Freitag, 18. Oktober 2024
Afghanische Frauen sind per se verfolgt und schutzbedürftig
che2001, 17:01h
Mit Urteil vom 4. Oktober 2024 sieht der Europäische Gerichtshof (EuGH) alle Frauen in Afghanistan im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) als verfolgt an. Dabei komme es allein auf die Staatsangehörigkeit und das Geschlecht an. Frauen bilden somit eine schutzbedürftige soziale Gruppe, ein Nachweis der individuellen Betroffenheit ist nicht notwendig.
"Für alle in Deutschland lebende Frauen und Mädchen mit nationalem Abschiebungsverbot (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 AufenthG) oder
subsidiärem Schutz (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative AufenthG) empfiehlt es sich einen Asylfolgeantrag nach § 71 AsylG zu stellen. Sie würden nach erfolgreichem Folgeverfahren eine Flüchtlingseigenschaft und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (§ 25 Absatz 2 Satz 1 erste Alternative AufenthG). Ein Folgeantrag mit Verweis auf dieses Urteil ist nicht möglich, wenn in einem anderenEU-Staat ein Schutzstatus erteilt wurde und diesbezüglich eine Duldung oder ein Abschiebungsverbot besteht. "
"Für alle in Deutschland lebende Frauen und Mädchen mit nationalem Abschiebungsverbot (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 3 AufenthG) oder
subsidiärem Schutz (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative AufenthG) empfiehlt es sich einen Asylfolgeantrag nach § 71 AsylG zu stellen. Sie würden nach erfolgreichem Folgeverfahren eine Flüchtlingseigenschaft und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (§ 25 Absatz 2 Satz 1 erste Alternative AufenthG). Ein Folgeantrag mit Verweis auf dieses Urteil ist nicht möglich, wenn in einem anderenEU-Staat ein Schutzstatus erteilt wurde und diesbezüglich eine Duldung oder ein Abschiebungsverbot besteht. "
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Freitag, 4. Oktober 2024
Kirchenasyl in Hamburg geräumt
che2001, 11:02h
Für Dienstag ist eine Mahnwache angekündigt. Hier das gemeinsame Statement zur Räumung von Hamburgasyl und Fluchtpunkt: https://hamburgasyl.de/stellungnahme-raeumung-kirchenasyl/
Stellungnahme Räumung Kirchenasyl
Veröffentlicht am 3. Oktober 2024
Wir sind entsetzt über den Bruch des Kirchenasyls in der katholischen Heilige-Elisabeth-Pfarrgemeinde in Hamburg-Bergedorf. Das Eindringen von Polizei und Ausländerbehörde in den geschützten Raum der Kirche ist in Hamburg bislang beispiellos und darf sich nicht wiederholen.
Kirchenasyl ist gelebte Verantwortung. Die Kirchengemeinde, die einem geflüchteten Menschen Zuflucht gewährt, tut dies nach gewissenhafter Prüfung und in Achtung des christlichen Gebots der Nächstenliebe. Diese Gewissensentscheidung wurde in Hamburg bislang stets respektiert. Die einseitige Aufkündigung dieses Konsenses durch die Innenbehörde zeigt einen Kulturwandel auf, der uns über das Asylrecht hinaus Sorgen machen sollte.
Das Kirchenasyl kann die Möglichkeit bieten, in schwierigen Fällen noch einmal einen Gesprächsfaden zu den Behörden anzuknüpfen. Dieser Schutzraum, sinnbildlich gemacht durch die Aufnahme in kirchliche Räume, muss erhalten bleiben.
Zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist 2018 vereinbart worden, dass jeder Fall eines ins Kirchenasyl aufgenommenen Menschen sorgfältig auf mögliche Härtefallgründe geprüft werden soll. Die Gemeinden wenden deshalb viel Mühe auf, um Dossiers zusammenzustellen, die den Einzelfall beleuchten. Leider erleben wir sehr häufig, dass diese durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stereotyp abgelehnt werden mit Textbaustein-Begründungen, die dem Einzelfall nicht gerecht werden.
Auch im konkreten Fall in Bergedorf war ein junger Mensch aus Afghanistan in großer Not. Der Betroffene leidet unter einer psychischen Erkrankung, für die er in Schweden keine Hilfe findet, da Schweden abgelehnten Asylsuchenden keine Hilfen mehr gewährt, sondern sie in die Obdachlosigkeit entlässt. Zudem wurde er mit der Abschiebung nach Afghanistan bedroht. Nach deutschen Rechtsmaßstäben wäre ihm dagegen höchstwahrscheinlich ein Aufenthaltsrecht gewährt worden.
Wir rufen den rot-grünen Senat auf, das Gespräch mit den Kirchen zu suchen und von weiteren Räumungen Abstand zu nehmen. Hamburg darf sich hier nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Druck setzen, sich nicht in den Strudel einer überhitzten politischen Debatte hineinziehen lassen. Die Qualität einer humanen Flüchtlingspolitik bemisst sich nicht in der Zahl durchgeführter Abschiebungen.
Stellungnahme Räumung Kirchenasyl
Veröffentlicht am 3. Oktober 2024
Wir sind entsetzt über den Bruch des Kirchenasyls in der katholischen Heilige-Elisabeth-Pfarrgemeinde in Hamburg-Bergedorf. Das Eindringen von Polizei und Ausländerbehörde in den geschützten Raum der Kirche ist in Hamburg bislang beispiellos und darf sich nicht wiederholen.
Kirchenasyl ist gelebte Verantwortung. Die Kirchengemeinde, die einem geflüchteten Menschen Zuflucht gewährt, tut dies nach gewissenhafter Prüfung und in Achtung des christlichen Gebots der Nächstenliebe. Diese Gewissensentscheidung wurde in Hamburg bislang stets respektiert. Die einseitige Aufkündigung dieses Konsenses durch die Innenbehörde zeigt einen Kulturwandel auf, der uns über das Asylrecht hinaus Sorgen machen sollte.
Das Kirchenasyl kann die Möglichkeit bieten, in schwierigen Fällen noch einmal einen Gesprächsfaden zu den Behörden anzuknüpfen. Dieser Schutzraum, sinnbildlich gemacht durch die Aufnahme in kirchliche Räume, muss erhalten bleiben.
Zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist 2018 vereinbart worden, dass jeder Fall eines ins Kirchenasyl aufgenommenen Menschen sorgfältig auf mögliche Härtefallgründe geprüft werden soll. Die Gemeinden wenden deshalb viel Mühe auf, um Dossiers zusammenzustellen, die den Einzelfall beleuchten. Leider erleben wir sehr häufig, dass diese durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stereotyp abgelehnt werden mit Textbaustein-Begründungen, die dem Einzelfall nicht gerecht werden.
Auch im konkreten Fall in Bergedorf war ein junger Mensch aus Afghanistan in großer Not. Der Betroffene leidet unter einer psychischen Erkrankung, für die er in Schweden keine Hilfe findet, da Schweden abgelehnten Asylsuchenden keine Hilfen mehr gewährt, sondern sie in die Obdachlosigkeit entlässt. Zudem wurde er mit der Abschiebung nach Afghanistan bedroht. Nach deutschen Rechtsmaßstäben wäre ihm dagegen höchstwahrscheinlich ein Aufenthaltsrecht gewährt worden.
Wir rufen den rot-grünen Senat auf, das Gespräch mit den Kirchen zu suchen und von weiteren Räumungen Abstand zu nehmen. Hamburg darf sich hier nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Druck setzen, sich nicht in den Strudel einer überhitzten politischen Debatte hineinziehen lassen. Die Qualität einer humanen Flüchtlingspolitik bemisst sich nicht in der Zahl durchgeführter Abschiebungen.
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Freitag, 13. September 2024
Wir werden nicht überrannt
che2001, 18:32h
Migrationsforscherin Ramona Rischke zur Asyldebatte:
https://web.de/magazine/politik/migrationsforscherin-stellt-ueberrannt-40122118
https://web.de/magazine/politik/migrationsforscherin-stellt-ueberrannt-40122118
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Donnerstag, 12. September 2024
Deutschland im Notstand? Veirrungen und Verwirrungen in der Asyldebatte
che2001, 00:02h
https://www.nds-fluerat.org/60340/aktuelles/selektive-ueberforderung/
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fordern demokratische Parteien die Ausrufung eines übergesetzlichen, „nationalen Notstands“, um sich über eine bestehende Rechtslage und verbindliche Gerichtsurteile hinwegzusetzen. Es sind dramatische Worte, mit denen die Vorsitzenden der CDU/CSU und der FDP einen „nationalen Notstand“ beim Asylrecht beschwören: Die hohe Zahl der Menschen, die derzeit nach Deutschland gelangt, überfordere unser Gemeinwesen. Der Anteil der Kinder ohne deutsche Muttersprache sei „so hoch, dass der Bildungserfolg ganzer Schulklassen gefährdet ist“, so Friedrich Merz (Newsletter vom 31.08.2024). “ „Die Leute haben die Schnauze voll davon, dass dieser Staat möglicherweise die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Asyl nach Deutschland“, assistiert Christian Lindner (Tagesschau vom 05.09.2024). Auch Markus Söder beklagt: „Wir sind mit den Folgen und der Integration überfordert – und zwar nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen. Sondern wir sind auch zum Teil kulturell überfordert. (…) Und die Wahrheit ist einfach: Es ist uns über den Kopf gewachsen.“ (Tagesschau vom 08.09.2024)
Die Beschreibungen geben Anlass, sich diese „Überforderung“ einmal näher anzusehen: Vernachlässigen wir an dieser Stelle den strukturellen Rassismus eines Söder, der mit der Feststellung einer „kulturellen Überforderung“ noch ein qualitatives „Argument“ in die Diskussion bringt, und widmen uns allein den Zahlen: Wie stellt sich das Migrationsgeschehen in Deutschland in den vergangenen Jahren und aktuell dar? Ein Blick auf die Wanderungsbewegungen aus und nach Deutschland macht klar, dass Deutschland ganz offensichtlich in starkem Maße von Migration geprägt und abhängig ist:
Im Jahr 2023 sind 1,9 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen. Die Anzahl der Auswander*innen aus Deutschland betrug im selben Jahr rund 1,3 Millionen. Der Wanderungssaldo, also der Saldo zwischen Zuzügen und Fortzügen, betrug demnach plus 600.000. Die Nettozuwanderung lag damit um 55 % niedriger als im Jahr 2022, als eine Rekordzahl von 2,67 Mio Menschen nach Deutschland zuwanderten. Dieser hohe Wert ist im Wesentlichen auf die Aufnahme von 1,1 Millionen Schutzsuchenden aus der Ukraine zurückzuführen. 1,2 Millionen Menschen verließen die Bundesrepublik. Im Saldo lässt sich für das Jahr 2022 eine Zzuwanderung von 1,46 Mio Menschen feststellen. 2021 wurden 1.32 Mio Zuzüge und 990.000 Fortzüge erfasst. Die Nettomigration lag bei rund 330.000 Personen. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 1.19 Mio Zuzüge und 970.000 Fortzüge erfasst. Resultat dieser Entwicklungen ist ein Wanderungssaldo von +220.000 Personen, ein deutlich geringerer Wert als im Jahr 2019 (+330.000 Personen).
Gemessen an diesen Zahlen erscheint die Zahl der erfassten Asylsuchenden pro Jahr vergleichsweise klein: Bis zur Jahresmitte 2024 wurden gerade mal 120.000 Asylerstanträge registriert.
Im Jahr 2023 entfielen mit 329.000 Asylerstanträgen rund 17% aller Zuwanderungen auf Asyl. Im Jahr 2022 wurden 218.000 Asylerstanträge gestellt. Gemessen an der Gesamtzuwanderung des Jahres 2022 waren das gerade mal 8 %. Auch in den Vorjahren bewegte sich der Anteil der Asylsuchenden an der Gesamtzuwanderung in dieser Größenordnung (2019: 9%; 2020: 8%; 2021: 16%). Selbst 2015 und 2016, als die Bundesrepublik Rekordzahlen für Asylsuchende verzeichnete, machten Geflüchtete unter den Zugewanderten weniger als ein Viertel aus (2015: 23%; 2016: 17%, siehe Fachkräftemonitor 2023, S. 23).
Im Umkehrschluss bedeutet das auch: Zwischen 77% und 92% aller Zugewanderten haben in den vergangenen zehn Jahren keinen Asylantrag gestellt. Wenn wir die Sondersituation des Jahres 2022 außer acht lassen, als ukrainische Schutzsuchende mit über einer Million Menschen die größte Zuwanderungsgruppe darstellten, fällt die überwiegende Zuwanderung auf Menschen aus EU-Staaten: Die EU-Binnenmigration liegt traditionell zwischen 30% und 50% aller Zuwanderungen. 2022 war ein Ausnahmejahr, da betrug der Anteil der EU-Zuwanderungen mit über 600.000 Menschen „nur“ 20% – die Zahl ist aber immer noch knapp dreimal höher als die Zahl der Asylsuchenden im gleichen Jahr. 217.000 Menschen kamen allein aus Rumänien nach Deutschland – das waren fast ebenso viele, wie aus allen Ländern der Welt über Asyl nach Deutschland kamen. 100.000 wanderten aus Polen ein, 77.000 aus Bulgarien. 180.000 zogen als „deutsche Staatsangehörige“ nach Deutschland. 90.000 kamen im Rahmen des Familiennachzugs, 70.000 zu Erwerbszwecken, 60.000 im Rahmen eines Bildungsangebotes.
Für 2023 liegen noch nicht alle Zahlen vor, aber erneut ist die Gruppe der EU_Bürger*innen mit rund 466.500 Menschen die größte Zuwanderungsgruppe. Die meisten EU-Einwanderer*innen kamen 2023 aus Rumänien (rund 152.300), Polen (79.000) und Bulgarien (51.700). Aus der Ukraine kamen 2023 insgesamt 276 000 Personen.
Fazit:
Für Deutschland lässt sich ein bemerkenswert hohes und über die Jahre tendenziell ansteigendes Migrationsgeschehen feststellen. Angesichts der hohen Zuwanderungszahlen vergrößern sich die bereits seit Jahren aufgelaufenen Probleme im Wohnungs- und Bildungsbereich. Die Aufnahme von Schutzsuchenden über das Asylrecht macht in dem Gesamtgeschehen allerdings nur einen kleinen Teil aus. Für die langfristigen Versäumnisse im Bildungsbereich und beim sozialen Wohnungsbau sind Asylsuchende weder verantwortlich, noch lassen sich die Probleme auf ihrem Rücken lösen. Dennoch wird eine „Lösung“ allein beim Thema Asyl verortet.
Die vor allem von der CDU/CSU, aber auch von der FDP vorgenommene Zuspitzung der Diskussion auf Fragen der Asylgewährung ist sachlich unbegründet: Auch andere Zuwanderungsgruppen benötigen Wohnraum, Schul- und Kindergartenplätze. Die Ausrufung eines „nationalen Notstands“ aufgrund des aktuellen Asylgeschehens ist offenkundig nicht gerechtfertigt und drückt eher den Unwillen als das Unvermögen der beteiligten Politiker*innen aus, für menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu sorgen. Nicht die Kontrolle über das Asylgeschehen ist verloren gegangen, sondern die Debatte darüber ist völlig außer Kontrolle, weil besonnene und mäßigende Stimmen fehlen. Leider setzen auch die Parteispitzen von SPD und Grünen dem Notstandsgerede bislang nichts Substanzielles entgegen und suchen den Schulterschluss mit der Opposition. Von dieser Entwicklung profitiert vor allem die AFD, die nicht zu Unrecht für sich reklamiert, die Tonlage vorgegeben zu haben. Dass man auch anders und pragmatisch die mit der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland verbundenen Herausforderungen meistern kann, hat die deutsche Politik 2022 bewiesen, als die den Betroffenen alle Möglichkeiten eröffnete, sich selbst zu helfen und bei Freund*innen und Bekannten unterzukommen (siehe dazu ausführlich unseren Kommentar vom 18.09.2023: Kritische Anmerkungen zur aktuellen Asyldiskussion).
Das Asylrecht steht als subjektives Recht in unserer Verfassung und ist völkerrechtlich geschützt, weil sich nach den Erfahrungen von Krieg und Faschismus nie wieder die Situation wiederholen sollte, dass Schutzsuchende an Grenzen abgewiesen und in Verfolgerstaaten zurückgezwungen werden. Insofern verbieten sich Zahlenspiele, die Flüchtlingsaufnahme ist nicht auf eine willkürlich gewählte Zahl kontingentierbar. Dennoch lohnt sich in der Debatte auch ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Lage: Deutschland benötigt nach Aussagen des DIW-Chefs Fratzscher jährlich rund eine halbe Million zusätzliche Arbeitskräfte, um den Arbeitskräftebedarf der Bundesrepublik Deutschlands für die Zukunft zu decken. Diese Arbeitskräfte haben Partner*innen, Kinder und Familienangehörige, insofern wird es nicht bei einer halben Million bleiben. Es wäre mehr als zynisch und wird auch nicht funktionieren, Schutzsuchende unter Beschwörung eines „Nationalen Notstands“ an den Grenzen abzuweisen und dann den Fachkräften eine „Willkommenskultur“ vorzugaukeln. Und es ist mehr als logisch, zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs auch Geflüchtete einzubeziehen, deren Integration in den Arbeitsmarkt seit 2015 ganz gut geklappt hat: Von den 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten hatten knapp zwei Drittel sieben Jahre später eine Arbeit. 90 Prozent dieser Beschäftigten sind sozialversicherungspflichtig angestellt, rund drei Viertel in einer Vollzeitstelle. Um den Arbeitskräftebedarf in Deutschland zu decken, braucht es ein Werben um Arbeitskräfte u n d verstärkte Anstrengungen für eine Arbeitsmarktintegration auch derjenigen, die als Geflüchtete unter uns leben.
Ein pragmatischer Umgang mit den Herausforderungen erfordert zunächst einmal verbale Abrüstung und einen nüchternen Blick auf die Faktenlage. Die verbale Ausgrenzung und Kriminalisierung beginnt schon mit der Begrifflichkeit, mit der wir über Geflüchtete sprechen: Asylsuchende sind keine „irreguläre Migrant*innen“, sondern Menschen in Not, die ein verbrieftes Grundrecht in Anspruch nehmen, für das es ein geordnetes Verfahren gibt. Zu einer rationalen Betrachtung gehört die Erkenntnis, dass die Gefahr eines Terroranschlags durch Islamisten unabhängig von der Asylthematik besteht: In Großbritannien, Frankreich oder Belgien ist es trotz geringer Asylzahlen zu mehr Anschlägen gekommen als in Deutschland. Es ist nicht auszuschließen, dass islamistische Terroristen das Asylrecht missbrauchen, aber die übergroße Mehrzahl der Geflüchteten sucht Schutz vor islamistischer Gewalt und autoritärer Verfolgung. Es wäre widersinnig und fragwürdig, den Opfern von islamistischen Terrorregimen den Schutz zu verweigern und zur Organisation von Abschiebungen mit den Vertretungen dieser Regime zusammenzuarbeiten. Gegen Autoritarismus und Terrorismus braucht es einen starken Staat, der die Verfassung, die demokratischen Werte und die Menschenrechte verteidigt und mit den Opfern von Verfolgung Solidarität und Empathie zeigt.
--
Kai Weber Geschäftsführer
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.,
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fordern demokratische Parteien die Ausrufung eines übergesetzlichen, „nationalen Notstands“, um sich über eine bestehende Rechtslage und verbindliche Gerichtsurteile hinwegzusetzen. Es sind dramatische Worte, mit denen die Vorsitzenden der CDU/CSU und der FDP einen „nationalen Notstand“ beim Asylrecht beschwören: Die hohe Zahl der Menschen, die derzeit nach Deutschland gelangt, überfordere unser Gemeinwesen. Der Anteil der Kinder ohne deutsche Muttersprache sei „so hoch, dass der Bildungserfolg ganzer Schulklassen gefährdet ist“, so Friedrich Merz (Newsletter vom 31.08.2024). “ „Die Leute haben die Schnauze voll davon, dass dieser Staat möglicherweise die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Asyl nach Deutschland“, assistiert Christian Lindner (Tagesschau vom 05.09.2024). Auch Markus Söder beklagt: „Wir sind mit den Folgen und der Integration überfordert – und zwar nicht nur, was Kitas betrifft und Schulen und Wohnungen. Sondern wir sind auch zum Teil kulturell überfordert. (…) Und die Wahrheit ist einfach: Es ist uns über den Kopf gewachsen.“ (Tagesschau vom 08.09.2024)
Die Beschreibungen geben Anlass, sich diese „Überforderung“ einmal näher anzusehen: Vernachlässigen wir an dieser Stelle den strukturellen Rassismus eines Söder, der mit der Feststellung einer „kulturellen Überforderung“ noch ein qualitatives „Argument“ in die Diskussion bringt, und widmen uns allein den Zahlen: Wie stellt sich das Migrationsgeschehen in Deutschland in den vergangenen Jahren und aktuell dar? Ein Blick auf die Wanderungsbewegungen aus und nach Deutschland macht klar, dass Deutschland ganz offensichtlich in starkem Maße von Migration geprägt und abhängig ist:
Im Jahr 2023 sind 1,9 Millionen Menschen nach Deutschland zugezogen. Die Anzahl der Auswander*innen aus Deutschland betrug im selben Jahr rund 1,3 Millionen. Der Wanderungssaldo, also der Saldo zwischen Zuzügen und Fortzügen, betrug demnach plus 600.000. Die Nettozuwanderung lag damit um 55 % niedriger als im Jahr 2022, als eine Rekordzahl von 2,67 Mio Menschen nach Deutschland zuwanderten. Dieser hohe Wert ist im Wesentlichen auf die Aufnahme von 1,1 Millionen Schutzsuchenden aus der Ukraine zurückzuführen. 1,2 Millionen Menschen verließen die Bundesrepublik. Im Saldo lässt sich für das Jahr 2022 eine Zzuwanderung von 1,46 Mio Menschen feststellen. 2021 wurden 1.32 Mio Zuzüge und 990.000 Fortzüge erfasst. Die Nettomigration lag bei rund 330.000 Personen. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 1.19 Mio Zuzüge und 970.000 Fortzüge erfasst. Resultat dieser Entwicklungen ist ein Wanderungssaldo von +220.000 Personen, ein deutlich geringerer Wert als im Jahr 2019 (+330.000 Personen).
Gemessen an diesen Zahlen erscheint die Zahl der erfassten Asylsuchenden pro Jahr vergleichsweise klein: Bis zur Jahresmitte 2024 wurden gerade mal 120.000 Asylerstanträge registriert.
Im Jahr 2023 entfielen mit 329.000 Asylerstanträgen rund 17% aller Zuwanderungen auf Asyl. Im Jahr 2022 wurden 218.000 Asylerstanträge gestellt. Gemessen an der Gesamtzuwanderung des Jahres 2022 waren das gerade mal 8 %. Auch in den Vorjahren bewegte sich der Anteil der Asylsuchenden an der Gesamtzuwanderung in dieser Größenordnung (2019: 9%; 2020: 8%; 2021: 16%). Selbst 2015 und 2016, als die Bundesrepublik Rekordzahlen für Asylsuchende verzeichnete, machten Geflüchtete unter den Zugewanderten weniger als ein Viertel aus (2015: 23%; 2016: 17%, siehe Fachkräftemonitor 2023, S. 23).
Im Umkehrschluss bedeutet das auch: Zwischen 77% und 92% aller Zugewanderten haben in den vergangenen zehn Jahren keinen Asylantrag gestellt. Wenn wir die Sondersituation des Jahres 2022 außer acht lassen, als ukrainische Schutzsuchende mit über einer Million Menschen die größte Zuwanderungsgruppe darstellten, fällt die überwiegende Zuwanderung auf Menschen aus EU-Staaten: Die EU-Binnenmigration liegt traditionell zwischen 30% und 50% aller Zuwanderungen. 2022 war ein Ausnahmejahr, da betrug der Anteil der EU-Zuwanderungen mit über 600.000 Menschen „nur“ 20% – die Zahl ist aber immer noch knapp dreimal höher als die Zahl der Asylsuchenden im gleichen Jahr. 217.000 Menschen kamen allein aus Rumänien nach Deutschland – das waren fast ebenso viele, wie aus allen Ländern der Welt über Asyl nach Deutschland kamen. 100.000 wanderten aus Polen ein, 77.000 aus Bulgarien. 180.000 zogen als „deutsche Staatsangehörige“ nach Deutschland. 90.000 kamen im Rahmen des Familiennachzugs, 70.000 zu Erwerbszwecken, 60.000 im Rahmen eines Bildungsangebotes.
Für 2023 liegen noch nicht alle Zahlen vor, aber erneut ist die Gruppe der EU_Bürger*innen mit rund 466.500 Menschen die größte Zuwanderungsgruppe. Die meisten EU-Einwanderer*innen kamen 2023 aus Rumänien (rund 152.300), Polen (79.000) und Bulgarien (51.700). Aus der Ukraine kamen 2023 insgesamt 276 000 Personen.
Fazit:
Für Deutschland lässt sich ein bemerkenswert hohes und über die Jahre tendenziell ansteigendes Migrationsgeschehen feststellen. Angesichts der hohen Zuwanderungszahlen vergrößern sich die bereits seit Jahren aufgelaufenen Probleme im Wohnungs- und Bildungsbereich. Die Aufnahme von Schutzsuchenden über das Asylrecht macht in dem Gesamtgeschehen allerdings nur einen kleinen Teil aus. Für die langfristigen Versäumnisse im Bildungsbereich und beim sozialen Wohnungsbau sind Asylsuchende weder verantwortlich, noch lassen sich die Probleme auf ihrem Rücken lösen. Dennoch wird eine „Lösung“ allein beim Thema Asyl verortet.
Die vor allem von der CDU/CSU, aber auch von der FDP vorgenommene Zuspitzung der Diskussion auf Fragen der Asylgewährung ist sachlich unbegründet: Auch andere Zuwanderungsgruppen benötigen Wohnraum, Schul- und Kindergartenplätze. Die Ausrufung eines „nationalen Notstands“ aufgrund des aktuellen Asylgeschehens ist offenkundig nicht gerechtfertigt und drückt eher den Unwillen als das Unvermögen der beteiligten Politiker*innen aus, für menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu sorgen. Nicht die Kontrolle über das Asylgeschehen ist verloren gegangen, sondern die Debatte darüber ist völlig außer Kontrolle, weil besonnene und mäßigende Stimmen fehlen. Leider setzen auch die Parteispitzen von SPD und Grünen dem Notstandsgerede bislang nichts Substanzielles entgegen und suchen den Schulterschluss mit der Opposition. Von dieser Entwicklung profitiert vor allem die AFD, die nicht zu Unrecht für sich reklamiert, die Tonlage vorgegeben zu haben. Dass man auch anders und pragmatisch die mit der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland verbundenen Herausforderungen meistern kann, hat die deutsche Politik 2022 bewiesen, als die den Betroffenen alle Möglichkeiten eröffnete, sich selbst zu helfen und bei Freund*innen und Bekannten unterzukommen (siehe dazu ausführlich unseren Kommentar vom 18.09.2023: Kritische Anmerkungen zur aktuellen Asyldiskussion).
Das Asylrecht steht als subjektives Recht in unserer Verfassung und ist völkerrechtlich geschützt, weil sich nach den Erfahrungen von Krieg und Faschismus nie wieder die Situation wiederholen sollte, dass Schutzsuchende an Grenzen abgewiesen und in Verfolgerstaaten zurückgezwungen werden. Insofern verbieten sich Zahlenspiele, die Flüchtlingsaufnahme ist nicht auf eine willkürlich gewählte Zahl kontingentierbar. Dennoch lohnt sich in der Debatte auch ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Lage: Deutschland benötigt nach Aussagen des DIW-Chefs Fratzscher jährlich rund eine halbe Million zusätzliche Arbeitskräfte, um den Arbeitskräftebedarf der Bundesrepublik Deutschlands für die Zukunft zu decken. Diese Arbeitskräfte haben Partner*innen, Kinder und Familienangehörige, insofern wird es nicht bei einer halben Million bleiben. Es wäre mehr als zynisch und wird auch nicht funktionieren, Schutzsuchende unter Beschwörung eines „Nationalen Notstands“ an den Grenzen abzuweisen und dann den Fachkräften eine „Willkommenskultur“ vorzugaukeln. Und es ist mehr als logisch, zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs auch Geflüchtete einzubeziehen, deren Integration in den Arbeitsmarkt seit 2015 ganz gut geklappt hat: Von den 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten hatten knapp zwei Drittel sieben Jahre später eine Arbeit. 90 Prozent dieser Beschäftigten sind sozialversicherungspflichtig angestellt, rund drei Viertel in einer Vollzeitstelle. Um den Arbeitskräftebedarf in Deutschland zu decken, braucht es ein Werben um Arbeitskräfte u n d verstärkte Anstrengungen für eine Arbeitsmarktintegration auch derjenigen, die als Geflüchtete unter uns leben.
Ein pragmatischer Umgang mit den Herausforderungen erfordert zunächst einmal verbale Abrüstung und einen nüchternen Blick auf die Faktenlage. Die verbale Ausgrenzung und Kriminalisierung beginnt schon mit der Begrifflichkeit, mit der wir über Geflüchtete sprechen: Asylsuchende sind keine „irreguläre Migrant*innen“, sondern Menschen in Not, die ein verbrieftes Grundrecht in Anspruch nehmen, für das es ein geordnetes Verfahren gibt. Zu einer rationalen Betrachtung gehört die Erkenntnis, dass die Gefahr eines Terroranschlags durch Islamisten unabhängig von der Asylthematik besteht: In Großbritannien, Frankreich oder Belgien ist es trotz geringer Asylzahlen zu mehr Anschlägen gekommen als in Deutschland. Es ist nicht auszuschließen, dass islamistische Terroristen das Asylrecht missbrauchen, aber die übergroße Mehrzahl der Geflüchteten sucht Schutz vor islamistischer Gewalt und autoritärer Verfolgung. Es wäre widersinnig und fragwürdig, den Opfern von islamistischen Terrorregimen den Schutz zu verweigern und zur Organisation von Abschiebungen mit den Vertretungen dieser Regime zusammenzuarbeiten. Gegen Autoritarismus und Terrorismus braucht es einen starken Staat, der die Verfassung, die demokratischen Werte und die Menschenrechte verteidigt und mit den Opfern von Verfolgung Solidarität und Empathie zeigt.
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Kai Weber Geschäftsführer
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.,
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Mittwoch, 11. September 2024
Kommitee für Grundrechte und Demokratie zum Protest gegen Abschiebegefängnis in Düsseldorf
che2001, 17:18h
Presseinformation des Bündnisses „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall"
Gegen einen Ausbau von Abschiebegefängnissen in NRW.
Stopp des populistischen Überbietungswettbewerbs bei der Abschiebehaft!
Sofort nach dem tödlichen Anschlag in Solingen am 23. August 2024 nimmt auch die rassistische und menschenfeindliche Debatte um Abschiebungen und Abschiebehaft unter Politiker*innen in Nordrhein-Westfalen an Fahrt auf. Unter anderem wird erneut der Bau eines weiteren Abschiebegefängnisses vorgeschlagen - obwohl NRW mit Büren über den größten Abschiebeknast Deutschlands verfügt.
Büren ist deutschlandweit bekannt für seine unmenschlichen Haftbedingungen. Abschiebehaft darf außerdem nicht als Strafe dienen, diese Form der Inhaftierung von Menschen ist abzulehnen.
Leonie für das Bündnis "Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall":
„Statt über Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft zu sprechen, werden gewaltsame Praktiken wie die Ausweitung der Abschiebehaft gefordert. Eine populistische Forderung folgt der nächsten und Millionen Menschen in Deutschland werden für eine Straftat in Mithaftung genommen und unter Generalverdacht gestellt. Wir lehnen Abschiebehaft unter allen Umständen ab. Der schon jetzt in Nordrhein-Westfalen praktizierte tausendfache Freiheitsentzug als Vorbereitung für Abschiebungen im Abschiebegefängnis Büren ist eine permanente Entrechtung und Erniedrigung von Menschen. Erst im September 2023 ist wieder ein Mensch in Büren verstorben."
Im Dezember 2023 waren sich Landesregierung, die regierungstragenden Fraktionen im Landtag sowie die SPD-Fraktion einig: die aus vorherigen Legislaturperioden stammenden Pläne für den Bau eines weiteren Abschiebegefängnisses in Nordrhein-Westfalen würden nicht weiterverfolgt, da in den letzten Jahren oft mehr als die Hälfte aller Haftplätze in Büren nicht belegt waren und die zur Verfügung stehenden Plätze ausreichend seien. Folgerichtig hat die Landesregierung die seit 2021 im Landeshaushalt für das Vorhaben reservierten Millionen-Euro-Beträge nun für 2025 aus dem Haushaltsentwurf gestrichen.
Regine Heider von STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative e.V., Mitglied im Bündnis "Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall":
„ In Zeiten vermeintlich knapper Kassen sind Millionenbeträge für die Ausweitung von Abschiebehaft ein aus der Zeit gefallenes Vorhaben. Das Geld sollte dringend für soziale Belange eingesetzt werden statt für die weitere Entrechtung von Menschen. Wir fordern die Landtagsmehrheit dazu auf, in den anstehenden Haushaltsberatungen daran festzuhalten."
Kontakt:
Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall"
E-Mail: info (at) abschiebegefaengnis-verhindern.de
Mehr:
Schießplatz, Kläranlage oder Lärmschutzzone: potentielle Standorte für Abschiebegefängnis in Düsseldorf aufgedeckt, Meldung Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall" vom 07. Mai 2024
(https://abschiebegefaengnis-verhindern.de/2024/schiessplatz-klaeranlage-oder-laermschutzzone-potentielle-standorte-fuerabschiebegefaengnis-in-duesseldorf-aufgedeckt/)
Landtag: Abschiebegefängnis in Düsseldorf unnötig, Meldung Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall" vom 10. Januar 2024
(https://abschiebegefaengnis-verhindern.de/2024/landtag-abschiebegefaengnis-in-duesseldorf-unnoetig/)
Mehr zum Bündnis:
Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall
E-Mail: info (at) abschiebegefaengnis-verhindern.de
Website: https://abschiebegefaengnis-verhindern.de
Instagram: https://www.instagram.com/abschiebegefaengnis_stoppen/
Mastodon: https://nrw.social/@keinknast
Bluesky: https://bsky.app/profile/keinknast.bsky.social
Das überregionale Bündnis Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall hat sich nach dem Bekanntwerden des Bauvorhabens für ein Abschiebegefängnis in Düsseldorf Anfang 2022 gegründet, um dagegen vorzugehen und das Vorhaben in die Öffentlichkeit zu bringen. Durch eine Klage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes hat das Bündnis tausende Seiten Akten zu den Planungen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit gebracht. Dem Bündnis gehören 14 lokale und überregionale Initiativen und Gruppen an. 19 weitere Initiativen, Gruppen und Vereine haben das gemeinsame Bündnis-Papier mitgezeichnet.
Gegen einen Ausbau von Abschiebegefängnissen in NRW.
Stopp des populistischen Überbietungswettbewerbs bei der Abschiebehaft!
Sofort nach dem tödlichen Anschlag in Solingen am 23. August 2024 nimmt auch die rassistische und menschenfeindliche Debatte um Abschiebungen und Abschiebehaft unter Politiker*innen in Nordrhein-Westfalen an Fahrt auf. Unter anderem wird erneut der Bau eines weiteren Abschiebegefängnisses vorgeschlagen - obwohl NRW mit Büren über den größten Abschiebeknast Deutschlands verfügt.
Büren ist deutschlandweit bekannt für seine unmenschlichen Haftbedingungen. Abschiebehaft darf außerdem nicht als Strafe dienen, diese Form der Inhaftierung von Menschen ist abzulehnen.
Leonie für das Bündnis "Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall":
„Statt über Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft zu sprechen, werden gewaltsame Praktiken wie die Ausweitung der Abschiebehaft gefordert. Eine populistische Forderung folgt der nächsten und Millionen Menschen in Deutschland werden für eine Straftat in Mithaftung genommen und unter Generalverdacht gestellt. Wir lehnen Abschiebehaft unter allen Umständen ab. Der schon jetzt in Nordrhein-Westfalen praktizierte tausendfache Freiheitsentzug als Vorbereitung für Abschiebungen im Abschiebegefängnis Büren ist eine permanente Entrechtung und Erniedrigung von Menschen. Erst im September 2023 ist wieder ein Mensch in Büren verstorben."
Im Dezember 2023 waren sich Landesregierung, die regierungstragenden Fraktionen im Landtag sowie die SPD-Fraktion einig: die aus vorherigen Legislaturperioden stammenden Pläne für den Bau eines weiteren Abschiebegefängnisses in Nordrhein-Westfalen würden nicht weiterverfolgt, da in den letzten Jahren oft mehr als die Hälfte aller Haftplätze in Büren nicht belegt waren und die zur Verfügung stehenden Plätze ausreichend seien. Folgerichtig hat die Landesregierung die seit 2021 im Landeshaushalt für das Vorhaben reservierten Millionen-Euro-Beträge nun für 2025 aus dem Haushaltsentwurf gestrichen.
Regine Heider von STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative e.V., Mitglied im Bündnis "Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall":
„ In Zeiten vermeintlich knapper Kassen sind Millionenbeträge für die Ausweitung von Abschiebehaft ein aus der Zeit gefallenes Vorhaben. Das Geld sollte dringend für soziale Belange eingesetzt werden statt für die weitere Entrechtung von Menschen. Wir fordern die Landtagsmehrheit dazu auf, in den anstehenden Haushaltsberatungen daran festzuhalten."
Kontakt:
Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall"
E-Mail: info (at) abschiebegefaengnis-verhindern.de
Mehr:
Schießplatz, Kläranlage oder Lärmschutzzone: potentielle Standorte für Abschiebegefängnis in Düsseldorf aufgedeckt, Meldung Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall" vom 07. Mai 2024
(https://abschiebegefaengnis-verhindern.de/2024/schiessplatz-klaeranlage-oder-laermschutzzone-potentielle-standorte-fuerabschiebegefaengnis-in-duesseldorf-aufgedeckt/)
Landtag: Abschiebegefängnis in Düsseldorf unnötig, Meldung Bündnis „Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall" vom 10. Januar 2024
(https://abschiebegefaengnis-verhindern.de/2024/landtag-abschiebegefaengnis-in-duesseldorf-unnoetig/)
Mehr zum Bündnis:
Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall
E-Mail: info (at) abschiebegefaengnis-verhindern.de
Website: https://abschiebegefaengnis-verhindern.de
Instagram: https://www.instagram.com/abschiebegefaengnis_stoppen/
Mastodon: https://nrw.social/@keinknast
Bluesky: https://bsky.app/profile/keinknast.bsky.social
Das überregionale Bündnis Abschiebegefängnis verhindern - in Düsseldorf und überall hat sich nach dem Bekanntwerden des Bauvorhabens für ein Abschiebegefängnis in Düsseldorf Anfang 2022 gegründet, um dagegen vorzugehen und das Vorhaben in die Öffentlichkeit zu bringen. Durch eine Klage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes hat das Bündnis tausende Seiten Akten zu den Planungen der letzten Jahre an die Öffentlichkeit gebracht. Dem Bündnis gehören 14 lokale und überregionale Initiativen und Gruppen an. 19 weitere Initiativen, Gruppen und Vereine haben das gemeinsame Bündnis-Papier mitgezeichnet.
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Petition gegen die Verschärfung des Asylrechts
che2001, 16:36h
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Gegen die Asylrechtsverschärfungen - kein Menschenrecht light!
che2001, 13:03h
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Freitag, 12. April 2024
Kulturelle Aneignung
che2001, 12:41h
Der seltsame Antirassismusdiskurs um kulturelle Aneignung ist ja eher eine Angelegenheit deutscher oder amerikanischer und europäischer akademischer Eliten. Weder in der entwicklungsspolitischen Diskussion noch in der Flüchtlingssolidarität ist mir das in größerem Umfang begegnet, wohl allerdings in unzähligen Blogdiskussionen mit politisch korrekten, wegen mir woken SupermoralistInnen.
Nun wurde der namibiadeutsche Sänger Eese genau dafür kritisiert: Er betreibe mit seiner Musik kulturelle Aneignung. Worauf er dann erwiderte, das sei die Musik seiner Heimat, die Deutschen seien dort, wie die Himba, Herero, Nama, San und Dama einer der Stämme des Landes, und ihm verbieten zu wollen die Musik seiner Heimat zu spielen sei so, wie einem in Deutschland geborenen schwarzen Afrodeutschen seine deutsche Identität abzusprechen.
Und dann redete er Deutsch, genauer gesagt, Namslang, eine Mischung aus Deutsch und Afrikaans mit zahlreichen Lehnwörtern aus Ovambo, anderen Bantusprachen und den klickenden Khoisansprachen.
Nun wurde der namibiadeutsche Sänger Eese genau dafür kritisiert: Er betreibe mit seiner Musik kulturelle Aneignung. Worauf er dann erwiderte, das sei die Musik seiner Heimat, die Deutschen seien dort, wie die Himba, Herero, Nama, San und Dama einer der Stämme des Landes, und ihm verbieten zu wollen die Musik seiner Heimat zu spielen sei so, wie einem in Deutschland geborenen schwarzen Afrodeutschen seine deutsche Identität abzusprechen.
Und dann redete er Deutsch, genauer gesagt, Namslang, eine Mischung aus Deutsch und Afrikaans mit zahlreichen Lehnwörtern aus Ovambo, anderen Bantusprachen und den klickenden Khoisansprachen.
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Montag, 4. März 2024
Probleme des Antirassismus, ein Zwischenbericht
che2001, 11:41h
Vor einiger Zeit hatte ich auf Empfehlung Bersarins mit der Lektüre des Sammelbands "Probleme des Antirassismus" begonnen und als jemand, der sich selber als Antirassist definiert und lange Zeit sehr engagierter Antira-Aktivist war mich von den vertretenen Ansichten und Positionen ziemlich irritiert gefühlt.
https://che2001.blogger.de/stories/2877289
Das wurde nach Fortsetzung der Lektüre nicht besser. Manches ist hochinteressant, so die Auseinandersetzung mit dem verkürzten, klischeehaften Antirassismus von Edward Said (böse könnte man das auch Kitschversion von Panarabismus nennen) oder die erkenntnisbringenden Erläuterungen postkolonialer Studien, die nicht nur hinter die Dialektik der Aufklärung, sondern hinter die Aufklärung selbst zurückfallen. Etwa, wenn Ethnien um ihrer selbst wegen im Rahmen des Antirassismus, der Antidiskriminierung geschätzt und aufgewertet werden, was dann auf das "naturhaft-Besondere" hinausläuft. Poststrukturalistische, dekonstruktivistische Diskurse, die de facto plötzlich wieder auf Rassen hinauslaufen, auch wenn das niemand direkt so sagt.
Andererseits werden dort auch Theorieansätze abgehandelt, zu denen mir nur noch WTF einfällt, etwa, wenn soziale und ökonomische Verhältnisse in Vektoren und Formeln gefasst werden.
Interessant finde ich die Schlussfolgerung von Andreas Benl, mit der ich trotzdem nicht einverstanden bin.
"In Europa und den USA wird die Frage beantwortet werden müssen, ob man an der delegierten Regression festhalten und sie mit immer neuen Stellvertretern aus dem „Global South“ besetzen will, die kaum noch kaschieren können, dass Kulturalismus und Antizionismus „im Namen des Anderen“ ideologische Bedürfnisse in Akademie, Kultur und Politik westlicher Metropolen bedienen. Oder ob es möglich ist, im jeweiligen wohlverstandenen Eigeninteresse transnationale Bündnisse zu bilden gegen die unterschiedlichsten Formen antizivilisatorischer Identitätspolitik, deren Fluchtpunkt immer wieder der Antisemitismus ist."
Einerseits stimmt es natürlich, dass falsche Projektion seit jeher den Umgang westlicher Linker mit fremden Gesellschaften prägt und neben Selbstbespiegelung im Fremden die Stellvertreterrolle von revolutionären oder sozialen Bewegungen im globalen Süden für nicht stattfindende Kämpfe hierzulande ebenso eine Rolle spielt wie die unkritische Übernahme eines kategorischen Antizionismus etwa von palästinensischer Seite.
Dabei geht aber völlig verloren, was Antiimperialismus (der klassische, nicht der neue) eigentlich meint.
Kernthese ist hierbei die Annahme, dass der globale Kapitalismus einen geopolitischen Charakter angenommen hat. Die Arbeiterschaft in den Industriemetropolen ist kein Proletariat mehr, sondern im Weltmaßstab betrachtet eine Mittelschicht, die selbst von der Ausbeutung der früher einmal so genannten Dritten Welt profitiert. Soziale Revolution ist somit auch nur noch im Weltmaßstab denkbar, getragen von den verarmten Massen des globalen Südens. Die Aufgabe, die der Linken in den Metropolen in diesem Kontext zukommt, wäre die Unterstützung von Befreiungsbewegungen im Trikont, die Unterstützung von Entwicklungsprojekten, die gerade nicht auf Ausweitung imperialistischer Ausbeutungsstrukturen abzielen und die Behinderung von Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen. Wobei Letzteres insbesondere die Sabotage von Militäroperationen des Westens meint, die der - tatsächlichen oder vermeintlichen - Bekämpfung antiimperialistischer Aufstände im globalen Süden dienen. In diesem Sinne kann Antiimperialismus dann von Engagement in der Friedensbewegung bis hin zu Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen wie der früheren RAF reichen.
Das ist so in etwa das Weltbild und Politikverständnis der Antiimps, wie sie im Szenejargon einmal hießen. Das ist durchaus nicht meins, mein eigener politischer Hintergrund hat sich ja gerade in Abgrenzung zu diesem klassischen Antiimperialismus herausgebildet. Aber dass dieser gar nicht mehr gewusst wird und man sich nur noch an einem grundsätzlich mit Antisemitismus konnotierten Antiimperialismusbegriff abarbeitet, der aus einer sehr speziellen Anwendung der Kritischen Theorie hervorgegangen ist und so etwas wie Klassenkampf gar nicht mehr kennt stößt mir sehr sauer auf.
https://che2001.blogger.de/stories/2877289
Das wurde nach Fortsetzung der Lektüre nicht besser. Manches ist hochinteressant, so die Auseinandersetzung mit dem verkürzten, klischeehaften Antirassismus von Edward Said (böse könnte man das auch Kitschversion von Panarabismus nennen) oder die erkenntnisbringenden Erläuterungen postkolonialer Studien, die nicht nur hinter die Dialektik der Aufklärung, sondern hinter die Aufklärung selbst zurückfallen. Etwa, wenn Ethnien um ihrer selbst wegen im Rahmen des Antirassismus, der Antidiskriminierung geschätzt und aufgewertet werden, was dann auf das "naturhaft-Besondere" hinausläuft. Poststrukturalistische, dekonstruktivistische Diskurse, die de facto plötzlich wieder auf Rassen hinauslaufen, auch wenn das niemand direkt so sagt.
Andererseits werden dort auch Theorieansätze abgehandelt, zu denen mir nur noch WTF einfällt, etwa, wenn soziale und ökonomische Verhältnisse in Vektoren und Formeln gefasst werden.
Interessant finde ich die Schlussfolgerung von Andreas Benl, mit der ich trotzdem nicht einverstanden bin.
"In Europa und den USA wird die Frage beantwortet werden müssen, ob man an der delegierten Regression festhalten und sie mit immer neuen Stellvertretern aus dem „Global South“ besetzen will, die kaum noch kaschieren können, dass Kulturalismus und Antizionismus „im Namen des Anderen“ ideologische Bedürfnisse in Akademie, Kultur und Politik westlicher Metropolen bedienen. Oder ob es möglich ist, im jeweiligen wohlverstandenen Eigeninteresse transnationale Bündnisse zu bilden gegen die unterschiedlichsten Formen antizivilisatorischer Identitätspolitik, deren Fluchtpunkt immer wieder der Antisemitismus ist."
Einerseits stimmt es natürlich, dass falsche Projektion seit jeher den Umgang westlicher Linker mit fremden Gesellschaften prägt und neben Selbstbespiegelung im Fremden die Stellvertreterrolle von revolutionären oder sozialen Bewegungen im globalen Süden für nicht stattfindende Kämpfe hierzulande ebenso eine Rolle spielt wie die unkritische Übernahme eines kategorischen Antizionismus etwa von palästinensischer Seite.
Dabei geht aber völlig verloren, was Antiimperialismus (der klassische, nicht der neue) eigentlich meint.
Kernthese ist hierbei die Annahme, dass der globale Kapitalismus einen geopolitischen Charakter angenommen hat. Die Arbeiterschaft in den Industriemetropolen ist kein Proletariat mehr, sondern im Weltmaßstab betrachtet eine Mittelschicht, die selbst von der Ausbeutung der früher einmal so genannten Dritten Welt profitiert. Soziale Revolution ist somit auch nur noch im Weltmaßstab denkbar, getragen von den verarmten Massen des globalen Südens. Die Aufgabe, die der Linken in den Metropolen in diesem Kontext zukommt, wäre die Unterstützung von Befreiungsbewegungen im Trikont, die Unterstützung von Entwicklungsprojekten, die gerade nicht auf Ausweitung imperialistischer Ausbeutungsstrukturen abzielen und die Behinderung von Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen. Wobei Letzteres insbesondere die Sabotage von Militäroperationen des Westens meint, die der - tatsächlichen oder vermeintlichen - Bekämpfung antiimperialistischer Aufstände im globalen Süden dienen. In diesem Sinne kann Antiimperialismus dann von Engagement in der Friedensbewegung bis hin zu Mitgliedschaft in bewaffneten Gruppen wie der früheren RAF reichen.
Das ist so in etwa das Weltbild und Politikverständnis der Antiimps, wie sie im Szenejargon einmal hießen. Das ist durchaus nicht meins, mein eigener politischer Hintergrund hat sich ja gerade in Abgrenzung zu diesem klassischen Antiimperialismus herausgebildet. Aber dass dieser gar nicht mehr gewusst wird und man sich nur noch an einem grundsätzlich mit Antisemitismus konnotierten Antiimperialismusbegriff abarbeitet, der aus einer sehr speziellen Anwendung der Kritischen Theorie hervorgegangen ist und so etwas wie Klassenkampf gar nicht mehr kennt stößt mir sehr sauer auf.
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Donnerstag, 1. Februar 2024
PRO ASYL kritisiert: Bundesländer machen Bezahlkarte zum Diskriminierungsinstrument
che2001, 10:01h
Nach der heutigen Einigung von 14 der 16 Bundesländer auf gemeinsame Standards bei der Bezahlkarte für eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten hält PRO ASYL an der grundsätzlichen Kritik an der Bezahlkarte fest: Bund und Länder planen mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument, das den schutzsuchenden Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll.
„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.
An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:
- Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.
- Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.
- Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.
„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.
Bundesländer müssen bestehenden Spielraum positiv nutzen!
Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.
Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.
Dass es mit der Karte auch anders geht zeigt allerdings das Beispiel Hannover:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Hannover-fuehrt-Socialcard-fuer-Gefluechtete-ein,ndrinfo53840.html
https://taz.de/Leistungen-fuer-Gefluechtete/!5989524/
„Bund und Länder haben mit der Einigung zur Bezahlkarte ein Diskriminierungsprogramm verabredet. Denn das erklärte Ziel der Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler im November 2023 war, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Asylzahlen zu senken. Mit der Bezahlkarte wird also vor allem der Zweck verfolgt, den Menschen das Leben hier schwer zu machen und sie abzuschrecken. Schon allein wegen dieses unverhohlenen Motivs wirft die Bezahlkarte verfassungsrechtliche Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 entschieden, dass die Menschenwürde nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.
An der heutigen Einigung sind drei Punkte besonders problematisch:
- Überweisungen sollen nicht möglich sein: Ohne eine Überweisungsmöglichkeit werden Geflüchtete aus dem Alltagsleben ausgegrenzt. Überweisungen sind heutzutage aber unentbehrlich – etwa für einen Handyvertrag und kleine Einkäufe im Internet. Geflüchtete müssen auch ihre für das Asylverfahren nötigen Rechtsanwält*innen per Überweisung bezahlen können.
- Kein Mindestbetrag für die Barabhebung: Die Möglichkeit, über Bargeld zu verfügen, ist vor allem zur Sicherung des – verfassungsrechtlich verbürgten – soziokulturellen Existenzminimums geboten. Wer dies angreift, greift die Menschenwürde der Betroffenen an. Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse feht.
- Regionale Einschränkung: Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch einer sozialpolitischen Drangsalierung dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund*innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.
„Die Bezahlkarte ist, ebenso wie die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, keine rationale, konstruktive Asylpolitik. Die Bezahlkarte wird absehbar zu einer Menge Ärger im Alltag führen und das Ankommen und die Integration der Menschen erschweren – aber rein gar nichts verbessern. Auch den nach wie vor engagierten Unterstützer*innen und Willkommensinitiativen fällt man mit einer diskriminierenden Bezahlkarte in den Rücken“, sagt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL.
Bundesländer müssen bestehenden Spielraum positiv nutzen!
Die nun beschlossenen angeblichen Standards der Bezahlkarte sind allerdings keine Standards, sondern lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten, um eine schändliche politische Willenserklärung abzugeben. Die Bundesländer können aber trotzdem großzügigere Regelungen als die dort festgehaltenen anwenden. PRO ASYL appelliert an die Eigenverantwortung der Länder und Kommunen, die nach wie vor vorhandenen Spielräume zu nutzen und auf eine Bezahlkarte zu verzichten oder diese zumindest diskriminierungsfrei auszugestalten. Dazu hatte PRO ASYL im Dezember 2023 unter dem Motto „Menschenrechtliche Standards beachten!“ notwendige Eckpunkte veröffentlicht.
Auch die Kommunen werden nicht entlastet: Denn die Kürzung von Sozialleistungen und der Umstieg auf mehr Sachleistungen halten die Menschen nicht davon ab, vor Krieg oder Vertreibung zu fliehen. Wissenschaftliche Untersuchungen, wie zum Beispiel die des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zeigen zudem: Rechtsstaatlichkeit, Freund*innen, Familie und die Arbeitsmarktbedingungen in einem Land sind Faktoren für den Zielort einer Flucht. Sozialleistungssysteme dagegen wirken sich nicht als entscheidungsrelevant aus. Auch die Bezahlkarte wird also an den Fluchtwegen von Menschen nichts ändern.
Dass es mit der Karte auch anders geht zeigt allerdings das Beispiel Hannover:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/Hannover-fuehrt-Socialcard-fuer-Gefluechtete-ein,ndrinfo53840.html
https://taz.de/Leistungen-fuer-Gefluechtete/!5989524/
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