leute in Sandalen, Polohemden und Sommerkleidern mir begegnen.

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Die Bergausrüstung die ich so auf einer Hochtour am Leibe trage inklusive Fotoequipment dürfte neu auch so viel wie ein Motorrad kosten. Wobei eine gute Klettersteigjacke oder Hochtourenhose einen sehr viel höheren Gebrauschwert hat als ein etwa gleich teurer Armani- Versace- oder Hugo-Boss-Anzug.

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Zum Thema "versypht" wäre noch anzumerken, dass ich zwar das schmutzig-unordentliche der punkgeprägten linken Szene nicht mir zu eigen gemacht habe, die deutschnormalbürgerliche Auffassung von Ordnung und Sauberkeit aber auch nicht teile, sondern entsetzlich spießig finde.

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In den 1970er Jahren war ich Rebell. Ich trug kurze Haare.

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