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Dienstag, 18. März 2008
Jugoslawien-Krieg revisited
che2001, 22:37h
Nachdem hier der Jugoslawien-Band der Materialien für einen neuen Antiimperialismus wegen seiner hochgestochenen Sprache schlecht angekommen war, will ich es nochmal mit einem eigenen Beitrag versuchen, der inhaltlich das Gleiche sagt, sprachlich aber schlichter gehalten ist und von mir 1999, während des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien verfasst wurde.Wie gesagt, Stand 1999.
Historische, wirtschaftliche und soziale Hintergründe des jugoslawischen Bürgerkriegs
Vom Zweiten Weltkrieg zur Sozialistischen Republik
Die Geschichte des letzten Krieges in Jugoslawien beginnt spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg. Um sich eine Aufmarschbasis für den geplanten Überfall auf die Sowjetunion zu schaffen und den britischen Truppen potentielle Aufmarschgebiete in Südosteuropa zu nehmen, bezogen die faschistischen Achsenmächte (Deutschland/ Italien) den Balkan in ihre militärischen Operationen ein. Nach einer erfolglosen italienischen Invasion griff die deutsche Wehrmacht und Luftwaffe am 6.April 1941 Jugoslawien an. Der überlegenen deutschen Waffentechnik und der "Blitzkrieg"-Strategie hatten die jugoslawischen Streitkräfte nichts entgegenzusetzen und mußten am 17. April kapitulieren.
In Kroatien nutzte die faschistische Ustascha-Partei die Gunst der Stunde und rief schon am 10.April die "unabhängige" Republik Kroatien aus. So unabhängig war diese allerdings nicht, war sie doch von deutschen und italienischen Truppen besetzt und seit dem Wirtschaftsabkommen vom Mai '41 ein Satellitenstaat des deutschen Reiches. Die "unabhängigste" Leistung der Ustascha war jedoch die Tatsache, daß sie von sich aus einen systematischen Völkermord betrieb. Mit dem Ziel, ein "ethnisch reines" Kroatien zu schaffen, wurden in den KZ's der Ustascha 750 000 SerbInnen, 60 000 JüdInnen und 26.000 Roma ermordet.
Der von PartisanInnengruppen getragene bewaffnete Widerstand gegen Besatzer und Ustascha bestand aus drei Fraktionen, die weitgehend getrennt kämpften. Dies waren zum Einen die KämpferInnen der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) unter Tito, zum Anderen die königstreuen, serbisch-nationalistischen Cetniks, die für ein unabhängiges Serbien kämpften und drittens die politisch pluralistische Slowenische Befreiungsfront. Darüber hinaus hatten sich unmittelbar nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee spontan zahlreiche lokale und regionale, unabhängige und ideologisch nicht festgelegte Widerstandsgruppen gebildet. Diese gerieten im Verlauf des Partisanenkrieges überwiegend unter kommunistische Führung. Aufgrund ihrer besseren Organisation und der Unterstützung durch die Sowjetunion nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die UDSSR waren die kommunistischen PartsanInnen den übrigen Widerstandsgruppen an Kampfkraft weit überlegen.
Ende 1941 stoppten unter der Androhung massenhafter Geiselerschiessungen die Cetniks ihre Widerstandsaktionen gegen die Deutschen, um kurz darauf, unter dem Einfluß deutscher Versprechungen und der Erwartung eines schnellen deutschen Sieges an der Ostfront, gegen die kommunistischen Gruppen vorzugehen. Ab Frühjahr 1943, als sich nach Stalingrad die deutsche Niederlage an der Ostfront abzuzeichnen begann, kämpften die Cetniks gemeinsam mit der Wehrmacht gegen die PartisanInnenverbände, um eine kommunistische Machtübernahme nach Kriegsende zu verhindern. Heutzutage nimmt die offizielle serbische Propaganda die Gleichsetzung Kroatische Armee = Faschisten mit Ustascha-Tradition, serbische Milizen = Cetniks = Antifaschisten vor. Aufgrund verbreiteter Ängste in der serbischen Bevölkerung, die durch die Ustascha-Vergangenheit bedingt sind, ist diese Propaganda ausgesprochen wirkungsvoll, politisch und historisch gesehen aber falsch.
Seit August 1944 stießen sowjetische Truppen auf den Balkan vor, die sich am 6.September mit Partisanenverbänden Titos vereinigten. Am 18.10. befreiten Titos Truppen Belgrad.
Im Zuge der sukzessiven Befreiung von Dörfern, Städten und Regionen durch die Partisanenarmee waren überall lokale Volksbefreiungskommitees gegründet worden, welche die Verwaltung in ihre Hände nahmen und die Interessen der Bevölkerung auch gegen die KPJ vertraten. Von Anfang an entwickelten sich in Jugoslawien Selbstverwaltungsstrukturen, die in deutlichem Kontrast zu der stalinistischen Ordnung in allen übrigen sozialistischen Staaten Europas stehen. Insgesamt läßt sich der sozialistische Staat Jugoslawien eher als zur Staatsmacht gelangte PartisanInnenbewegung denn als ein sozialistisches System im herkömmlichen Sinne begreifen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Tatsache, daß Jugoslawien sich selbst befreit und die Rote Armee nur in der Schlußphase des Krieges eine Rolle gespielt hat.
Da die Regierung Tito nicht bereit war, den Wiederaufbau der jugoslawischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Erfordernisse des sowjetischen Plansystems umzustellen, wurde Jugoslawien 1948 aus der Kominform ausgeschlossen. Gleichzeitig stieß die im Rahmen des Fünfjahresplans 1947-51 anvisierte Kollektivierung der Landwirtschaft auf bäuerlichen Widerstand, der zur Einrichtung bzw. nachträglichen Legalisierung von Selbstverwaltungsstrukturen in Industrie und Landwirtschaft führte.
Die weitere Entwicklung des jugoslawischen Modells wurde durch drei Faktoren bestimmt:
1) Der Ausschluß Jugoslawiens aus dem osteuropäischen Wirtschaftsraum und das damit verbundene Fehlen von osteuropäischen Wirtschaftshilfen machte das Land von der Devisenbeschaffung aus dem kapitalistischen Ausland abhängig. Dies bedeutete auch eine für den kapitalistischen Weltmarkt bestimmte Produktion nach den vom westlichen Ausland festgelegten Handelsbestimmungen.
2) Die Selbstverwaltungsstrukturen wurden weiter ausgebaut. Offiziell gehörten die Industriebetriebe Arbeiterräten, in der Praxis bildeten Manager und Betriebsleiter die gesellschaftliche Elite.
3) Beide Faktoren führten dazu, daß das bereits vor dem Zweiten Weltkrieg stark ausgeprägte Nord-Südgefälle in der industriellen Entwicklung Jugoslawiens weiter vertieft wurde. Der Aufbau Sloweniens und Kroatiens wurde weitgehend von BRD-Kapital finanziert. In Slowenien durch Zulieferproduktion für deutsche Industriebetriebe, in Slowenien und Serbien auch durch die Kooperation der Volkswagengruppe mit dem Autohersteller Zastava/Yugo. Aus Kroatien wurden Kühlschränke und sonstige Küchengeräte in die BRD exportiert. Durch den Massentourismus vornehmlich deutscher UrlauberInnen an der dalmatinischen Adriaküste setzte sich die D-Mark als zweites Zahlungsmittel neben dem Dinar durch.
In Serbien und den „unterentwickelten“ Regionen Bosnien, Mazedonien, Kosova und Montenegro blieben, abgesehen vom Autobau, westliche Investitionen hingegen aus. Parallel zur Migration von ArbeiterInnen aus Slowenien, Kroatien und Serbien in die BRD und Österreich kam es in Jugoslawien selbst zu einer Binnenmigration. Aus Bosnien-Herzegowina gingen ArbeitsmigranInnen nach Slowenien und Kroatien, aus Montenegro und Kosova nach Kroatien und Serbien, wo sie als "GastarbeiterInnen" entsprechend diskriminiert wurden.
Der Weg in die Krise
Vor dem Hintergrund weltwirtschaftlicher Entwicklungen Ende der 70er Anfang 80er Jahre, eine Zeit, die durch die Namen Reagan und Thatcher geprägt ist, muß auch die Vorgeschichte des Bürgerkriegs in Jugoslawien gesehen werden. Die jugoslawische Bundesbank hatte Anfang 1980 eine Auslandsverschuldung von fast 14 Milliarden Dollar, was hauptsächlich auf die Erhöhung der Energie- und Brennstoffpreise auf dem Weltmarkt und die gestiegenen Kreditzinsen zurückzuführen war. Die wesentlichsten Deviseneinnahmen des Landes, Überweisungen der ArbeitsmigrantInnen und im Tourismus erwirtschaftete Gelder, verschwanden zum größten Teil im grauen und schwarzen Markt und gingen somit an der Staatsbank vorbei. Angesichts des drückenden Schuldenbergs trat Jugoslawien 1980 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bei. Dieser gewährte dem Land 1981 den größten je gegebenen Kredit und führte für Jugoslawien die Umschuldungsverhandlungen mit ca. 600 westlichen Gläubigerbanken. Dafür forderte der IWF von der jugoslawischen Regierung Lohnbegrenzungen für zahlungsunfähige Betriebe, Freigabe der staatlich subventionierten Lebensmittel- und Gebrauchsgüterpreise, Zinserhöhungen und eine 25% tige Abwertung des Dinar. Aus diesen IWF-Auflagen leitete die jugoslawische Regierung eigene Maßnahmen zur Modernisierung der Industrie, zur Produktivitätssteigerung und zur Kostensenkung ab. Dazu gehörte insbesondere auch eine generelle Senkung der Arbeitslöhne, was nur über eine Zerschlagung der ArbeiterInnenräte möglich war.
Zum Anderen wurde eine Inwertsetzung der Armutsregionen im Süden, also des Kosova, Montenegros und Bosniens sowie der angrenzenden serbischen Randgebiete angestrebt. Das beabsichtigte Ziel war dabei die Schaffung riesiger Anbauflächen für die Zucht von Nutzpflanzen für den Weltmarkt gegen westliche Devisen. Durchsetzbar war dies nur durch die Zerstörung der traditionellen Strukturen, die auf dem Lande noch vielfach durch eine subsistenzwirtschaftliche, sich selbst versorgende Sippengesellschaft geprägt war. Diese hatte es bisher ermöglicht, in ziemlicher Armut, aber sehr autark zu leben, da fast nur das gegessen wurde, was man selber anbaute.
Die in den Achtziger Jahren geplante Landreform stand vor dem gleichen Problem wie die Kollektivierung der Landwirtschaft unter Tito: es regte sich heftiger bäuerlicher Widerstand. Daneben lief die Agrarreform auf Massenentlassungen in der landwirtschaftlichen Industrie hinaus, verbunden mit der Abwanderung oder Vertreibung der Entlassenen als billiges Arbeitskräftereservoir in die Großstädte.
Zwischen Klasse und Rasse: Die Ethnisierung des Sozialen
Noch ehe diese geplanten Maßnahmen zur Wirkung gelangten, setzte eine Welle heftigen Widerstandes vor allem der IndustriearbeiterInnenschaft gegen die rapide fortschreitenden Teuerungen ein. Mitte der Achtziger Jahre begann eine Kette von wilden Streiks von Slowenien aus das Land zu überziehen. 1987 erreichten diese den Höhepunkt. 1986 wurde in Belgrad Tausenden von Familien Strom und Gas abgestellt, weil sie die Rechnungen nicht bezahlten.
Im jugoslawischen Armenhaus Kosova, wo sich die Krise am frühesten zugespitzt hatte und es bereits 1981 zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen war, eskalierte die Entwicklung zu einem Aufstand, auf den die jugoslawische Bundesregierung mit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo und der Verhängung des Ausnahmezustandes reagierte. Hier nahmen die Auseinandersetzungen erstmals ethnisch-nationalen Charakter an. Die jugoslawische Regierung schürte in ihrer Propaganda einen aggressiven Chauvinismus gegen die albanische Bevölkerung des Kosova, da sie die ökonomischen Ursachen des Konfliktes nicht zugeben konnte. Dies deckte sich mit serbischen Ansprüchen auf den Kosova. Das Gebiet ist zwar heute mehrheitlich albanisch besiedelt, aber die ursprüngliche Heimat der SerbInnen und durch die historische Schlacht auf dem Amselfeld Gegenstand nationalistischer Mythenbildung. Diese fand neue Aktualität, als der Kosova unter serbische Verwaltung gestellt wurde. Darauf reagierte die Führung der Aufstandsbewegung mit der Forderung nach sofortigem Austritt aus dem jugoslawischen Staatsverband und dem Anschluß an Albanien.
Die jugoslawische Staatsführung und die Regierungen der einzelnen Republiken blockierten sich gegenseitig bei der Umsetzung von Lösungsstrategien, zumal sie alle sich einer das ganze Land erfassenden Streikbewegung gegenüber sahen, die den Charakter einer proletarischen Revolte gegen einen formell noch immer sozialistischen Staat annahm.
Insbesondere die Regierungen von Slowenien und Kroatien waren nicht länger bereit, die Armut des Südens mitzufinanzieren. Bisher waren die dort getätigten Investitionen von den beiden reichsten Republiken getragen worden, ohne daß sie zu sichtbaren Erfolgen geführt hätten. Nachdem sich ein zunehmend aggressiver werdender serbischer Nationalismus am rüden Besatzungsregime im Kosova und der serbischen Annektion der bis dahin autonomen Vojvodina deutlich zeigte, setzten die Staatsführungen der beiden Republiken auf die nationale Unabhängigkeit. Dabei konnten sie auf die Unterstützung der österreichischen und der bundesdeutschen Regierung bauen, für die Slowenien und Kroatien wirtschaftlich interessant waren, der Rest Jugoslawiens hingegen überhaupt nicht. Schon seit Mitte der Achtziger Jahre wurde in osteuropäischen Arbeitskreisen der bundesdeutschen Industrie eine Abtrennung Kroatiens und Sloweniens als wünschenswert bezeichnet
Einig waren sich die Führungen aller Republiken im repressiven Vorgehen gegen die Bewegungen von unten, die mit Polizeigewalt zerschlagen wurden. Propagandistisch wurden diese in den einzelnen Republiken als Machenschaften anderer Teilrepubliken oder bestimmter Volksgruppen dargestellt. Ethnische Konflikte waren es teilweise tatsächlich; dies aber in dem Sinne, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe mit einem bestimmten sozialen Status verbunden war. Ab 1987 kann von einer allgemeinen "Ethnisierung" ursprünglich sozial bestimmter Konflikte geredet werden. Zunehmend begannen die AkteurInnen sich über ihre Volksgruppenzugehörigkeit zu definieren.
Die Bombe platzt
Zu den ersten bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen außerhalb des Kosova kam es Frühjahr 1991 in der Krajna. Dieses Gebiet, das die kroatische Adriaküste von der Herzegowina trennt, bessaß eine sehr spezielle Bevölkerungsstruktur. Noch zur Zeit der K.u.K.-Monarchie waren dort, entlang der damaligen Militärgrenze zum Osmanischen Reich, Wehrdörfer zur Grenzsicherung angelegt worden. Diese wurden mit SerbInnen besiedelt, die in dem Bewußtsein aufwuchsen, die militärische Vorhut des Abendlandes gegen den Islam zu sein. Bis zur Zerstörung der Krajna-Republik durch die kroatische Armee im Spätsommer 1995 hatte sich die Wehrbauernmentalität dort ungebrochen erhalten. Als sich Ende der Achtziger die Pläne der kroatischen Regierung zum kapitalistischen Umbau und zur Herauslösung aus dem jugoslawischen Staatsverband immer deutlicher abzeichneten, begannen von hier aus militante serbische Nationalisten ihre Aktionen gegen Kroatien. Sie wurden von Kroatien so rigoros niedergeschlagen wie ungefähr gleichzeitig unter serbischer Regie die Unruhen im Kosova.
Am 27. Juli 1991 trat der Konflikt ans Licht der Weltöffentlichkeit: Slowenien und Kroatien erklärten ihre Unabhängigkeit. Es folgte ein kurzer Krieg um die Unabhängigkeit Sloweniens und ein sehr blutiger und grausamer Krieg zwischen Kroatien und Rest- Jugoslawien einerseits und der Krajna sowie serbischen Volksgruppen in Ost- und West-Slawonien andererseits. Alle Seiten taten sich durch die Bestialität der sog. ethnischen Säuberungen hervor, die planmäßige Ermordung und Vertreibung der Bevölkerung ganzer Landstriche. Von Anfang an war die BRD aufgrund ihrer ökonomischen Interessen auf der Seite Kroatiens, während sich die übrigen westeuropäischen Mächte mit Parteinahme zurückhielten, Großbritannien und Frankreich hauptsächlich aus Rücksichtnahme auf ihre eigenen ethnischen Minderheiten. Als der Konflikt im Frühjahr 1992 mit der Anerkennung Kroatiens durch Rest-Jugoslawien beigelegt schien, explodierte er in Bosnien-Herzegowina. Serbische Separatisten riefen in der Furcht vor einer völligen Bevormundung durch die miteinander verbündeten Moslems und KroatInnen die unabhängige Republik von Pale aus. Ehe es zu einer Verhandlungslösung kommen konnte, begannen serbische Söldnermilizen die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit Granatwerfern zu beschießen und von der Außenwelt abzuschneiden, um auf diese Weise die Unabhängigkeit der Republik zu erzwingen. Die bosnische Führung reagierte mit militärischen Mitteln. Es folgte ein langer, blutiger Krieg, in dem beide Seiten hauptsächlich wehrlose Zivilbevölkerung niedermetzelten.
Der weitere Verlauf des Konflikts bis zum Herbeibomben des Friedens von Dayton durch die NATO dürfte, abgesehen von den Verfälschungen durch eine allgemein antiserbische Ausrichtung in der deutschen Medienberichterstattung, zumindest in groben Zügen bekannt sein. Nach dem Friedensschluß in Bosnien eskalierte die Entwicklung im Kosova.
Zweierlei Imperialismus - ein Ausblick in die nahe Zukunft
Wenn nach dem Eingreifen von NATO-Kampfeinheiten der Eindruck entstanden ist, daß die Westmächte im Jugoslawienkrieg an einem Strang ziehen, so täuscht dieser. Die Interessen der verschiedenen NATO- und WEU-Staaten sind durchaus nicht deckungsgleich.
Das Interesse der BRD an einer Unabhängigkeit von Kroatien und Slowenien wurde oben bereits dargestellt. Die jetzige Interessenlage der BRD gestaltet sich komplex. Zunächst einmal fährt sie in ihrer Balkan- und Osteuropapolitik einen Kurs, der mit der Rest-EU nur wenig abgesprochen wird. Seit 1991 betreibt die Bundesregierung eine sehr aktive Ostpolitik, die auf die Schaffung eines eigenen "Hinterhofes" in Osteuropa abzielt. Vorbild ist hierbei die Durchdringung Mittelamerikas durch US-Interessen. In Kroatien ist die BRD bereits gut im Geschäft; so gehört ein Großteil der kroatischen Energieversorgung der Firma Siemens, überhaupt der größte westliche Investor in Kroatien. Eine Rolle spielen auch deutsche Waffenlieferungen. Im Unterschied zur Lieferung von billigem NVA-Material in alle Welt wurden hier neuartige Waffen im Einsatz getestet, wie die neue Panzerabwehrrakete "Armbrust". Ein Testfall ist ebenfalls der Einsatz deutscher Schiffe, Flugzeuge und Bodentruppen. Von den Alliierten wird er gewollt, um die BRD militärisch möglichst stark einzubinden, für die BRD ist er Teil eines Stufenplanes zur Erhöhung der Akzeptanz von deutschen Militäreinsätzen ganz anderen Ausmaßes. Fernziel ist die uneingeschränkte Möglichkeit zu weltweiten Dauerinterventionen nach dem Vorbild der USA und Frankreichs. Die BRD betreibt in Jugoslawien also Großmachtpolitik auf allen Ebenen. Damit die in Kroatien getätigten Investitionen sich lohnen, liegt es im Interesse des deutschen Kapitals, daß langsam Ruhe in die Region kommt oder daß die bewaffneten Auseinandersetzungen sich nach außen verlagern. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, daß in der Vojvodina der Bürgerkrieg noch bevorsteht.
Demgegenüber haben die USA eher ein Interesse daran, den Störfaktor Serbien auszuschalten, ohne daß BRD-Kapital allzuviel daran verdient, was vielleicht auch die besondere Gründlichkeit amerikanischer Bombenangriffe erklärt.
Großbritannien und Frankreich hatten lange gezögert, sich dem prokroatisch-promuslimischen Kurs der BRD anzuschließen. Dies geschah, wie gesagt, vor allem mit Rücksichtnahme auf die ethnischen Unabhängigkeitsbewegungen in diesen Ländern sowie vor dem Hintergrund, daß die ökonomischen Interessen der BRD nicht die Ihren sind. Mittlerweile steht die EU in Jugoslawien aber recht einheitlich da, militärisch von Großbritannien und Frankreich angeführt, zugunsten von BRD-Wirtschaftsinteressen. Militärisch kämpfen US-amerikanische und deutsche Einheiten zusammen, politisch teilweise gegeneinander.
Andererseits gibt es natürlich auch gemeinsame imperialistische Interessen. Sowohl die Durchsetzung imperialistischer Hegemonial- und Profitinteressen durch territoriale Aufteilung als auch die Kriegsweise finden sich auch anderswo wieder. Was Letztere angeht, handelt es sich um eine Mischung aus einer weltweiten Unterstützung völkermordender regionaler Heerführer, begrenzter Intervention durch eine multinationale Streitmacht und zeitweilige militärische Besetzung von Schlüsselzonen. Ähnliches fanden wir in Ruanda und Somalia vor, im Falle einer Eskalation der Auseinandersetzungen in Algerien zum offenen Bürgerkrieg würde sich dort unter französischer Führung die Fortsetzung abspielen.
Das Modell Jugoslawien ist charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt: Eine strikte Trennung von für das Metropolenkapital ökonomisch interessanten Regionen und Armutsgebieten, eine territoriale Abschottung notfalls mit militärischen Mitteln und die wirtschaftliche Neuerschließung durch völlige Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau.
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In Jugoslawien hat die Vertreibung der Kosova - Albaner bzw. jetzt der Serben aus dem Kosova den Charakter, eine territoriale Neuaufteilung durch die "Schaffung" einer auf das jeweilige Territorium zugeschnittenen Bevölkerung zu erreichen. Inwieweit dies dauerhaften Erfolg zeitigen wird, wird die Zukunft zeigen.
Historische, wirtschaftliche und soziale Hintergründe des jugoslawischen Bürgerkriegs
Vom Zweiten Weltkrieg zur Sozialistischen Republik
Die Geschichte des letzten Krieges in Jugoslawien beginnt spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg. Um sich eine Aufmarschbasis für den geplanten Überfall auf die Sowjetunion zu schaffen und den britischen Truppen potentielle Aufmarschgebiete in Südosteuropa zu nehmen, bezogen die faschistischen Achsenmächte (Deutschland/ Italien) den Balkan in ihre militärischen Operationen ein. Nach einer erfolglosen italienischen Invasion griff die deutsche Wehrmacht und Luftwaffe am 6.April 1941 Jugoslawien an. Der überlegenen deutschen Waffentechnik und der "Blitzkrieg"-Strategie hatten die jugoslawischen Streitkräfte nichts entgegenzusetzen und mußten am 17. April kapitulieren.
In Kroatien nutzte die faschistische Ustascha-Partei die Gunst der Stunde und rief schon am 10.April die "unabhängige" Republik Kroatien aus. So unabhängig war diese allerdings nicht, war sie doch von deutschen und italienischen Truppen besetzt und seit dem Wirtschaftsabkommen vom Mai '41 ein Satellitenstaat des deutschen Reiches. Die "unabhängigste" Leistung der Ustascha war jedoch die Tatsache, daß sie von sich aus einen systematischen Völkermord betrieb. Mit dem Ziel, ein "ethnisch reines" Kroatien zu schaffen, wurden in den KZ's der Ustascha 750 000 SerbInnen, 60 000 JüdInnen und 26.000 Roma ermordet.
Der von PartisanInnengruppen getragene bewaffnete Widerstand gegen Besatzer und Ustascha bestand aus drei Fraktionen, die weitgehend getrennt kämpften. Dies waren zum Einen die KämpferInnen der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) unter Tito, zum Anderen die königstreuen, serbisch-nationalistischen Cetniks, die für ein unabhängiges Serbien kämpften und drittens die politisch pluralistische Slowenische Befreiungsfront. Darüber hinaus hatten sich unmittelbar nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee spontan zahlreiche lokale und regionale, unabhängige und ideologisch nicht festgelegte Widerstandsgruppen gebildet. Diese gerieten im Verlauf des Partisanenkrieges überwiegend unter kommunistische Führung. Aufgrund ihrer besseren Organisation und der Unterstützung durch die Sowjetunion nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die UDSSR waren die kommunistischen PartsanInnen den übrigen Widerstandsgruppen an Kampfkraft weit überlegen.
Ende 1941 stoppten unter der Androhung massenhafter Geiselerschiessungen die Cetniks ihre Widerstandsaktionen gegen die Deutschen, um kurz darauf, unter dem Einfluß deutscher Versprechungen und der Erwartung eines schnellen deutschen Sieges an der Ostfront, gegen die kommunistischen Gruppen vorzugehen. Ab Frühjahr 1943, als sich nach Stalingrad die deutsche Niederlage an der Ostfront abzuzeichnen begann, kämpften die Cetniks gemeinsam mit der Wehrmacht gegen die PartisanInnenverbände, um eine kommunistische Machtübernahme nach Kriegsende zu verhindern. Heutzutage nimmt die offizielle serbische Propaganda die Gleichsetzung Kroatische Armee = Faschisten mit Ustascha-Tradition, serbische Milizen = Cetniks = Antifaschisten vor. Aufgrund verbreiteter Ängste in der serbischen Bevölkerung, die durch die Ustascha-Vergangenheit bedingt sind, ist diese Propaganda ausgesprochen wirkungsvoll, politisch und historisch gesehen aber falsch.
Seit August 1944 stießen sowjetische Truppen auf den Balkan vor, die sich am 6.September mit Partisanenverbänden Titos vereinigten. Am 18.10. befreiten Titos Truppen Belgrad.
Im Zuge der sukzessiven Befreiung von Dörfern, Städten und Regionen durch die Partisanenarmee waren überall lokale Volksbefreiungskommitees gegründet worden, welche die Verwaltung in ihre Hände nahmen und die Interessen der Bevölkerung auch gegen die KPJ vertraten. Von Anfang an entwickelten sich in Jugoslawien Selbstverwaltungsstrukturen, die in deutlichem Kontrast zu der stalinistischen Ordnung in allen übrigen sozialistischen Staaten Europas stehen. Insgesamt läßt sich der sozialistische Staat Jugoslawien eher als zur Staatsmacht gelangte PartisanInnenbewegung denn als ein sozialistisches System im herkömmlichen Sinne begreifen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Tatsache, daß Jugoslawien sich selbst befreit und die Rote Armee nur in der Schlußphase des Krieges eine Rolle gespielt hat.
Da die Regierung Tito nicht bereit war, den Wiederaufbau der jugoslawischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Erfordernisse des sowjetischen Plansystems umzustellen, wurde Jugoslawien 1948 aus der Kominform ausgeschlossen. Gleichzeitig stieß die im Rahmen des Fünfjahresplans 1947-51 anvisierte Kollektivierung der Landwirtschaft auf bäuerlichen Widerstand, der zur Einrichtung bzw. nachträglichen Legalisierung von Selbstverwaltungsstrukturen in Industrie und Landwirtschaft führte.
Die weitere Entwicklung des jugoslawischen Modells wurde durch drei Faktoren bestimmt:
1) Der Ausschluß Jugoslawiens aus dem osteuropäischen Wirtschaftsraum und das damit verbundene Fehlen von osteuropäischen Wirtschaftshilfen machte das Land von der Devisenbeschaffung aus dem kapitalistischen Ausland abhängig. Dies bedeutete auch eine für den kapitalistischen Weltmarkt bestimmte Produktion nach den vom westlichen Ausland festgelegten Handelsbestimmungen.
2) Die Selbstverwaltungsstrukturen wurden weiter ausgebaut. Offiziell gehörten die Industriebetriebe Arbeiterräten, in der Praxis bildeten Manager und Betriebsleiter die gesellschaftliche Elite.
3) Beide Faktoren führten dazu, daß das bereits vor dem Zweiten Weltkrieg stark ausgeprägte Nord-Südgefälle in der industriellen Entwicklung Jugoslawiens weiter vertieft wurde. Der Aufbau Sloweniens und Kroatiens wurde weitgehend von BRD-Kapital finanziert. In Slowenien durch Zulieferproduktion für deutsche Industriebetriebe, in Slowenien und Serbien auch durch die Kooperation der Volkswagengruppe mit dem Autohersteller Zastava/Yugo. Aus Kroatien wurden Kühlschränke und sonstige Küchengeräte in die BRD exportiert. Durch den Massentourismus vornehmlich deutscher UrlauberInnen an der dalmatinischen Adriaküste setzte sich die D-Mark als zweites Zahlungsmittel neben dem Dinar durch.
In Serbien und den „unterentwickelten“ Regionen Bosnien, Mazedonien, Kosova und Montenegro blieben, abgesehen vom Autobau, westliche Investitionen hingegen aus. Parallel zur Migration von ArbeiterInnen aus Slowenien, Kroatien und Serbien in die BRD und Österreich kam es in Jugoslawien selbst zu einer Binnenmigration. Aus Bosnien-Herzegowina gingen ArbeitsmigranInnen nach Slowenien und Kroatien, aus Montenegro und Kosova nach Kroatien und Serbien, wo sie als "GastarbeiterInnen" entsprechend diskriminiert wurden.
Der Weg in die Krise
Vor dem Hintergrund weltwirtschaftlicher Entwicklungen Ende der 70er Anfang 80er Jahre, eine Zeit, die durch die Namen Reagan und Thatcher geprägt ist, muß auch die Vorgeschichte des Bürgerkriegs in Jugoslawien gesehen werden. Die jugoslawische Bundesbank hatte Anfang 1980 eine Auslandsverschuldung von fast 14 Milliarden Dollar, was hauptsächlich auf die Erhöhung der Energie- und Brennstoffpreise auf dem Weltmarkt und die gestiegenen Kreditzinsen zurückzuführen war. Die wesentlichsten Deviseneinnahmen des Landes, Überweisungen der ArbeitsmigrantInnen und im Tourismus erwirtschaftete Gelder, verschwanden zum größten Teil im grauen und schwarzen Markt und gingen somit an der Staatsbank vorbei. Angesichts des drückenden Schuldenbergs trat Jugoslawien 1980 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bei. Dieser gewährte dem Land 1981 den größten je gegebenen Kredit und führte für Jugoslawien die Umschuldungsverhandlungen mit ca. 600 westlichen Gläubigerbanken. Dafür forderte der IWF von der jugoslawischen Regierung Lohnbegrenzungen für zahlungsunfähige Betriebe, Freigabe der staatlich subventionierten Lebensmittel- und Gebrauchsgüterpreise, Zinserhöhungen und eine 25% tige Abwertung des Dinar. Aus diesen IWF-Auflagen leitete die jugoslawische Regierung eigene Maßnahmen zur Modernisierung der Industrie, zur Produktivitätssteigerung und zur Kostensenkung ab. Dazu gehörte insbesondere auch eine generelle Senkung der Arbeitslöhne, was nur über eine Zerschlagung der ArbeiterInnenräte möglich war.
Zum Anderen wurde eine Inwertsetzung der Armutsregionen im Süden, also des Kosova, Montenegros und Bosniens sowie der angrenzenden serbischen Randgebiete angestrebt. Das beabsichtigte Ziel war dabei die Schaffung riesiger Anbauflächen für die Zucht von Nutzpflanzen für den Weltmarkt gegen westliche Devisen. Durchsetzbar war dies nur durch die Zerstörung der traditionellen Strukturen, die auf dem Lande noch vielfach durch eine subsistenzwirtschaftliche, sich selbst versorgende Sippengesellschaft geprägt war. Diese hatte es bisher ermöglicht, in ziemlicher Armut, aber sehr autark zu leben, da fast nur das gegessen wurde, was man selber anbaute.
Die in den Achtziger Jahren geplante Landreform stand vor dem gleichen Problem wie die Kollektivierung der Landwirtschaft unter Tito: es regte sich heftiger bäuerlicher Widerstand. Daneben lief die Agrarreform auf Massenentlassungen in der landwirtschaftlichen Industrie hinaus, verbunden mit der Abwanderung oder Vertreibung der Entlassenen als billiges Arbeitskräftereservoir in die Großstädte.
Zwischen Klasse und Rasse: Die Ethnisierung des Sozialen
Noch ehe diese geplanten Maßnahmen zur Wirkung gelangten, setzte eine Welle heftigen Widerstandes vor allem der IndustriearbeiterInnenschaft gegen die rapide fortschreitenden Teuerungen ein. Mitte der Achtziger Jahre begann eine Kette von wilden Streiks von Slowenien aus das Land zu überziehen. 1987 erreichten diese den Höhepunkt. 1986 wurde in Belgrad Tausenden von Familien Strom und Gas abgestellt, weil sie die Rechnungen nicht bezahlten.
Im jugoslawischen Armenhaus Kosova, wo sich die Krise am frühesten zugespitzt hatte und es bereits 1981 zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen war, eskalierte die Entwicklung zu einem Aufstand, auf den die jugoslawische Bundesregierung mit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo und der Verhängung des Ausnahmezustandes reagierte. Hier nahmen die Auseinandersetzungen erstmals ethnisch-nationalen Charakter an. Die jugoslawische Regierung schürte in ihrer Propaganda einen aggressiven Chauvinismus gegen die albanische Bevölkerung des Kosova, da sie die ökonomischen Ursachen des Konfliktes nicht zugeben konnte. Dies deckte sich mit serbischen Ansprüchen auf den Kosova. Das Gebiet ist zwar heute mehrheitlich albanisch besiedelt, aber die ursprüngliche Heimat der SerbInnen und durch die historische Schlacht auf dem Amselfeld Gegenstand nationalistischer Mythenbildung. Diese fand neue Aktualität, als der Kosova unter serbische Verwaltung gestellt wurde. Darauf reagierte die Führung der Aufstandsbewegung mit der Forderung nach sofortigem Austritt aus dem jugoslawischen Staatsverband und dem Anschluß an Albanien.
Die jugoslawische Staatsführung und die Regierungen der einzelnen Republiken blockierten sich gegenseitig bei der Umsetzung von Lösungsstrategien, zumal sie alle sich einer das ganze Land erfassenden Streikbewegung gegenüber sahen, die den Charakter einer proletarischen Revolte gegen einen formell noch immer sozialistischen Staat annahm.
Insbesondere die Regierungen von Slowenien und Kroatien waren nicht länger bereit, die Armut des Südens mitzufinanzieren. Bisher waren die dort getätigten Investitionen von den beiden reichsten Republiken getragen worden, ohne daß sie zu sichtbaren Erfolgen geführt hätten. Nachdem sich ein zunehmend aggressiver werdender serbischer Nationalismus am rüden Besatzungsregime im Kosova und der serbischen Annektion der bis dahin autonomen Vojvodina deutlich zeigte, setzten die Staatsführungen der beiden Republiken auf die nationale Unabhängigkeit. Dabei konnten sie auf die Unterstützung der österreichischen und der bundesdeutschen Regierung bauen, für die Slowenien und Kroatien wirtschaftlich interessant waren, der Rest Jugoslawiens hingegen überhaupt nicht. Schon seit Mitte der Achtziger Jahre wurde in osteuropäischen Arbeitskreisen der bundesdeutschen Industrie eine Abtrennung Kroatiens und Sloweniens als wünschenswert bezeichnet
Einig waren sich die Führungen aller Republiken im repressiven Vorgehen gegen die Bewegungen von unten, die mit Polizeigewalt zerschlagen wurden. Propagandistisch wurden diese in den einzelnen Republiken als Machenschaften anderer Teilrepubliken oder bestimmter Volksgruppen dargestellt. Ethnische Konflikte waren es teilweise tatsächlich; dies aber in dem Sinne, daß die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe mit einem bestimmten sozialen Status verbunden war. Ab 1987 kann von einer allgemeinen "Ethnisierung" ursprünglich sozial bestimmter Konflikte geredet werden. Zunehmend begannen die AkteurInnen sich über ihre Volksgruppenzugehörigkeit zu definieren.
Die Bombe platzt
Zu den ersten bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen außerhalb des Kosova kam es Frühjahr 1991 in der Krajna. Dieses Gebiet, das die kroatische Adriaküste von der Herzegowina trennt, bessaß eine sehr spezielle Bevölkerungsstruktur. Noch zur Zeit der K.u.K.-Monarchie waren dort, entlang der damaligen Militärgrenze zum Osmanischen Reich, Wehrdörfer zur Grenzsicherung angelegt worden. Diese wurden mit SerbInnen besiedelt, die in dem Bewußtsein aufwuchsen, die militärische Vorhut des Abendlandes gegen den Islam zu sein. Bis zur Zerstörung der Krajna-Republik durch die kroatische Armee im Spätsommer 1995 hatte sich die Wehrbauernmentalität dort ungebrochen erhalten. Als sich Ende der Achtziger die Pläne der kroatischen Regierung zum kapitalistischen Umbau und zur Herauslösung aus dem jugoslawischen Staatsverband immer deutlicher abzeichneten, begannen von hier aus militante serbische Nationalisten ihre Aktionen gegen Kroatien. Sie wurden von Kroatien so rigoros niedergeschlagen wie ungefähr gleichzeitig unter serbischer Regie die Unruhen im Kosova.
Am 27. Juli 1991 trat der Konflikt ans Licht der Weltöffentlichkeit: Slowenien und Kroatien erklärten ihre Unabhängigkeit. Es folgte ein kurzer Krieg um die Unabhängigkeit Sloweniens und ein sehr blutiger und grausamer Krieg zwischen Kroatien und Rest- Jugoslawien einerseits und der Krajna sowie serbischen Volksgruppen in Ost- und West-Slawonien andererseits. Alle Seiten taten sich durch die Bestialität der sog. ethnischen Säuberungen hervor, die planmäßige Ermordung und Vertreibung der Bevölkerung ganzer Landstriche. Von Anfang an war die BRD aufgrund ihrer ökonomischen Interessen auf der Seite Kroatiens, während sich die übrigen westeuropäischen Mächte mit Parteinahme zurückhielten, Großbritannien und Frankreich hauptsächlich aus Rücksichtnahme auf ihre eigenen ethnischen Minderheiten. Als der Konflikt im Frühjahr 1992 mit der Anerkennung Kroatiens durch Rest-Jugoslawien beigelegt schien, explodierte er in Bosnien-Herzegowina. Serbische Separatisten riefen in der Furcht vor einer völligen Bevormundung durch die miteinander verbündeten Moslems und KroatInnen die unabhängige Republik von Pale aus. Ehe es zu einer Verhandlungslösung kommen konnte, begannen serbische Söldnermilizen die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit Granatwerfern zu beschießen und von der Außenwelt abzuschneiden, um auf diese Weise die Unabhängigkeit der Republik zu erzwingen. Die bosnische Führung reagierte mit militärischen Mitteln. Es folgte ein langer, blutiger Krieg, in dem beide Seiten hauptsächlich wehrlose Zivilbevölkerung niedermetzelten.
Der weitere Verlauf des Konflikts bis zum Herbeibomben des Friedens von Dayton durch die NATO dürfte, abgesehen von den Verfälschungen durch eine allgemein antiserbische Ausrichtung in der deutschen Medienberichterstattung, zumindest in groben Zügen bekannt sein. Nach dem Friedensschluß in Bosnien eskalierte die Entwicklung im Kosova.
Zweierlei Imperialismus - ein Ausblick in die nahe Zukunft
Wenn nach dem Eingreifen von NATO-Kampfeinheiten der Eindruck entstanden ist, daß die Westmächte im Jugoslawienkrieg an einem Strang ziehen, so täuscht dieser. Die Interessen der verschiedenen NATO- und WEU-Staaten sind durchaus nicht deckungsgleich.
Das Interesse der BRD an einer Unabhängigkeit von Kroatien und Slowenien wurde oben bereits dargestellt. Die jetzige Interessenlage der BRD gestaltet sich komplex. Zunächst einmal fährt sie in ihrer Balkan- und Osteuropapolitik einen Kurs, der mit der Rest-EU nur wenig abgesprochen wird. Seit 1991 betreibt die Bundesregierung eine sehr aktive Ostpolitik, die auf die Schaffung eines eigenen "Hinterhofes" in Osteuropa abzielt. Vorbild ist hierbei die Durchdringung Mittelamerikas durch US-Interessen. In Kroatien ist die BRD bereits gut im Geschäft; so gehört ein Großteil der kroatischen Energieversorgung der Firma Siemens, überhaupt der größte westliche Investor in Kroatien. Eine Rolle spielen auch deutsche Waffenlieferungen. Im Unterschied zur Lieferung von billigem NVA-Material in alle Welt wurden hier neuartige Waffen im Einsatz getestet, wie die neue Panzerabwehrrakete "Armbrust". Ein Testfall ist ebenfalls der Einsatz deutscher Schiffe, Flugzeuge und Bodentruppen. Von den Alliierten wird er gewollt, um die BRD militärisch möglichst stark einzubinden, für die BRD ist er Teil eines Stufenplanes zur Erhöhung der Akzeptanz von deutschen Militäreinsätzen ganz anderen Ausmaßes. Fernziel ist die uneingeschränkte Möglichkeit zu weltweiten Dauerinterventionen nach dem Vorbild der USA und Frankreichs. Die BRD betreibt in Jugoslawien also Großmachtpolitik auf allen Ebenen. Damit die in Kroatien getätigten Investitionen sich lohnen, liegt es im Interesse des deutschen Kapitals, daß langsam Ruhe in die Region kommt oder daß die bewaffneten Auseinandersetzungen sich nach außen verlagern. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, daß in der Vojvodina der Bürgerkrieg noch bevorsteht.
Demgegenüber haben die USA eher ein Interesse daran, den Störfaktor Serbien auszuschalten, ohne daß BRD-Kapital allzuviel daran verdient, was vielleicht auch die besondere Gründlichkeit amerikanischer Bombenangriffe erklärt.
Großbritannien und Frankreich hatten lange gezögert, sich dem prokroatisch-promuslimischen Kurs der BRD anzuschließen. Dies geschah, wie gesagt, vor allem mit Rücksichtnahme auf die ethnischen Unabhängigkeitsbewegungen in diesen Ländern sowie vor dem Hintergrund, daß die ökonomischen Interessen der BRD nicht die Ihren sind. Mittlerweile steht die EU in Jugoslawien aber recht einheitlich da, militärisch von Großbritannien und Frankreich angeführt, zugunsten von BRD-Wirtschaftsinteressen. Militärisch kämpfen US-amerikanische und deutsche Einheiten zusammen, politisch teilweise gegeneinander.
Andererseits gibt es natürlich auch gemeinsame imperialistische Interessen. Sowohl die Durchsetzung imperialistischer Hegemonial- und Profitinteressen durch territoriale Aufteilung als auch die Kriegsweise finden sich auch anderswo wieder. Was Letztere angeht, handelt es sich um eine Mischung aus einer weltweiten Unterstützung völkermordender regionaler Heerführer, begrenzter Intervention durch eine multinationale Streitmacht und zeitweilige militärische Besetzung von Schlüsselzonen. Ähnliches fanden wir in Ruanda und Somalia vor, im Falle einer Eskalation der Auseinandersetzungen in Algerien zum offenen Bürgerkrieg würde sich dort unter französischer Führung die Fortsetzung abspielen.
Das Modell Jugoslawien ist charakteristisch für die noch kommende Neuaufteilung der Welt: Eine strikte Trennung von für das Metropolenkapital ökonomisch interessanten Regionen und Armutsgebieten, eine territoriale Abschottung notfalls mit militärischen Mitteln und die wirtschaftliche Neuerschließung durch völlige Zerstörung und anschließenden Wiederaufbau.
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In Jugoslawien hat die Vertreibung der Kosova - Albaner bzw. jetzt der Serben aus dem Kosova den Charakter, eine territoriale Neuaufteilung durch die "Schaffung" einer auf das jeweilige Territorium zugeschnittenen Bevölkerung zu erreichen. Inwieweit dies dauerhaften Erfolg zeitigen wird, wird die Zukunft zeigen.
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