Mittwoch, 12. März 2025
Zeit abschaffen: Von der Zukunft der Vergangenheit. Heute: Musi und Iftaf
Titelgeber für die neue Kolumne, die die Nachfolge von "Elemente der Gegenaufklärung" auf diesem Blog antritt ist Simon Nagy, der die utilitaristischen, neoliberalen, tinaiistischen Diskurse der Gegenwart als den bislang sehr erfolgreichen Versuch wertet, utopisches und emanzipativ-antizipierendes Denken platt zu machen, das Denken von Befreiung, Überwindung der HERRschenden Verhältnisse undenkbar zu machen.

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In diesem Sinne greife ich zurück auf eigene Erlebnisse, die mit möglichen anderen Verhältnissen in Zusammenhang gedacht werden können bzw. zeigen, in welcher Weise die Welt sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, welche Möglichkeiten bestanden haben und zerstört wurden und welche historischen Züge uns schon davongefahren sind. Um der Lüge vom Ende der Geschichte die Rückkehr der konkreten Utopie entgegenzusetzen.


Musi und Iftaf

Meine erste Ägyptenreise unternahm ich als Student. Es war eine klassische Globetrotter-Abenteuerreise. Wir waren vier Studis, eine Frau und drei Männer, die sich vorher nicht kannten, zusammengekommen über einen Anschlag am Schwarzen Brett vor der Mensa, die das Interesse einte nach Ägypten zu reisen. Die ganze Reise dauerte drei Wochen und kostete pro Person 800 Mark, wir buchten nur den Flug und zogen dann durchs Land und machten da Quartier wo es gerade passte. Am Strand von Sharm el Sheikh schlossen wir Freundschaft mit ein paar überwiegend gleichaltrigen Ägyptern. Mit denen unternahmen wir dann weitere Exkursionen, bei einem, Mohammed, wohnten wir ein paar Tage zuhause in Kairo, der besuchte uns später auch in Deutschland. Es waren echte Freundschaften die da geschlossen wurden, nicht nur vage Urlaubsbekanntschaften.

Die Gruppe um Mohammed nannte sich Musi. Der Name war zustandegekommen weil einer von ihnen, der hauptsächlich Arabisch und nur schlecht Englisch sprach einmal "This Boys are good" gesagt, aber "Boys" als "Busi" gesprochen hatte. Die anderen verstanden "Music" und es gab ein großes Hallo und viel Spaß. Jedenfalls nannte die ganze Gruppe sich seither Musi, und wann immer die sich irgendwo trafen, etwa in einer dichten Menschentraube des Bazars war der Erkennungsruf ein laut geschriehenes "Muuuuusi!".

Einer aus unserer Gruppe wiederum vermischte die Namen einiger unserer neuen Freunde, Ashraf, Atef und Hischam, und daraus entstand Iftaf.

So wurden wir die Iftaf Group, und wir begrüßten uns gegenseitig wenn wir uns trafen mit "Musi! Iftaf!". Generell hatten wir viel Spaß miteinander und alberten herrlich herum, hatten aber auch sehr ernste Diskussionen, etwa, wenn unsere Freunde versuchten uns zum Islam zu bekehren und wir erwiderten "Die Antwort ist 42." und mit dem Anhalter und dem Spaghettimonster konterten. Bei allen Seiten war genug Toleranz und Humor vorhanden um damit klarzukommen.

In einem Kairoer Hotel, wo die Muslime heimlich Whisky tranken diskutierte ich mit einem marxistischen ägyptischen Philosophen und hörte zum ersten Mal von Bruno Bauer.

Wir verbrachten eine Nacht mit Bauarbeitern in der Wüste, wurden im Slum von Assuan von Flüchtlingen aus dem Sudan mit Schwarzem Sudani der pur geraucht wurde bewirtet und hatten einige lebensgefährliche Situationen, die aber alle gut ausgingen.

Längst sind diese Zeiten vergangen, es ist nicht mehr möglich, auf diese Weise durch Ägypten zu reisen, und die Straße, auf der wir durch den Sinai trampten und zum Teil auch wanderten ist heute für den Zivilverkehr gesperrt und wird hauptsächlich von Panzern genutzt.

Geblieben ist der abenteuerlustige Geist von damals und die neugierige Weltoffenheit, und ich hoffe da eines Tages wieder anknüpfen zu können.

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