Mittwoch, 23. Juli 2025
5 Tipps: Menschen ohne Krankenversicherung behandeln – darauf sollten Ärzte achten
che2001, 17:18h
Michael van den Heuvel, Medscape
Interessenkonflikte 23. Juli 2025
Zwar gilt in Deutschland seit dem Jahr 2009 eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Dennoch gibt es laut Schätzungen von Ärzteorganisationen und Hilfswerken weiterhin Hunderttausende Menschen ohne Versicherungsschutz: EU-Bürger ohne Anspruch auf Sozialleistungen, Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus oder ehemals privat Versicherte mit Beitragsschulden. Hinzu kommen wohnungslose Menschen, Geflüchtete oder Menschen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen.
Für Ärztinnen und Ärzte wirft dies zentrale Fragen auf: Wie können Behandlungen erfolgen? Wer trägt die Kosten? Und wie gelingt es, Hilfsangebote zu vermitteln, ohne Patienten zu gefährden?
1. Behandlungspflicht bei medizinischen Notfällen
Ärztinnen und Ärzte sind in akuten Notfällen zur Hilfe verpflichtet – unabhängig davon, ob die betroffene Person versichert ist oder nicht. Diese Pflicht ergibt sich nicht nur aus dem ärztlichen Berufsrecht (§ 1 Abs. 2 MBO-Ä), sondern auch aus dem Strafrecht (§ 323c StGB, unterlassene Hilfeleistung).
Als Notfälle gelten dabei nicht nur lebensbedrohliche Situationen, sondern auch akute Schmerzen, Infektionen oder psychische Krisen. In solchen Fällen darf die Behandlung nicht von der Vorlage eines Versicherungsnachweises abhängig gemacht werden. Wichtig ist jedoch, dass die medizinische Versorgung sorgfältig dokumentiert wird.
Auch wenn keine akute Lebensgefahr besteht, kann ein dringender Behandlungsbedarf vorliegen. Ärztinnen und Ärzte sollten dann stets individuell entscheiden – im Zweifel im Sinne der Patientensicherheit.
Können Patientinnen und Patienten ohne Krankenversicherung die Behandlungskosten nicht selbst tragen, bleibt häufig nur der Weg über sogenannte Clearingstellen. Das finanzielle Risiko tragen in solchen Fällen meist die Behandler.
2. Patienten den Kontakt zu Clearingstellen vermitteln
Clearingstellen beraten Menschen, die keinen oder einen ungeklärten Versicherungsstatus haben – unabhängig von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Lebenslage. Die Mitarbeitenden prüfen, ob ein Anspruch auf gesetzliche oder private Krankenversicherung besteht, unterstützen bei der Antragstellung und begleiten den gesamten Klärungsprozess. Ist eine Rückkehr ins reguläre System nicht möglich, vermitteln sie medizinische Hilfe über humanitäre Angebote.
Finanziert werden die Clearingstellen u.a. aus städtischen Zuschüssen, kirchlicher oder privater Trägerschaft und Spenden. In einigen Bundesländern – etwa in Berlin, Hamburg oder Rheinland-Pfalz – werden sie mittlerweile durch Landesprogramme unterstützt.
Beispiele:
Condrobs Clearingstelle Gesundheit (München)
Clearingstelle Krankenversicherung RLP (Rheinland-Pfalz)
Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen (Berlin)
Übersicht der BACK (Bundesarbeitsgemeinschaft Anonyme-Behandlungsschein- und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung)
Clearingstelle Gesundheitsamt Frankfurt
Clearingstelle Migration & Gesundheit Köln
Caritas/Diakonie Clearingstelle Hannover
3. Anonymen Krankenscheine garantieren die Kostenübernahme
Das Konzept des anonymen Krankenscheins wurde entwickelt, um Menschen ohne Krankenversicherung oder mit unsicherem Versicherungsstatus in Deutschland schnell, unkompliziert und vertraulich den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen.
Zwar schreibt das Asylbewerberleistungsgesetz in akuten Fällen eine medizinische Minimalversorgung vor, doch die Abrechnung läuft über Sozialämter, die gesetzlich zur Meldung an Ausländerbehörden verpflichtet sind. Das führt zu Angst, Verzögerungen oder zum Verzicht auf dringend benötigte Hilfe.
Wie gehen Patienten dabei vor? Am Beginn steht die vertrauliche Beratung in einer Clearingstelle (siehe oben). Dort wird geklärt, ob ein regulärer Versicherungsanspruch besteht oder wie gegebenenfalls der Weg zurück in die Regelversorgung gestaltet werden kann. Liegt keine Versicherung vor, erhält die Person einen anonymen Krankenschein. Der Schein ersetzt Überweisung oder Rezept und kann in teilnehmenden Praxen oder Krankenhäusern genutzt werden. Die Kosten tragen kommunale Fonds oder Partnerorganisationen.
4. Patienten auf ehrenamtlich tätige Vereine oder Verbände hinweisen
In vielen Städten gibt es darüber hinaus ehrenamtlich getragene medizinische Angebote, etwa Sprechstunden für Menschen ohne Versicherung oder mobile Praxen für Wohnungslose, beispielsweise das Medibüro Berlin.
Organisationen wie Ärzte der Welt, Armut und Gesundheit in Deutschland e. V. oder die Malteser koordinieren solche Angebote. Sie stellen auch Infomaterial, Dolmetscher und rechtliche Beratung bereit.
5. Rechtssichere Behandlung als Selbstzahler mit Honorarvereinbarung
Unabhängig davon haben Ärzte immer die Möglichkeit, Patienten als Selbstzahler zu behandeln. Sie sollten mit Erkrankten eine schriftliche Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ abschließen, am besten vor der Behandlung.
Die Vereinbarung sollte enthalten:
den voraussichtlichen Umfang der Behandlung,
die abgerechneten Ziffern (ggf. mit reduziertem Steigerungssatz),
die ungefähren Gesamtkosten,
die Zustimmung des Patienten.
Besonders bei einkommensschwachen Menschen empfiehlt es sich, moderate Gebührensätze anzusetzen. Ärztliche Leistungen können bei Bedarf auch teilweise unentgeltlich erbracht werden – rechtlich ist das zulässig.
Verantwortungsvoll handeln – mit rechtlicher Sicherheit
Bleibt als Fazit: Menschen ohne Krankenversicherung sind Teil des ärztlichen Alltags. Die Herausforderung besteht darin, medizinisch verantwortlich zu handeln, ohne sich rechtlich oder wirtschaftlich zu gefährden. Mit Honorarvereinbarungen, Netzwerken und lokalen Hilfsangebote lässt sich diese Aufgabe oft meistern.
Ärztinnen und Ärzte sind nicht verpflichtet, langfristige oder kostspielige Behandlungen unentgeltlich durchzuführen. Aber sie sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen – und Betroffene in das Versorgungssystem zurückführen, indem sie ihnen wichtige Kontakte vermitteln.
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4915178#vp_3
Interessenkonflikte 23. Juli 2025
Zwar gilt in Deutschland seit dem Jahr 2009 eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Dennoch gibt es laut Schätzungen von Ärzteorganisationen und Hilfswerken weiterhin Hunderttausende Menschen ohne Versicherungsschutz: EU-Bürger ohne Anspruch auf Sozialleistungen, Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus oder ehemals privat Versicherte mit Beitragsschulden. Hinzu kommen wohnungslose Menschen, Geflüchtete oder Menschen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen.
Für Ärztinnen und Ärzte wirft dies zentrale Fragen auf: Wie können Behandlungen erfolgen? Wer trägt die Kosten? Und wie gelingt es, Hilfsangebote zu vermitteln, ohne Patienten zu gefährden?
1. Behandlungspflicht bei medizinischen Notfällen
Ärztinnen und Ärzte sind in akuten Notfällen zur Hilfe verpflichtet – unabhängig davon, ob die betroffene Person versichert ist oder nicht. Diese Pflicht ergibt sich nicht nur aus dem ärztlichen Berufsrecht (§ 1 Abs. 2 MBO-Ä), sondern auch aus dem Strafrecht (§ 323c StGB, unterlassene Hilfeleistung).
Als Notfälle gelten dabei nicht nur lebensbedrohliche Situationen, sondern auch akute Schmerzen, Infektionen oder psychische Krisen. In solchen Fällen darf die Behandlung nicht von der Vorlage eines Versicherungsnachweises abhängig gemacht werden. Wichtig ist jedoch, dass die medizinische Versorgung sorgfältig dokumentiert wird.
Auch wenn keine akute Lebensgefahr besteht, kann ein dringender Behandlungsbedarf vorliegen. Ärztinnen und Ärzte sollten dann stets individuell entscheiden – im Zweifel im Sinne der Patientensicherheit.
Können Patientinnen und Patienten ohne Krankenversicherung die Behandlungskosten nicht selbst tragen, bleibt häufig nur der Weg über sogenannte Clearingstellen. Das finanzielle Risiko tragen in solchen Fällen meist die Behandler.
2. Patienten den Kontakt zu Clearingstellen vermitteln
Clearingstellen beraten Menschen, die keinen oder einen ungeklärten Versicherungsstatus haben – unabhängig von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Lebenslage. Die Mitarbeitenden prüfen, ob ein Anspruch auf gesetzliche oder private Krankenversicherung besteht, unterstützen bei der Antragstellung und begleiten den gesamten Klärungsprozess. Ist eine Rückkehr ins reguläre System nicht möglich, vermitteln sie medizinische Hilfe über humanitäre Angebote.
Finanziert werden die Clearingstellen u.a. aus städtischen Zuschüssen, kirchlicher oder privater Trägerschaft und Spenden. In einigen Bundesländern – etwa in Berlin, Hamburg oder Rheinland-Pfalz – werden sie mittlerweile durch Landesprogramme unterstützt.
Beispiele:
Condrobs Clearingstelle Gesundheit (München)
Clearingstelle Krankenversicherung RLP (Rheinland-Pfalz)
Clearingstelle für nicht krankenversicherte Menschen (Berlin)
Übersicht der BACK (Bundesarbeitsgemeinschaft Anonyme-Behandlungsschein- und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung)
Clearingstelle Gesundheitsamt Frankfurt
Clearingstelle Migration & Gesundheit Köln
Caritas/Diakonie Clearingstelle Hannover
3. Anonymen Krankenscheine garantieren die Kostenübernahme
Das Konzept des anonymen Krankenscheins wurde entwickelt, um Menschen ohne Krankenversicherung oder mit unsicherem Versicherungsstatus in Deutschland schnell, unkompliziert und vertraulich den Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen.
Zwar schreibt das Asylbewerberleistungsgesetz in akuten Fällen eine medizinische Minimalversorgung vor, doch die Abrechnung läuft über Sozialämter, die gesetzlich zur Meldung an Ausländerbehörden verpflichtet sind. Das führt zu Angst, Verzögerungen oder zum Verzicht auf dringend benötigte Hilfe.
Wie gehen Patienten dabei vor? Am Beginn steht die vertrauliche Beratung in einer Clearingstelle (siehe oben). Dort wird geklärt, ob ein regulärer Versicherungsanspruch besteht oder wie gegebenenfalls der Weg zurück in die Regelversorgung gestaltet werden kann. Liegt keine Versicherung vor, erhält die Person einen anonymen Krankenschein. Der Schein ersetzt Überweisung oder Rezept und kann in teilnehmenden Praxen oder Krankenhäusern genutzt werden. Die Kosten tragen kommunale Fonds oder Partnerorganisationen.
4. Patienten auf ehrenamtlich tätige Vereine oder Verbände hinweisen
In vielen Städten gibt es darüber hinaus ehrenamtlich getragene medizinische Angebote, etwa Sprechstunden für Menschen ohne Versicherung oder mobile Praxen für Wohnungslose, beispielsweise das Medibüro Berlin.
Organisationen wie Ärzte der Welt, Armut und Gesundheit in Deutschland e. V. oder die Malteser koordinieren solche Angebote. Sie stellen auch Infomaterial, Dolmetscher und rechtliche Beratung bereit.
5. Rechtssichere Behandlung als Selbstzahler mit Honorarvereinbarung
Unabhängig davon haben Ärzte immer die Möglichkeit, Patienten als Selbstzahler zu behandeln. Sie sollten mit Erkrankten eine schriftliche Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ abschließen, am besten vor der Behandlung.
Die Vereinbarung sollte enthalten:
den voraussichtlichen Umfang der Behandlung,
die abgerechneten Ziffern (ggf. mit reduziertem Steigerungssatz),
die ungefähren Gesamtkosten,
die Zustimmung des Patienten.
Besonders bei einkommensschwachen Menschen empfiehlt es sich, moderate Gebührensätze anzusetzen. Ärztliche Leistungen können bei Bedarf auch teilweise unentgeltlich erbracht werden – rechtlich ist das zulässig.
Verantwortungsvoll handeln – mit rechtlicher Sicherheit
Bleibt als Fazit: Menschen ohne Krankenversicherung sind Teil des ärztlichen Alltags. Die Herausforderung besteht darin, medizinisch verantwortlich zu handeln, ohne sich rechtlich oder wirtschaftlich zu gefährden. Mit Honorarvereinbarungen, Netzwerken und lokalen Hilfsangebote lässt sich diese Aufgabe oft meistern.
Ärztinnen und Ärzte sind nicht verpflichtet, langfristige oder kostspielige Behandlungen unentgeltlich durchzuführen. Aber sie sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen – und Betroffene in das Versorgungssystem zurückführen, indem sie ihnen wichtige Kontakte vermitteln.
https://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4915178#vp_3
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Donnerstag, 20. März 2025
Karl Kopp sagt wie es ist
che2001, 18:06h
Der Pro-Asyl-Vorsitzende über die aktuelle Asyldebatte, Willkommenskultur und entgleiste Diskurse.
https://www.gmx.net/magazine/politik/inland/kleine-satz-asylrecht-kopf-stellen-40785368
https://www.gmx.net/magazine/politik/inland/kleine-satz-asylrecht-kopf-stellen-40785368
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Mittwoch, 12. März 2025
Stellungnahme zum 05. Jahrestag des Terroranschlags von Hanau
che2001, 11:11h
Der AK Asyl Göttingen erklärt sich solidarisch mit der Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz gegen die Vorwürfe der Hanauer Rathaus-Koalition
Während der Gedenkfeier zum fünften Jahrestag für die Opfer des Terroranschlages vom 19. Februar 2020 in Hanau hielt die Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz eine Rede. In der Rede sagte sie unter anderem: „Deutschland und die Stadt Hanau schulden mir ein Leben…. Der Mörder hatte Briefe geschrieben, doch die Stadt Hanau ignorierte sie. … Die Stadt wusste, dass die Notausgangstür verschlossen war, und unternahm nichts. Hätte die Stadt ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt, wären diese neun Kinder noch heute am Leben…. „
Vor diesem Jahrestag hatten Angehörige der Opfer wiederholt versucht, Behördenfehler vor Gericht zu bringen, die allesamt abgelehnt wurden. Es gab bisher kein einziges Gerichtsverfahren zu den rassistischen Morden von Hanau und das, obwohl die Vorwürfe zum nicht funktionierenden Notruf und zu der verschlossenen Fluchttür immer wieder untermauert wurden. Und genau das hat Frau Gürbüz am 5. Jahrestag der Morde erneut angeklagt.
Aber offensichtlich hatten sich die Vertreter*innen der Hanauer Rathauskoalition aus SPD, CDU und FDP gedacht, es müsse doch endlich „genug sein mit den Vorwürfen“. In einer Pressemitteilung diffamierten und beleidigten sie Frau Gürbüz, warfen ihr Agitation und eine Instrumentalisierung des Gedenkens vor und entsorgten sich gleich der ungeliebten Gedenkveranstaltung. Diese solle in Zukunft nur noch in kleinem Rahmen stattfinden. Sie äußerten sogar Lügen und behaupteten Frau Gürbüz hätte gesagt, sie hasse Deutschland, Hanau und den Oberbürgermeister. Das ist frei erfunden! Aber genau diese Lüge nehmen sie öffentlich als Anlass, den Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit von Frau Gürbüz in Frage zu stellen. Das ist nicht einfach nur eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte, das ist purer Rassismus.
222 Kulturschaffende haben in einem Brief an die verantwortlichen Politiker*innen eine Entschuldigung gefordert. Die Familien der Opfer seien keine Statist*innen, die „ihnen Versöhnlichkeit oder gar eine handzahme PR für ihre Stadt schulden“, heißt es darin. Die Forderung nach einer Entschuldigung teilt der AK Asyl Göttingen. „In einer Gedenkveranstaltung für die Opfer eines rassistischen Terroranschlags haben nicht Politiker*innen die Macht den Inhalt zu bestimmen, sondern die Hinterbliebenen haben das Sagen!“
Die Ansage, die Gedenkveranstaltung nicht weiter fortzuführen ist dabei eine klare Drohung gegenüber allen Hinterbliebenen. Es soll nicht darum gehen, wie solche Taten in Zukunft verhindert werden können, es soll nicht darum gehen, wie von Rassismus betroffene Menschen sich sicherer fühlen können. Nein, es geht um die Deutungsmacht und um Unterwürfigkeit. Die Hinterbliebenen oder die Opfer von Rassismus sollen sich dankbar zeigen für hohle Worte und Phrasen.
In ihrer Pressemitteilung versuchen die Politiker*innen auch noch einen Keil in die Hinterbliebenen zu treiben: „Die Rede sei eine Ohrfeige für alle Familien, die trotz ihrer Trauer wieder zurück ins Leben finden wollen…“
Armin Kurtovic, dessen Sohn Hamza bei dem Anschlag ebenfalls ermordet wurde, findet dafür klare Worte: Anstatt die Verantwortung für ihr Versagen zu übernehmen, startet der Oberbürgermeister mit dem Magistrat eine Gegenoffensive – wie immer.“
Vertuschen, Verschweigen und Wegsehen hat in Deutschland bei rassistischen Morden Tradition. Sei es beim Brandanschlag in Mölln, dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen oder beim sogenannten NSU-Komplex. Es ist eine systematische Strategie der herrschenden Politik jegliche selbstbestimmte Erinnerungskultur auslöschen zu wollen. Der Rassismus äußert sich strukturell und kulturell. Die Gefühle, der Schmerz und die Wut sowie die Forderungen der Betroffenen werden nicht ernst genommen oder gleich völlig ausgeblendet. Im Namen der „Meinungsfreiheit“ wird dabei rassistischen Positionen der rote Teppich ausgerollt und eine Normalisierung des Alltagsrassismus das Wort geredet. Der Offene Brief der ehemaligen Oberbürgermeisterin Margret Hertel mit ihren rassistischen Äußerungen ist ein weiterer Beweis dafür. Die Unterstellung, es sei nicht erkennbar, dass Frau Gürbüz wirklich trauere und zu behaupten, sie habe den Tod ihrer Kinder politisch instrumentalisiert ist wirklich ungeheuerlich.
ES REICHT!
Frau Schwarzenberger, Herr Redding, Herr Statz und Frau Hertel – entschuldigen Sie sich, das ist das einzig Richtige!
Während der Gedenkfeier zum fünften Jahrestag für die Opfer des Terroranschlages vom 19. Februar 2020 in Hanau hielt die Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz eine Rede. In der Rede sagte sie unter anderem: „Deutschland und die Stadt Hanau schulden mir ein Leben…. Der Mörder hatte Briefe geschrieben, doch die Stadt Hanau ignorierte sie. … Die Stadt wusste, dass die Notausgangstür verschlossen war, und unternahm nichts. Hätte die Stadt ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt, wären diese neun Kinder noch heute am Leben…. „
Vor diesem Jahrestag hatten Angehörige der Opfer wiederholt versucht, Behördenfehler vor Gericht zu bringen, die allesamt abgelehnt wurden. Es gab bisher kein einziges Gerichtsverfahren zu den rassistischen Morden von Hanau und das, obwohl die Vorwürfe zum nicht funktionierenden Notruf und zu der verschlossenen Fluchttür immer wieder untermauert wurden. Und genau das hat Frau Gürbüz am 5. Jahrestag der Morde erneut angeklagt.
Aber offensichtlich hatten sich die Vertreter*innen der Hanauer Rathauskoalition aus SPD, CDU und FDP gedacht, es müsse doch endlich „genug sein mit den Vorwürfen“. In einer Pressemitteilung diffamierten und beleidigten sie Frau Gürbüz, warfen ihr Agitation und eine Instrumentalisierung des Gedenkens vor und entsorgten sich gleich der ungeliebten Gedenkveranstaltung. Diese solle in Zukunft nur noch in kleinem Rahmen stattfinden. Sie äußerten sogar Lügen und behaupteten Frau Gürbüz hätte gesagt, sie hasse Deutschland, Hanau und den Oberbürgermeister. Das ist frei erfunden! Aber genau diese Lüge nehmen sie öffentlich als Anlass, den Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit von Frau Gürbüz in Frage zu stellen. Das ist nicht einfach nur eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte, das ist purer Rassismus.
222 Kulturschaffende haben in einem Brief an die verantwortlichen Politiker*innen eine Entschuldigung gefordert. Die Familien der Opfer seien keine Statist*innen, die „ihnen Versöhnlichkeit oder gar eine handzahme PR für ihre Stadt schulden“, heißt es darin. Die Forderung nach einer Entschuldigung teilt der AK Asyl Göttingen. „In einer Gedenkveranstaltung für die Opfer eines rassistischen Terroranschlags haben nicht Politiker*innen die Macht den Inhalt zu bestimmen, sondern die Hinterbliebenen haben das Sagen!“
Die Ansage, die Gedenkveranstaltung nicht weiter fortzuführen ist dabei eine klare Drohung gegenüber allen Hinterbliebenen. Es soll nicht darum gehen, wie solche Taten in Zukunft verhindert werden können, es soll nicht darum gehen, wie von Rassismus betroffene Menschen sich sicherer fühlen können. Nein, es geht um die Deutungsmacht und um Unterwürfigkeit. Die Hinterbliebenen oder die Opfer von Rassismus sollen sich dankbar zeigen für hohle Worte und Phrasen.
In ihrer Pressemitteilung versuchen die Politiker*innen auch noch einen Keil in die Hinterbliebenen zu treiben: „Die Rede sei eine Ohrfeige für alle Familien, die trotz ihrer Trauer wieder zurück ins Leben finden wollen…“
Armin Kurtovic, dessen Sohn Hamza bei dem Anschlag ebenfalls ermordet wurde, findet dafür klare Worte: Anstatt die Verantwortung für ihr Versagen zu übernehmen, startet der Oberbürgermeister mit dem Magistrat eine Gegenoffensive – wie immer.“
Vertuschen, Verschweigen und Wegsehen hat in Deutschland bei rassistischen Morden Tradition. Sei es beim Brandanschlag in Mölln, dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen oder beim sogenannten NSU-Komplex. Es ist eine systematische Strategie der herrschenden Politik jegliche selbstbestimmte Erinnerungskultur auslöschen zu wollen. Der Rassismus äußert sich strukturell und kulturell. Die Gefühle, der Schmerz und die Wut sowie die Forderungen der Betroffenen werden nicht ernst genommen oder gleich völlig ausgeblendet. Im Namen der „Meinungsfreiheit“ wird dabei rassistischen Positionen der rote Teppich ausgerollt und eine Normalisierung des Alltagsrassismus das Wort geredet. Der Offene Brief der ehemaligen Oberbürgermeisterin Margret Hertel mit ihren rassistischen Äußerungen ist ein weiterer Beweis dafür. Die Unterstellung, es sei nicht erkennbar, dass Frau Gürbüz wirklich trauere und zu behaupten, sie habe den Tod ihrer Kinder politisch instrumentalisiert ist wirklich ungeheuerlich.
ES REICHT!
Frau Schwarzenberger, Herr Redding, Herr Statz und Frau Hertel – entschuldigen Sie sich, das ist das einzig Richtige!
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Montag, 10. März 2025
PRO ASYL zu den Sondierungsergebnissen: Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte bleiben auf der Strecke
che2001, 23:24h
PRO ASYL gibt eine erste Einschätzung zu den geplanten Verschärfungen und kritisiert die Ergebnisse der Sondierungsgespräche: Aus Sicht der Organisation ein Angriff auf Menschenwürde und Menschenrechte.
„Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen: In der künftigen Koalition drohen Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte unter die Räder zu kommen. Recht wird zur Seite geschoben, absehbare Rechtsbrüche werden teils mit Formelkompromissen kaschiert”, kommentiert Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Europarecht einhalten, Rechtsstaat achten: Keine Zurückweisungen an deutschen Grenzen!
Künftig sollen auch Asylsuchende an den bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen werden, wohl in Absprache mit den Nachbarstaaten. Laut Europarecht dürfen Asylsuchende aber nicht an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden. Das geplante Vorgehen unterläuft damit den Rechtsstaat, in dem sich Politik an geltendes Recht hält – obwohl im Sondierungspapier selbst formelhaft betont wird, dass man nur „rechtsstaatliche Mittel” nutzen wolle, um die Migration zu reduzieren. Der Formelkompromiss der Sondierenden wird in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen führen. Im zweiten Schritt besteht die Gefahr, dass diese rechtswidrige Praxis europaweit ausgeweitet wird. Der letzte Streitpunkt ist aktuell nur noch, ob dies im nationalen Alleingang oder auf europäisch koordinierte Weise geschieht.
Recht auf Familie für Menschen mit subsidiärem Schutz: Familien dürfen nicht getrennt werden!
SPD und Union wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte erneut vollständig aussetzen. Schon 2016 hatte die damalige Große Koalition den Familiennachzug für diese Gruppe für zwei Jahre ausgesetzt. Das ist für die Betroffenen dramatisch und menschenrechtlich inakzeptabel, da ein Zusammenleben mit der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunfts- oder einem Drittland meist unmöglich ist. Die Folge: zerrissene Familien. Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt.
Aufnahmeprogramme sollen enden: Deutschland darf bedrohte Afghan*innen nicht im Stich lassen!
Damit wird die letzte Rettungslinie für Menschenrechtsverteidiger*innen zum Beispiel aus Afghanistan gekappt – eine schäbige Entscheidung. Denn es gibt außer Aufnahmeprogrammen und dem Familiennachzug faktisch keine sicheren Fluchtmöglichkeiten – beide sollen nun massiv eingeschränkt werden. Das zwingt verfolgte Menschen erst auf die gefährlichen und „irregulären” Wege, die bekämpft werden sollten. Bezeichnenderweise wurde dies den bedrohten Frauen und Mädchen in Afghanistan, die dort aller Rechte beraubt sind, am Weltfrauentag verkündet.
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien: Deutschland darf sich nicht zu Handlangern von Diktaturen machen!
Aus Rettungsflügen sollen nun Abschiebeflüge werden. Nach Kabul sollen ab sofort regelmäßige Abschiebeflüge stattfinden – möglich wird das absehbar nur durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Taliban-Regime. Es heißt, dass die Abschiebungen beginnend mit Straftätern und Gefährdern durchgeführt werden sollen. Das Wort „beginnend“ zeigt offen: Perspektivisch sollen sich nicht nur Straftäter und Gefährder, sondern alle mit prekärem Aufenthaltsstatus nicht mehr sicher fühlen. Ein gezieltes Angst- und Verunsicherungsprogramm für die große afghanische und syrische Community in Deutschland. Dass die Sondierer*innen zudem auf Abschiebungen nach Syrien insistieren, ist zynisch und realitätsfern. In Syrien fand gerade das größte Massaker der letzten Jahre statt.
Faire und vorurteilsfreie Asylverfahren statt neue, vermeintlich sichere Herkunftsländer!
Die Einstufung von Staaten als „sichere Herkunftsländer“ bedeutet, dass Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern pauschal als unbegründet betrachtet werden und es äußerst schwierig für sie ist, mit ihrer individuellen Verfolgungsgeschichte diese Vermutung zu widerlegen. Dies widerspricht dem individuellen Recht auf Asyl. Statt der nun geplanten Ausweitung der Liste muss eine echte Einzelfallprüfung gewährleistet werden, die der tatsächlichen Gefahrenlage der Menschen angemessen ist.
Statt bundesweiter Durchsetzung der Bezahlkarte brauchen Schutzsuchende Sicherheit, Perspektiven und Rechte!
Die stigmatisierende Bezahlkarte soll flächendeckend durchgesetzt werden. „Umgehungen sollen unterbunden werden”. Das klingt wie eine Warnung an die Zivilgesellschaft – es droht möglicherweise eine Kriminalisierung humanitärer Tausch-Initiativen.
Wiederabschaffung der anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaftfällen: Keine Freiheitsentziehung ohne Rechtsschutz!
Das Recht auf anwaltliche Unterstützung in Abschiebungshaftfällen soll nun wieder abgeschafft werden – obwohl sich bei juristischen Überprüfungen rund 50 Prozent aller Haftbeschlüsse als rechtswidrig erweisen.
Vom „Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz“: Asylverfahren müssen fair bleiben!
Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet, dass Behörden im Asylverfahren von sich aus alle relevanten Tatsachen ermitteln müssen, um eine faire Entscheidung zu treffen. Das sieht auch das Europarecht vor: Die Asylbehörden müssen relevante Herkunftslandinformationen einholen und berücksichtigen, jeder Antrag muss objektiv und unparteiisch geprüft werden. Sie sind verpflichtet, aktiv nach Beweisen für die Schutzbedürftigkeit einer Person zu suchen. Schon jetzt haben Asylsuchende aber umfassende Mitwirkungspflichten, der Amtsermittlungsgrundsatz ist also bereits stark eingeschränkt. Der Beibringungsgrundsatz hingegen würde bedeuten, dass Asylsuchende selbst alle notwendigen Beweise für ihre Verfolgung vorlegen müssen. Die Beweislast läge damit allein bei den Schutzsuchenden – eine gravierende und potenziell europarechtswidrige Verschärfung.
„Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen: In der künftigen Koalition drohen Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte unter die Räder zu kommen. Recht wird zur Seite geschoben, absehbare Rechtsbrüche werden teils mit Formelkompromissen kaschiert”, kommentiert Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Europarecht einhalten, Rechtsstaat achten: Keine Zurückweisungen an deutschen Grenzen!
Künftig sollen auch Asylsuchende an den bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen werden, wohl in Absprache mit den Nachbarstaaten. Laut Europarecht dürfen Asylsuchende aber nicht an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden. Das geplante Vorgehen unterläuft damit den Rechtsstaat, in dem sich Politik an geltendes Recht hält – obwohl im Sondierungspapier selbst formelhaft betont wird, dass man nur „rechtsstaatliche Mittel” nutzen wolle, um die Migration zu reduzieren. Der Formelkompromiss der Sondierenden wird in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen führen. Im zweiten Schritt besteht die Gefahr, dass diese rechtswidrige Praxis europaweit ausgeweitet wird. Der letzte Streitpunkt ist aktuell nur noch, ob dies im nationalen Alleingang oder auf europäisch koordinierte Weise geschieht.
Recht auf Familie für Menschen mit subsidiärem Schutz: Familien dürfen nicht getrennt werden!
SPD und Union wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte erneut vollständig aussetzen. Schon 2016 hatte die damalige Große Koalition den Familiennachzug für diese Gruppe für zwei Jahre ausgesetzt. Das ist für die Betroffenen dramatisch und menschenrechtlich inakzeptabel, da ein Zusammenleben mit der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunfts- oder einem Drittland meist unmöglich ist. Die Folge: zerrissene Familien. Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt.
Aufnahmeprogramme sollen enden: Deutschland darf bedrohte Afghan*innen nicht im Stich lassen!
Damit wird die letzte Rettungslinie für Menschenrechtsverteidiger*innen zum Beispiel aus Afghanistan gekappt – eine schäbige Entscheidung. Denn es gibt außer Aufnahmeprogrammen und dem Familiennachzug faktisch keine sicheren Fluchtmöglichkeiten – beide sollen nun massiv eingeschränkt werden. Das zwingt verfolgte Menschen erst auf die gefährlichen und „irregulären” Wege, die bekämpft werden sollten. Bezeichnenderweise wurde dies den bedrohten Frauen und Mädchen in Afghanistan, die dort aller Rechte beraubt sind, am Weltfrauentag verkündet.
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien: Deutschland darf sich nicht zu Handlangern von Diktaturen machen!
Aus Rettungsflügen sollen nun Abschiebeflüge werden. Nach Kabul sollen ab sofort regelmäßige Abschiebeflüge stattfinden – möglich wird das absehbar nur durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Taliban-Regime. Es heißt, dass die Abschiebungen beginnend mit Straftätern und Gefährdern durchgeführt werden sollen. Das Wort „beginnend“ zeigt offen: Perspektivisch sollen sich nicht nur Straftäter und Gefährder, sondern alle mit prekärem Aufenthaltsstatus nicht mehr sicher fühlen. Ein gezieltes Angst- und Verunsicherungsprogramm für die große afghanische und syrische Community in Deutschland. Dass die Sondierer*innen zudem auf Abschiebungen nach Syrien insistieren, ist zynisch und realitätsfern. In Syrien fand gerade das größte Massaker der letzten Jahre statt.
Faire und vorurteilsfreie Asylverfahren statt neue, vermeintlich sichere Herkunftsländer!
Die Einstufung von Staaten als „sichere Herkunftsländer“ bedeutet, dass Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern pauschal als unbegründet betrachtet werden und es äußerst schwierig für sie ist, mit ihrer individuellen Verfolgungsgeschichte diese Vermutung zu widerlegen. Dies widerspricht dem individuellen Recht auf Asyl. Statt der nun geplanten Ausweitung der Liste muss eine echte Einzelfallprüfung gewährleistet werden, die der tatsächlichen Gefahrenlage der Menschen angemessen ist.
Statt bundesweiter Durchsetzung der Bezahlkarte brauchen Schutzsuchende Sicherheit, Perspektiven und Rechte!
Die stigmatisierende Bezahlkarte soll flächendeckend durchgesetzt werden. „Umgehungen sollen unterbunden werden”. Das klingt wie eine Warnung an die Zivilgesellschaft – es droht möglicherweise eine Kriminalisierung humanitärer Tausch-Initiativen.
Wiederabschaffung der anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaftfällen: Keine Freiheitsentziehung ohne Rechtsschutz!
Das Recht auf anwaltliche Unterstützung in Abschiebungshaftfällen soll nun wieder abgeschafft werden – obwohl sich bei juristischen Überprüfungen rund 50 Prozent aller Haftbeschlüsse als rechtswidrig erweisen.
Vom „Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz“: Asylverfahren müssen fair bleiben!
Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet, dass Behörden im Asylverfahren von sich aus alle relevanten Tatsachen ermitteln müssen, um eine faire Entscheidung zu treffen. Das sieht auch das Europarecht vor: Die Asylbehörden müssen relevante Herkunftslandinformationen einholen und berücksichtigen, jeder Antrag muss objektiv und unparteiisch geprüft werden. Sie sind verpflichtet, aktiv nach Beweisen für die Schutzbedürftigkeit einer Person zu suchen. Schon jetzt haben Asylsuchende aber umfassende Mitwirkungspflichten, der Amtsermittlungsgrundsatz ist also bereits stark eingeschränkt. Der Beibringungsgrundsatz hingegen würde bedeuten, dass Asylsuchende selbst alle notwendigen Beweise für ihre Verfolgung vorlegen müssen. Die Beweislast läge damit allein bei den Schutzsuchenden – eine gravierende und potenziell europarechtswidrige Verschärfung.
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Dienstag, 11. Februar 2025
5 Jahre Terrorangriff von Hanau
che2001, 15:08h
Dieses Jahr jährt sich der rassistische Anschlag vom 19. Februar 2020 von Hanau zum fünften Mal. Vielerorts in Norddeutschland wird es wieder Gedenkveranstaltungen geben. Hier eine Übersicht der mir bekannten Termine:
Osnabrück
Filmreihe „Einzeltäter – Trilogie“, Teil 3: Hanau, 12.02.2025, 19:00 Uhr, Unikeller, Eintritt frei (Teil 1 und 2 wurden bereits gezeigt)
Kundgebung, 19.02.2025, 18:00 Uhr, Hauptbahnhof
Braunschweig
Mahnwache, 19.02.2025, 17:30 Uhr, Kohlmarkt
Hannover
Kundgebung und Demonstration, 19.02.2025, 17:00 Uhr, Halim Dener Platz
Mahnwache, 19.02.2025, 19:30 Uhr, mit Çay und Suppe, Cumberlandsche Bühne, Prinzenstr. 9
Göttingen
Demonstration, 19.02.2025, 17:00 Uhr, am Gänseliesel
Oldenburg
Mahnwache, 19.02.2025, 17:00 Uhr, Rathausmarkt
Lüneburg
Kundgebung, 19.02.2025, 18:00 Uhr, St.
Stephanus-Platz Kaltenmoor
Hildesheim
Demonstration, 19.02.2025, 17:00 Uhr, Hauptbahnhof
Bremen
19.02.205, Demonstration, 17:30 Uhr, Am Bri
Osnabrück
Filmreihe „Einzeltäter – Trilogie“, Teil 3: Hanau, 12.02.2025, 19:00 Uhr, Unikeller, Eintritt frei (Teil 1 und 2 wurden bereits gezeigt)
Kundgebung, 19.02.2025, 18:00 Uhr, Hauptbahnhof
Braunschweig
Mahnwache, 19.02.2025, 17:30 Uhr, Kohlmarkt
Hannover
Kundgebung und Demonstration, 19.02.2025, 17:00 Uhr, Halim Dener Platz
Mahnwache, 19.02.2025, 19:30 Uhr, mit Çay und Suppe, Cumberlandsche Bühne, Prinzenstr. 9
Göttingen
Demonstration, 19.02.2025, 17:00 Uhr, am Gänseliesel
Oldenburg
Mahnwache, 19.02.2025, 17:00 Uhr, Rathausmarkt
Lüneburg
Kundgebung, 19.02.2025, 18:00 Uhr, St.
Stephanus-Platz Kaltenmoor
Hildesheim
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Donnerstag, 6. Februar 2025
Die fünf Punkte von Merz in der politikwissenschaftlichen Analyse
che2001, 15:51h
Wie gut verträglich ist die 5-Punkte-Pille von Friedrich Merz - und welche Nebenwirkungen könnte sie haben? In seiner anliegenden Analyse untersucht der Migrationsforscher Hannes Schammann (UNI Hildesheim), ohne vorschnelle moralische Bewertungen abzugeben, nüchtern die Folgen und Nebenwirkungen einer Umsetzung der Pläne des CDU-Kanzlerkandidaten. Das Essay erschien unter der Überschrift "Die blinden Flecke des Fünf-Punkte-Plans" am 30. Januar in der Süddeutschen Zeitung.
In einem ergänzenden Interview des Bayerischen Rundfunks mit Hannes Schammann erläutert der Autor, dass und warum sich Verantwortlichen über die (ggfs. auch unbeabsichtigten) Folgen ihrer Migrationspolitik mehr Gedanken machen müssen, gerade wenn es um Menschenrechte geht.
Aus: Süddeutsche Zeitung (Online-Version vom 30. Januar 2025; in der Printausgabe vom 1.
Februar 2025, Seite 41 mit dem Titel „Bittere Pillen“)
Die blinden Flecke des Fünf-Punkte-Plans
Deutschland krankt an seiner Migrationspolitik, sagen viele. Doch wie wirksam ist die Sofort-Medizin der Union und welche Nebenwirkungen könnte sie haben? Analyse eines Migrationsforschers.
Ein Gastbeitrag von Hannes Schammann
Wahlkampf in der Erkältungssaison, und alle sagen: Deutschland krankt an seiner Migrationspolitik. Mit schwerem Verlauf. Auf der Suche nach der richtigen Medizin wird hektisch im Arzneischrank gewühlt, Beipackzettel mit Nebenwirkungen werden ignoriert. Weil aber nichts so richtig helfen will, soll neue Medizin her: Politikwechsel, 27 Sofortmaßnahmen, fünf Punkte –
möglichst einfach, möglichst hart, möglichst schnell.
Nun sind politische Maßnahmen keine Medizin, Migration ist keine Krankheit. Doch es verwundert, wie unterschiedlich wir als Gesellschaft in beiden Fällen handeln. Ein neues Medikament braucht Jahre in der Entwicklung. Wir erwarten, dass es gründlich darauf getestet wird, ob es überhaupt gegen die Ursachen oder zumindest die Symptome hilft. Wir wollen wissen,
ob unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Das aufwändige Zulassungsverfahren für SarsCov2-Impfstoffe ist uns noch in leidvoller Erinnerung. Aber selbst in einer Pandemie, unter extremem öffentlichem Druck und großer Polarisierung war beim Impfstoff unstrittig: Es muss Zeit sein für ein Mindestmaß an Sorgfalt. Und jetzt? In der atemlosen igrationsdebatte scheint ein nüchterner Blick auf die Potenziale, auf Risiken und Nebenwirkungen neuer politischer
Programme verzichtbar. Dabei geht es doch, sagen alle, um unsere Demokratie.
Wir Migrationsforschende können im Gegensatz zu unseren naturwissenschaftlich arbeitenden Kolleginnen und Kollegen politische Medikamente nicht unter immer gleichen Bedingungen im Labor testen. Doch wir können auf Basis empirischer Daten und theoretischer Modelle abschätzen, ob eine Maßnahme umsetzbar ist und ob sie überhaupt wirksam sein kann. Wir können die Vorschläge bis zum Ende durchdenken und auf mögliche Nebenwirkungen hinweisen. Keine Sorge: Das dauert nicht so lange wie das Zulassungsverfahren bei Impfstoffen. Ich versuche es bei Merz‘ Fünf-Punkte-Pille in acht Minuten Lesezeit.
Rechtlich widersprechen die Maßnahmen dem Grundgesetz. Doch das muss kein Hindernis sein.
Zunächst zu den beiden Vorschlägen dauerhafter Grenzkontrollen und der Zurückweisung aller
Menschen ohne Visum. Funktioniert das? Getreu dem rechtskonservativen Motto „Politik vor Recht“ kann Deutschland selbstverständlich den Artikel 16a aus dem Grundgesetz streichen, aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen
Menschenrechtskonvention austreten und europäisches Recht ignorieren. Mit welchen Konsequenzen?
Die europäische Freizügigkeit entstand als Nebenfolge der Zollunion. Wo Waren wanderten, wanderten irgendwann auch Menschen. Umgekehrt gilt aber auch: Wo keine Menschen mehr wandern, haben es auch Waren schwerer. Auch jenseits der Wirtschaftspolitik würde der Multilateralismus weiter in sich zusammenfallen und Platz machen für ein aufgeregtes
„Dealmaking“ Trump’scher Prägung. Da kann man bedauernd mit den Schultern zucken: So ist
die Welt heute eben. Doch es würde migrationspolitisch durchaus Sinn machen, internationales
Recht zu stärken, gerade wenn man Flüchtlingszahlen drücken will. Die Konzentration auf kurzfristige Deals sorgt nämlich für eine weniger verlässliche Welt. Das Risiko für Krisen steigt – und damit potenziell auch die Zahl der Schutzsuchenden vor unseren vielleicht gar nicht so fest verschließbaren Toren.
Wir müssen uns eingestehen, dass einer Handvoll bewachter Grenzübergänge fast 4.000
Kilometer grüne Grenze gegenüberstehen. Die Ozeane Australiens können wir nicht importieren,
eine Mauer nach US-amerikanischem Vorbild kostet mehr als sie nützt. Und selbst wenn doch
etwas weniger Menschen nach Deutschland kämen, droht ein Anstieg der irregulär Aufhältigen im
Land. Warum? Statistisch wird Migration bereits als irregulär bezeichnet, wenn eine Person direkt
nach dem Grenzübertritt einen Asylantrag stellt. Dann ist sie aber immerhin registriert, legalisiert,
kann versorgt und gegebenenfalls auch wieder abgeschoben werden.
Die vorgeschlagene Abweisung aller ohne gültige Einreisedokumente könnte dazu führen, dass
Menschen über zunehmende Schleuserkriminalität irregulär nach Deutschland einreisen, sich
dann aber nicht bei den Behörden melden. Damit wird Irregularität zum Dauerzustand, Schattenwirtschaft floriert, Staatsversagen droht in zahlreichen Bereichen – vom Arbeitsmarkt über das Bildungs- bis zum Sozialsystem. Steuerungswahn führt dann zu Steuerungsverlust.
Legale Zugangswege müssen mitgedacht werden, als eine Art Ventil für Migrationsdruck und Humanität
Um dem die Spitze zu nehmen, müssten in den geplanten Vorhaben legale Zugangswege
mitgedacht werden, als eine Art Ventil für Migrationsdruck und Humanität. Selbst Australien
macht das so. Und die haben ja zwei Ozeane. Mit Weißen Haien.
Nächster Punkt: Wie steht es mit dem Vorhaben, täglich Abschiebungen durchzuführen – in enger
Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen? In der Kluft zwischen Ausreisepflichtigen
und den tatsächlich Ausgereisten sehen viele das Problem. Ende des Jahres 2023 waren rund
240.000 Menschen ausreisepflichtig. Ende 2024 nur noch rund 220.000, obwohl ja immer auch
neue Menschen dazu kommen. Lag das an der Abschiebungsoffensive der Ampel? Nur
eingeschränkt. Zwar konnten die Abschiebungen um rund 20 Prozent auf wohl etwa 19.000
Personen gesteigert werden. Aber den größten Beitrag zur Absenkung der Zahlen leistete das
sogenannte Chancenaufenthaltsrecht: 50.000 Personen konnten nachweisen, dass sie das Zeug
dazu haben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und wurden mit einem befristeten
Aufenthaltstitel ausgestattet. Den Chancenaufenthalt will die Union nun abschaffen, damit sich
Menschen ihrer Ausreisepflicht nicht entziehen. Kann man machen.
Der Wunsch nach weniger Migration und der Wunsch nach Arbeitskräften existieren keineswegs
harmonisch nebeneinander. Wir müssen uns häufig entscheiden, was uns wichtiger ist. Auch
beim Blick auf die Umsetzung von Abschiebungen. Um diese zu erhöhen, müssen Behörden ihre
ohnehin zu knappen Ressourcen von anderen Bereichen abziehen. Als die Länder beispielsweise
im vergangenen Jahr die Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen vorbereiten sollten, mussten
das meist dieselben Ministerialbeamten organisieren, die für die Verteilung von Geflüchteten
zuständig waren. Mit dem Ergebnis, dass sie weniger gut dafür sorgen konnten, dass
Schutzsuchende passgenau und kosteneffizient zugewiesen werden.
Mehr Abschiebungen zu verordnen kann nun beispielsweise bedeuten, dass weniger Personal da
ist für Fachkräftevisa oder Einbürgerungen. Auch langsamere Asylverfahren könnten drohen,
wenn der Bund migrationsrechtlich geschultes Personal für Abschiebungen abziehen würde. Die
Unterstützung des Bundes bei Abschiebungen ist gut gemeint. Ländern und Kommunen würde es
aber vermutlich mehr helfen, wenn der Bund sich auf schnelle Asylverfahren konzentrierte.
Deutschland hat schon einmal die Integration im Abschottungstaumel
vergessen
Überhaupt: Was wünschen sich denn die Kommunen? Zumindest die Verwaltungsfachleute in
unseren eigenen Studien haben eher pragmatische Wünsche. Sie sehnen sich beispielsweise
nach einer gesicherten Finanzierung ihrer Koordinierungs- oder Beratungsstellen. Ein Großteil der
Integrationsarbeit ist nämlich nicht dauerhaft, sondern über befristete Haushaltstitel finanziert.
In Haushaltsdebatten wird daher um jeden Cent gerungen. In Zeiten knapper Kassen und
steigender Migrationsfeindlichkeit befürchten viele den Kahlschlag. Sie warnen vor eklatanten
Folgen für Integrationsprozesse und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In die fünf Punkte
von Friedrich Merz haben sie es damit nicht geschafft.
Deutschland hat schon einmal die Integration im Abschottungstaumel vergessen. Ausgelöst
durch die Ölpreiskrise wurde 1973 der Anwerbestopp für Gastarbeiter mit großem Tamtam
verkündet - mit mäßigem Erfolg. Die Menschen blieben und holten ihre Familien nach.
Integrationskurse des Bundes gab es aber erst sage und schreibe 32 Jahre später, im Jahr 2005.
Die Konzentration der Unionsmaßnahmen auf die 220.000 Ausreisepflichtigen mag aus
wahltaktischen Gründen nachvollziehbar sein. Angesichts der etwas mehr als drei Millionen
Schutzsuchenden, die bereits legal hier sind, verwundert sie allerdings. Nicht zu vergessen sind
zahlreiche andere Migrationsgruppen, Studierende, Fachkräfte oder deren Kinder. Bei ihnen allen
sorgen die aktuellen Debatten für Verunsicherung – und wo Unsicherheit und Ungewissheit
herrschen, geht es langsamer mit der Integration. Eine Binsenweisheit der Migrationsforschung.
Wie also möchte die Union Teilhabe am Arbeitsmarkt, in der Bildung, im sozialen Leben
erreichen? Wie will sie aus den Zugewanderten Deutsche machen? Und was ist eigentlich mit
unserem Fachkräfteproblem? Wie will sie diejenigen halten, die wir brauchen, die aber angesichts
der rhetorischen Aufrüstung keine Lust mehr auf Deutschland haben? Wir erfahren wenig
darüber.
Friedrich Merz bloßen Opportunismus zu unterstellen, würde ihm unrecht tun
Mit dem Fokus auf Zuwanderungsbegrenzung reagiert die CDU auf den vermeintlichen
Wählerwillen. Friedrich Merz aber bloßen Opportunismus zu unterstellen, würde ihm unrecht tun.
Der Säulenheilige konservativer Theorie, Carl Schmitt, hatte einst in Abgrenzung zur liberalen
Demokratietheorie formuliert: „Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das
Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß.“
Pluralität ist aus dieser Perspektive eine Gefahr für die Demokratie. Wenn Friedrich Merz daher
Zuwanderung, doppelte Staatsbürgerschaft und Einbürgerung skeptisch sieht, dann geschieht
dies vermutlich auch aus Sorge um die Demokratie. Merz war es übrigens auch, der im Jahr 2000
den glücklosen Begriff der Leitkultur aus der wissenschaftlichen Debatte in die Politik überführte.
Tino Chrupalla hat vielleicht nicht ganz das Format von Carl Schmitt, dürfte dessen Dogmen
jedoch kennen. Er verwies diese Woche erfreut darauf, dass die AfD schon lange die Positionen
vertrete, die Merz nun verkünde. Es tritt an: Original gegen Kopie. Wer auf den Ausgang dieses
Rennens wetten will: Parteienforscher sehen immer das Original im Vorteil.
Doch zurück zu den konkreten Vorschlägen. Alle vollziehbar Ausreisepflichtigen in Haft nehmen.
Ist das wirksam und machbar? Zur Umsetzung eines solchen Plans müssten nicht nur Rechte
eingeschränkt, sondern auch große Lager gebaut und das Vollzugssystem entsprechend
ausgestattet werden. Dazu scheint die Union bereit. Wenn die Gerichte mitspielen, ist es
durchaus vorstellbar, dass mit großem personellem und finanziellem Aufwand ein paar Charter-
Maschinen mehr nach Afghanistan abheben.
In der Umsetzung stellen sich allerdings einige unbequeme Fragen, zum Beispiel: Was passiert
mit Familien? Kommen die auch in den Knast? Für wie lange? Gibt es eine Gefängnisschule?
Für Kinder und Migrantinnen scheinen Merz‘ Medikamente nicht gedacht
Apropos Familien, es fällt auf, dass sich die Punkte und Sofortmaßnahmen in der Migrationspolitik
oft an einer stereotypen Karikatur orientieren: dem jungen, allein reisenden muslimischen Mann
ohne Schutzbedarf, dafür mit gehörigem Aggressionsproblem. Was machen wir mit der
alleinerziehenden Mutter, ihren drei Kindern und der Oma? Für Kinder und Migrantinnen scheinen
Merz‘ Medikamente nicht gedacht. Ist das Absicht oder Schludrigkeit?
Fünfter Punkt auf der Zutatenliste der Merz-Pille: der Ausreisearrest für Straftäter und Gefährder.
Letztere sind Personen, bei denen die Sicherheitsbehörden ein hohes terroristisches Potenzial
vermuten. Sie sind ausreisepflichtig, können aber – beispielsweise wegen Staatenlosigkeit – nicht
abgeschoben werden. Das ist natürlich ein Problem. Doch was, wenn die Abschiebung mittel- bis
langfristig unmöglich wäre? Lebenslange Sicherheitsverwahrung ohne Tat und ohne Urteil?
Menschenrechtlich eigentlich undenkbar. Also bei guter Führung Hausarrest mit Fußfessel? Auch
schwierig, denn wer sich das Küchenmesser schnappt und zum Supermarkt um die Ecke
aufbricht, den kümmert wahrscheinlich eine Fußfessel wenig. Aber das ist natürlich nur
Spekulation. Also doch besser Programme zur Deradikalisierung?
Die Migrationspolitik mag schmerzen, aber ist sie auch die alleinige Ursache
unseres Unwohlseins?
Im beschleunigten Zulassungsverfahren der Fünf-Punkte-Pille bestehen in der Summe erhebliche
Zweifel an der Wirksamkeit. Schwere Nebenwirkungen sind absehbar. Doch selbst wenn die
Forschung unrecht hätte und die durch die Bundestagsmehrheit geforderten Maßnahmen
nebenwirkungsfrei blieben und ihren Zweck erfüllten, muss noch eine Frage erlaubt sein: Die
Migrationspolitik mag schmerzen, aber ist sie auch die alleinige Ursache unseres Unwohlseins?
Die Unterbringung Geflüchteter wird vor allem dann zum Problem, wenn die Menschen aus der
kommunalen Sammelunterkunft in ganz normalen Wohnraum vermittelt werden. Dort treffen sie
auf einen Wohnungsmarkt, dessen Dysfunktionalität vermutlich ohne Zuwanderung viel mehr
skandalisiert würde. Doch die Empörung richtet sich gegen die Migranten, die alle Wohnungen
wegschnappen würden. Die Schwierigkeiten bei der Beschulung zugewanderter Kinder könnten
als Ausdruck dafür gelesen werden, dass unser ganzes Bildungssystems konzeptionell und
personell hilfebedürftig ist. Doch lieber behandeln wir schlechte PISA-Ergebnisse als importiertes
Problem. Die fehlende psychosoziale Begleitung traumatisierter Schutzsuchender könnte den
Finger in die Wunde eines schwächelnden Gesundheitssystems legen. Doch die vorschnelle
Forderung nach Abschiebung lässt die Frage nach den Wartezeiten für Therapieplätze gar nicht
erst zu.
Der Verweis auf Zugewanderte lenkt uns ab von den großen sozialen Fragen
unserer Zeit
Wenn wir wirklich glauben, wir könnten all unsere strukturellen Herausforderungen durch
Migrationspolitik lösen, ist uns nicht mehr zu helfen. Der Verweis auf Zugewanderte lenkt uns ab
von den großen sozialen Fragen unserer Zeit. Aber vielleicht wollen wir uns ja selbst im Glauben
wiegen, alles würde gut, wenn wir nur die „Mutter aller Probleme“, wie der ehemalige
Bundesinnenminister Horst Seehofer die Migrationsfrage einst nannte, lösten. Und wenn eine
simpel gestrickte Sofortmaßnahme wieder nicht klappt, können wir weiter träumen, dass mit der
nächsten Maßnahme all die Krisen endlich kleiner würden.
Vom immer neuen Scheitern einer unterkomplexen Migrationspolitik profitieren natürlich vor
allem diejenigen, die das politische System sowieso auf den Kopf stellen wollen. Hält Politik nicht,
was sie verspricht, ist das für sie der Beweis, dass mehr Ordnung nur in einem anderen,
autoritären Staat möglich sei. Das ist zwar, wie die Migrationsforschung inzwischen weiß, zu kurz
gedacht. Denn auch autoritäre Staaten bekommen ihre Grenzen nicht ganz dicht. Doch erstmal
bleibt haften: Die Demokratie kann es nicht.
Zweifellos ist eine kluge Migrationspolitik innenpolitisch wichtig, um unsere Gesellschaft
zukunftsfähig aufzustellen, um Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken und Vielfalt zu
moderieren. Außenpolitisch leistet eine verantwortungsvolle, multilateral ausgerichtete
Migrationspolitik einen Beitrag, um Frieden zu sichern: Sie knüpft Bande zwischen
Gesellschaften, sie mildert globale Ungleichheit. Aber gegen viele gesellschaftliche und
staatliche Krankheiten unserer Zeit hilft Migrationspolitik eben nicht. Manche kann sie sogar
schlimmer machen. Selbst als Placebo.
Hannes Schammann ist Professor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Er ist
Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration.
Text: Hannes Schammann; Redaktion: Ann-Kathrin Eckardt; Digitales Design: Christian
Tönsman
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/migration-fuenf-punkte-plan-analyse-e656180/?reduced=true
In einem ergänzenden Interview des Bayerischen Rundfunks mit Hannes Schammann erläutert der Autor, dass und warum sich Verantwortlichen über die (ggfs. auch unbeabsichtigten) Folgen ihrer Migrationspolitik mehr Gedanken machen müssen, gerade wenn es um Menschenrechte geht.
Aus: Süddeutsche Zeitung (Online-Version vom 30. Januar 2025; in der Printausgabe vom 1.
Februar 2025, Seite 41 mit dem Titel „Bittere Pillen“)
Die blinden Flecke des Fünf-Punkte-Plans
Deutschland krankt an seiner Migrationspolitik, sagen viele. Doch wie wirksam ist die Sofort-Medizin der Union und welche Nebenwirkungen könnte sie haben? Analyse eines Migrationsforschers.
Ein Gastbeitrag von Hannes Schammann
Wahlkampf in der Erkältungssaison, und alle sagen: Deutschland krankt an seiner Migrationspolitik. Mit schwerem Verlauf. Auf der Suche nach der richtigen Medizin wird hektisch im Arzneischrank gewühlt, Beipackzettel mit Nebenwirkungen werden ignoriert. Weil aber nichts so richtig helfen will, soll neue Medizin her: Politikwechsel, 27 Sofortmaßnahmen, fünf Punkte –
möglichst einfach, möglichst hart, möglichst schnell.
Nun sind politische Maßnahmen keine Medizin, Migration ist keine Krankheit. Doch es verwundert, wie unterschiedlich wir als Gesellschaft in beiden Fällen handeln. Ein neues Medikament braucht Jahre in der Entwicklung. Wir erwarten, dass es gründlich darauf getestet wird, ob es überhaupt gegen die Ursachen oder zumindest die Symptome hilft. Wir wollen wissen,
ob unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Das aufwändige Zulassungsverfahren für SarsCov2-Impfstoffe ist uns noch in leidvoller Erinnerung. Aber selbst in einer Pandemie, unter extremem öffentlichem Druck und großer Polarisierung war beim Impfstoff unstrittig: Es muss Zeit sein für ein Mindestmaß an Sorgfalt. Und jetzt? In der atemlosen igrationsdebatte scheint ein nüchterner Blick auf die Potenziale, auf Risiken und Nebenwirkungen neuer politischer
Programme verzichtbar. Dabei geht es doch, sagen alle, um unsere Demokratie.
Wir Migrationsforschende können im Gegensatz zu unseren naturwissenschaftlich arbeitenden Kolleginnen und Kollegen politische Medikamente nicht unter immer gleichen Bedingungen im Labor testen. Doch wir können auf Basis empirischer Daten und theoretischer Modelle abschätzen, ob eine Maßnahme umsetzbar ist und ob sie überhaupt wirksam sein kann. Wir können die Vorschläge bis zum Ende durchdenken und auf mögliche Nebenwirkungen hinweisen. Keine Sorge: Das dauert nicht so lange wie das Zulassungsverfahren bei Impfstoffen. Ich versuche es bei Merz‘ Fünf-Punkte-Pille in acht Minuten Lesezeit.
Rechtlich widersprechen die Maßnahmen dem Grundgesetz. Doch das muss kein Hindernis sein.
Zunächst zu den beiden Vorschlägen dauerhafter Grenzkontrollen und der Zurückweisung aller
Menschen ohne Visum. Funktioniert das? Getreu dem rechtskonservativen Motto „Politik vor Recht“ kann Deutschland selbstverständlich den Artikel 16a aus dem Grundgesetz streichen, aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen
Menschenrechtskonvention austreten und europäisches Recht ignorieren. Mit welchen Konsequenzen?
Die europäische Freizügigkeit entstand als Nebenfolge der Zollunion. Wo Waren wanderten, wanderten irgendwann auch Menschen. Umgekehrt gilt aber auch: Wo keine Menschen mehr wandern, haben es auch Waren schwerer. Auch jenseits der Wirtschaftspolitik würde der Multilateralismus weiter in sich zusammenfallen und Platz machen für ein aufgeregtes
„Dealmaking“ Trump’scher Prägung. Da kann man bedauernd mit den Schultern zucken: So ist
die Welt heute eben. Doch es würde migrationspolitisch durchaus Sinn machen, internationales
Recht zu stärken, gerade wenn man Flüchtlingszahlen drücken will. Die Konzentration auf kurzfristige Deals sorgt nämlich für eine weniger verlässliche Welt. Das Risiko für Krisen steigt – und damit potenziell auch die Zahl der Schutzsuchenden vor unseren vielleicht gar nicht so fest verschließbaren Toren.
Wir müssen uns eingestehen, dass einer Handvoll bewachter Grenzübergänge fast 4.000
Kilometer grüne Grenze gegenüberstehen. Die Ozeane Australiens können wir nicht importieren,
eine Mauer nach US-amerikanischem Vorbild kostet mehr als sie nützt. Und selbst wenn doch
etwas weniger Menschen nach Deutschland kämen, droht ein Anstieg der irregulär Aufhältigen im
Land. Warum? Statistisch wird Migration bereits als irregulär bezeichnet, wenn eine Person direkt
nach dem Grenzübertritt einen Asylantrag stellt. Dann ist sie aber immerhin registriert, legalisiert,
kann versorgt und gegebenenfalls auch wieder abgeschoben werden.
Die vorgeschlagene Abweisung aller ohne gültige Einreisedokumente könnte dazu führen, dass
Menschen über zunehmende Schleuserkriminalität irregulär nach Deutschland einreisen, sich
dann aber nicht bei den Behörden melden. Damit wird Irregularität zum Dauerzustand, Schattenwirtschaft floriert, Staatsversagen droht in zahlreichen Bereichen – vom Arbeitsmarkt über das Bildungs- bis zum Sozialsystem. Steuerungswahn führt dann zu Steuerungsverlust.
Legale Zugangswege müssen mitgedacht werden, als eine Art Ventil für Migrationsdruck und Humanität
Um dem die Spitze zu nehmen, müssten in den geplanten Vorhaben legale Zugangswege
mitgedacht werden, als eine Art Ventil für Migrationsdruck und Humanität. Selbst Australien
macht das so. Und die haben ja zwei Ozeane. Mit Weißen Haien.
Nächster Punkt: Wie steht es mit dem Vorhaben, täglich Abschiebungen durchzuführen – in enger
Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen? In der Kluft zwischen Ausreisepflichtigen
und den tatsächlich Ausgereisten sehen viele das Problem. Ende des Jahres 2023 waren rund
240.000 Menschen ausreisepflichtig. Ende 2024 nur noch rund 220.000, obwohl ja immer auch
neue Menschen dazu kommen. Lag das an der Abschiebungsoffensive der Ampel? Nur
eingeschränkt. Zwar konnten die Abschiebungen um rund 20 Prozent auf wohl etwa 19.000
Personen gesteigert werden. Aber den größten Beitrag zur Absenkung der Zahlen leistete das
sogenannte Chancenaufenthaltsrecht: 50.000 Personen konnten nachweisen, dass sie das Zeug
dazu haben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und wurden mit einem befristeten
Aufenthaltstitel ausgestattet. Den Chancenaufenthalt will die Union nun abschaffen, damit sich
Menschen ihrer Ausreisepflicht nicht entziehen. Kann man machen.
Der Wunsch nach weniger Migration und der Wunsch nach Arbeitskräften existieren keineswegs
harmonisch nebeneinander. Wir müssen uns häufig entscheiden, was uns wichtiger ist. Auch
beim Blick auf die Umsetzung von Abschiebungen. Um diese zu erhöhen, müssen Behörden ihre
ohnehin zu knappen Ressourcen von anderen Bereichen abziehen. Als die Länder beispielsweise
im vergangenen Jahr die Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen vorbereiten sollten, mussten
das meist dieselben Ministerialbeamten organisieren, die für die Verteilung von Geflüchteten
zuständig waren. Mit dem Ergebnis, dass sie weniger gut dafür sorgen konnten, dass
Schutzsuchende passgenau und kosteneffizient zugewiesen werden.
Mehr Abschiebungen zu verordnen kann nun beispielsweise bedeuten, dass weniger Personal da
ist für Fachkräftevisa oder Einbürgerungen. Auch langsamere Asylverfahren könnten drohen,
wenn der Bund migrationsrechtlich geschultes Personal für Abschiebungen abziehen würde. Die
Unterstützung des Bundes bei Abschiebungen ist gut gemeint. Ländern und Kommunen würde es
aber vermutlich mehr helfen, wenn der Bund sich auf schnelle Asylverfahren konzentrierte.
Deutschland hat schon einmal die Integration im Abschottungstaumel
vergessen
Überhaupt: Was wünschen sich denn die Kommunen? Zumindest die Verwaltungsfachleute in
unseren eigenen Studien haben eher pragmatische Wünsche. Sie sehnen sich beispielsweise
nach einer gesicherten Finanzierung ihrer Koordinierungs- oder Beratungsstellen. Ein Großteil der
Integrationsarbeit ist nämlich nicht dauerhaft, sondern über befristete Haushaltstitel finanziert.
In Haushaltsdebatten wird daher um jeden Cent gerungen. In Zeiten knapper Kassen und
steigender Migrationsfeindlichkeit befürchten viele den Kahlschlag. Sie warnen vor eklatanten
Folgen für Integrationsprozesse und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In die fünf Punkte
von Friedrich Merz haben sie es damit nicht geschafft.
Deutschland hat schon einmal die Integration im Abschottungstaumel vergessen. Ausgelöst
durch die Ölpreiskrise wurde 1973 der Anwerbestopp für Gastarbeiter mit großem Tamtam
verkündet - mit mäßigem Erfolg. Die Menschen blieben und holten ihre Familien nach.
Integrationskurse des Bundes gab es aber erst sage und schreibe 32 Jahre später, im Jahr 2005.
Die Konzentration der Unionsmaßnahmen auf die 220.000 Ausreisepflichtigen mag aus
wahltaktischen Gründen nachvollziehbar sein. Angesichts der etwas mehr als drei Millionen
Schutzsuchenden, die bereits legal hier sind, verwundert sie allerdings. Nicht zu vergessen sind
zahlreiche andere Migrationsgruppen, Studierende, Fachkräfte oder deren Kinder. Bei ihnen allen
sorgen die aktuellen Debatten für Verunsicherung – und wo Unsicherheit und Ungewissheit
herrschen, geht es langsamer mit der Integration. Eine Binsenweisheit der Migrationsforschung.
Wie also möchte die Union Teilhabe am Arbeitsmarkt, in der Bildung, im sozialen Leben
erreichen? Wie will sie aus den Zugewanderten Deutsche machen? Und was ist eigentlich mit
unserem Fachkräfteproblem? Wie will sie diejenigen halten, die wir brauchen, die aber angesichts
der rhetorischen Aufrüstung keine Lust mehr auf Deutschland haben? Wir erfahren wenig
darüber.
Friedrich Merz bloßen Opportunismus zu unterstellen, würde ihm unrecht tun
Mit dem Fokus auf Zuwanderungsbegrenzung reagiert die CDU auf den vermeintlichen
Wählerwillen. Friedrich Merz aber bloßen Opportunismus zu unterstellen, würde ihm unrecht tun.
Der Säulenheilige konservativer Theorie, Carl Schmitt, hatte einst in Abgrenzung zur liberalen
Demokratietheorie formuliert: „Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, dass sie das
Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß.“
Pluralität ist aus dieser Perspektive eine Gefahr für die Demokratie. Wenn Friedrich Merz daher
Zuwanderung, doppelte Staatsbürgerschaft und Einbürgerung skeptisch sieht, dann geschieht
dies vermutlich auch aus Sorge um die Demokratie. Merz war es übrigens auch, der im Jahr 2000
den glücklosen Begriff der Leitkultur aus der wissenschaftlichen Debatte in die Politik überführte.
Tino Chrupalla hat vielleicht nicht ganz das Format von Carl Schmitt, dürfte dessen Dogmen
jedoch kennen. Er verwies diese Woche erfreut darauf, dass die AfD schon lange die Positionen
vertrete, die Merz nun verkünde. Es tritt an: Original gegen Kopie. Wer auf den Ausgang dieses
Rennens wetten will: Parteienforscher sehen immer das Original im Vorteil.
Doch zurück zu den konkreten Vorschlägen. Alle vollziehbar Ausreisepflichtigen in Haft nehmen.
Ist das wirksam und machbar? Zur Umsetzung eines solchen Plans müssten nicht nur Rechte
eingeschränkt, sondern auch große Lager gebaut und das Vollzugssystem entsprechend
ausgestattet werden. Dazu scheint die Union bereit. Wenn die Gerichte mitspielen, ist es
durchaus vorstellbar, dass mit großem personellem und finanziellem Aufwand ein paar Charter-
Maschinen mehr nach Afghanistan abheben.
In der Umsetzung stellen sich allerdings einige unbequeme Fragen, zum Beispiel: Was passiert
mit Familien? Kommen die auch in den Knast? Für wie lange? Gibt es eine Gefängnisschule?
Für Kinder und Migrantinnen scheinen Merz‘ Medikamente nicht gedacht
Apropos Familien, es fällt auf, dass sich die Punkte und Sofortmaßnahmen in der Migrationspolitik
oft an einer stereotypen Karikatur orientieren: dem jungen, allein reisenden muslimischen Mann
ohne Schutzbedarf, dafür mit gehörigem Aggressionsproblem. Was machen wir mit der
alleinerziehenden Mutter, ihren drei Kindern und der Oma? Für Kinder und Migrantinnen scheinen
Merz‘ Medikamente nicht gedacht. Ist das Absicht oder Schludrigkeit?
Fünfter Punkt auf der Zutatenliste der Merz-Pille: der Ausreisearrest für Straftäter und Gefährder.
Letztere sind Personen, bei denen die Sicherheitsbehörden ein hohes terroristisches Potenzial
vermuten. Sie sind ausreisepflichtig, können aber – beispielsweise wegen Staatenlosigkeit – nicht
abgeschoben werden. Das ist natürlich ein Problem. Doch was, wenn die Abschiebung mittel- bis
langfristig unmöglich wäre? Lebenslange Sicherheitsverwahrung ohne Tat und ohne Urteil?
Menschenrechtlich eigentlich undenkbar. Also bei guter Führung Hausarrest mit Fußfessel? Auch
schwierig, denn wer sich das Küchenmesser schnappt und zum Supermarkt um die Ecke
aufbricht, den kümmert wahrscheinlich eine Fußfessel wenig. Aber das ist natürlich nur
Spekulation. Also doch besser Programme zur Deradikalisierung?
Die Migrationspolitik mag schmerzen, aber ist sie auch die alleinige Ursache
unseres Unwohlseins?
Im beschleunigten Zulassungsverfahren der Fünf-Punkte-Pille bestehen in der Summe erhebliche
Zweifel an der Wirksamkeit. Schwere Nebenwirkungen sind absehbar. Doch selbst wenn die
Forschung unrecht hätte und die durch die Bundestagsmehrheit geforderten Maßnahmen
nebenwirkungsfrei blieben und ihren Zweck erfüllten, muss noch eine Frage erlaubt sein: Die
Migrationspolitik mag schmerzen, aber ist sie auch die alleinige Ursache unseres Unwohlseins?
Die Unterbringung Geflüchteter wird vor allem dann zum Problem, wenn die Menschen aus der
kommunalen Sammelunterkunft in ganz normalen Wohnraum vermittelt werden. Dort treffen sie
auf einen Wohnungsmarkt, dessen Dysfunktionalität vermutlich ohne Zuwanderung viel mehr
skandalisiert würde. Doch die Empörung richtet sich gegen die Migranten, die alle Wohnungen
wegschnappen würden. Die Schwierigkeiten bei der Beschulung zugewanderter Kinder könnten
als Ausdruck dafür gelesen werden, dass unser ganzes Bildungssystems konzeptionell und
personell hilfebedürftig ist. Doch lieber behandeln wir schlechte PISA-Ergebnisse als importiertes
Problem. Die fehlende psychosoziale Begleitung traumatisierter Schutzsuchender könnte den
Finger in die Wunde eines schwächelnden Gesundheitssystems legen. Doch die vorschnelle
Forderung nach Abschiebung lässt die Frage nach den Wartezeiten für Therapieplätze gar nicht
erst zu.
Der Verweis auf Zugewanderte lenkt uns ab von den großen sozialen Fragen
unserer Zeit
Wenn wir wirklich glauben, wir könnten all unsere strukturellen Herausforderungen durch
Migrationspolitik lösen, ist uns nicht mehr zu helfen. Der Verweis auf Zugewanderte lenkt uns ab
von den großen sozialen Fragen unserer Zeit. Aber vielleicht wollen wir uns ja selbst im Glauben
wiegen, alles würde gut, wenn wir nur die „Mutter aller Probleme“, wie der ehemalige
Bundesinnenminister Horst Seehofer die Migrationsfrage einst nannte, lösten. Und wenn eine
simpel gestrickte Sofortmaßnahme wieder nicht klappt, können wir weiter träumen, dass mit der
nächsten Maßnahme all die Krisen endlich kleiner würden.
Vom immer neuen Scheitern einer unterkomplexen Migrationspolitik profitieren natürlich vor
allem diejenigen, die das politische System sowieso auf den Kopf stellen wollen. Hält Politik nicht,
was sie verspricht, ist das für sie der Beweis, dass mehr Ordnung nur in einem anderen,
autoritären Staat möglich sei. Das ist zwar, wie die Migrationsforschung inzwischen weiß, zu kurz
gedacht. Denn auch autoritäre Staaten bekommen ihre Grenzen nicht ganz dicht. Doch erstmal
bleibt haften: Die Demokratie kann es nicht.
Zweifellos ist eine kluge Migrationspolitik innenpolitisch wichtig, um unsere Gesellschaft
zukunftsfähig aufzustellen, um Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken und Vielfalt zu
moderieren. Außenpolitisch leistet eine verantwortungsvolle, multilateral ausgerichtete
Migrationspolitik einen Beitrag, um Frieden zu sichern: Sie knüpft Bande zwischen
Gesellschaften, sie mildert globale Ungleichheit. Aber gegen viele gesellschaftliche und
staatliche Krankheiten unserer Zeit hilft Migrationspolitik eben nicht. Manche kann sie sogar
schlimmer machen. Selbst als Placebo.
Hannes Schammann ist Professor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Er ist
Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration.
Text: Hannes Schammann; Redaktion: Ann-Kathrin Eckardt; Digitales Design: Christian
Tönsman
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/gesellschaft/migration-fuenf-punkte-plan-analyse-e656180/?reduced=true
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Dienstag, 28. Januar 2025
Das Sklavenschiff - eine Metapher für die Geschichte der Menschheit
che2001, 18:32h
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Mittwoch, 18. Dezember 2024
Landtagskommission kritisiert Bezahlkarte für Flüchtlinge in Niedersachsen
che2001, 18:11h
Die Kommission für Migration und Teilhabe hat auf ihrer Sitzung am 17.12.2024 auf Antrag des AMFN e.V., des Flüchtlingsrats Niedersachsen und des Niedersächsischen Integrationsrats den anliegenden Beschluss gegen die Einführung einer diskriminierenden "Bezahlkarte" gefasst. Wir dokumentieren den Beschluss auch hier im Wortlaut:
18. Dezember 2024
https://www.nds-fluerat.org/61238/aktuelles/61238/
Beschluss vom 17.12.2024:
Die Kommission für Migration und Teilhabe lehnt die Einführung einer diskriminierenden Bezahlkarte für Asylsuchende in Niedersachsen ab. Sie fordert die Landesregierung auf, die Vorbereitungen zu ihrer Einführung sofort zu stoppen und stattdessen eine Gesundheitskarte für alle sowie die Verabschiedung eines Landes-Antidiskriminierungsgesetzes auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Begründung:
Eine Digitalisierung von Leistungen des Landes ist grundsätzlich begrüßenswert und sinnvoll. Durch die Digitalisierung und die Vereinfachung von Verwaltungsprozessen kann eine Bezahlkarte sinnvoll sein, wenn sie – wie in Hannover oder Wolfsburg – diskriminierungsfrei umgesetzt wird. Das vom Land ausgearbeitete Umsetzungskonzept für die Bezahlkarte sieht jedoch wesentliche Beschränkungen im Bereich Bargeldabhebung und Überweisungen für Asylsuchende und Geduldete vor, die die Kommission für Migration und Teilhabe als diskriminierend bewertet und ablehnt. Während die Einführung der Bezahlkarte für alle Kommunen verpflichtend sein soll, verzichtet die Landesregierung bislang darauf, auch die seit langem geforderte Ausgabe einer Gesundheitskarte für alle Schutzsuchenden verpflichtend vorzuschreiben. Ausgerechnet im Bereich der Gesundheitsversorgung für Geflüchtete ist eine Digitalisierung bislang weiterhin nicht vorgesehen.
Das Konzept des Landes sieht für den betroffenen Personenkreis einen Vorrang von Sachleistungen statt Bargeld vor. Überweisungen und Lastschriften sollen nur eingeschränkt möglich oder ganz ausgeschlossen werden. Der verfügbare Bargeldbetrag soll auf 50 € monatlich beschränkt werden. Diese Differenzierung nach Status stellt eine Ungleichbehandlung aufgrund des sozialen Status dar. Eine Ungleichbehandlung besteht hier vor allem gegenüber leistungsberechtigten Personen des Sozialrechts, die Sozialleistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums, wie Bürgergeld oder Sozialhilfe, im Regelfall als Geldleistung erhalten.
Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folgt der Logik eines überwunden geglaubten Abschreckungskonzepts, das darauf zielt, Geflüchtete durch eine schäbige Behandlung von einer Flucht nach Deutschland abzuhalten. Die Aussage, Geflüchtete würden wegen der besseren Sozialleistungen hierzulande fliehen, widerspricht aber jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Karte macht den Betroffenen das Leben unnötig schwer: Mit einer Bezahlkarte ist ein Einkauf auf Flohmärkten oder Secondhandshops nicht möglich. Auch der Kauf eines Deutschlandtickets, Handyverträge, Raten für den Rechtsbeistand, günstige Einkäufe beim Trödel oder bei Ebay werden erschwert oder verunmöglicht. Damit wird durch die Bezahlkarte das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum weiter unterschritten, das schon jetzt für Geflüchtete in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts um fast 20% unter dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum liegt. Die in Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist aber, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner bahnbrechenden Entscheidung vom 18.07.2012 zu Protokoll gegeben hat, „migrationspolitisch nicht zu relativieren“.
Die niedersächsische Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen, „dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.“ Deshalb appellieren wir an die rot-grüne Landesregierung, sich auf ihre Versprechen zu besinnen und die Gleichbehandlung aller Menschen in Niedersachsen sicherzustellen. Wir fordern:
Einführung einer “Social Card” statt einer diskriminierenden Bezahlkarte!
Einführung einer Gesundheitskarte für alle
Verabschiedung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes in Niedersachsen
18. Dezember 2024
https://www.nds-fluerat.org/61238/aktuelles/61238/
Beschluss vom 17.12.2024:
Die Kommission für Migration und Teilhabe lehnt die Einführung einer diskriminierenden Bezahlkarte für Asylsuchende in Niedersachsen ab. Sie fordert die Landesregierung auf, die Vorbereitungen zu ihrer Einführung sofort zu stoppen und stattdessen eine Gesundheitskarte für alle sowie die Verabschiedung eines Landes-Antidiskriminierungsgesetzes auf die politische Tagesordnung zu setzen.
Begründung:
Eine Digitalisierung von Leistungen des Landes ist grundsätzlich begrüßenswert und sinnvoll. Durch die Digitalisierung und die Vereinfachung von Verwaltungsprozessen kann eine Bezahlkarte sinnvoll sein, wenn sie – wie in Hannover oder Wolfsburg – diskriminierungsfrei umgesetzt wird. Das vom Land ausgearbeitete Umsetzungskonzept für die Bezahlkarte sieht jedoch wesentliche Beschränkungen im Bereich Bargeldabhebung und Überweisungen für Asylsuchende und Geduldete vor, die die Kommission für Migration und Teilhabe als diskriminierend bewertet und ablehnt. Während die Einführung der Bezahlkarte für alle Kommunen verpflichtend sein soll, verzichtet die Landesregierung bislang darauf, auch die seit langem geforderte Ausgabe einer Gesundheitskarte für alle Schutzsuchenden verpflichtend vorzuschreiben. Ausgerechnet im Bereich der Gesundheitsversorgung für Geflüchtete ist eine Digitalisierung bislang weiterhin nicht vorgesehen.
Das Konzept des Landes sieht für den betroffenen Personenkreis einen Vorrang von Sachleistungen statt Bargeld vor. Überweisungen und Lastschriften sollen nur eingeschränkt möglich oder ganz ausgeschlossen werden. Der verfügbare Bargeldbetrag soll auf 50 € monatlich beschränkt werden. Diese Differenzierung nach Status stellt eine Ungleichbehandlung aufgrund des sozialen Status dar. Eine Ungleichbehandlung besteht hier vor allem gegenüber leistungsberechtigten Personen des Sozialrechts, die Sozialleistungen zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums, wie Bürgergeld oder Sozialhilfe, im Regelfall als Geldleistung erhalten.
Der Beschluss, eine Bezahlkarte einzuführen, folgt der Logik eines überwunden geglaubten Abschreckungskonzepts, das darauf zielt, Geflüchtete durch eine schäbige Behandlung von einer Flucht nach Deutschland abzuhalten. Die Aussage, Geflüchtete würden wegen der besseren Sozialleistungen hierzulande fliehen, widerspricht aber jeder wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Karte macht den Betroffenen das Leben unnötig schwer: Mit einer Bezahlkarte ist ein Einkauf auf Flohmärkten oder Secondhandshops nicht möglich. Auch der Kauf eines Deutschlandtickets, Handyverträge, Raten für den Rechtsbeistand, günstige Einkäufe beim Trödel oder bei Ebay werden erschwert oder verunmöglicht. Damit wird durch die Bezahlkarte das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum weiter unterschritten, das schon jetzt für Geflüchtete in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts um fast 20% unter dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum liegt. Die in Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist aber, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner bahnbrechenden Entscheidung vom 18.07.2012 zu Protokoll gegeben hat, „migrationspolitisch nicht zu relativieren“.
Die niedersächsische Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „Rassismus mit aller Kraft“ zu bekämpfen, und versprochen, „dass alle ankommenden Geflüchteten in Niedersachsen gleich behandelt werden und ihnen möglichst schnell ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.“ Deshalb appellieren wir an die rot-grüne Landesregierung, sich auf ihre Versprechen zu besinnen und die Gleichbehandlung aller Menschen in Niedersachsen sicherzustellen. Wir fordern:
Einführung einer “Social Card” statt einer diskriminierenden Bezahlkarte!
Einführung einer Gesundheitskarte für alle
Verabschiedung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes in Niedersachsen
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Freitag, 13. Dezember 2024
Gemeinsame Pressemitteilung zum Prozessende.Solidaritätskreis Mouhamed und Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
che2001, 12:33h
Am 12. Dezember 2024 wurde nach einem Jahr Prozess gegen fünf Polizist*innen das Urteil verkündet. Diese waren an der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt.
Alle fünf Polizist*innen wurden freigesprochen. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.
Der Solidaritätskreis und das Grundrechtekomitee sind fassungslos, wütend und traurig. Es geht nicht um die Angemessenheit von Strafe, sondern um das völlige Fehlen einer Verantwortungsübernahme. Das Gericht billigte mit den Freisprüchen und der Würdigung das Einsatzverhalten aller 5 Beamt*innen., die tödliche Einsatzlogik wurde anerkannt.
Die 5 Polizist*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, werden weiterhin ihre Berufe ausüben dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren. Eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme durch die Polizei stehen auch nach einem Jahr Prozess weiterhin aus.
„Das heutige Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“ , kritisiert Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet hat..
Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed kritisiert: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben: Zukünftige Urteile werden sich darauf beziehen. Damit rückt eine selbstkritische Reflexion und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seitens der Polizei in weite Ferne. Das ist fatal, denn wir brauchen strukturelle Veränderungen, um weitere Tötungen durch die Polizei zu verhindern.“
Mouhameds Familie fordert, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben.
Der Prozess ist durch Ungleichheit gekennzeichnet gewesen. Die Brüder Sidy und Lassana Dramé wurden von der Stadt Dortmund nicht darin unterstützt, dem Prozess beizuwohnen. Dies musste von zivilen Akteur*innen und zahlreiche Spender*innen erstritten werden, welche Visa organisierten sowie die Kosten des Aufenthalts privat finanzierten .Auch das Urteil leistet keine Anerkennung des Leids der Familie und der Belastung durch den Prozess: Mouhamed kam als Mensch nicht vor. Die Entschuldigung des Schützen Fabian S. fand im Zuge seiner PR-Kampagne im Sommer statt, mit der es ihm – erfolgreich – gelang, sein Image aufzubessern. Seinem Exklusivinterview und seinen Aussagen wurde deutlich mehr Gewicht gegeben als den Perspektiven der Familie Mouhameds - was einer Täter-Opfer-Umkehr und der Inszenierung einer Notwehrsituation den Weg bereitete.
Der Kampf um ein würdevolles Gedenken an Mouhamed Dramé, Gerechtigkeit für seine Familie und ein Ende tödlicher Polizeigewalt werden auch nach dem Prozess weitergehen.
Dazu ruft der Solidaritätskreis am 14.12, um 13:12 Uhr, mit dem Startpunkt Katharinentreppen, zu einer Demonstration auf, um das Urteil zu skandalisieren und weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed, seine Familie und Betroffenen von tödlicher Polizeigewalt zu fordern.
No Justice, no Peace.
--
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostraße 7-11
50670 Köln
https://www.grundrechtekomitee.de/
Tel.: 0221- 972 69 30
Alle fünf Polizist*innen wurden freigesprochen. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.
Der Solidaritätskreis und das Grundrechtekomitee sind fassungslos, wütend und traurig. Es geht nicht um die Angemessenheit von Strafe, sondern um das völlige Fehlen einer Verantwortungsübernahme. Das Gericht billigte mit den Freisprüchen und der Würdigung das Einsatzverhalten aller 5 Beamt*innen., die tödliche Einsatzlogik wurde anerkannt.
Die 5 Polizist*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, werden weiterhin ihre Berufe ausüben dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren. Eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme durch die Polizei stehen auch nach einem Jahr Prozess weiterhin aus.
„Das heutige Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“ , kritisiert Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet hat..
Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed kritisiert: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben: Zukünftige Urteile werden sich darauf beziehen. Damit rückt eine selbstkritische Reflexion und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seitens der Polizei in weite Ferne. Das ist fatal, denn wir brauchen strukturelle Veränderungen, um weitere Tötungen durch die Polizei zu verhindern.“
Mouhameds Familie fordert, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben.
Der Prozess ist durch Ungleichheit gekennzeichnet gewesen. Die Brüder Sidy und Lassana Dramé wurden von der Stadt Dortmund nicht darin unterstützt, dem Prozess beizuwohnen. Dies musste von zivilen Akteur*innen und zahlreiche Spender*innen erstritten werden, welche Visa organisierten sowie die Kosten des Aufenthalts privat finanzierten .Auch das Urteil leistet keine Anerkennung des Leids der Familie und der Belastung durch den Prozess: Mouhamed kam als Mensch nicht vor. Die Entschuldigung des Schützen Fabian S. fand im Zuge seiner PR-Kampagne im Sommer statt, mit der es ihm – erfolgreich – gelang, sein Image aufzubessern. Seinem Exklusivinterview und seinen Aussagen wurde deutlich mehr Gewicht gegeben als den Perspektiven der Familie Mouhameds - was einer Täter-Opfer-Umkehr und der Inszenierung einer Notwehrsituation den Weg bereitete.
Der Kampf um ein würdevolles Gedenken an Mouhamed Dramé, Gerechtigkeit für seine Familie und ein Ende tödlicher Polizeigewalt werden auch nach dem Prozess weitergehen.
Dazu ruft der Solidaritätskreis am 14.12, um 13:12 Uhr, mit dem Startpunkt Katharinentreppen, zu einer Demonstration auf, um das Urteil zu skandalisieren und weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed, seine Familie und Betroffenen von tödlicher Polizeigewalt zu fordern.
No Justice, no Peace.
--
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostraße 7-11
50670 Köln
https://www.grundrechtekomitee.de/
Tel.: 0221- 972 69 30
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Donnerstag, 12. Dezember 2024
Aufruf zur Demo gegen die Bezahlkarte für Flüchtlinge
che2001, 16:51h
Am 16. 12. um 18 Uhr auf dem Altstadtmarkt in Braunschweig.
Und diese Studie hier zeigt, dass kaum Geld in die Heimat überwiesen wird:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-12/migration-gefluechtete-ueberweisungen-ausland-studie
"Die Vorstellung, dass Geflüchtete, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in großem Umfang Geld ins Ausland schicken, entbehrt jeder empirischen Grundlage", sagte Studienautorin Sabine Zinn.
Und diese Studie hier zeigt, dass kaum Geld in die Heimat überwiesen wird:
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2024-12/migration-gefluechtete-ueberweisungen-ausland-studie
"Die Vorstellung, dass Geflüchtete, die auf Grundsicherung angewiesen sind, in großem Umfang Geld ins Ausland schicken, entbehrt jeder empirischen Grundlage", sagte Studienautorin Sabine Zinn.
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