Donnerstag, 1. Oktober 2020
Die neuen schnellen Antigen-Tests bei COVID-19: Wie in der Praxis einsetzen? Was bringen sie? Für wen eignen sie sich?
che2001, 18:46h
Kurt-Martin Mayer
Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 sieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Teil der deutschen Strategie für Herbst und Winter. In Europa und Nordamerika sind im Wesentlichen 3 derartige Produkte bereits auf dem Markt. Die Tests reagieren auf typische Virus-Proteine im Nasen-Rachen-Raum.
Auch wenn sie etwas häufiger eine Infektion übersehen als das auf das Viruserbgut ausgerichtete PCR-Verfahren, begrüßen Virologen wie Prof. Dr. Uwe Dittmer, Universitätsmedizin Mainz, die Antigentests. Schon nach einer Viertelstunde liege ein Ergebnis vor, „während es bei den schnellsten PCR-Tests mindestens 50 Minuten dauert“, vergleicht Dittmer.
Wegen der höheren Fehlerquote dämpft der Institutsleiter allerdings die Hoffnung, mithilfe von Antigentests ließen sich Stadien, Konzertsäle und Clubs wieder ähnlich dicht mit Besuchern füllen wie vor der Pandemie. Weil Antigentests umso sicherer anschlügen, je höher die Virenmenge im Körper sei, empfiehlt Dittmer, sie vorrangig zur Überprüfung von Personen mit Symptomen einzusetzen.
Allerdings sei es auch denkbar, „dass jene Infizierten, die wir mittels Antigentest nicht entdecken, für andere ungefährlich sind“. Natürlich gebe es dabei Ausnahmen.
Der Ct-Wert, das Maß für die Menge der Virus-RNA in einer Probe (je mehr davon vorhanden ist, desto geringer ist der Ct-Wert) endet beim Antigentest etwa beim Wert 27. Asymptomatische Patienten haben meist einen Ct-Wert von über 30.
Sensitivität und Spezifität der 3 Tests
Unter den Herstellern wirbt vor allem die nal von minden GmbH aus Moers mit einer Massentauglichkeit ihres „Nadal“ genannten Tests. Mit ihm habe man nach Unternehmensangaben in einem Probelauf in Wien 3.000 Studenten vor einer Vorlesung überprüft. Eine Person mit einem negativen Testergebnis ist nach Firmenmangaben zu mehr als 99,9% wirklich negativ. Von 100 positiven Proben werden 97,56 auch richtig als positiv erkannt.
Nal von minden gibt an, bereits Millionen Antigentests hergestellt zu haben, die ab sofort verfügbar seien. Die Produktionskapazität liege bei 20 Millionen Tests pro Monat, könne aber auch weiter „hochgefahren“ werden.
Vorläufige Ergebnisse einer von Abbott durchgeführten klinischen Studie mit 241 Proben zeigten, dass das „Panbio COVID-19 Ag-Test“ genannte Produkt des US-amerikanischen Herstellers eine Sensitivität von 93,3% und eine Spezifität von 99,4% aufweise.
Das Unternehmen Roche gibt für seinen „SARS-CoV-2 Rapid Antigen Test“ eine Sensitivität von 96,52% und eine Spezifizität von 99,68% an.
Weder das Produkt aus Moers noch die Konkurrenztests der Hersteller Roche und Abbott sind für den privaten Hausgebrauch zugelassen. Auch wenn sie über Apotheken abgegeben werden, geht das nur über die Praxisversorgung.
Und die Kosten?
Zwar halten sich die Firmen beim Punkt „Kosten“ mit konkreten Angaben zurück, doch nach Dittmers Erfahrungen dürften die Preise nicht das entscheidende Argument werden. Antigen-Schnelltests kosteten ebenso wie Standard-PCR-Tests (Ergebnis nach mindestens 2 Stunden) rund 20 Euro. Teurer, nämlich etwa doppelt so teuer seien schnelle PCR-Tests, bei denen man nur etwa 50 Minuten auf das Ergebnis warten muss.
Auch bei den Antigentests ist die Infrastruktur und die Sorgfalt der Arbeitsweise wichtig. So komme es auch bei ihnen auf einen guten Abstrich an, mahnt Dittmer. Für den Fall positiver Ergebnisse dürfe es auch nicht an Schutzkleidung fehlen und an einer räumlichen Möglichkeit, Menschen zu isolieren. In der derzeitigen Praxis scheinen Materialmängel nach wie vor ein Problem bei Tests zu sein.
Als einen der Gründe für seine positive Erwartungshaltung gegenüber den Antigentests nennt Dittmer die Tatsache, dass es bei den PCR-TEsts immer wieder Lieferschwierigkeiten gebe – weiterhin komme es vor, dass Plastikteile oder bestimmte Chemikalien nicht lieferbar seien.
Akkreditierte Labore in der Medizin noch abwartend
Abwartend beurteilen die Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM e.V.) die Antigentests. „Zur Sicherheit der Menschen… gilt es hier, zunächst die Qualität der Herstellerangaben in der Versorgung zu überprüfen und die Tests dann sinnvoll in die Nationale Teststrategie zu integrieren“, mahnt der ALM-Vorsitzende Dr. Michael Müller.
Zur Sicherheit der Menschen… gilt es hier, zunächst die Qualität der Herstellerangaben in der Versorgung zu überprüfen und die Tests dann sinnvoll in die Nationale Teststrategie zu integrieren. Dr. Michael Müller
Weil man um die etwas niedrigere Sensitivität wisse, „bedarf es vergleichender Untersuchungen und Bewertungen von PCR- und Antigentests“. Diese Zeit sollte man sich nehmen und klären, welches Maß an geringerer Sensitivität der Antigentests im Vergleich zum „Goldstandard“ PCR-Test akzeptierbar sei.
Antikörpertests – unverzichtbar erst bei Massenimpfungen?
Wenig Chancen gibt der Essener Virologe Dittmer dem LAMP-Verfahren („loop-mediated isothermal amplification“), das hauptsächlich im Vereinigten Königreich bereits im breiten Einsatz stehen soll. Es biete weder hinsichtlich Spezifität noch Sensitivität einen Vorteil gegenüber Antigentests, dauere aber mit ungefähr einer halben Stunde deutlich länger.
Anders als Antigentests zeigen Antikörpertests eine bereits durchgemachte Infektion an. Wirklich wichtig werden Antikörpertests nach Dittmers Einschätzung allerdings „wohl erst, wenn wir über einen Impfstoff verfügen“. Dann könnten sie verraten, ob sich ein Infektionsschutz aufbaue und vielleicht auch, wie lange dieser anhalte.
Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 sieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als Teil der deutschen Strategie für Herbst und Winter. In Europa und Nordamerika sind im Wesentlichen 3 derartige Produkte bereits auf dem Markt. Die Tests reagieren auf typische Virus-Proteine im Nasen-Rachen-Raum.
Auch wenn sie etwas häufiger eine Infektion übersehen als das auf das Viruserbgut ausgerichtete PCR-Verfahren, begrüßen Virologen wie Prof. Dr. Uwe Dittmer, Universitätsmedizin Mainz, die Antigentests. Schon nach einer Viertelstunde liege ein Ergebnis vor, „während es bei den schnellsten PCR-Tests mindestens 50 Minuten dauert“, vergleicht Dittmer.
Wegen der höheren Fehlerquote dämpft der Institutsleiter allerdings die Hoffnung, mithilfe von Antigentests ließen sich Stadien, Konzertsäle und Clubs wieder ähnlich dicht mit Besuchern füllen wie vor der Pandemie. Weil Antigentests umso sicherer anschlügen, je höher die Virenmenge im Körper sei, empfiehlt Dittmer, sie vorrangig zur Überprüfung von Personen mit Symptomen einzusetzen.
Allerdings sei es auch denkbar, „dass jene Infizierten, die wir mittels Antigentest nicht entdecken, für andere ungefährlich sind“. Natürlich gebe es dabei Ausnahmen.
Der Ct-Wert, das Maß für die Menge der Virus-RNA in einer Probe (je mehr davon vorhanden ist, desto geringer ist der Ct-Wert) endet beim Antigentest etwa beim Wert 27. Asymptomatische Patienten haben meist einen Ct-Wert von über 30.
Sensitivität und Spezifität der 3 Tests
Unter den Herstellern wirbt vor allem die nal von minden GmbH aus Moers mit einer Massentauglichkeit ihres „Nadal“ genannten Tests. Mit ihm habe man nach Unternehmensangaben in einem Probelauf in Wien 3.000 Studenten vor einer Vorlesung überprüft. Eine Person mit einem negativen Testergebnis ist nach Firmenmangaben zu mehr als 99,9% wirklich negativ. Von 100 positiven Proben werden 97,56 auch richtig als positiv erkannt.
Nal von minden gibt an, bereits Millionen Antigentests hergestellt zu haben, die ab sofort verfügbar seien. Die Produktionskapazität liege bei 20 Millionen Tests pro Monat, könne aber auch weiter „hochgefahren“ werden.
Vorläufige Ergebnisse einer von Abbott durchgeführten klinischen Studie mit 241 Proben zeigten, dass das „Panbio COVID-19 Ag-Test“ genannte Produkt des US-amerikanischen Herstellers eine Sensitivität von 93,3% und eine Spezifität von 99,4% aufweise.
Das Unternehmen Roche gibt für seinen „SARS-CoV-2 Rapid Antigen Test“ eine Sensitivität von 96,52% und eine Spezifizität von 99,68% an.
Weder das Produkt aus Moers noch die Konkurrenztests der Hersteller Roche und Abbott sind für den privaten Hausgebrauch zugelassen. Auch wenn sie über Apotheken abgegeben werden, geht das nur über die Praxisversorgung.
Und die Kosten?
Zwar halten sich die Firmen beim Punkt „Kosten“ mit konkreten Angaben zurück, doch nach Dittmers Erfahrungen dürften die Preise nicht das entscheidende Argument werden. Antigen-Schnelltests kosteten ebenso wie Standard-PCR-Tests (Ergebnis nach mindestens 2 Stunden) rund 20 Euro. Teurer, nämlich etwa doppelt so teuer seien schnelle PCR-Tests, bei denen man nur etwa 50 Minuten auf das Ergebnis warten muss.
Auch bei den Antigentests ist die Infrastruktur und die Sorgfalt der Arbeitsweise wichtig. So komme es auch bei ihnen auf einen guten Abstrich an, mahnt Dittmer. Für den Fall positiver Ergebnisse dürfe es auch nicht an Schutzkleidung fehlen und an einer räumlichen Möglichkeit, Menschen zu isolieren. In der derzeitigen Praxis scheinen Materialmängel nach wie vor ein Problem bei Tests zu sein.
Als einen der Gründe für seine positive Erwartungshaltung gegenüber den Antigentests nennt Dittmer die Tatsache, dass es bei den PCR-TEsts immer wieder Lieferschwierigkeiten gebe – weiterhin komme es vor, dass Plastikteile oder bestimmte Chemikalien nicht lieferbar seien.
Akkreditierte Labore in der Medizin noch abwartend
Abwartend beurteilen die Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM e.V.) die Antigentests. „Zur Sicherheit der Menschen… gilt es hier, zunächst die Qualität der Herstellerangaben in der Versorgung zu überprüfen und die Tests dann sinnvoll in die Nationale Teststrategie zu integrieren“, mahnt der ALM-Vorsitzende Dr. Michael Müller.
Zur Sicherheit der Menschen… gilt es hier, zunächst die Qualität der Herstellerangaben in der Versorgung zu überprüfen und die Tests dann sinnvoll in die Nationale Teststrategie zu integrieren. Dr. Michael Müller
Weil man um die etwas niedrigere Sensitivität wisse, „bedarf es vergleichender Untersuchungen und Bewertungen von PCR- und Antigentests“. Diese Zeit sollte man sich nehmen und klären, welches Maß an geringerer Sensitivität der Antigentests im Vergleich zum „Goldstandard“ PCR-Test akzeptierbar sei.
Antikörpertests – unverzichtbar erst bei Massenimpfungen?
Wenig Chancen gibt der Essener Virologe Dittmer dem LAMP-Verfahren („loop-mediated isothermal amplification“), das hauptsächlich im Vereinigten Königreich bereits im breiten Einsatz stehen soll. Es biete weder hinsichtlich Spezifität noch Sensitivität einen Vorteil gegenüber Antigentests, dauere aber mit ungefähr einer halben Stunde deutlich länger.
Anders als Antigentests zeigen Antikörpertests eine bereits durchgemachte Infektion an. Wirklich wichtig werden Antikörpertests nach Dittmers Einschätzung allerdings „wohl erst, wenn wir über einen Impfstoff verfügen“. Dann könnten sie verraten, ob sich ein Infektionsschutz aufbaue und vielleicht auch, wie lange dieser anhalte.
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Mittwoch, 30. September 2020
Corona: Neandertaler besondere Risikogruppe
che2001, 19:49h
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10 Mal tödlicher als die Grippe! Epidemiologe benennt 3 Fehler, durch die wir die Corona-Gefahr unterschätzen
che2001, 18:12h
Heike Dierbach, Medscape
Eine wichtige Frage bei COVID-19 ist, wie tödlich die Krankheit wirklich ist – nicht zuletzt, weil dies die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung rechtfertigt. Doch der Anteil Verstorbener schwankt zwischen den Ländern erheblich, oft auch über die Zeit.
Der international renommierte Epidemiologe Prof. Dr. Rod Jackson von der School of Population Health an der University of Auckland, Neuseeland, hat 3 Hauptprobleme bei der Berechnung der Sterblichkeit ausgemacht. In einem Artikel für den New Zealand Herald liefert er auch gleich die Lösungen, wie diese zu beheben sind [1]. Dadurch lässt sich nach seinen Angaben unter anderem zeigen, dass COVID-19 rund 10 Mal so tödlich ist wie eine Virusgrippe.
So werden die Berechnungen präziser
Lösung für Problem 1: Um die Zahl der Infizierten zu bestimmen, braucht man reihenhafte Testungen auf Antikörper (und auf das Virus) bei vielen tausenden Personen in einer Stadt. Solche Erhebungen gibt es in den USA und Europa. Kleinere Länder wie Island sind hier im Nachteil, sagt Jackson: „Die Studien von dort sind gut gemacht, aber die Zahl der Personen und der Todesfälle ist einfach zu klein.“
Die Zahl der an COVID-19 Verstorbenen lässt sich über die zusätzlichen Todesfälle ermitteln. „Man schaut also, wie viele Menschen innerhalb von sechs Monaten mehr gestorben sind als im Durchschnitt der letzten Jahre über denselben Zeitraum.“ In den USA gab beispielsweise zwischen März und August 2020 insgesamt 248.400 mehr Todesfälle, verglichen mit diesem Zeitraum in den 5 Jahren zuvor. Zugleich wurden aber nur 176.247 Todesfälle wegen COVID-19 gemeldet. „Das legt nahe, dass die wahre Zahl der Todesfälle bis zu 40 Prozent höher liegt“, sagt Jackson.
Problem 2 lässt sich ebenfalls relativ leicht lösen: Nur die Zahl aller Infizierten darf in die Berechnung des Infizierten-Verstorbenen-Anteils eingehen. Die der Diagnostizierten ist dafür ungeeignet.
Problem 3 lässt sich durch Masse lösen: Gruppen mit sehr vielen Personen – am besten ein paar Millionen – sind weniger anfällig für Verzerrungen durch Einzelmerkmale, weil sie eher gemischt sind. Die untersuchte Todeszahl sollte möglichst mehrere Tausend betragen. „Eine Studie mit weniger als ein paar Hundert Todesfällen lohnt sich gar nicht anzusehen“, sagt Jackson. Zu Beginn der Pandemie ließen sich geringe Zahlen nicht vermeiden, aber nun sei dies nicht mehr tolerabel.
Medien sind oft zu unkritisch
Berücksichtigt man diese 3 Punkte, wird es einfacher, den Infizierten-Verstorbenen-Anteil zu berechnen, sagt Jackson. Er kritisiert, dass die Medien oft über Studien berichten, die von vielen Epidemiologen verworfen werden. „Das ist einer der Gründe, warum die Debatte so kontrovers wirkt.“
COVID-19 ist demnach mindestens 10 Mal so tödlich wie die Grippe. Prof. Dr. Rod Jackson
Doch selbst wenn man bessere Zahlen für Zähler und Nenner habe, so enthielten auch diese oft noch Unsicherheiten, sagt Jackson. Aber mit diesen könne man umgehen und zumindest eine Spanne für den Infizierten-Verstorbenen-Anteil berechnen.
Umfangreiche Daten lägen beispielsweise für Spanien vor. Nach diesen Daten starben 0,5 bis 2 von 100 Infizierten. Für den besonders betroffenen Bundesstaat Victoria in Australien kommt Jackson auf höchstens einen von 100. „Zum Vergleich: Bei der Grippe beträgt diese Quote weniger als eins zu tausend. COVID-19 ist demnach mindestens 10 Mal so tödlich wie die Grippe.“
Einen Blick in den Original-Artikel auf der Webseite des New Zealand Herald zu werfen, lohnt auch wegen der zusätzlichen Elemente. Unter anderem werden die aktuellen Infektionszahlen für Neuseeland angegeben, Stand 25. September: Aktive Fälle von COVID-19: 60. Patienten im Krankenhaus: 3. Auf der Intensivstation: 0.
Die Zahl der Diagnostizierten ist als Grundlage ungeeignet
Eigentlich lässt sich die Tödlichkeit einer Krankheit leicht berechnen: Man teilt die Anzahl der Todesfälle (Zähler) durch die Anzahl der Infizierten (Nenner), und erhält so den Infizierten-Verstorbenen-Anteil (Infection Fatality Proportion). Dieser ist nicht identisch mit der Mortalität oder Sterblichkeit, denn diese bezieht sich in der Regel auch auf einen bestimmten Zeitraum.
Jackson nennt 3 Gründe, warum bei COVID 19 die Berechnung des Infizierten-Verstorbenen-Anteils schwierig ist:
1. Wir kennen weder den genauen Wert für den Zähler noch für den Nenner. Nicht alle Verstorbenen sind nur aufgrund von COVID-19 gestorben. Und nicht alle Infizierte werden getestet und erfasst.
2. Es ist uneinheitlich, welche Zahl für den Nenner genommen wird: Manche Forscher stützen sich auch nur auf die Zahl der Diagnostizierten. Doch diese ist eben nicht die Zahl der Infizierten.
3. Die Berechnung bezieht sich immer auf eine bestimmte Gruppe von Personen. Bei COVID-19 spielen aber persönliche Merkmale wie Alter oder Vorerkrankungen eine entscheidende Rolle für die Gefahr durch das Virus. Insofern sind die Zahlen aus einer Gruppe streng genommen nur auf eine Gruppe mit ähnlichen Merkmalen übertragbar. „Wenn die Berechnung von einer Gruppe stammt, die nicht ähnlich ist zur Altersverteilung in Ihrer Stadt oder Ihrem Land, sagt der Infizierten-Verstorbenen-Anteil nicht viel aus“, warnt Jackson.
Und dann spiele natürlich auch noch die Gesundheitsversorgung vor Ort eine wichtige Rolle.
Wenn die Berechnung von einer Gruppe stammt, die nicht ähnlich ist zur Altersverteilung in Ihrer Stadt oder Ihrem Land, sagt der Infizierten-Verstorbenen-Anteil nicht viel aus. Prof. Dr. Rod Jackson
Diese Phänomene seien aber kein Grund, sich mit inkorrekten Berechnungen zufrieden zu geben. Denn je länger die Pandemie dauere, desto bessere Daten seien vorhanden, mit denen man arbeiten könne.
Eine wichtige Frage bei COVID-19 ist, wie tödlich die Krankheit wirklich ist – nicht zuletzt, weil dies die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung rechtfertigt. Doch der Anteil Verstorbener schwankt zwischen den Ländern erheblich, oft auch über die Zeit.
Der international renommierte Epidemiologe Prof. Dr. Rod Jackson von der School of Population Health an der University of Auckland, Neuseeland, hat 3 Hauptprobleme bei der Berechnung der Sterblichkeit ausgemacht. In einem Artikel für den New Zealand Herald liefert er auch gleich die Lösungen, wie diese zu beheben sind [1]. Dadurch lässt sich nach seinen Angaben unter anderem zeigen, dass COVID-19 rund 10 Mal so tödlich ist wie eine Virusgrippe.
So werden die Berechnungen präziser
Lösung für Problem 1: Um die Zahl der Infizierten zu bestimmen, braucht man reihenhafte Testungen auf Antikörper (und auf das Virus) bei vielen tausenden Personen in einer Stadt. Solche Erhebungen gibt es in den USA und Europa. Kleinere Länder wie Island sind hier im Nachteil, sagt Jackson: „Die Studien von dort sind gut gemacht, aber die Zahl der Personen und der Todesfälle ist einfach zu klein.“
Die Zahl der an COVID-19 Verstorbenen lässt sich über die zusätzlichen Todesfälle ermitteln. „Man schaut also, wie viele Menschen innerhalb von sechs Monaten mehr gestorben sind als im Durchschnitt der letzten Jahre über denselben Zeitraum.“ In den USA gab beispielsweise zwischen März und August 2020 insgesamt 248.400 mehr Todesfälle, verglichen mit diesem Zeitraum in den 5 Jahren zuvor. Zugleich wurden aber nur 176.247 Todesfälle wegen COVID-19 gemeldet. „Das legt nahe, dass die wahre Zahl der Todesfälle bis zu 40 Prozent höher liegt“, sagt Jackson.
Problem 2 lässt sich ebenfalls relativ leicht lösen: Nur die Zahl aller Infizierten darf in die Berechnung des Infizierten-Verstorbenen-Anteils eingehen. Die der Diagnostizierten ist dafür ungeeignet.
Problem 3 lässt sich durch Masse lösen: Gruppen mit sehr vielen Personen – am besten ein paar Millionen – sind weniger anfällig für Verzerrungen durch Einzelmerkmale, weil sie eher gemischt sind. Die untersuchte Todeszahl sollte möglichst mehrere Tausend betragen. „Eine Studie mit weniger als ein paar Hundert Todesfällen lohnt sich gar nicht anzusehen“, sagt Jackson. Zu Beginn der Pandemie ließen sich geringe Zahlen nicht vermeiden, aber nun sei dies nicht mehr tolerabel.
Medien sind oft zu unkritisch
Berücksichtigt man diese 3 Punkte, wird es einfacher, den Infizierten-Verstorbenen-Anteil zu berechnen, sagt Jackson. Er kritisiert, dass die Medien oft über Studien berichten, die von vielen Epidemiologen verworfen werden. „Das ist einer der Gründe, warum die Debatte so kontrovers wirkt.“
COVID-19 ist demnach mindestens 10 Mal so tödlich wie die Grippe. Prof. Dr. Rod Jackson
Doch selbst wenn man bessere Zahlen für Zähler und Nenner habe, so enthielten auch diese oft noch Unsicherheiten, sagt Jackson. Aber mit diesen könne man umgehen und zumindest eine Spanne für den Infizierten-Verstorbenen-Anteil berechnen.
Umfangreiche Daten lägen beispielsweise für Spanien vor. Nach diesen Daten starben 0,5 bis 2 von 100 Infizierten. Für den besonders betroffenen Bundesstaat Victoria in Australien kommt Jackson auf höchstens einen von 100. „Zum Vergleich: Bei der Grippe beträgt diese Quote weniger als eins zu tausend. COVID-19 ist demnach mindestens 10 Mal so tödlich wie die Grippe.“
Einen Blick in den Original-Artikel auf der Webseite des New Zealand Herald zu werfen, lohnt auch wegen der zusätzlichen Elemente. Unter anderem werden die aktuellen Infektionszahlen für Neuseeland angegeben, Stand 25. September: Aktive Fälle von COVID-19: 60. Patienten im Krankenhaus: 3. Auf der Intensivstation: 0.
Die Zahl der Diagnostizierten ist als Grundlage ungeeignet
Eigentlich lässt sich die Tödlichkeit einer Krankheit leicht berechnen: Man teilt die Anzahl der Todesfälle (Zähler) durch die Anzahl der Infizierten (Nenner), und erhält so den Infizierten-Verstorbenen-Anteil (Infection Fatality Proportion). Dieser ist nicht identisch mit der Mortalität oder Sterblichkeit, denn diese bezieht sich in der Regel auch auf einen bestimmten Zeitraum.
Jackson nennt 3 Gründe, warum bei COVID 19 die Berechnung des Infizierten-Verstorbenen-Anteils schwierig ist:
1. Wir kennen weder den genauen Wert für den Zähler noch für den Nenner. Nicht alle Verstorbenen sind nur aufgrund von COVID-19 gestorben. Und nicht alle Infizierte werden getestet und erfasst.
2. Es ist uneinheitlich, welche Zahl für den Nenner genommen wird: Manche Forscher stützen sich auch nur auf die Zahl der Diagnostizierten. Doch diese ist eben nicht die Zahl der Infizierten.
3. Die Berechnung bezieht sich immer auf eine bestimmte Gruppe von Personen. Bei COVID-19 spielen aber persönliche Merkmale wie Alter oder Vorerkrankungen eine entscheidende Rolle für die Gefahr durch das Virus. Insofern sind die Zahlen aus einer Gruppe streng genommen nur auf eine Gruppe mit ähnlichen Merkmalen übertragbar. „Wenn die Berechnung von einer Gruppe stammt, die nicht ähnlich ist zur Altersverteilung in Ihrer Stadt oder Ihrem Land, sagt der Infizierten-Verstorbenen-Anteil nicht viel aus“, warnt Jackson.
Und dann spiele natürlich auch noch die Gesundheitsversorgung vor Ort eine wichtige Rolle.
Wenn die Berechnung von einer Gruppe stammt, die nicht ähnlich ist zur Altersverteilung in Ihrer Stadt oder Ihrem Land, sagt der Infizierten-Verstorbenen-Anteil nicht viel aus. Prof. Dr. Rod Jackson
Diese Phänomene seien aber kein Grund, sich mit inkorrekten Berechnungen zufrieden zu geben. Denn je länger die Pandemie dauere, desto bessere Daten seien vorhanden, mit denen man arbeiten könne.
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Dienstag, 29. September 2020
Die Leopoldina fordert für den Corona-Herbst einheitliche Regeln, konsequente Umsetzung sowie mehr Tests und Kommunikation
che2001, 13:18h
Michael van den Heuvel, Medscape
Der Herbst naht, und damit auch die Angst vor deutlich mehr Neuinfektionen mit SARS-CoV-2. Bereits jetzt gehen die Zahlen deutlich nach oben; etwa ein Drittel des Frühjahrsmaximalwerts wurde erreicht. „Die Dynamik nimmt zu“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. „Wir alle haben es in der Hand, ob sich Infektionen wieder unkontrolliert ausbreiten – durch eigenes Verhalten, Rücksichtnahme, Verzicht auf weitere Öffnungsschritte und durch politische Maßnahmen.“
Solche recht vagen Formulierungen hat die Leopoldina jetzt mit einer Handlungsempfehlung konkretisiert [1]. Von der Politik fordern die Experten, nicht nur verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln für Vorsorgemaßnahmen aufzustellen, sondern diese konsequenter und einheitlicher als bisher umzusetzen. Die Empfehlungen im Detail:
Keine größeren Menschenansammlungen
Bereits zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie haben Epidemiologen und Virologen zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erarbeitet, allen voran die AHA-Regel (Abstandhalten, Hygiene, Alltagsmaske/Mund-Nasen-Schutz) und regelmäßiges Lüften der Innenräume.
„Aus dem bisherigen Kenntnisstand folgt, dass größere Menschenansammlungen, bei denen das Einhalten der Abstandsregel, das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und ein entsprechender Luftaustausch nicht ausreichend gewährleistet werden können, weiterhin nicht stattfinden sollten“, heißt es im Dokument.
„Insbesondere Gruppenaktivitäten in geschlossenen Räumen, die zu einer vermehrten Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole führen, wie Sport, Singen oder lautes Sprechen, sollten nicht oder nur mit besonderen Schutzmaßnahmen stattfinden.“ Alle Regeln sollten einheitlich sein, um Wirkung zu zeigen.
Neue Test- und Quarantäne-Strategien
Darüber hinaus fordern Leopoldina-Experten „leicht zugängliche, verständliche und verlässliche Abläufe für Testung, Ergebnismitteilung und -interpretation“. An Kritik sparen sie nicht: „Dringend notwendig sind die weitere Digitalisierung der Datenerfassung und eine barrierefreie und schnelle Mitteilung von Ergebnissen und deren Konsequenzen.“
Engpässe bei PCR-Tests halten die Experten in nächster Zeit für wahrscheinlich. Deshalb plädieren sie im Rahmen der gesetzlichen Regelungen für den Einsatz von Antigen-Schnelltests, obwohl deren „Sensitivität und Spezifität gegenüber PCR-Tests deutlich verringert sind“.
Ziel einer neuen Teststrategie müsse sein, die Zeit zwischen Test und Ergebnis weiter zu verkürzen und insbesondere die Infektiosität zu erfassen:
Im Mittel lassen sich SARS-CoV-2-Infektionen nach 2 Tagen detektieren.
Nach 5 Tagen treten meist die ersten Symptome auf.
Die infektiöse Phase beginnt 2 bis 3 Tage vor Symptombeginn und endet etwa 7 Tage danach.
Gelinge es, Patienten rasch zu testen, lasse sich die Isolationszeit im Normalfall auf eine Woche verkürzen, bei Hochrisiko-Kontakten nennen Experten 10 Tage.
Verantwortungsvolles Verhalten der Bevölkerung
Ob es gelingen wird, die Pandemie zu kontrollieren, hänge nicht nur von Ärzten, Wissenschaftlern oder Politikern ab, sondern in großem Maße von der Bevölkerung: Befolgen Bürger alle Regeln oder werden Corona-Leugner oder selbsternannte „Skeptiker“ zum Problem? Eine mögliche Antwort: „Um es Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern, Schutzmaßnahmen weiterhin – und konsequenter als bislang – einzuhalten, benötigen sie Wissen, Motivation und die Möglichkeit, sich entsprechend zu verhalten, sowie klare Regeln“, schreiben die Autoren.
Im Detail raten sie:
Bei jeder Entscheidung müssen die Grundlagen, aber auch mögliche Unsicherheitsfaktoren, in die Kommunikation einbezogen werden.
Verfahren oder Kriterien, die zu Entscheidungen geführt haben, sind transparent offenzulegen.
Generell sollten Politiker auch ökonomische und soziale Folgen der Maßnahmen berücksichtigen, verglichen mit möglichen Alternativen.
Zur Umsetzung eignen sich „gut sichtbare, motivierende und ansprechende Erinnerungen an Verhaltensregeln im öffentlichen Raum“ und Vorbilder mit entsprechendem Verhalten. Wichtig sei, zu betonen, dass ein Großteil aller Bürger solche Regeln befürworte.
Um es Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern, Schutzmaßnahmen weiterhin … einzuhalten, benötigen sie Wissen, Motivation und die Möglichkeit, sich entsprechend zu verhalten, sowie klare Regeln. Leopoldina
Die Leopoldina empfiehlt, Kinder und Jugendliche als spezielle Zielgruppe zu betrachten. Sie werden durch moderne Formate und Kommunikatoren wie Influencer eher erreicht als über klassische Kanäle.
Soziale und psychische Folgen berücksichtigen
Nicht zuletzt ziehen die Autoren eine Lehre aus dem 1. Lockdown: „Psychische Belastungen haben in der Pandemie zugenommen, mit potenziell langfristigen Folgen für die Gesundheit vieler.“ Viele Folgen würden sich in nächster Zeit noch stärker bemerkbar machen, so die Befürchtung. Daraus leiten die Experten mehrere Empfehlungen ab:
Bei der Planung von Maßnahmen ist es wichtig, neben Effekten auf die Pandemie soziale oder psychische Folgen für Bürger ins Kalkül zu ziehen.
Deutschland braucht in den nächsten Monaten spezielle Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz, etwa durch Bewegungsmöglichkeiten, Online-Angebote oder Telefon-Hotlines.
Zur Therapie oder Prävention sind mehr psychiatrische oder psychotherapeutische Angebote erforderlich.
Psychische Belastungen haben in der Pandemie zugenommen, mit potenziell langfristigen Folgen für die Gesundheit vieler. Leopoldina
Das aktuelle Dokument ist bereits die 6. Stellungnahme der Leopoldina zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland. Grundlage sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Man sieht sich hier in einer beratenden Funktion. „Entscheidungen zu treffen, ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik und der zuständigen Institutionen.
Der Herbst naht, und damit auch die Angst vor deutlich mehr Neuinfektionen mit SARS-CoV-2. Bereits jetzt gehen die Zahlen deutlich nach oben; etwa ein Drittel des Frühjahrsmaximalwerts wurde erreicht. „Die Dynamik nimmt zu“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. „Wir alle haben es in der Hand, ob sich Infektionen wieder unkontrolliert ausbreiten – durch eigenes Verhalten, Rücksichtnahme, Verzicht auf weitere Öffnungsschritte und durch politische Maßnahmen.“
Solche recht vagen Formulierungen hat die Leopoldina jetzt mit einer Handlungsempfehlung konkretisiert [1]. Von der Politik fordern die Experten, nicht nur verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln für Vorsorgemaßnahmen aufzustellen, sondern diese konsequenter und einheitlicher als bisher umzusetzen. Die Empfehlungen im Detail:
Keine größeren Menschenansammlungen
Bereits zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie haben Epidemiologen und Virologen zahlreiche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erarbeitet, allen voran die AHA-Regel (Abstandhalten, Hygiene, Alltagsmaske/Mund-Nasen-Schutz) und regelmäßiges Lüften der Innenräume.
„Aus dem bisherigen Kenntnisstand folgt, dass größere Menschenansammlungen, bei denen das Einhalten der Abstandsregel, das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und ein entsprechender Luftaustausch nicht ausreichend gewährleistet werden können, weiterhin nicht stattfinden sollten“, heißt es im Dokument.
„Insbesondere Gruppenaktivitäten in geschlossenen Räumen, die zu einer vermehrten Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole führen, wie Sport, Singen oder lautes Sprechen, sollten nicht oder nur mit besonderen Schutzmaßnahmen stattfinden.“ Alle Regeln sollten einheitlich sein, um Wirkung zu zeigen.
Neue Test- und Quarantäne-Strategien
Darüber hinaus fordern Leopoldina-Experten „leicht zugängliche, verständliche und verlässliche Abläufe für Testung, Ergebnismitteilung und -interpretation“. An Kritik sparen sie nicht: „Dringend notwendig sind die weitere Digitalisierung der Datenerfassung und eine barrierefreie und schnelle Mitteilung von Ergebnissen und deren Konsequenzen.“
Engpässe bei PCR-Tests halten die Experten in nächster Zeit für wahrscheinlich. Deshalb plädieren sie im Rahmen der gesetzlichen Regelungen für den Einsatz von Antigen-Schnelltests, obwohl deren „Sensitivität und Spezifität gegenüber PCR-Tests deutlich verringert sind“.
Ziel einer neuen Teststrategie müsse sein, die Zeit zwischen Test und Ergebnis weiter zu verkürzen und insbesondere die Infektiosität zu erfassen:
Im Mittel lassen sich SARS-CoV-2-Infektionen nach 2 Tagen detektieren.
Nach 5 Tagen treten meist die ersten Symptome auf.
Die infektiöse Phase beginnt 2 bis 3 Tage vor Symptombeginn und endet etwa 7 Tage danach.
Gelinge es, Patienten rasch zu testen, lasse sich die Isolationszeit im Normalfall auf eine Woche verkürzen, bei Hochrisiko-Kontakten nennen Experten 10 Tage.
Verantwortungsvolles Verhalten der Bevölkerung
Ob es gelingen wird, die Pandemie zu kontrollieren, hänge nicht nur von Ärzten, Wissenschaftlern oder Politikern ab, sondern in großem Maße von der Bevölkerung: Befolgen Bürger alle Regeln oder werden Corona-Leugner oder selbsternannte „Skeptiker“ zum Problem? Eine mögliche Antwort: „Um es Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern, Schutzmaßnahmen weiterhin – und konsequenter als bislang – einzuhalten, benötigen sie Wissen, Motivation und die Möglichkeit, sich entsprechend zu verhalten, sowie klare Regeln“, schreiben die Autoren.
Im Detail raten sie:
Bei jeder Entscheidung müssen die Grundlagen, aber auch mögliche Unsicherheitsfaktoren, in die Kommunikation einbezogen werden.
Verfahren oder Kriterien, die zu Entscheidungen geführt haben, sind transparent offenzulegen.
Generell sollten Politiker auch ökonomische und soziale Folgen der Maßnahmen berücksichtigen, verglichen mit möglichen Alternativen.
Zur Umsetzung eignen sich „gut sichtbare, motivierende und ansprechende Erinnerungen an Verhaltensregeln im öffentlichen Raum“ und Vorbilder mit entsprechendem Verhalten. Wichtig sei, zu betonen, dass ein Großteil aller Bürger solche Regeln befürworte.
Um es Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern, Schutzmaßnahmen weiterhin … einzuhalten, benötigen sie Wissen, Motivation und die Möglichkeit, sich entsprechend zu verhalten, sowie klare Regeln. Leopoldina
Die Leopoldina empfiehlt, Kinder und Jugendliche als spezielle Zielgruppe zu betrachten. Sie werden durch moderne Formate und Kommunikatoren wie Influencer eher erreicht als über klassische Kanäle.
Soziale und psychische Folgen berücksichtigen
Nicht zuletzt ziehen die Autoren eine Lehre aus dem 1. Lockdown: „Psychische Belastungen haben in der Pandemie zugenommen, mit potenziell langfristigen Folgen für die Gesundheit vieler.“ Viele Folgen würden sich in nächster Zeit noch stärker bemerkbar machen, so die Befürchtung. Daraus leiten die Experten mehrere Empfehlungen ab:
Bei der Planung von Maßnahmen ist es wichtig, neben Effekten auf die Pandemie soziale oder psychische Folgen für Bürger ins Kalkül zu ziehen.
Deutschland braucht in den nächsten Monaten spezielle Maßnahmen zur Steigerung der Resilienz, etwa durch Bewegungsmöglichkeiten, Online-Angebote oder Telefon-Hotlines.
Zur Therapie oder Prävention sind mehr psychiatrische oder psychotherapeutische Angebote erforderlich.
Psychische Belastungen haben in der Pandemie zugenommen, mit potenziell langfristigen Folgen für die Gesundheit vieler. Leopoldina
Das aktuelle Dokument ist bereits die 6. Stellungnahme der Leopoldina zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland. Grundlage sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Man sieht sich hier in einer beratenden Funktion. „Entscheidungen zu treffen, ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik und der zuständigen Institutionen.
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Rückkehr zur Normalität eine Illusion?
che2001, 13:13h
3 Fragen, die deutlich machen, warum Corona-Impfstoffe kein Allheilmittel sind
Michael van den Heuvel, Medscape
„Eine 1. Generation von COVID-19-Impfstoffen wird voraussichtlich Ende 2020 oder Anfang 2021 zugelassen“, schreiben Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung von der University of Hong Kong in The Lancet [1]. Entgegen vielen Hoffnungen sehen sie in Vakzinen aber nicht die Wunderwaffe, um zur Normalität vor SARS-CoV-2-Zeiten zurückzukehren. Offen sind immunologische Fragen, aber auch praktische Aspekte zur Verteilung des Impfstoffs. 3 wichtige Fragen im Überblick:
1. Verhindert ein Impfstoff die weitere Übertragung von SARS-CoV-2?
Unter der Annahme einer Reproduktionsrate von 4 schätzen die Autoren, dass 25 bis 50% der Bevölkerung immun gegen SARS-CoV-2 sein müssten, um die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die WHO empfiehlt, dass Impfstoffe eine Verringerung des Krankheitsrisikos um mindestens 50% aufweisen sollten. „Selbst, wenn Impfstoffe Schutz vor Krankheiten bieten könnten, könnten sie die Übertragung nicht unbedingt in ähnlicher Weise verringern“, so Peiris und Leung.
Selbst, wenn Impfstoffe Schutz vor Krankheiten bieten könnten, könnten sie die Übertragung nicht unbedingt in ähnlicher Weise verringern. Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung
Beispielsweise zeigen Tierexperimente mit Primaten eine Verringerung der Symptome und der Viruslast in den unteren Atemwegen nach Impfungen. Viren bleiben jedoch in den oberen Atemwegen erhalten und werden verbreitet. Ob es bei Menschen wie erhofft zur sterilisierenden Immunität in den oberen Atemwegen kommt, muss sich zeigen.
„Immunologische Korrelate des Schutzes vor SARS-CoV-2-Infektion und COVID-19 sind auch noch unbekannt“, konstatieren die Autoren. Sie verweisen auf die unklare Rolle bereits vorhandener neutralisierender Antikörper. Die Idee, eine passive Immunisierung mit Rekonvaleszenten-Plasma zu erzielen, wird bekanntlich jedenfalls untersucht.
Weitere Fragen betreffen die Rolle der mukosalen Immunität, der Antikörper-abhängigen zellvermittelten Zytotoxizität und der T-Zellen bei natürlichen oder passiven Immunisierungen.
2. Wie lange schützen Impfungen vor Neuinfektionen?
Die Prävalenz und Dauer neutralisierender Antikörper-Antworten nach einer natürlichen Infektion müsse man noch mit besseren Neutralisationstests, bei denen Lebendviren anstelle von Neutralisierungstests verwendet würden, untersuchen, so die Experten. Bekannt ist: Bei Coronaviren, die Erkältungen auslösen, verschwindet der Schutz oft nach weniger als einem Jahr.
Die Vorstellung, dass die durch COVID-19-Impfstoffe induzierte Immunität der Bevölkerung eine Rückkehr zur Normalität vor COVID-19 ermöglicht, könnte auf illusorischen Annahmen beruhen. Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung
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Michael van den Heuvel, Medscape
„Eine 1. Generation von COVID-19-Impfstoffen wird voraussichtlich Ende 2020 oder Anfang 2021 zugelassen“, schreiben Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung von der University of Hong Kong in The Lancet [1]. Entgegen vielen Hoffnungen sehen sie in Vakzinen aber nicht die Wunderwaffe, um zur Normalität vor SARS-CoV-2-Zeiten zurückzukehren. Offen sind immunologische Fragen, aber auch praktische Aspekte zur Verteilung des Impfstoffs. 3 wichtige Fragen im Überblick:
1. Verhindert ein Impfstoff die weitere Übertragung von SARS-CoV-2?
Unter der Annahme einer Reproduktionsrate von 4 schätzen die Autoren, dass 25 bis 50% der Bevölkerung immun gegen SARS-CoV-2 sein müssten, um die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die WHO empfiehlt, dass Impfstoffe eine Verringerung des Krankheitsrisikos um mindestens 50% aufweisen sollten. „Selbst, wenn Impfstoffe Schutz vor Krankheiten bieten könnten, könnten sie die Übertragung nicht unbedingt in ähnlicher Weise verringern“, so Peiris und Leung.
Selbst, wenn Impfstoffe Schutz vor Krankheiten bieten könnten, könnten sie die Übertragung nicht unbedingt in ähnlicher Weise verringern. Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung
Beispielsweise zeigen Tierexperimente mit Primaten eine Verringerung der Symptome und der Viruslast in den unteren Atemwegen nach Impfungen. Viren bleiben jedoch in den oberen Atemwegen erhalten und werden verbreitet. Ob es bei Menschen wie erhofft zur sterilisierenden Immunität in den oberen Atemwegen kommt, muss sich zeigen.
„Immunologische Korrelate des Schutzes vor SARS-CoV-2-Infektion und COVID-19 sind auch noch unbekannt“, konstatieren die Autoren. Sie verweisen auf die unklare Rolle bereits vorhandener neutralisierender Antikörper. Die Idee, eine passive Immunisierung mit Rekonvaleszenten-Plasma zu erzielen, wird bekanntlich jedenfalls untersucht.
Weitere Fragen betreffen die Rolle der mukosalen Immunität, der Antikörper-abhängigen zellvermittelten Zytotoxizität und der T-Zellen bei natürlichen oder passiven Immunisierungen.
2. Wie lange schützen Impfungen vor Neuinfektionen?
Die Prävalenz und Dauer neutralisierender Antikörper-Antworten nach einer natürlichen Infektion müsse man noch mit besseren Neutralisationstests, bei denen Lebendviren anstelle von Neutralisierungstests verwendet würden, untersuchen, so die Experten. Bekannt ist: Bei Coronaviren, die Erkältungen auslösen, verschwindet der Schutz oft nach weniger als einem Jahr.
Die Vorstellung, dass die durch COVID-19-Impfstoffe induzierte Immunität der Bevölkerung eine Rückkehr zur Normalität vor COVID-19 ermöglicht, könnte auf illusorischen Annahmen beruhen. Prof. Dr. Malik Peiris und Prof. Dr. Gabriel M. Leung
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Sonntag, 27. September 2020
Neues Level
che2001, 20:49h
Heute wieder heftig trainiert, diesmal wurde Schwerpunkt auf Karate-Sprungtechniken gelegt.
Wie immer hinterher ein wohliges und euphorisches Gefühl.
Interessant und beruhigend zu erfahren, dass von all den durchtrainierten Kampfsportfreaks in meiner Gruppe niemand diätetisch oder vegan lebt und dass das eine ganz trinkfeste Gruppe ist.
Wie immer hinterher ein wohliges und euphorisches Gefühl.
Interessant und beruhigend zu erfahren, dass von all den durchtrainierten Kampfsportfreaks in meiner Gruppe niemand diätetisch oder vegan lebt und dass das eine ganz trinkfeste Gruppe ist.
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Samstag, 26. September 2020
Adieu, Juliette Gréco!
che2001, 18:54h
https://www.youtube.com/watch?v=hdtZxbVrp84
https://musikguru.de/juliette-greco/songtext-mein-kind-sing-mon-fils-chante-695676.html
https://musikguru.de/juliette-greco/songtext-mein-kind-sing-mon-fils-chante-695676.html
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Donnerstag, 24. September 2020
ERS: Noch Wochen nach der Entlassung haben COVID-19-Patienten Lungenschäden – doch die Prognose ist gut
che2001, 19:53h
Maureen Salamon, Medscape
Die meisten hospitalisierten COVID-19-Patienten haben 6 Wochen nach ihrer Entlassung eine nachweisbare Schädigung der Lunge. Aber dieser Anteil sinkt nach 12 Wochen deutlich ab, was darauf hindeutet, dass Reparaturmechanismen der Lunge aktiv werden. Das berichten Forscher beim European Respiratory Society (ERS) International Congress 2020 [1].
„Wir wissen aus anderen Studien, dass die Lunge das Potenzial hat, sich von Entzündungen zu erholen“, sagt Sabina Sahanic, Doktorandin am Universitätsklinik Innsbruck. Bei COVID-19 hätten Spezialisten geraten, einige Wochen abzuwarten, um zu bewerten, wie stark der Effekt sei. Jetzt liegen Ergebnisse einer vorläufigen Analyse mit 86 Patienten vor – vermutlich die 1. prospektive Studie zur Nachverfolgung pulmonaler und kardialer Parameter bei COVID-19.
Bemerkenswert ist, dass CT-Untersuchungen nach 6 Wochen bei 88% der Patienten Lungenschäden durch Entzündungen und Flüssigkeitsansammlungen, bekannt als „Milchglas-Trübungen“, zeigten. Nach 12 Wochen war dies nur noch bei 56% der Fall. Der Schweregrad von Lungenschäden fiel in dieser Zeit von 8 Punkten auf 4 Punkte. Innerhalb dieses Zeitabschnitts verbesserte sich auch die Lungenfunktion.
Tab. 1: Messwerte bei Teilnehmern, deren Lungenfunktion bei der Nachuntersuchung weniger als 80% des Normalwerts betrug
Messwert
6 Wochen
12 Wochen
Einsekundenkapazität (FEV₁)
23%
21%
Forcierte Vitalkapazität (FVC)
28%
19%
Diffusionskapazität (DLCO)
33%
22%
Bei keinem der Teilnehmer wurden Anzeichen einer sich verschlechternden Lungenfibrose beobachtet.
Kardiale Schädigung bleibt unklar
Mögliche Zusammenhänge zwischen COVID-19 und einer Herzschädigung waren bei Nachuntersuchungen weniger offensichtlich. Obwohl die Serum-NT-proBNP-, D-Dimer- und Ferritin-Spiegel deutlich erhöht gewesen seien, hätten Echokardiogramme keine speziell durch das Coronavirus verursachten Schäden gezeigt, so Sahanic. In 60% aller Fälle wies sie eine ventrikuläre diastolische Dysfunktion, sprich Herzinsuffizienz, nach.
Woran könnte es liegen? Viele Patienten, die sich auf der Intensivstation befänden, hätten unabhängig von COVID-19 eine diastolische Herzinsuffizienz, so die Forscherin. „Für uns ist es eine Erleichterung, dass Patienten nicht unter schweren virusbedingten Herzerkrankungen leiden.“ Größere Studien seien erforderlich, um die Häufigkeit von COVID-bedingten Organschäden zu ermitteln.
Besonders wichtig: Die strukturierte Nachsorge bei COVID-19
Diese Ergebnisse machten Sahanic zufolge deutlich, dass eine strukturierte Nachsorge für COVID-19-Patienten notwendig sei. Das Verständnis der langfristigen Auswirkungen auf die Lunge könnte Kliniker auch dazu veranlassen, die Symptome und eventuelle Lungenschäden früher im Krankheitsverlauf zu behandeln, und könnte Einfluss darauf haben, wie sie die Patienten beraten.
Wenn Haus- oder Fachärzte eine Lungenentzündung finden, können sie Patienten eine gute Perspektive geben. Dr. Judith Löffler-Ragg
„Wenn Haus- oder Fachärzte eine Lungenentzündung finden, können sie Patienten eine gute Perspektive geben“, sagte die Koautorin Dr. Judith Löffler-Ragg, ebenfalls von der Universitätsklinik Innsbruck. „Wir müssen noch abwarten, was mit den verbliebenen Läsionen in der Lunge geschieht. Aber wir haben vorläufige Daten, die zeigen, dass es eine Abheilung der genannten Schädigung gibt.“ Löffler-Ragg räumte jedoch ein, dass Aussagen durch die kleine Patientenkohorte nur begrenzt möglich seien.
Dennoch sei der prospektive Ansatz der Studie eine besondere Stärke, da nur wenige Studien COVID-19-Patienten auf diese Weise nachverfolgt hätten, ergänzte ERS-Präsident Dr. Thierry Troosters von der Katholieke Universiteit Leuven in Flandern.
„Wenn eine neue Erkrankung auftritt, ist es wichtig, die kurz- und längerfristigen Folgen der Erkrankung aufzuzeigen. Im Fall von SARS-CoV2, einer neuen Lungenkrankheit mit erheblichen Auswirkungen auf andere Organsysteme, ist das umso wichtiger“, sagte er gegenüber Medscape. „Die Kohorte ist noch klein, aber nach und nach werden Kliniker einen besseren Einblick in den natürlichen Verlauf der Infektion und die langfristigen Folgen für die Patienten erhalten.“
Troosters: „Es ist nicht sehr überraschend, dass ein schwerwiegendes pulmonales Ereignis bei vielen Patienten langanhaltende Folgen hat.“ Gut und beruhigend sei aber, zu sehen, dass sich viele Patienten auf dem Wege der Besserung befänden.
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Die Arbeit zeigt auch, dass Kurzatmigkeit 6 Wochen nach der Entlassung das häufigste Symptom ist (47%), gefolgt von Husten (15%). Nach 12 Wochen litten nur noch 39% der Patienten unter Atemnot, aber 15% weiterhin an Husten.
Die 12-Wochen-Frist ist besonders wichtig, weil wir bei vielen anderen Lungenkrankheiten zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Besserung oder Genesung abschätzen können. Sabina Sahanic
„Die 12-Wochen-Frist ist besonders wichtig, weil wir bei vielen anderen Lungenkrankheiten zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Besserung oder Genesung abschätzen können“, so Sahanic zu Medscape.
Sie relativiert: „Wir befinden uns nach 3 Monaten wirklich früh in der Pandemiephase, und wir wissen nicht, wie lange [durch COVID-19] erkrankte Lungen auf andere Infektionen reagieren.“
Pulmonale Diagnostik nach 6 und 12 Wochen
Sahanic und ihr Team wollten wissen, zu welchen langfristigen Lungenschäden COVID-19 führt, weil 30% aller Überlebenden des SARS-Ausbruchs 2002/2003 auch nach Abklingen ihrer Infektion Beschwerden hatten. Insgesamt planen die Forscher, Daten von mehr als 150 Patienten bis zu 24 Wochen nach der Entlassung zu sammeln. Ihre Studie läuft; auf dem Kongress wurden Zwischenergebnisse präsentiert.
Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer lag bei 61 Jahren, und 65% waren Männer. Alle Patienten wurden von Ende April bis Anfang Juni wegen COVID-19 in 3 Zentren in Österreich stationär behandelt. Fast 50% waren Raucher oder ehemalige Raucher, und 65% waren übergewichtig oder adipös. Die Patienten wurden durchschnittlich 13 Tage im Krankenhaus behandelt. 20% befanden sich auf einer Intensivstation, und 19% mussten beatmet werden.
Die Patienten wurden 6 und 12 Wochen nach ihrer Entlassung untersucht. Dazu gehörten Lungenfunktionstests, CT-Scans ihrer Lungen, Echokardiogramme und Bluttests zur Analyse des Sauerstoff- und des Kohlendioxidgehalts.
Die meisten hospitalisierten COVID-19-Patienten haben 6 Wochen nach ihrer Entlassung eine nachweisbare Schädigung der Lunge. Aber dieser Anteil sinkt nach 12 Wochen deutlich ab, was darauf hindeutet, dass Reparaturmechanismen der Lunge aktiv werden. Das berichten Forscher beim European Respiratory Society (ERS) International Congress 2020 [1].
„Wir wissen aus anderen Studien, dass die Lunge das Potenzial hat, sich von Entzündungen zu erholen“, sagt Sabina Sahanic, Doktorandin am Universitätsklinik Innsbruck. Bei COVID-19 hätten Spezialisten geraten, einige Wochen abzuwarten, um zu bewerten, wie stark der Effekt sei. Jetzt liegen Ergebnisse einer vorläufigen Analyse mit 86 Patienten vor – vermutlich die 1. prospektive Studie zur Nachverfolgung pulmonaler und kardialer Parameter bei COVID-19.
Bemerkenswert ist, dass CT-Untersuchungen nach 6 Wochen bei 88% der Patienten Lungenschäden durch Entzündungen und Flüssigkeitsansammlungen, bekannt als „Milchglas-Trübungen“, zeigten. Nach 12 Wochen war dies nur noch bei 56% der Fall. Der Schweregrad von Lungenschäden fiel in dieser Zeit von 8 Punkten auf 4 Punkte. Innerhalb dieses Zeitabschnitts verbesserte sich auch die Lungenfunktion.
Tab. 1: Messwerte bei Teilnehmern, deren Lungenfunktion bei der Nachuntersuchung weniger als 80% des Normalwerts betrug
Messwert
6 Wochen
12 Wochen
Einsekundenkapazität (FEV₁)
23%
21%
Forcierte Vitalkapazität (FVC)
28%
19%
Diffusionskapazität (DLCO)
33%
22%
Bei keinem der Teilnehmer wurden Anzeichen einer sich verschlechternden Lungenfibrose beobachtet.
Kardiale Schädigung bleibt unklar
Mögliche Zusammenhänge zwischen COVID-19 und einer Herzschädigung waren bei Nachuntersuchungen weniger offensichtlich. Obwohl die Serum-NT-proBNP-, D-Dimer- und Ferritin-Spiegel deutlich erhöht gewesen seien, hätten Echokardiogramme keine speziell durch das Coronavirus verursachten Schäden gezeigt, so Sahanic. In 60% aller Fälle wies sie eine ventrikuläre diastolische Dysfunktion, sprich Herzinsuffizienz, nach.
Woran könnte es liegen? Viele Patienten, die sich auf der Intensivstation befänden, hätten unabhängig von COVID-19 eine diastolische Herzinsuffizienz, so die Forscherin. „Für uns ist es eine Erleichterung, dass Patienten nicht unter schweren virusbedingten Herzerkrankungen leiden.“ Größere Studien seien erforderlich, um die Häufigkeit von COVID-bedingten Organschäden zu ermitteln.
Besonders wichtig: Die strukturierte Nachsorge bei COVID-19
Diese Ergebnisse machten Sahanic zufolge deutlich, dass eine strukturierte Nachsorge für COVID-19-Patienten notwendig sei. Das Verständnis der langfristigen Auswirkungen auf die Lunge könnte Kliniker auch dazu veranlassen, die Symptome und eventuelle Lungenschäden früher im Krankheitsverlauf zu behandeln, und könnte Einfluss darauf haben, wie sie die Patienten beraten.
Wenn Haus- oder Fachärzte eine Lungenentzündung finden, können sie Patienten eine gute Perspektive geben. Dr. Judith Löffler-Ragg
„Wenn Haus- oder Fachärzte eine Lungenentzündung finden, können sie Patienten eine gute Perspektive geben“, sagte die Koautorin Dr. Judith Löffler-Ragg, ebenfalls von der Universitätsklinik Innsbruck. „Wir müssen noch abwarten, was mit den verbliebenen Läsionen in der Lunge geschieht. Aber wir haben vorläufige Daten, die zeigen, dass es eine Abheilung der genannten Schädigung gibt.“ Löffler-Ragg räumte jedoch ein, dass Aussagen durch die kleine Patientenkohorte nur begrenzt möglich seien.
Dennoch sei der prospektive Ansatz der Studie eine besondere Stärke, da nur wenige Studien COVID-19-Patienten auf diese Weise nachverfolgt hätten, ergänzte ERS-Präsident Dr. Thierry Troosters von der Katholieke Universiteit Leuven in Flandern.
„Wenn eine neue Erkrankung auftritt, ist es wichtig, die kurz- und längerfristigen Folgen der Erkrankung aufzuzeigen. Im Fall von SARS-CoV2, einer neuen Lungenkrankheit mit erheblichen Auswirkungen auf andere Organsysteme, ist das umso wichtiger“, sagte er gegenüber Medscape. „Die Kohorte ist noch klein, aber nach und nach werden Kliniker einen besseren Einblick in den natürlichen Verlauf der Infektion und die langfristigen Folgen für die Patienten erhalten.“
Troosters: „Es ist nicht sehr überraschend, dass ein schwerwiegendes pulmonales Ereignis bei vielen Patienten langanhaltende Folgen hat.“ Gut und beruhigend sei aber, zu sehen, dass sich viele Patienten auf dem Wege der Besserung befänden.
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Die Arbeit zeigt auch, dass Kurzatmigkeit 6 Wochen nach der Entlassung das häufigste Symptom ist (47%), gefolgt von Husten (15%). Nach 12 Wochen litten nur noch 39% der Patienten unter Atemnot, aber 15% weiterhin an Husten.
Die 12-Wochen-Frist ist besonders wichtig, weil wir bei vielen anderen Lungenkrankheiten zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Besserung oder Genesung abschätzen können. Sabina Sahanic
„Die 12-Wochen-Frist ist besonders wichtig, weil wir bei vielen anderen Lungenkrankheiten zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Besserung oder Genesung abschätzen können“, so Sahanic zu Medscape.
Sie relativiert: „Wir befinden uns nach 3 Monaten wirklich früh in der Pandemiephase, und wir wissen nicht, wie lange [durch COVID-19] erkrankte Lungen auf andere Infektionen reagieren.“
Pulmonale Diagnostik nach 6 und 12 Wochen
Sahanic und ihr Team wollten wissen, zu welchen langfristigen Lungenschäden COVID-19 führt, weil 30% aller Überlebenden des SARS-Ausbruchs 2002/2003 auch nach Abklingen ihrer Infektion Beschwerden hatten. Insgesamt planen die Forscher, Daten von mehr als 150 Patienten bis zu 24 Wochen nach der Entlassung zu sammeln. Ihre Studie läuft; auf dem Kongress wurden Zwischenergebnisse präsentiert.
Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer lag bei 61 Jahren, und 65% waren Männer. Alle Patienten wurden von Ende April bis Anfang Juni wegen COVID-19 in 3 Zentren in Österreich stationär behandelt. Fast 50% waren Raucher oder ehemalige Raucher, und 65% waren übergewichtig oder adipös. Die Patienten wurden durchschnittlich 13 Tage im Krankenhaus behandelt. 20% befanden sich auf einer Intensivstation, und 19% mussten beatmet werden.
Die Patienten wurden 6 und 12 Wochen nach ihrer Entlassung untersucht. Dazu gehörten Lungenfunktionstests, CT-Scans ihrer Lungen, Echokardiogramme und Bluttests zur Analyse des Sauerstoff- und des Kohlendioxidgehalts.
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Was wirkt und was nicht? 3 Cochrane Reviews bewerten die Maßnahmen gegen COVID-19
che2001, 19:51h
Ute Eppinger, Medscape
Quarantäne, Screening, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Einreise- und Ausreisekontrollen – viele Länder haben im Zug der Corona-Pandemie solche Maßnahmen ergriffen. Doch was bewirken sie tatsächlich? In 3 Cochrane Rapid Reviews wurde die Effektivität dieser Maßnahmen jetzt ausgewertet. Während Reisebeschränkungen und Quarantäne die Infektionszahlen wirksam verringern können, eignen sich Screening-Maßnahmen eher bedingt.
Dr. Barbara Nussbaumer-Streit, Leiterin des Cochrane Zentrums Österreich an der Donau-Universität Krems, und Kollegen untersuchten, wie effektiv Quarantäne die Ausbreitung von COVID-19 stoppen kann, ob Quarantäne Tote durch COVID-19 verhindert und ob sie effektiver ist, wenn sie mit anderen Maßnahmen – wie z.B. Social Distancing – kombiniert wird [1].
Erfasst wurden 51 Studien: 4 Beobachtungsstudien zu COVID-19, 28 Modellierungen zu COVID-19, 4 Beobachtungsstudien zu SARS und MERS und 15 Modellierungen zu SARS und MERS.
Die Forscher fanden heraus, dass Quarantäne sowohl die Zahl der Infizierten als auch die Zahl der Toten reduzieren kann: Bei Personen, die Kontakt zu Infizierten oder Verdachtsfällen hatten, könnte Selbstisolation zwischen 44 und 90% der Erkrankungen und zwischen 31 und 76% der Todesfälle verhindern.
Quarantäne ist kombiniert mit anderen Maßnahmen noch effektiver
Eine Quarantäne – auch das zeigen die Ergebnisse des Reviews – ist noch effektiver, wenn sie mit anderen Maßnahmen kombiniert wird – wie Social Distancing, Schulschließungen und Reisebeschränkungen. Nussbaumer-Streit betonte: „Die Kombination von Quarantäne mit anderen Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen zeigte den größten Effekt.“
Die Kombination von Quarantäne mit anderen Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen zeigte den größten Effekt. Dr. Barbara Nussbaumer-Streit
Allerdings sei schwierig zu bestimmen, welche Maßnahmen-Kombination die beste sei, um die Zahl der Infizierten und Toden zu verringern. Entscheidend für den Erfolg der Quarantäne ist auch eine möglichst frühe Umsetzung.
Nussbaumer-Streit wies darauf hin, dass die Evidenz liminiert ist: „Wir fanden nur wenige Beobachtungsstudien zu COVID-19 und keine Vergleichsgruppen. Die Modellierungsstudien zu COVID-19 basieren auf limitierten Daten. Und aus den Studien zu SARS und MERS lässt sich nur indirekte Evidenz ableiten.“
Um die bestmögliche Ausgewogenheit der Maßnahmen zu gewährleisten, müssten politische Entscheidungsträger das Ausbruchsgeschehen und die Auswirkungen der durchgeführten Maßnahmen ständig überwachen.
Screening-Strategien sind wenig sensitiv
Die Wirksamkeit verschiedener Screening-Maßnahmen untersuchten Dr. Meera Viswanathan vom Evidence-based Practice Center an der Forschungseinrichtung RTI International in North Carolina und Kollegen [2]. Sie analysierten in 20 Studien (17 Kohortenstudien und 3 Modellierungsstudien) die Genauigkeit verschiedener Screening-Maßnahmen.
In 3 Studien war modelliert worden, wie präzise die Zahl der Infizierten durch Screenings (Temperaturmessungen, Fragen nach Symptomen, Reiseanamnese) bei der Ein- und Ausreise an Flughäfen erfasst werden könnte.
In einer Studie wurden dabei 70% der infizierten Reisenden verpasst, eine andere Studie ging von einem unrealistischen Szenario aus, in dem eine Entdeckungsrate von 90% zugrunde gelegt wurde – 0% asymptomatische Infektionen vorausgesetzt. Eine weitere Studie lieferte aufgrund der geringen methodischen Qualität sehr unsichere Erkenntnisse.
In allen 17 Kohortenstudien wurde die jeweilige Screening-Strategie (Fragen nach Symptomen, Temperaturmessung, Reiseanamnesen etc.) mit einem PCR-Test als Referenz verglichen.
Konnten über die Frage nach Symptomen noch zwischen 0 und 60% der Infizierten ermittelt werden, sah das bei Temperaturmessungen, internationalen Reise-Anamnesen und der Frage nach infizierten Kontakten und Kontakten mit Verdachtsfällen noch schlechter aus: Da lag die Sensitivität nur zwischen 0 und 23%.
Wurde die Frage nach Symptomen mit einer Temperaturmessung kombiniert, war die Trefferquote besser: 12 bis 69%. Effektiver war ein schneller PCR-Test, der Infizierte mit einer Sensitivität von 80% identifizierte. Die wiederholte Befragung nach Symptomen zeigte in einer Kohorte (76 Probanden) eine Sensitivität von 40%.
Autoren raten zu Social Distancing, Quarantäne und Masken
Viswanathan wies darauf hin, dass der Einsatz dieser Strategien unter 100 infizierten Probanden im besten Fall 20 Probanden fälschlicherweise als gesund identifiziert, im schlechtesten Fall werden aber alle 100 Infizierten als gesund eingestuft. Von wiederum 100 gesunden Probanden werden bestenfalls 0 als infiziert ermittelt, im schlechtesten Fall gelten 38 als infiziert.
Mit den derzeitigen Screening-Strategien könne ein hoher Anteil an infizierten Personen verpasst werden, das wiederum könne dazu führen, dass gesunde Menschen infiziert werden. Gesunde Personen hingegen könnten fälschlicherweise als positiv identifiziert werden, was Bestätigungstests erforderlich mache und zur unnötigen Isolierung dieser Personen führe.
Unserer Einschätzung nach sind die Screening-Strategien nicht sehr sensitiv. In Zukunft brauchen wir sensitivere Strategien. Dr. Meera Viswanathan
„Unserer Einschätzung nach sind die Screening-Strategien nicht sehr sensitiv. In Zukunft brauchen wir sensitivere Strategien“, betonte Viswanathan. Vor dem Hintergrund der geringen Sensitivität empfehlen die Autoren, stärker auf andere Maßnahmen zu setzen: wie z.B. Mund-Nasen-Schutz, Social Distancing, Quarantäne und angemessene Schutzausrüstung für Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte.
Reisebeschränkungen an den Grenzen sind effektiv
Reisebeschränkungen an den Grenzen – so sie rasch erfolgen – können die Zahl neuer Fälle um 26 bis 90% senken. Der Beginn eines Ausbruchs kann damit zwischen 2 und 26 Tagen verzögert werden. Das fanden Jake Burns, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie an der LMU München, und Kollegen heraus, die in einem 3. Review Maßnahmen unter Reisenden zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie untersucht hatten [3].
Sie erfassten 36 Studien, darunter 25 Studien zu COVID-19, 10 zu SARS und eine Studie zu SARS und MERS. Dabei handelte es sich um 22 Modellierungs-Studien und 14 Beobachtungsstudien. 13 Studien untersuchten die Auswirkungen von Grenzschließungen, 24 Studien Einreise- und Ausreisekontrollen und 4 Studien die Quarantäne von Reisenden.
Screening an den Grenzen
Evidenz aus 3 Modellierungsstudien zu Symptom-Screening bei Ein- und Ausreise weist darauf hin, dass damit die Zeit bis zum Ausbruch verlängert werden könnte (1 bis 183 Tage) und die Entdeckungsrate für Infizierte zwischen 10 und 53% liegen könnte. Allerdings ist die Evidenz im ersten Fall sehr wenig vertrauenswürdig, im zweiten Fall wenig vertrauenswürdig.
6 Beobachtungsstudien zu Screenings bei Ein- und Ausreise wurden in speziellen Settings wie Evakuierungsflügen und Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen durchgeführt. Die Screening-Ansätze unterschieden sich zwar, waren aber ähnlich strukturiert und bauten auf einem Symptom-Screening bei Abreise oder Ankunft auf, gefolgt von Quarantäne, Beobachtung und PCR-Tests über mindestens 14 Tage. Der Anteil der festgestellten Fälle lag je nach Screening‐Ansatz zwischen 0 und 91%. Allerdings ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als sehr niedrig einzustufen.
Weil aber ein Großteil der Evidenz aus Modellstudien stammt, gibt es für viele dieser Maßnahmen keine Belege aus dem „wirklichen Leben“, so Burns. Die Sicherheit der Evidenz für die meisten reisebezogenen Kontrollmaßnahmen sei sehr gering, und die tatsächlichen Auswirkungen könnten sich erheblich von den berichteten unterscheiden, erinnerte Burns.
Quarantäne, Screening, Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, Einreise- und Ausreisekontrollen – viele Länder haben im Zug der Corona-Pandemie solche Maßnahmen ergriffen. Doch was bewirken sie tatsächlich? In 3 Cochrane Rapid Reviews wurde die Effektivität dieser Maßnahmen jetzt ausgewertet. Während Reisebeschränkungen und Quarantäne die Infektionszahlen wirksam verringern können, eignen sich Screening-Maßnahmen eher bedingt.
Dr. Barbara Nussbaumer-Streit, Leiterin des Cochrane Zentrums Österreich an der Donau-Universität Krems, und Kollegen untersuchten, wie effektiv Quarantäne die Ausbreitung von COVID-19 stoppen kann, ob Quarantäne Tote durch COVID-19 verhindert und ob sie effektiver ist, wenn sie mit anderen Maßnahmen – wie z.B. Social Distancing – kombiniert wird [1].
Erfasst wurden 51 Studien: 4 Beobachtungsstudien zu COVID-19, 28 Modellierungen zu COVID-19, 4 Beobachtungsstudien zu SARS und MERS und 15 Modellierungen zu SARS und MERS.
Die Forscher fanden heraus, dass Quarantäne sowohl die Zahl der Infizierten als auch die Zahl der Toten reduzieren kann: Bei Personen, die Kontakt zu Infizierten oder Verdachtsfällen hatten, könnte Selbstisolation zwischen 44 und 90% der Erkrankungen und zwischen 31 und 76% der Todesfälle verhindern.
Quarantäne ist kombiniert mit anderen Maßnahmen noch effektiver
Eine Quarantäne – auch das zeigen die Ergebnisse des Reviews – ist noch effektiver, wenn sie mit anderen Maßnahmen kombiniert wird – wie Social Distancing, Schulschließungen und Reisebeschränkungen. Nussbaumer-Streit betonte: „Die Kombination von Quarantäne mit anderen Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen zeigte den größten Effekt.“
Die Kombination von Quarantäne mit anderen Präventions- und Eindämmungsmaßnahmen zeigte den größten Effekt. Dr. Barbara Nussbaumer-Streit
Allerdings sei schwierig zu bestimmen, welche Maßnahmen-Kombination die beste sei, um die Zahl der Infizierten und Toden zu verringern. Entscheidend für den Erfolg der Quarantäne ist auch eine möglichst frühe Umsetzung.
Nussbaumer-Streit wies darauf hin, dass die Evidenz liminiert ist: „Wir fanden nur wenige Beobachtungsstudien zu COVID-19 und keine Vergleichsgruppen. Die Modellierungsstudien zu COVID-19 basieren auf limitierten Daten. Und aus den Studien zu SARS und MERS lässt sich nur indirekte Evidenz ableiten.“
Um die bestmögliche Ausgewogenheit der Maßnahmen zu gewährleisten, müssten politische Entscheidungsträger das Ausbruchsgeschehen und die Auswirkungen der durchgeführten Maßnahmen ständig überwachen.
Screening-Strategien sind wenig sensitiv
Die Wirksamkeit verschiedener Screening-Maßnahmen untersuchten Dr. Meera Viswanathan vom Evidence-based Practice Center an der Forschungseinrichtung RTI International in North Carolina und Kollegen [2]. Sie analysierten in 20 Studien (17 Kohortenstudien und 3 Modellierungsstudien) die Genauigkeit verschiedener Screening-Maßnahmen.
In 3 Studien war modelliert worden, wie präzise die Zahl der Infizierten durch Screenings (Temperaturmessungen, Fragen nach Symptomen, Reiseanamnese) bei der Ein- und Ausreise an Flughäfen erfasst werden könnte.
In einer Studie wurden dabei 70% der infizierten Reisenden verpasst, eine andere Studie ging von einem unrealistischen Szenario aus, in dem eine Entdeckungsrate von 90% zugrunde gelegt wurde – 0% asymptomatische Infektionen vorausgesetzt. Eine weitere Studie lieferte aufgrund der geringen methodischen Qualität sehr unsichere Erkenntnisse.
In allen 17 Kohortenstudien wurde die jeweilige Screening-Strategie (Fragen nach Symptomen, Temperaturmessung, Reiseanamnesen etc.) mit einem PCR-Test als Referenz verglichen.
Konnten über die Frage nach Symptomen noch zwischen 0 und 60% der Infizierten ermittelt werden, sah das bei Temperaturmessungen, internationalen Reise-Anamnesen und der Frage nach infizierten Kontakten und Kontakten mit Verdachtsfällen noch schlechter aus: Da lag die Sensitivität nur zwischen 0 und 23%.
Wurde die Frage nach Symptomen mit einer Temperaturmessung kombiniert, war die Trefferquote besser: 12 bis 69%. Effektiver war ein schneller PCR-Test, der Infizierte mit einer Sensitivität von 80% identifizierte. Die wiederholte Befragung nach Symptomen zeigte in einer Kohorte (76 Probanden) eine Sensitivität von 40%.
Autoren raten zu Social Distancing, Quarantäne und Masken
Viswanathan wies darauf hin, dass der Einsatz dieser Strategien unter 100 infizierten Probanden im besten Fall 20 Probanden fälschlicherweise als gesund identifiziert, im schlechtesten Fall werden aber alle 100 Infizierten als gesund eingestuft. Von wiederum 100 gesunden Probanden werden bestenfalls 0 als infiziert ermittelt, im schlechtesten Fall gelten 38 als infiziert.
Mit den derzeitigen Screening-Strategien könne ein hoher Anteil an infizierten Personen verpasst werden, das wiederum könne dazu führen, dass gesunde Menschen infiziert werden. Gesunde Personen hingegen könnten fälschlicherweise als positiv identifiziert werden, was Bestätigungstests erforderlich mache und zur unnötigen Isolierung dieser Personen führe.
Unserer Einschätzung nach sind die Screening-Strategien nicht sehr sensitiv. In Zukunft brauchen wir sensitivere Strategien. Dr. Meera Viswanathan
„Unserer Einschätzung nach sind die Screening-Strategien nicht sehr sensitiv. In Zukunft brauchen wir sensitivere Strategien“, betonte Viswanathan. Vor dem Hintergrund der geringen Sensitivität empfehlen die Autoren, stärker auf andere Maßnahmen zu setzen: wie z.B. Mund-Nasen-Schutz, Social Distancing, Quarantäne und angemessene Schutzausrüstung für Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte.
Reisebeschränkungen an den Grenzen sind effektiv
Reisebeschränkungen an den Grenzen – so sie rasch erfolgen – können die Zahl neuer Fälle um 26 bis 90% senken. Der Beginn eines Ausbruchs kann damit zwischen 2 und 26 Tagen verzögert werden. Das fanden Jake Burns, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie an der LMU München, und Kollegen heraus, die in einem 3. Review Maßnahmen unter Reisenden zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie untersucht hatten [3].
Sie erfassten 36 Studien, darunter 25 Studien zu COVID-19, 10 zu SARS und eine Studie zu SARS und MERS. Dabei handelte es sich um 22 Modellierungs-Studien und 14 Beobachtungsstudien. 13 Studien untersuchten die Auswirkungen von Grenzschließungen, 24 Studien Einreise- und Ausreisekontrollen und 4 Studien die Quarantäne von Reisenden.
Screening an den Grenzen
Evidenz aus 3 Modellierungsstudien zu Symptom-Screening bei Ein- und Ausreise weist darauf hin, dass damit die Zeit bis zum Ausbruch verlängert werden könnte (1 bis 183 Tage) und die Entdeckungsrate für Infizierte zwischen 10 und 53% liegen könnte. Allerdings ist die Evidenz im ersten Fall sehr wenig vertrauenswürdig, im zweiten Fall wenig vertrauenswürdig.
6 Beobachtungsstudien zu Screenings bei Ein- und Ausreise wurden in speziellen Settings wie Evakuierungsflügen und Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen durchgeführt. Die Screening-Ansätze unterschieden sich zwar, waren aber ähnlich strukturiert und bauten auf einem Symptom-Screening bei Abreise oder Ankunft auf, gefolgt von Quarantäne, Beobachtung und PCR-Tests über mindestens 14 Tage. Der Anteil der festgestellten Fälle lag je nach Screening‐Ansatz zwischen 0 und 91%. Allerdings ist die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz als sehr niedrig einzustufen.
Weil aber ein Großteil der Evidenz aus Modellstudien stammt, gibt es für viele dieser Maßnahmen keine Belege aus dem „wirklichen Leben“, so Burns. Die Sicherheit der Evidenz für die meisten reisebezogenen Kontrollmaßnahmen sei sehr gering, und die tatsächlichen Auswirkungen könnten sich erheblich von den berichteten unterscheiden, erinnerte Burns.
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che2001, 18:49h
"Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen, auch bei uns“ – Prof. Drosten und Prof. Ganten diskutieren, was zu tun ist
Daniela Levy, Medscape
INTERESSENKONFLIKTE 24. September 2020
0Kommentar
In Zeiten einer Pandemie bekommen Konferenzen wie der World Health Summit (WHS), der vom 25. Bis 27. Oktober in Berlin stattfinden wird noch einmal eine besondere Bedeutung. Vor dem Treffen der Gesundheitsexperten aus aller Welt haben sich Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie der Charité und Sprecher beim World Health Summit und Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident und Gründer des World Health Summit zusammengesetzt.
In diesem Gespräch diskutieren sie Ihre Einschätzungen, wie es in hierzulande mit der Corona-Krise und einer potentiellen Verteilung eines Impfstoffs weitergehen wird. Und sie schauen auch über den Tellerrand hinaus in den globalen Süden: Warum sterben in Afrika weniger Menschen an COVID-19? Und wie lange wird die Pandemie unser Leben noch beherrschen?
Was war für Sie beide die größte Überraschung im Hinblick auf COVID-19?
Prof. Drosten: Ich hätte überhaupt nicht erwartet, dass dieses Virus so leicht übertragbar ist. Für mich war ganz schnell klar, dass das ein SARS-Virus ist, und zwar die Spezies, dieselbe Virusart, die ich seit 17 Jahren kenne. Aber dass sich dieses hier so komplett anders verhält, hätte ich nicht gedacht. Schuld daran ist übrigens ein winziges Detail im Oberflächenprotein des Virus.
Prof. Ganten: Für mich war die größte Überraschung gleich zu Anfang, als das Virus noch weit weg war. Plötzlich ging es los mit der rapiden Verbreitung – das waren keine Einzelfälle, sondern Cluster. Dass das Virus sich so schnell ausgebreitet hat und die Systeme damit so überfordert waren mit all den katastrophalen Konsequenzen, hätte ich so nicht gedacht. Schließlich kannten wir ja schwere Grippewellen, die waren aber alle kontrollierbar.
Was ist das wichtigste im Kampf gegen COVID 19?
Prof. Ganten: Ganz klar: Transparenz, Kooperation, Kommunikation und: Bildung! Entscheidend ist, dass die Bevölkerung gut und deutlich informiert wird, damit Vorsichtsmaßnahmen verstanden und befolgt werden und sich keine Mythen verbreiten. „Education is the best vaccination“ – Bildung ist die beste Impfung.
Bildung ist die beste Impfung. Prof. Dr. Detlev Ganten
Eine gebildete Gesellschaft kann mit solchen Dingen besser umgehen, auch mit Falschmeldungen. Dass die Bildungsinfrastrukturen in Deutschland so wenig modern sind, halte ich für eine Riesenkatastrophe. Schlimmer noch als die Tatsache, dass die Gesundheitsämter in der Vergangenheit vernachlässigt wurden.
Prof. Drosten: Auch in der Wissenschaft müssen sich Dinge ändern: In Deutschland ist zum Beispiel die medizinische Forschung sehr krebsorientiert. Dabei sind Infektionserkrankungen – das bemerken wir nicht nur jetzt – extrem wichtig in der Medizin. Wir brauchen in dem Bereich viel mehr Forschung.
Antibiotikaresistenzen sind das nächste große Thema. Das trifft auch uns in der Hochleistungsmedizin. Wir sehen ja, wie es sich rächt, wenn man Betätigungsfelder vernachlässigt, die uns scheinbar nicht betreffen – aber wirklich nur scheinbar.
Wie können wir COVID-19 in den Ländern des globalen Südens in den Griff bekommen?
Prof. Drosten: Aus unserer Perspektive würde man sagen, wir brauchen eine Impfung. Aber das ist nicht so einfach, wenn man an den globalen Süden denkt. Die Uhr tickt. Die Verbreitung in solchen Ländern ist nicht langsam. Und wir haben keine Ahnung, wie viele Menschen dort infiziert sind.
Allerdings scheint es in afrikanischen Ländern relativ wenige Todesfälle zu geben. Dafür gibt es möglicherweise naheliegende Gründe. Zum einen das Altersprofil: Die Bevölkerung ist einfach jünger. Und zum anderen ist das Immunsystem an viele Infekte gewöhnt. Wurminfektionen zum Beispiel sind dort universell verbreitet. Die beeinflussen das Immunsystem. Wir kennen zwar die genaue Auswirkung auf diese spezielle COVID-19 Viruserkrankung nicht, es könnte aber eine Erklärung sein.
Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns. Prof. Dr. Christian Drosten
Wie kann sichergestellt werden, dass alle auf der Welt Zugang haben zu einem Impfstoff?
Prof. Drosten: Man muss bestehende Strukturen nutzen: Es gibt internationale Organisationen und Programme, die Erfahrung damit haben, Länder des globalen Südens zu versorgen.
Prof. Ganten: Und man muss die WHO stärken. Das machen Europa und Deutschland übrigens vorbildlich. Und noch etwas halte ich für wichtig: Internationaler, moralischer Druck aus der Wissenschaft heraus. Besonders gut können das die Akademien der Wissenschaften, die ihre jeweiligen Regierungen beraten und in der Öffentlichkeit gehört werden. Wenn dann einzelne Länder nicht mitmachen, werden sie dem öffentlichen Druck am Ende nicht widerstehen können.
Glauben Sie, dass künftig mehr auf die Wissenschaft gehört wird?
Prof. Drosten: Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist derzeit hoch, das kann sich aber schnell ändern. Im Moment weiß niemand genau, wie die Epidemie weiterverläuft. Es gibt die Möglichkeit, dass das Ganze trotz wissenschaftlicher Erklärung nicht mehr so gut zu beherrschen ist und dass die Wissenschaft beispielsweise mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen einfach zu langsam gewesen ist.
Wir werden erst am Ende wissen, wie sich die Wissenschaft geschlagen hat. Denn diese Pandemie ist ja erst mal kein wissenschaftliches Phänomen, sie ist eine Naturkatastrophe.
Prof. Ganten: Wissenschaft wird gefragt, wenn sie glaubwürdig ist. Sie muss das ganze Geschehen daher holistisch, also als großes Ganzes, und auch interdisziplinär im Blick haben: das heißt, neben den virologischen also zum Beispiel auch die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekte einer Pandemie.
Niemand kann mit Präzision vorhersagen, was passiert. Wissenschaft muss kritisch und auch selbstkritisch an Probleme herangehen. Und das dann auch so kommunizieren. Christian Drosten macht das vorbildlich.
Was ist die wichtigste Lektion, die wir für die Zukunft lernen können?
Prof. Drosten: Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns. Wir können höchstens von Lektionen aus der ersten Welle in Europa sprechen. Schon allein da gibt es Riesenunterschiede.
Was man aber in jedem Fall schon sagen kann, ist, dass es relativ wichtig ist, die Bevölkerung gut und umfassend zu informieren. Es kann großen Schaden anrichten, wenn Politiker/innen die Dynamik einer Pandemie für politische Botschaften nutzen. Das ist sehr schwierig, denn das Virus serviert unmittelbar die Rechnung. Man sieht, was das in den USA anrichtet. Auch in Deutschland sehen wir die Konsequenzen.
Unser bisheriger Erfolg kam einfach daher, dass wir ungefähr 4 Wochen früher reagiert haben als andere Länder. Prof. Dr. Christian Drosten
Prof. Ganten: Die Botschaft für mich ist ganz klar: Gesundheit ist das Wichtigste für den Einzelnen und sie ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Wirtschaft, Kultur und all das funktioniert eben nicht mehr, wenn das, was wir als garantiert ansehen, nicht mehr da ist. Ich bin nicht sicher, ob das allen wirklich so klar ist.
Prof. Drosten: Ich glaube nicht.
Wenn Sie Wünsche frei hätten – welche wären das?
Prof. Drosten: Wir müssen, um die Situation in den kommenden Monaten zu beherrschen, Dinge ändern. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen. Es werden schon Festtagsreden auf den deutschen Erfolg gehalten, aber man macht sich nicht ganz klar, woher er kam.
Unser bisheriger Erfolg kam einfach daher, dass wir ungefähr 4 Wochen früher reagiert haben als andere Länder. Wir haben mit genau den gleichen Mitteln reagiert wie andere. Wir haben nichts besonders gut gemacht. Wir haben es nur früher gemacht. Darum waren wir erfolgreich. Wir waren nicht deshalb erfolgreich, weil unsere Gesundheitsämter besser waren als die französischen, oder weil unsere Krankenhäuser besser ausgestattet sind als die italienischen.
Wenn man das jetzt überträgt in den Herbst, dann muss man sich natürlich klarmachen, dass wir auch weiterhin nichts besser machen als andere.
Das heißt?
Prof. Drosten: In Argentinien zum Beispiel ist die Verbreitung trotz Maßnahmen sehr schwer zu kontrollieren – dort ist Winter. Wir sollten in Deutschland viel differenzierter und genauer ins Ausland schauen. Wir müssen aufhören, uns über so Dinge wie Fußballstadien zu unterhalten. Das ist wirklich komplett irreführend.
Prof. Ganten: Ich wünsche mir natürlich eine wirksame Therapie und einen Impfstoff. Ganz wichtig finde ich aber auch, dass endlich mal wirklich deutlich wird, wie lebenswichtig internationale und multilaterale Zusammenarbeit ist. Und ich wiederhole: Bildung, Bildung, Bildung. Eine gebildete Gesellschaft versteht notwendige Maßnahmen, verhält sich vernünftig und läuft Rattenfängern nicht in die Arme.
Wann kann man sagen, wir haben es geschafft und können uns wieder die Hand schütteln?
Prof. Drosten: Was bedeutet, „man hat´s geschafft“? Wahrscheinlich wenn die Ausbreitung nach einem epidemischen Muster durchbrochen ist. Wenn also nicht mehr eine freie Infektionswelle über die Bevölkerung läuft, sondern es nur noch lokal eingegrenzte Ausbrüche gibt, die man kontrollieren kann. Diese Situation wird in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten erreicht sein.
In Ländern des globalen Südens könnte das schon früher der Fall sein, weil die Altersstruktur anders ist. Bei uns ist das natürlich abhängig davon, wann es genügend Vakzine für die Risikogruppen gibt.
Also sollte man die Prioritäten auf Risikogruppen setzen?
Prof. Drosten: Ja, dann brauchen wir nicht gleich 50 Millionen Impfdosen in Deutschland. Neben dem zu erwartenden Verteilungskampf ist es auch gar nicht so einfach, so viele Impfdosen in Flaschen abzufüllen und die dann auch zu verimpfen. Selbst wenn der Impfstoff da ist. Deswegen ist das schon eine Unternehmung fürs ganze Jahr 2021. Selbst wenn im Januar 1 oder 2 zugelassene Impfstoffe da sind, muss das alles abgefüllt und verimpft werden.
Prof. Ganten: Ein Riesenfortschritt wäre in der Tat ein Impfstoff und eine wirksame Therapie. Aber eines darf man nicht vergessen: die anderen Krankheiten sind ja auch noch da: die vielen vermeidbaren Todesfälle zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Infektionskrankheiten, die nicht beherrschbar sind, wenn Antibiotika nicht mehr wirken.
Ich hoffe, dass wir als Lehre aus dieser Covid-19 Pandemie in Zukunft besser vorbereitet sind auf Herausforderungen dieser Art. Vorbeugung mag Geld kosten – aber keine Vorsorge zu treffen, kann dramatische Folgen haben.
Daniela Levy, Medscape
INTERESSENKONFLIKTE 24. September 2020
0Kommentar
In Zeiten einer Pandemie bekommen Konferenzen wie der World Health Summit (WHS), der vom 25. Bis 27. Oktober in Berlin stattfinden wird noch einmal eine besondere Bedeutung. Vor dem Treffen der Gesundheitsexperten aus aller Welt haben sich Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie der Charité und Sprecher beim World Health Summit und Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident und Gründer des World Health Summit zusammengesetzt.
In diesem Gespräch diskutieren sie Ihre Einschätzungen, wie es in hierzulande mit der Corona-Krise und einer potentiellen Verteilung eines Impfstoffs weitergehen wird. Und sie schauen auch über den Tellerrand hinaus in den globalen Süden: Warum sterben in Afrika weniger Menschen an COVID-19? Und wie lange wird die Pandemie unser Leben noch beherrschen?
Was war für Sie beide die größte Überraschung im Hinblick auf COVID-19?
Prof. Drosten: Ich hätte überhaupt nicht erwartet, dass dieses Virus so leicht übertragbar ist. Für mich war ganz schnell klar, dass das ein SARS-Virus ist, und zwar die Spezies, dieselbe Virusart, die ich seit 17 Jahren kenne. Aber dass sich dieses hier so komplett anders verhält, hätte ich nicht gedacht. Schuld daran ist übrigens ein winziges Detail im Oberflächenprotein des Virus.
Prof. Ganten: Für mich war die größte Überraschung gleich zu Anfang, als das Virus noch weit weg war. Plötzlich ging es los mit der rapiden Verbreitung – das waren keine Einzelfälle, sondern Cluster. Dass das Virus sich so schnell ausgebreitet hat und die Systeme damit so überfordert waren mit all den katastrophalen Konsequenzen, hätte ich so nicht gedacht. Schließlich kannten wir ja schwere Grippewellen, die waren aber alle kontrollierbar.
Was ist das wichtigste im Kampf gegen COVID 19?
Prof. Ganten: Ganz klar: Transparenz, Kooperation, Kommunikation und: Bildung! Entscheidend ist, dass die Bevölkerung gut und deutlich informiert wird, damit Vorsichtsmaßnahmen verstanden und befolgt werden und sich keine Mythen verbreiten. „Education is the best vaccination“ – Bildung ist die beste Impfung.
Bildung ist die beste Impfung. Prof. Dr. Detlev Ganten
Eine gebildete Gesellschaft kann mit solchen Dingen besser umgehen, auch mit Falschmeldungen. Dass die Bildungsinfrastrukturen in Deutschland so wenig modern sind, halte ich für eine Riesenkatastrophe. Schlimmer noch als die Tatsache, dass die Gesundheitsämter in der Vergangenheit vernachlässigt wurden.
Prof. Drosten: Auch in der Wissenschaft müssen sich Dinge ändern: In Deutschland ist zum Beispiel die medizinische Forschung sehr krebsorientiert. Dabei sind Infektionserkrankungen – das bemerken wir nicht nur jetzt – extrem wichtig in der Medizin. Wir brauchen in dem Bereich viel mehr Forschung.
Antibiotikaresistenzen sind das nächste große Thema. Das trifft auch uns in der Hochleistungsmedizin. Wir sehen ja, wie es sich rächt, wenn man Betätigungsfelder vernachlässigt, die uns scheinbar nicht betreffen – aber wirklich nur scheinbar.
Wie können wir COVID-19 in den Ländern des globalen Südens in den Griff bekommen?
Prof. Drosten: Aus unserer Perspektive würde man sagen, wir brauchen eine Impfung. Aber das ist nicht so einfach, wenn man an den globalen Süden denkt. Die Uhr tickt. Die Verbreitung in solchen Ländern ist nicht langsam. Und wir haben keine Ahnung, wie viele Menschen dort infiziert sind.
Allerdings scheint es in afrikanischen Ländern relativ wenige Todesfälle zu geben. Dafür gibt es möglicherweise naheliegende Gründe. Zum einen das Altersprofil: Die Bevölkerung ist einfach jünger. Und zum anderen ist das Immunsystem an viele Infekte gewöhnt. Wurminfektionen zum Beispiel sind dort universell verbreitet. Die beeinflussen das Immunsystem. Wir kennen zwar die genaue Auswirkung auf diese spezielle COVID-19 Viruserkrankung nicht, es könnte aber eine Erklärung sein.
Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns. Prof. Dr. Christian Drosten
Wie kann sichergestellt werden, dass alle auf der Welt Zugang haben zu einem Impfstoff?
Prof. Drosten: Man muss bestehende Strukturen nutzen: Es gibt internationale Organisationen und Programme, die Erfahrung damit haben, Länder des globalen Südens zu versorgen.
Prof. Ganten: Und man muss die WHO stärken. Das machen Europa und Deutschland übrigens vorbildlich. Und noch etwas halte ich für wichtig: Internationaler, moralischer Druck aus der Wissenschaft heraus. Besonders gut können das die Akademien der Wissenschaften, die ihre jeweiligen Regierungen beraten und in der Öffentlichkeit gehört werden. Wenn dann einzelne Länder nicht mitmachen, werden sie dem öffentlichen Druck am Ende nicht widerstehen können.
Glauben Sie, dass künftig mehr auf die Wissenschaft gehört wird?
Prof. Drosten: Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist derzeit hoch, das kann sich aber schnell ändern. Im Moment weiß niemand genau, wie die Epidemie weiterverläuft. Es gibt die Möglichkeit, dass das Ganze trotz wissenschaftlicher Erklärung nicht mehr so gut zu beherrschen ist und dass die Wissenschaft beispielsweise mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen einfach zu langsam gewesen ist.
Wir werden erst am Ende wissen, wie sich die Wissenschaft geschlagen hat. Denn diese Pandemie ist ja erst mal kein wissenschaftliches Phänomen, sie ist eine Naturkatastrophe.
Prof. Ganten: Wissenschaft wird gefragt, wenn sie glaubwürdig ist. Sie muss das ganze Geschehen daher holistisch, also als großes Ganzes, und auch interdisziplinär im Blick haben: das heißt, neben den virologischen also zum Beispiel auch die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aspekte einer Pandemie.
Niemand kann mit Präzision vorhersagen, was passiert. Wissenschaft muss kritisch und auch selbstkritisch an Probleme herangehen. Und das dann auch so kommunizieren. Christian Drosten macht das vorbildlich.
Was ist die wichtigste Lektion, die wir für die Zukunft lernen können?
Prof. Drosten: Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns. Wir können höchstens von Lektionen aus der ersten Welle in Europa sprechen. Schon allein da gibt es Riesenunterschiede.
Was man aber in jedem Fall schon sagen kann, ist, dass es relativ wichtig ist, die Bevölkerung gut und umfassend zu informieren. Es kann großen Schaden anrichten, wenn Politiker/innen die Dynamik einer Pandemie für politische Botschaften nutzen. Das ist sehr schwierig, denn das Virus serviert unmittelbar die Rechnung. Man sieht, was das in den USA anrichtet. Auch in Deutschland sehen wir die Konsequenzen.
Unser bisheriger Erfolg kam einfach daher, dass wir ungefähr 4 Wochen früher reagiert haben als andere Länder. Prof. Dr. Christian Drosten
Prof. Ganten: Die Botschaft für mich ist ganz klar: Gesundheit ist das Wichtigste für den Einzelnen und sie ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft. Wirtschaft, Kultur und all das funktioniert eben nicht mehr, wenn das, was wir als garantiert ansehen, nicht mehr da ist. Ich bin nicht sicher, ob das allen wirklich so klar ist.
Prof. Drosten: Ich glaube nicht.
Wenn Sie Wünsche frei hätten – welche wären das?
Prof. Drosten: Wir müssen, um die Situation in den kommenden Monaten zu beherrschen, Dinge ändern. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen. Es werden schon Festtagsreden auf den deutschen Erfolg gehalten, aber man macht sich nicht ganz klar, woher er kam.
Unser bisheriger Erfolg kam einfach daher, dass wir ungefähr 4 Wochen früher reagiert haben als andere Länder. Wir haben mit genau den gleichen Mitteln reagiert wie andere. Wir haben nichts besonders gut gemacht. Wir haben es nur früher gemacht. Darum waren wir erfolgreich. Wir waren nicht deshalb erfolgreich, weil unsere Gesundheitsämter besser waren als die französischen, oder weil unsere Krankenhäuser besser ausgestattet sind als die italienischen.
Wenn man das jetzt überträgt in den Herbst, dann muss man sich natürlich klarmachen, dass wir auch weiterhin nichts besser machen als andere.
Das heißt?
Prof. Drosten: In Argentinien zum Beispiel ist die Verbreitung trotz Maßnahmen sehr schwer zu kontrollieren – dort ist Winter. Wir sollten in Deutschland viel differenzierter und genauer ins Ausland schauen. Wir müssen aufhören, uns über so Dinge wie Fußballstadien zu unterhalten. Das ist wirklich komplett irreführend.
Prof. Ganten: Ich wünsche mir natürlich eine wirksame Therapie und einen Impfstoff. Ganz wichtig finde ich aber auch, dass endlich mal wirklich deutlich wird, wie lebenswichtig internationale und multilaterale Zusammenarbeit ist. Und ich wiederhole: Bildung, Bildung, Bildung. Eine gebildete Gesellschaft versteht notwendige Maßnahmen, verhält sich vernünftig und läuft Rattenfängern nicht in die Arme.
Wann kann man sagen, wir haben es geschafft und können uns wieder die Hand schütteln?
Prof. Drosten: Was bedeutet, „man hat´s geschafft“? Wahrscheinlich wenn die Ausbreitung nach einem epidemischen Muster durchbrochen ist. Wenn also nicht mehr eine freie Infektionswelle über die Bevölkerung läuft, sondern es nur noch lokal eingegrenzte Ausbrüche gibt, die man kontrollieren kann. Diese Situation wird in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten erreicht sein.
In Ländern des globalen Südens könnte das schon früher der Fall sein, weil die Altersstruktur anders ist. Bei uns ist das natürlich abhängig davon, wann es genügend Vakzine für die Risikogruppen gibt.
Also sollte man die Prioritäten auf Risikogruppen setzen?
Prof. Drosten: Ja, dann brauchen wir nicht gleich 50 Millionen Impfdosen in Deutschland. Neben dem zu erwartenden Verteilungskampf ist es auch gar nicht so einfach, so viele Impfdosen in Flaschen abzufüllen und die dann auch zu verimpfen. Selbst wenn der Impfstoff da ist. Deswegen ist das schon eine Unternehmung fürs ganze Jahr 2021. Selbst wenn im Januar 1 oder 2 zugelassene Impfstoffe da sind, muss das alles abgefüllt und verimpft werden.
Prof. Ganten: Ein Riesenfortschritt wäre in der Tat ein Impfstoff und eine wirksame Therapie. Aber eines darf man nicht vergessen: die anderen Krankheiten sind ja auch noch da: die vielen vermeidbaren Todesfälle zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Infektionskrankheiten, die nicht beherrschbar sind, wenn Antibiotika nicht mehr wirken.
Ich hoffe, dass wir als Lehre aus dieser Covid-19 Pandemie in Zukunft besser vorbereitet sind auf Herausforderungen dieser Art. Vorbeugung mag Geld kosten – aber keine Vorsorge zu treffen, kann dramatische Folgen haben.
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