Montag, 15. Januar 2024
Probleme des Antirassismus
Unter diesem Titel ist in der Edition Tiamat ein Sammelband erschienen, der Beiträge der unterschiedlichsten AutorInnen zu verschiedenen Aspekten unterschiedlicher akademischer antirasssistischer Diskurse enthält. Ich bin mittendrin in der Lektüre und stelle wieder einmal fest, wie fremd mir diese Elfenbeintürmereien sind. Deutlich wird dies hier etwa am Begriff der Intersektionalität.

Wenn in meinem - praktisch-antirassistischen, d.h. aktionsorientierten Umfeld jemand von Intersektionalität spricht heißt das, in mehr als nur Teilbereichskämpfen/Engagements unterwegs zu sein. Das heißt dann, jemand oder eher eine politische Gruppe mit geteilten Aufgaben engagiert sich sowohl antirassistisch als auch antisexistisch oder antifaschistisch als auch sozial. Praktisch kann das bedeutet, dass jemand ehrenamtliche Flüchtlingssozialarbeit macht oder sogar von Abschiebung Bedrohte bei sich versteckt und außerdem bei einem Frauennotruftelefon engagiert ist, gegen Nazis auf die Straße geht oder sogar an Antifapatrouillen teilnimmt und außerdem bei einer Tafel oder Volksküche engagiert ist. Und über all diese Tätigkeiten theoretisch reflektiert und diskutiert wird.


All das meint Intersektionalität im akademischen Diskurs nicht. Sondern die Schnittmengen aus rassistischer, sexueller und klassenmäßiger Diskrminierung theoretisch zu integrieren, nicht im Sinne von Eingreifen oder einer Theorie des politischen Handelns, nicht als Befreiungsstrategie, sondern als reiner Opferdiskurs ohne emanzipatorische Alternative. Antisemitismus wird hierbei übrigens ausgeklammert, ebenso eine Marx´sche Kapitalismuskritik.

Das Ganze weist sehr starke Parallelen mit den queerfeministischen Diskursen auf, die hier vor etwas mehr als einem Jahrzehnt mal Thema waren. Und es zeigt merkwürdig empirieabgewandte, gleichsam theologische Züge. Mit der Perspektive "Strategien der Unterwerfung - Strategien der Befreiung", wie sie die Materialien für einen neuen Antiimperialismus vor etwa 30 Jahren mal formuliert hatten hat das alles nichts zu tun. Und ich fühle mich vor dem eigenen Theorie/Praxishintergrund mal wieder in dem Gefühl der Überlegenheit bestätigt, das ich hegte, als ich so ab 2006 zum ersten Mal mit dieser Art Diskurse in Berührung kam.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Freitag, 5. Januar 2024
Ibrahim
Ich kenne einen jungen Mann, an dem manifestiert sich der ganze Wahnsinn der politischen Realität. Er ist Israeli und nach Deutschland eingewandert. Zur Zeit hat er keine Bleibe. In eine Sammelunterkunft für Geflüchtete oder ein Obdachlosenasyl traut er sich nicht, weil er da aufgrund seiner Staatsbürgerschaft um sein Leben fürchtet. Und die jüdische Gemeinde hilft ihm nicht, weil er vom Judentum zum Christentum konvertiert ist. Zwischen allen Stühlen, nackt im Wind.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 15. Dezember 2023
Offener Brief an den niedersächsischen Ministerpräsidenten zur Bezahlkarte für Asylsuchende
Offener Brief:

Menschenrechtliche Standards bei der Einführung der Bezahlkarte beachten
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,

am 6. November 2023 haben die Ministerpräsident_innen der Länder mit dem Bundeskanzler eine verlängerte Bezugsdauer von Grundleistungen nach dem AsylbLG sowie die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete verabredet. Bis Ende Januar 2024 soll eine Arbeitsgruppe gemeinsame Mindeststandards festlegen. Wir wenden uns an Sie mit der dringenden Bitte, nicht sehenden Auges menschenrechts- und verfassungswidrige Regelungen zum Nachteil schutzsuchender Menschen zu beschließen und insbesondere für den Fall der Einführung der Bezahlkarte konkrete Punkte zu beachten.

Sachleistungen führen in der Praxis zu drastischen Leistungskürzungen, weil der individuelle Bedarf nicht ausreichend gedeckt wird.1 Wir befürchten, dass die Bezahlkarten zu Diskriminierung sowie weiteren bedenklichen Leistungskürzungen führen und darüber hinaus willkürlichen Leistungsbeschränkungen Tür und Tor öffnen. Bereits jetzt liegen die Leistungen nach dem AsylbLG unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums. Zuletzt hat dies der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung am 8. Dezember 2023 kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach Regelungen des AsylbLG als Verstoß gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für verfassungswidrig erklärt. Im Jahr 2023 haben über 200 Organisationen die Abschaffung des AsylbLG und die sozialrechtliche Gleichstellung von Geflüchteten gefordert.

Die Bezahlkarten sind Teil eines Programms, das laut MPK-Beschluss „die Zahl der im Wege der Fluchtmigration“ kommenden Menschen „deutlich und effektiv“ senken – also vom Zuzug abschrecken – soll. Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass sowohl die Verlängerung der Dauer der Grundleistungen als auch Einschränkungen bei der Bezahlkarte bereits wegen dieses Motivs von vornherein verfassungswidrig sein dürften. 2022 stellte das Bundesverfassungsgericht zum wiederholten Mal fest, dass „Migrationspolitische Erwägungen, Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, […] von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen [können]. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ (Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21)

Im Übrigen werden die geplanten Maßnahmen auch absehbar nicht zum gewünschten Ziel führen. Studien zeigen, dass Flüchtende einen Zielstaat nicht nach dessen mutmaßlichem Sozialleistungssystem auswählen. Für die Betroffenen sind vor allem die Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit, gute Arbeitsmarktbedingungen und das Vorhandensein von Freunden und Familie wichtig. Viele Schutzsuchende haben gar nicht von vornherein ein bestimmtes Zielland oder erreichen es nicht, da vieles nicht planbar ist und von den Fluchtmöglichkeiten abhängt.

Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie, von Verschärfungen im AsylbLG abzusehen und – im Fall der Einführung der Bezahlkarte – folgenden Punkte zu berücksichtigen:

________________________________________________________________________________

Menschenrechtliche Eckpunkte bei der Einführung einer Bezahlkarte
Wir gehen im Folgenden davon aus, dass mit der Einführung einer Bezahlkarte eine menschenrechts- und verfassungskonforme Regelung getroffen werden soll. Folgende Mindeststandards sehen wir aus dieser Perspektive als geboten an:

Bargeldabhebungen müssen uneingeschränkt möglich sein.
Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Im Beschluss der Konferenz von Bund und Ländern vom 6. November 2023 ist zwar – offenkundig auf Drängen Niedersachsens – die schlichte Tatsache anerkannt, „dass es notwendige Ausgaben geben kann, die nicht mit der Bezahlkarte bezahlt werden können.“ Dennoch soll das System nur „möglicherweise“ die „Option“ beinhalten, einen „klar begrenzten Teil des Leistungssatzes“ bar zu erhalten. Das ist deutlich zu wenig.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2012 klar gemacht: Geflüchtete haben das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst (1 BvL 10/10). Die Verfügung über Bargeld ist vor allem zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums geboten. Außerdem sichert das Sozialrecht Menschen zu, eigenständig zu wirtschaften und dabei – je nach individuellem Bedarf – einen „internen Ausgleich“ vorzunehmen. Die AsylbLG-Grundleistungen sind bereits äußerst gering, und ein Bargeldentzug schränkt diese Dispositionsfreiheit weiter drastisch ein. Menschen die Verfügungsgewalt über ihre Geldmittel zu lassen – mithin uneingeschränkte Barabhebungen zu ermöglichen – ist auch eine Frage des Respekts vor der Würde dieser Menschen.

Daher muss der gesamte Leistungssatz für Barabhebungen zur Verfügung stehen.

Die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr muss uneingeschränkt möglich sein.
Ähnlich wie die Barzahlung ist auch die Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen, ein wichtiger Bestandteil der Handlungs- und Dispositionsfreiheit. Überweisungen braucht man beispielsweise, um Telefonverträge abschließen zu können. Wichtig sind sie insbesondere für einen effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art.13 EMRK. So werden Überweisungen genutzt, um Zahlungen an einen Rechtsbeistand zu tätigen, der häufig weder über ein Kreditkartenterminal verfügt noch eine Bargeldkasse nutzt. Es wäre unzumutbar, Asylsuchenden aufzugeben, den Anwalt/die Anwältin für jede Ratenzahlung monatlich persönlich aufsuchen, nur um – mit zusätzlichen Reisekosten – Bargeld abzuliefern.

Dass in der öffentlichen Debatte vorgebracht wird, man wolle Überweisungen an Familienangehörige im Ausland verhindern, ist als ein inakzeptabler, entmündigender Eingriff in mögliche private Entscheidungen zu werten und überdies irreführend: Bereits jetzt ist der Geldbetrag, den Bezieher*innen von AsylbLG-Leistungen zu ihrer Verfügung haben, äußerst gering – dass davon noch relevante Beträge für notleidende Familienangehörige abgezweigt werden, ist realitätsfern.

Die Karte darf nicht örtlich beschränkt werden (PLZ-Gebiete o.ä.)
Es wird darüber nachgedacht, die Bezahlfunktion der Karte auf ein bestimmtes Postleitzahlengebiet einzuschränken. Sinn der Idee ist offenkundig, dass man die Menschen mit sozialpolitischen Mitteln zwingen will, einen bestimmten Bezirk nicht zu verlassen – auch dies aus unserer Sicht eine unzulässige sozialpolitische Maßnahme, um ein ordnungspolitisches Ziel zu erreichen. Für Menschen, die weit überwiegend keiner Wohnsitz- bzw. Residenzpflicht unterliegen, führt eine Bezahlkarte mit örtlicher Beschränkung zu einer unzulässigen Beschränkung der Freizügigkeit im Bundesgebiet.

Selbst wenn ordnungsrechtliche Auflagen vorliegen, müssten die Sozialbehörden die Nutzung Karte für einen Besuch z.B. beim Rechtsanwalt oder bestimmten Behörden, beim weiter entfernten Facharzt oder auch beim Verwandtenbesuch individuell und kurzfristig dafür freischalten – eine Zumutung für Betroffene wie für die Sozialverwaltung und überdies datenschutzrechtlich fragwürdig. Auch bei einem Umzug scheitert eine zeitnahe Umstellung der Sozialleistungszuständigkeit häufig an bürokratischen Abläufen, eine örtliche Beschränkung der Bezahlkarte verschärft das Problem.

Zudem führt die örtliche Beschränkung von Einkaufsmöglichkeiten – so zeigen es die Erfahrungen früherer Jahre – zu teils absurden praktischen Beschränkungen: Beispielsweise durften Geflüchtete nicht beim Supermarkt in nächster Nähe der Gemeinschaftsunterkunft einkaufen, weil der zum nächsten Verwaltungsbezirk (bzw. Postleitzahlenbezirk) gehörte.

Eine örtliche Beschränkung ist aus dieser Sicht schlicht sinnlos.

Kein Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen
Bekannt ist auch der Plan einiger Länder, den Kauf bestimmter Waren und Dienstleistungen mit der Bezahlkarte verhindern zu wollen. „Leberkäse ja, Alkohol nein“, ließ der Bayerische Ministerpräsident in der BILD wissen. Die geäußerten Vorstellungen davon, was Menschen kaufen dürfen und was nicht, verweisen nicht nur auf Vorurteile und die Diskreditierung Geflüchteter. Sie verkennen vor allem: Sozialleistungen sind keine Erziehungsmaßnahme. Dinge vom Kauf auszuschließen, ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit, die dem Staat nicht zusteht.

Auch im Hinblick auf den Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen gilt: Im Sozialrecht ist zu Recht festgeschrieben, dass bedürftige Menschen eigenverantwortlich wirtschaften und damit die Freiheit besitzen sollen, selbst zu entscheiden, was sie wann brauchen. Auch geflüchtete Menschen müssen dieses Recht in Anspruch nehmen können.

Die Karte darf deshalb den Kauf bestimmter Waren oder Dienstleistungen nicht ausschließen.

Sicherstellung von Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung, insbesondere keine Zugriffe auf die einmal gewährten Leistungen
Die digitale Bezahlkarte eröffnet Betreibern wie potenziell auch den Sozialverwaltungen, die Zugriff auf die Karten haben, umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten sowie Einsicht in personenbezogene Zahlvorgänge. Dies gilt es politisch und technisch von vornherein auszuschließen, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren und ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln sicherzustellen.

So muss z.B. gewährleistet sein, dass ein einmal auf die Karte gebuchter Betrag nicht einfach wieder entzogen bzw. zurückgebucht werden darf – etwa, weil die Sozialverwaltung meint, jemand habe z.B. seine Unterkunft verlassen und halte sich nicht mehr im Landkreis auf. Jede Leistungsrückforderung muss – eigentlich selbstverständlich – rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Ein eigenmächtiger (rechtswidriger) Zugriff der Behörden auf einmal gewährte Leistungen wie auch auf Daten muss deshalb technisch ausgeschlossen werden.
Besonders wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch, dafür zu sorgen, dass einzelne technische Änderungen an der Bezahlkarte als (willkürliches) Sanktionsmittel einzelner Behörden oder gar Sachbearbeiter nicht missbraucht werden.

Wenn Bezahlkarten für Geflüchtete eingeführt werden, muss eine verfassungskonforme Anwendung im Interesse von Politik und Behörden liegen, die die Würde der Betroffenen wahrt und deren menschenrechtlich verbürgtes Existenzminimum nicht weiter unterminiert. Wir bitten Sie, bei den Verhandlungen zwischen den Ländern und bei der möglichen Umsetzung in diesem Sinne tätig zu werde

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 12. Dezember 2023
Bundesweiter Protest am 14. Dezember – No Lager Osnabrück ruft zu Kundgebung vor der Ausländerbehörde Osnabrück auf
Am 14. Dezember 2023 finden im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages in mindestens 10 deutschen Städten und Gemeinden Protestaktionen vor den jeweiligen Ausländerbehörden statt. In Osnabrück ruft die Initiative No Lager Osnabrück am 14.12.2023 um 15 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Stadthaus 2 (Natruper-Tor-Wall 5) auf, in dem die Ausländerbehörde Osnabrück ihren Sitz hat (Aufruf).

Die Gründe für den deutschlandweiten Protest sind vielfältig: Die Organisator*innen des Aktionstages kritisieren organisatorische Probleme wie lange Wartezeiten für Termine und die monatelange, teils jahrelange (Nicht-)Bearbeitung von Anträgen sowie die schlechte telefonische wie elektronische Erreichbarkeit. Ebenso werden Aspekte der Zugänglichkeit, z.B. der Mangel an mehrsprachigen Informationen über die Funktionsweise und Abläufe der Behörde, oder ein vielerorts respektloser und rassistischer Umgang durch die Mitarbeiter*innen angesprochen. Auch die Umsetzung der bundesweit verschärften Asylpolitik in Form von immer rücksichtsloseren Abschiebungen und die oft negative Ausübung der gegebenen Ermessensspielräume wird scharf kritisiert. Die Lösung sehen die Initiator*innen in der Abschaffung der Behörde, welche als solche Menschen kategorisiere und von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließe.

Layla vom Orga-Kreis des Aktionstages zum Kontext des Protestes:
"Im ganzen Land erleben wir eine immer brutalere Abschiebepolitik, die lebensbedrohliche und zerstörerische Folgen für sehr viele Menschen hat. Getrieben von einem gesellschaftlichen Rechtsruck und Hetzdebatten in Politik und Medien wird an den Schreibtischen der Ausländerbehörden eine Politik in die Tat umgesetzt, die wir als rassistisch und migrationsfeindlich kritisieren und die wir nicht hinnehmen wollen."
Zum Protest in Osnabrück sagt Deniz von No Lager Osnabrück:
"Seit über einem Jahr machen wir mit monatlichen Aktionen auf die Zustände in der Ausländerbehörde Osnabrück aufmerksam. Obwohl sehr viele Osnabrücker*innen davon betroffen sind, will die Lokalpolitik über den Rassismus in diesem System nicht reden und reagierte in den letzten Monaten überwiegend abwehrend und diffamierend auf unsere Kritik. Doch wir lassen uns unser Recht auf demokratischen Protest nicht absprechen."
Chris, ebenfalls bei No Lager Osnabrück aktiv, zum Ziel des Protestes:
"Es ging uns nie um graduelle Verbesserungen eines Systems, das Migration grundsätzlich als zu verwaltendes und kontrollierendes Problem begreift. Selbstbestimmte Bewegungsfreiheit und die Wahl des eigenen Wohnortes ist für uns ein unverhandelbares Recht, Migration seit Menschengedenken eine menschliche Realität. Deshalb fordern wir einen grundsätzlich anderen Umgang mit dem Thema, in dem Institutionen wie Ausländerbehörden und die Kategorie 'Ausländer' keinen Platz mehr hat."

Hintergrund:

Seit Jahren kommt es in ganz Deutschland regelmäßig zu selbstorganisiertem und solidarischem Protest gegen Ausländerbehörden, sowie gegen unterschiedliche Aspekte derer Praxis und Organisationsstruktur. In Osnabrück organisierte No Lager Osnabrück am 3. November 2022 unter dem Motto "Wir wollen bleiben! Für das Recht auf Zukunft" eine Demonstration zur Ausländerbehörde Osnabrück. Auslöser war die Situation vieler Sudanes*innen, die seit Jahren nur sogenannte "Duldungen" oder "Duldungen light" ausgestellt bekommen und massiv in ihren Rechten eingeschränkt werden. Anfang 2023 gab No Lager Osnabrück bekannt, über das gesamte Jahr mit monatlichen Aktionen auf die Missstände in der Ausländerbehörde aufmerksam zu machen. Seitdem wurden von der Initiative zahlreiche Info- und Kaffeestände sowie Austauschrunden, mehrere Demonstrationen und Kundgebungen sowie zwei Saalveranstaltungen organisiert. Im November 2023 schließlich folgte unter anderem aus dem Netzwerk We'll Come United heraus der Aufruf, die bundesweiten Proteste in einem gemeinsamen Aktionstag am 14. Dezember 2023 zusammenzuführen.

Über No Lager Osnabrück:

No Lager Osnabrück ist eine lokale antirassistische Initiative. Gemeinsam mit Menschen, die aktiv oder passiv vom Asyl(un)recht betroffen sind, die selbst Rassismus erleben oder Betroffene unterstützen möchten, organisiert die Initiative politische Aktionen und Veranstaltungen, niedrigschwellige Unterstützungsangebote für Menschen mit Fluchtgeschichte und soziale Zusammenkünfte. No Lager Osnabrück versteht sich als Teil einer jenseits von Grenzen organisierten politischen Bewegung gegen die Gegenwart nationalstaatlicher Grenzen und rassistischer Abschottungspolitiken. So kämpft die Gruppe für selbstbestimmte Bewegungsfreiheit und ein gutes, freies Leben für alle Menschen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 6. Dezember 2023
Das Netzwerk „Asyl in der Kirche“ in Niedersachsen und Bremen verstärkt seine Aktivitäten – gerade jetzt
Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden

Hannover, 6. Dezember 2023

In diesen Wochen hat das ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche sich neu gegründet. Kirchengemeinden, Flüchtlings-Beratungsstellen und der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. sehen sich gerade jetzt gefordert, entschieden für den Schutz von geflüchteten Menschen einzutreten. „Abschiebungen im großen Stil sind keine Lösung, sondern eine Bedrohung für schutzsuchende Familien und Einzelpersonen, die oftmals unter Lebensgefahr aus großer Not aufgebrochen sind und in Deutschland ihre Zukunft suchen“, so Pastor Sven Quittkat, neu gewählter Sprecher des Netzwerks. „Ein Kirchenasyl ist bestimmt keine Lösung, aber in immer mehr Fällen ein letzter Strohhalm, um nicht in eine ungewisse und gefährliche Situation abgeschoben zu werden.“



Das Ökumenische Netzwerk Kirchenasyl in Niedersachsen und Bremen positioniert sich mit folgendem Statement zur aktuellen Flüchtlingspolitik:



Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden



Mit Sorge verfolgen wir die aktuellen Entwicklungen in der bundesdeutschen Migrationspolitik. Die Angst vor einer Überlastung der Sozialsysteme führt derzeit zu einer deutlichen Verschärfung in der Praxis des Asylrechts sowie zu einer Infragestellung des gesellschaftlichen Konsenses, dass Verfolgten auch in Deutschland ein Schutzanspruch zusteht. Wenn wir das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl zufluchtsuchender Menschen außer Kraft setzen, geben wir unser humanitäres Handeln für schutzsuchende Notleidende auf. Deshalb fordern wir die politisch Verantwortlichen auf: Das unverzichtbare Grundrecht auf Asyl darf nicht ausgehöhlt werden.

Wir begrüßen aus der Debatte der letzten Monate ausdrücklich, dass geflüchtete Menschen schneller das Recht auf Arbeit erhalten sollen, um selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können.
Die Sozialsysteme würden im Übrigen weiter entlastet werden, würde man zufluchtsuchenden Menschen, die bereits Familienangehörige in Deutschland haben, gestatten, bei ihnen zu wohnen und von ihnen versorgt zu werden. Viele Familien, die bereits in Deutschland Fuß gefasst haben, wären dazu bereit.

In Bezug auf die Verschärfungen des Migrationsrechtes halten wir fest:

· Weiterhin müssen zufluchtsuchende Menschen eine rechtssichere und faire Prüfung auf einen Schutz- und Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten.

· Eine Verlagerung von Prüfungen auf Asyl an die Außengrenzen gefährdet faire, rechtsstaatliche Verfahren. Zufluchtsuchenden droht nach einem Schnellverfahren ohne Zugang zu Beratungsstellen oder Anwält:innen und ohne inhaltliche Prüfung von Fluchtgründen die direkte Abschiebung.

· Deutschland sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass bestimmte EU-Staaten keine fairen und rechtstaatlichen Asylverfahren durchführen. Geflüchtete dürfen nicht schikaniert, inhaftiert, geschlagen oder bedroht und auch nicht Opfer von Pushbacks werden. Dies verrät die Grundlagen jedes Rechtsstaats und vergrößert die Not der Menschen und die Gefahr, krank und noch mehr traumatisiert oder in den Händen von Schleusern zu noch gefährlicheren Transfers gezwungen zu werden. Ein Zurückschicken von Geflüchteten in Staaten, die offenkundig elementare Menschenrechte missachten, ist ein Verrat an den elementaren Grundlagen unseres Gemeinwesens und nur graduell unterschieden von einem Pushback.

· In Härtefallen muss die vielfältig bewährte Praxis im Umgang mit Kirchenasyl bestehen bleiben, um eine erneute Prüfung durchführen zu können.

Im ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche Niedersachsen-Bremen sind vertreten: Kirchenasyl gewährende Kirchengemeinden in Niedersachen-Bremen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. sowie viele Migrationsberatungsstellen von Caritas und Diakonie





Ansprechpartner für das Netzwerk:



Sven Quittkat

Pastor



Dachstiftung Diakonie



Kirchröder Str. 44e

30625 Hannover

... link (44 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 28. November 2023
Portrait eines Geflüchteten: Majid Farhadi*
Abschiebungen aus Deutschland in Dublin-Vertragsstaaten (wie Frankreich) sind alltäglich: Im ersten Halbjahr 2023 hat es 273 Abschiebungen allein nach Frankreich gegeben. Was das im Einzelfall für die Betroffenen bedeutet, macht der nachfolgende, eindringliche Ausschnitt aus der Lesung „Der helle Horizont“ von Hanna Legatis und Martin-G. Kunze deutlich, mit dem die beiden derzeit in verschiedenen deutschen Städten auf Tour sind.
_____________________________________________________________________________________

„Heute Abend protestieren wir!“ Der Aufruf verbreitet sich schnell in der kleinen Stadt Oschnaviyeh und hunderte folgen ihm. Geschehen im September vor einem Jahr. Die junge Kurdin Mahsa Amini ist da gerade einige Tage tot.

Oschnaviyeh liegt ganz im Nordwesten des Iran. Hier leben überwiegend Kurdinnen und Kurden. Gegen 21 Uhr strömen die Menschen nach draußen. Kaum sind sie auf den Straßen, werden sie beschossen. Von örtlichen Polizisten mit Schrotflinten und von Scharfschützen. Die Schrot-Munition reißt schlimme Wunden, kann tödlich sein. Vier Menschen sterben sofort, einer ist gerade 16.

„Ich sehe noch immer sein Gesicht vor mir. Warum konnte ich nichts für ihn tun?“

Das fragt sich Majid Farhadi* – bis heute. Als Medizinstudent war er mit ein paar anderen Freiwilligen zu den Demonstranten geeilt, um Verletzten zu helfen. „Rote Sonne“ nennen sie sich, ähnlich dem „Roten Kreuz“ oder dem „Roten Halbmond“. Nur eben mit dem kurdischen Symbol der Sonne.

Majid Farhadi und seine Freunde können einige der Verwundeten versorgen. Bei den Demonstranten wächst derweil die Wut, sie stürmen auf das Polizeirevier zu. Die Beamten verbarrikadieren sich.

Jede Nacht versammeln sich von da an tausende auf den Straßen von Oschnaviyeh und protestieren. Jede Nacht werden es mehr. Und dann geschieht etwas Ungeheuerliches: Die Polizisten, alle Sicherheitskräfte geben auf.

„Man konnte die Angst in ihren Gesichtern sehen. Sie stiegen einfach in ihre Autos und fuhren weg.“ berichtet Majid Farhadi.

„Oschnaviyeh ist frei!“ Über die sozialen Medien verbreitet sich diese Botschaft im Nu. Der Traum vom Ende des Gewaltregimes ist plötzlich ganz nah, der Traum vom Frieden. Deshalb kommt es für die Menschen auch gar nicht in Frage, selber zu irgendwelchen Waffen zu greifen. Außerdem, so ergänzt Majid Farhadi, seien gerade Kurdinnen und Kurden von allen iranischen Regierungen schon immer brutal verfolgt und des bewaffneten Widerstands, des Terrorismus verdächtigt worden. „Wir wollten ihnen keinen Vorwand liefern, uns noch stärker zu unterdrücken.“

Die Freiheit in Oschanaviyeh dauert nur anderthalb Tage. Dann rückt eine Kolonne gepanzerter Fahrzeuge ein, Revolutionsgardisten und Polizisten verhaften auf einen Schlag 1008 Menschen. Auch Majid Farhadi.

Drei Wochen wird er in eine Einzelzelle gesperrt, in einem der sog. Geheimgefängnisse. Das sind – neben den offiziellen Haftanstalten – unter anderem leerstehende Gebäude, Lagerhallen, Keller von Moscheen. Revolutionsgardisten nutzen diese Räume als Folterzentren. Benachbarten Anwohnern soll verborgen bleiben, was dort geschieht.

Majid Farhadi wird heftig geschlagen, auf den Kopf, ins Gesicht, in den Bauch, auf seinen PeniFarhadi Die Milizionäre hängen ihn an der Decke auf, nur seine Zehenspitzen berühren den Boden. Tagelang verhören sie ihn so, halten ein Feuerzeug an seinen Leib und verbrennen seine Körperhaare. Mit einem Schlagstock in seinem After vergewaltigen sie ihn, drohen, ihn zu kastrieren. Irgendwann kann er nicht mehr schreien. „Ich war wie gelähmt, ich habe lediglich lautlos geweint.“

Auf Kaution wird er endlich freigelassen – vorrübergehend. Sofort engagiert er sich erneut, hilft, ein Versorgungs-Netz für verletzte Demonstranten aufzubauen. Als sein Prozess näher rückt und die Situation für ihn immer bedrohlicher wird, entscheidet er sich, aus dem Iran zu fliehen.

Auf gefährlichen Wegen, mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm, mehrere Landesgrenzen zu überwinden. Schließlich erreicht er Deutschland.

Auf unsere Frage, wie er die Folter überleben konnte, antwortet er: „Ich habe es geschafft, Widerstand zu leisten.“

In Hamburg findet er Schutz bei seinem Bruder, Ärzte beginnen mit einer Behandlung seiner Verletzungen. Die körperlichen Wunden heilen allmählich, das Trauma bleibt.

In der Zeit, es ist Mitte September 2023, bekommen wir Kontakt zu Majid Farhadi. Trotz all der Einschüchterung, all der Schmerzen, die er erlitten hat, erleben wir ihn als sehr offen und zugewandt. Obwohl wir ganz verschiedene Sprachen sprechen und in verschiedenen Städten leben. Mit digitalen Übersetzungshilfen tasten wir uns aneinander heran und fragen ihn, wie es ihm mittlerweile in Europa geht:

„Ich habe das Gefühl, dass ich mir keine Sorgen mehr über das Sterben machen muss“

Majid Farhadi beantragt Asyl in Deutschland. Aber die Behörden wollen ihn nach Frankreich abschieben. Dublin-Verfahren… Sofort legt er Widerspruch ein. Die Abschiebung wird ausgesetzt – wegen seines katastrophalen Gesundheitszustands. Er erhält eine Duldung.

Dann bekommt er einen Termin bei der Hamburger Ausländerbehörde, um seine Ausweispapiere zu verlängern. Kaum hat er das Amtszimmer betreten, nehmen Sicherheitskräfte ihn fest, setzen ihn in einen Bus nach Frankreich und konfiszieren sein Handy. Er darf weder seinen Anwalt noch seinen Bruder anrufen.

Angst überfällt ihn, er gerät in Panik. Die Sicherheitskräfte gehen körperlich gegen ihn vor, halten ihn fest und verdrehen sein Handgelenk. Der Schmerz ist so stark, dass er um einen Arzt bittet. Ohne Erfolg. „Egal was ist – wir bringen Dich nach Frankreich!“ lautet stattdessen die Antwort.

In Frankreich haben Freunde Majid Farhadi jetzt einen Schlafplatz besorgt, sein Anwalt kämpft darum, dass er nach Deutschland zurückkehren darf.

„Das Mullah-Regime freut sich über meine Abschiebung aus Deutschland. Die deutsche Regierung ist sich bewusst, dass die Islamische Republik größter Unterstützer und Geldgeber der Terrorgruppe Hamas ist, die ganz Israel und Palästina in eine humanitäre Katastrophe gestürzt hat. Meine Abschiebung hilft der Islamischen Republik nun, kurdische Menschen zu unterdrücken.“

Wieder ist Majid Farhadis Zukunft völlig ungewiss. Seine Überzeugung allerdings keineswegs:

„Meine Abschiebung sorgt nicht dafür, dass es in Deutschland einen Flüchtling weniger gibt – sie kommt dem Knebeln meiner Stimme gleich. Aber ich bin sicher, dass das Regime im Iran fallen wird. Und ich werde nie daran zweifeln.“

* Name geändert


https://www.nds-fluerat.org/57875/aktuelles/portrait-eines-gefluechteten-majid-s/

... link (135 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 21. November 2023
Der Absturz Greta Thunbergs
https://www.gmx.net/magazine/politik/greta-thunberg-absturz-ueberraschung-38888308

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 17. November 2023
Erdoğan-Besuch: Schluss mit menschenunwürdigen Deals auf dem Rücken schutzsuchender Menschen
16. November 2023

https://www.nds-fluerat.org/57766/aktuelles/erdogan-besuch-schluss-mit-menschenunwuerdigen-deals-auf-dem-ruecken-schutzsuchender-menschen/
PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer warnen anlässlich des Treffens des türkischen Präsidenten Erdoğan mit Bundeskanzler Scholz am Freitag, den 17. November in Berlin, vor einer Neuauflage des menschenfeindlichen EU-Türkei-Deals und fordern eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik, insbesondere gegenüber der Türkei!

„Die derzeitige Politik der Abwehr und Abschottung setzt auf einen Kuschelkurs mit autoritären Regimen. Aber der Bundesregierung muss klar sein: Flüchtlingsdeals wie mit der Türkei führen zu immensem Leid von Schutzsuchenden, verletzen ihre Menschenrechte und funktionieren in der Praxis schlicht nicht. Die beschworene Partnerschaft zwischen beiden Ländern stabilisiert ein Regime in der Türkei, das selbst für immer mehr Flucht verantwortlich ist”, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Der EU-Türkei-Deal war und ist rechtlich, humanitär und moralisch inakzeptabel. Die Folgen für Geflüchtete sind fatal: Menschen werden in der Türkei festgesetzt und immer wieder rechtswidrig und mit brutaler Gewalt über die Grenze zurück in die Kriegsgebiete nach Nordsyrien gezwungen oder an ihre Verfolger im Iran oder Afghanistan ausgeliefert. In Griechenland löste der Deal eine permanente humanitäre Krise aus. In den EU-finanzierten Flüchtlingslagern auf den Ägäis-Inseln werden Schutzsuchende ihrer Rechte beraubt und physisch und psychisch verletzt. In Griechenland stieg sowohl an der Landesgrenze als auch in der Ägäis die Zahl illegaler und tödlicher Zurückweisungen auf Rekordhöhen. Trotzdem wird laut Beschluss von Kanzler und Ministerpräsident:innen vom 6. November 2023 die Bundesregierung “die wirksame Fortsetzung und Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens weiterhin unterstützen”.

Flüchtlinge aus der Türkei: Steigende Zahlen und sinkende Anerkennungsquoten
Das Regime von Erdoğan zwingt viele Menschen zur Flucht. So ist die Türkei nach Syrien aktuell das Hauptherkunftsland von Schutzsuchenden in Deutschland, denn der türkische Staat verfolgt Kritiker:innen mit voller Härte, unterdrückt Minderheiten im eigenen Land und setzt Kurd:innen im Nordirak und Nordsyrien einem Dauerbeschuss aus. Bis Oktober 2023 stellten über 45.000 türkische Staatsangehörige einen Asylerstantrag. Die sich verschärfende Menschenrechtslage in der Türkei spiegelt sich jedoch nicht in der Schutzquote von Asylantragstellenden aus der Türkei wider. Diese liegt aktuell bei nur 19 Prozent. Das bedeutet, dass nicht mal jeder fünfte Antrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgreich ist.

“Auch innenpolitisch muss sich Deutschland ehrlich machen und anerkennen, dass es sich bei der Türkei nicht länger um einen verlässlichen, demokratischen Partner handelt. Stattdessen unterstellt das BAMF weiterhin einen grundsätzlich rechtsstaatlichen Umgang mit Oppositionellen und lehnt in einer Vielzahl von Verfahren Schutzsuchende ab, die in der Türkei mit Berufsverboten belegt oder strafrechtlich verfolgt werden. Man muss sich fragen, ob hier im vorauseilenden Gehorsam gehandelt wird, um Erdoğan nicht zu verärgern”, kommentiert Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen für die Flüchtlingsräte.

Es ist allseits anerkannt, dass die Türkei umfänglich auf konstruierte Terrorismusvorwürfe gegenüber unliebsamen Einzelpersonen oder Gruppierungen zurückgreift. Ihnen drohen rechtsstaatswidrige Verfahren und langjährige Haftstrafen. Erdoğan herrscht in der Türkei seit 20 Jahren und hat seither den Staat, seine Institutionen und das Justizwesen weitgehend seinem autokratischen Willen unterworfen. Nach dem Putschversuch von 2016 kam es zum weitgehenden Umbau der Justiz, um diese regierungskonform zu schalten.

PRO ASYL und die Flüchtlingsräte der Bundesländer fordern, dass die Bundesregierung gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten konsequent menschenrechtliche Standards verteidigt – innenpolitisch, außenpolitisch und selbstverständlich auch flüchtlingspolitisch. Auch die umfängliche Überarbeitung der BAMF-Entscheidungspraxis zur Türkei ist längst überfällig.


Ergänzung von Dündar Kelloglu:

Herr Erdogan hat sich als Gesprächspartner mehr als disqualifiziert.

Er lehnt es ab, Entscheidungen EuGH in der Türkei umzusetzen.

Zudem hat er die die türkischen Gerichte angewiesen, die eigenen Entscheidungen des türkischen Verfassungsgerichts umzusetzen.

Er wirft eigenen Verfassungsrichtern, die er benannt hat, vor, den Terrorismus zu unterstützen und hat das türkische Kassationsgericht angewiesen,
gegen die türkischen Verfassungsrichter eine Strafanzeige wegen Unterstützung von Terrorismus zu stellen.

Er hat sich auch formal von einer verfassungsmäßigen Staatsordnung verabschiedet und hat faktisch die türkische Verfassungsordnung durch Anordnung außer Vollzug gesetzt….

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 10. November 2023
Nun auch im Landkreis Göttingen: Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht“ für Langzeitgeduldete
Das Modellprojekt „Wege ins Bleiberecht (WIB)“ startete jetzt auch im Landkreis Göttingen: Gemeinsam suchen Flüchtlingsrat, lokale Beratungsstellen und die Ausländerbehörde des Landkreises systematisch nach Lösungen, damit Menschen, die seit vielen Jahren in Niedersachsen zu Hause sind, aber bislang nur geduldet werden, von einer der Bleiberechtsregelungen profitieren können. Ziel der Projektzusammenarbeit ist es, möglichst vielen Geflüchteten zu einem Aufenthaltsrecht zu verhelfen und die Zahl der Langzeitgeduldeten im Landkreis signifikant zu senken.

Durchgeführt wurde das Projekt bislang in den Städten Hannover, Göttingen und Oldenburg. Der Landkreis Göttingen ist der erste Flächenlandkreis, mit der eine Projektzusammenarbeit im Rahmen von „Wege ins Bleiberecht“ vereinbart wurde.

Durch die gesetzliche Neuregelung zum sog. Chancenaufenthalt zum 01.01.2023 konnte die Zahl der Menschen, die aus dem Projekt partizipieren können (anders als bei den Städten, die Pilotkommunen waren), bereits erheblich von ca. 370 auf 120 reduziert werden. Dennoch wollen wir auch denen durch das Projekt Wege ins Bleiberecht möglichen allen Langzeitgeduldeten eine Chance einräumen.

Im Landkreis Göttingen befinden sich derzeit noch rund 130 Menschen, welche sich im Status einer sogenannten Duldung befinden. Für die Betroffenen ist diese Situation sehr belastend: Der Aufenthalt ist ungesichert, es gibt oftmals Probleme mit der Arbeitserlaubnis und nur eingeschränkte Sozialleistungen, Reisen ins Ausland sind nicht möglich, ein Familiennachzug ist ausgeschlossen. Das gemeinsame Modellprojekt des Flüchtlingsrat Niedersachsen und des Landkreis Göttingen „WIB. Wege ins Bleiberecht im Landkreis Göttingen“ will dies ändern und stellt Langzeitgeduldete in den Mittelpunkt, damit möglichst viele von ihnen ein Bleiberecht erhalten.

Marlies Dornieden, zuständige Dezernentin für den Bereich Öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landkreises Göttingen führt dazu aus:

„Die Zusammenarbeit unseres Landkreises mit Nichtregierungsorganisationen ist für alle Beteiligten gewinnbringend und zukunftsweisend. Die Herausforderungen im Bereich Flucht- und Migration können nur bewältigt werden, wenn Politik, Verwaltung, und Zivilgesellschaft vertrauensvoll an einem Strang ziehen. Das Modellprojekt „WiB. Wege ins Bleiberecht im Landkreis Göttingen" ist ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung. Wir erwarten, gemeinsam nachhaltige Verfahren zu entwickeln, die Kettenduldungen -für Personen bei denen längerfristige Ausreisehindernisse bestehen- beenden bzw. gar nicht erst entstehen lassen, weil die Betroffenen gezielt beraten und unterstützt werden, sodass sie schnell ein verlässliches Bleiberecht erhalten.“

Muzaffer Öztürkyilmaz, Geschäftsführung, Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:

„Wir freuen uns, dass wir mit dem Landkreis Göttingen die erste ländliche Kommune für eine Zusammenarbeit gewinnen konnten. Wir sind sehr zuversichtlich, mit unserem gemeinsamen Modellprojekt für viele Langzeitgeduldete im Landkreis eine Aufenthaltsperspektive zu finden und sie aus dem Elend der Kettenduldungen zu befreien. Zumal der Landkreis den Projekteilnehmer:innen zusichert, bis zum Ende des Projekts niemanden von ihnen abzuschieben. Diese Regelung schafft Vertrauen und gibt Betroffenen und Beratungsstellen die notwendige Zeit, um die Voraussetzungen für eine der Bleiberechtsregelungen zu erfüllen.“

Die Landesregierung hat es sich ausweislich des Koalitionsvertrages zum Ziel gesetzt, von Kettenduldungen betroffenen Menschen eine Perspektive in Niedersachsen zu bieten und das Projekt „Wege ins Bleiberecht“ zur landesweiten Praxis zu machen. Prinzipiell könnten in Niedersachsen 13.000 Einzelpersonen und ihre Familienangehörigen, d.h. mehr als die Hälfte aller 23.000 Geduldeten, von einer der Bleiberechtsregelung profitieren, da sie die dafür erforderlichen Voraufenthaltszeiten von vier bzw. sechs Jahren erfüllen. Maßgeblich für die tatsächlich erteilten Bleiberechte wird auch die Praxis der niedersächsischen Ausländerbehörden sein, die sich je nach Kommune stark unterscheidet.

Kontakt
Flüchtlingsrat Niedersachsen
Muzaffer Öztürkyilmaz
0511 – 98 24 60 38
moy(at)nds-fluerat.org, nds(at)nds-fluerat.org

Hintergrund
Das zunächst auf drei Jahre angelegte Modellprojekt „WIB. Wege ins Bleiberecht“ des Flüchtlingsrats Niedersachsen hat zum 1. Juli 2019 seine Arbeit aufgenommen. Im Rahmen des Projektes werden gemeinsame Modelle für eine bleiberechtsorientierte Perspektive für Langzeitgeduldete entwickelt. Die zweite Phase des Modellprojekts (01.12.2022 bis zum 30.11.2025) wird vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung sowie der Abriporta Stiftung gefördert.
In dem ersten Projektzeitraum (01.07.2019 bis 30.06.2022) wurden in den drei Städten Hannover, Göttingen und Oldenburg insgesamt 21 Informationsveranstaltungen mit über 300 Teilnehmenden durchgeführt und über 350 Langzeitgeduldete allein durch den Flüchtlingsrat beraten. Zahlreiche weitere Beratungen erfolgten durch lokale Migrationsberatungsstellen, mit denen wir in eng kooperiert haben.

In Oldenburg lebten im Projektzeitraum 192 Langzeitgeduldete und die proaktive Ansprache der Geduldeten bei konkreten Bleiberechtsperspektiven gehörte bereits zum regulären Vorgehen, sodass diese Kommune als best-practice-Beispiel dienen konnte. Diese Erfahrungswerte konnten wir für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts in anderen Kooperationskommunen nutzen. So erhielten in den Städten Göttingen und Hannover 450 der insgesamt 1.234 geduldeten Projektteilnehmenden eine Aufenthaltserlaubnis. Somit haben 36 % der Langzeitgeduldeten ein Bleiberecht erhalten und wir unser ursprüngliches Ziel, mindestens 30 % von ihnen in ein Bleiberecht zu überführen, sogar übertroffen.

Eine ausführliche Dokumentation der ersten Projektphase sowie eine Darstellung der Situation lediglich geduldeter Menschen und Rechtslage findet sich in unserer Broschüre "Wege. Chancen. Aufenthalt."

************

Muzaffer Öztürkyilmaz (er/ihn)
Geschäftsführung
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V., Röpkestr. 12, 30173 Hannover

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 23. Oktober 2023
Kommentar zu einem Beitrag von El Mocho bei Bersarin
Da ich aufgrund der veränderten Sicherheitseinstellungen bei wordpress dort nicht mehr kommentieren kann nun also über Bande:


https://bersarin.wordpress.com/2023/10/19/arabische-strase-in-neukolln/#comments

@ El Mocho: "Es kommt immer darauf an, wo, an denen begegnet. Ich könnte mir vorstellen, dass du in deinem Umfeld von Politaktivisten und Flüchtlingsräten eher positive Erfahrungen machst als viele Deutsche in ihrem Alltag.



Ich beziehe mich wesentlich auf die Erfahrungen einer Frau, die in einem Kindergarten arbeitet, in dem die Mehrheit der Kinder inzwischen auf muslimischen Familien stammt (ich hatte darüber ja mal in deinem Blog geschrieben).



Und es kommen immer mehr dazu, Kinder die praktisch durchweg verhaltensauffällig sind, die anderen schlagen oder ständig weinen und schreien. Unhaltbare Zustände" -------





Meine Erfahrungen sind da sehr viel weiter aufgestellt. Ich hatte mal an einem Gymnasium in einem Sozialer-Brennpunkt-Viertel unterrichtet mit einem Ausländeranteil von 45 %, da hatte ich die Multikulturalität sogar als produktiv erlebt. Als ich einer Zehnten das Wort failed state an die Tafel schrieb flogen die Meldearme hoch, denn da kamen viele von den Kids her, von Mexiko über Afghanistan bis Philippinen. Da gab es viele Probleme nicht, die an "besseren" Schulen auftraten, wie Neid und Mobbing wegen dem Besitz von Apple-Gadgets und Markenklamotten: Konnte sich eh niemand leisten. Das waren aber keine Kinder von Leistungsempfängern, sondern alles Arbeiterfamilien, fast alle in der IGM. Migranten, die zugleich klassenbewusste Proleten waren. Ganz andere Geschichte als Neukölln.



Für mich selbst hatte das Engagement mit 6 Jahren begonnen, mit meiner Einschulung in der Grundschule. Da hatte meine Mutter mir empfohlen, mich mit den Türkenkindern anzufreunden, die wären ausgegrenzt und hätten niemanden, ich sollte denen helfen. Von da an war ich auf die Schienen gestellt, auf denen ich bis heute rolle. Später, so ab 18, gingen die und ich auch teilweise parallel in die linke Szene. Ich in autonome Gruppen, die in die Devrimci Yol.

... link (11 Kommentare)   ... comment