... newer stories
Mittwoch, 29. Juli 2009
Und noch mal mit Wonne, wo wir schon dabei sind
che2001, 18:01h
... link (2 Kommentare) ... comment
Worker´s fist
che2001, 17:59h
Und wo gerade das Thema Thatcher und Bergarbeiterstreik kurz gestreift wurde, von Momorulez bei den bissigen Liberalen und von mir im eigenen Kommentarbereich, dann doch noch mal den Soundtrack dazu (man achte auf Feinheiten wie "Go on boys, we are going to jail"):
http://www.youtube.com/watch?v=E6zcTRAeNp0&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=LK2ldle1kAk&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=P8fCQ-Dctm8
http://www.youtube.com/watch?v=LVIV3WuCoKA&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=E6zcTRAeNp0&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=LK2ldle1kAk&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=P8fCQ-Dctm8
http://www.youtube.com/watch?v=LVIV3WuCoKA&feature=related
... link (0 Kommentare) ... comment
Zum Gedenken an Rachel Corrie
che2001, 17:37h
Die 2003 im Alter von 23 Jahren in Rafah getötet wurde, als sie gewaltfrei gegen Bulldozer protestierte, die palästinensische Häuser zerstörten. Rachel hatte den Versuch unternommen, zwischen den Fronten von israelischem Militär und palästinensischen Selbstmordattentätern für gewaltfreie Konflktlösungen sich einzusetzen.
http://www.youtube.com/watch?v=WME495PWWJE&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=bpBmVww9ZcI&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=WME495PWWJE&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=bpBmVww9ZcI&feature=related
... link (0 Kommentare) ... comment
Euckens enger Blickwinkel
che2001, 15:09h
Es steht ja noch aus, hier einige Positionen des Nationalökonomen Walter Eucken zu kommentieren. Nicht, weil die Standpunkte dieses Theoretikers und Vordenkers der Sozialen Marktwirtschaft heute noch sehr aktuell wären (tatsächlich müssten sie eher vor dem Vergessen bewahrt werden), sondern, weil sich an ihnen viele Denkfehler des deutschen Linksliberalismus festmachen lassen (ich sage bewusst, des deutschen, denn einen Rorty oder Russell müsste man an einem ganz anderen Leisten messen). Es ist diese Selbstbeschränktheit, diese mangelnde Bereitschaft zu tiefergehender Analyse, die dem deutschen Linksliberalismus geradezu wesenseigen zu sein scheint und ihn daher bezüglich politischer Handlungsmöglichkeiten und soziökonomischer Entwicklungsperspektiven dem Illusionären verhaftet bleiben lässt.
Also, medias in res:
"1. Was heißt Markt? Markt ist eine universale, menschliche Lebensform. Auf ihm werden Leistungen und Produkte zwischen Menschen getauscht. Märkte sind nicht etwa eine Erscheinung des so genannten "Kapitalismus", es hat sie, wie die Geschichte lehrt, zu allen Zeiten gegeben, und sogar in den Ländern zentralverwaltungswirtschaftlicher Lenkung setzen sie sich bis zu einem gewissen Grade immer wieder durch, und sei es in der Form des Schwarzmarktes. (...) Gleichwohl bestehen zwischen Sachgütern und Arbeitsmärkten Unterschiede, die zu beachten sind. Arbeit ist keine Ware. (...) Die Frage ist nicht: Arbeitsmärkte oder keine Arbeitsmärkte, sondern: Welches ist ihre richtige Form? Worum es geht, das ist, den Arbeitsmarkt menschenwürdig zu gestalten." ----- Im Kapitalismus, in dem das Gesetz der Kapitalverwertung das Grundprinzip jeder wirtschaftlichen Bewegung und Entwicklung darstellt, sind Märkte zwangsläufig anders organisiert und unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten als Märkte in anderen historischen Epochen. Zur "universalen, menschlichenLebensform", die Märkte darstellen könnten ansonsten auch antike Sklavenmärkte gerechnet werden. Abzustreiten, dass Arbeit eine Ware ist klingt mir wie ein Schönreden nicht so schöner Verhältnisse, als sei das verbale Betonen der Tatsache, dass die lohnabhängig Beschäftigten eine Menschenwürde und Interessen haben schon ihre Befreiung, genauer: als seien sie schon frei, weil sie gar nicht dem Diktat, ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen zu müssen unterliegen würden.
"2. Die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft oder des "Kapitalismus" oder der "Krise des Kapitalismus" darf nicht am Anfang [ökonomischer Analyse der Verhältnisse] stehen. Damit gerät die Wissenschaft in Tiefsinn und Spekulation hinein und verliert (...) die wirkliche Wirtschaft aus dem Auge.
Die Flucht in den personifizierten Allgemeinbegriff "Kapitalismus" ersetzt die echte Untersuchung der Wirklichkeit. Beispiel: Jemand stellt die Frage, warum die Vernichtung von Weizen, Kaffee und anderen Lebensmitteln, die in Kanada, Brasilien und anderen Ländern vorgenommen wurde, geschah. Er erklärt, so handle eben der "Kapitalismus" und meint, damit sei die Frage beantwortet. Das ist sehr bequem; aber in Wahrheit ist überhaupt nichts geklärt.
3. Man glaubt mit solchen Schilderungen von den Taten des "Kapitalismus" modern zu sein und ist in Wahrheit in magisches Denken zurückgefallen. Es ist der alte Fehler des extremen Begriffsrealismus, der uns hier wiederum begegnet. - Nach zwei Seiten hin hat der Gebrauch des Begriffs "Kapitalismus" außerdem Schaden angerichtet:
Er erschwert geschichtliches Verstehen oder macht es unmöglich. (...) Der Kapitalismus führt in den den Augen dieser Betrachter nach seiner Geburt seine eigenen Existenz. Dass stets und in jedem Augenblick das wirtschaftliche Leben - und damit auch die Industrialisierung - ein Teil des geschichtlichen Gesamthergangs ist, mit dem es in fortwährender Wechselwirkung steht, und dass und wie es mit allen übrigen Lebensäußerungen der [Gesellschaften] dauernd Berührung hat, wird nicht gesehen. Die Figur des Kapitalismus mit ihrer Entwicklung vom Früh- zum Spätkapitalismus wird zum deus ex machina (...). Offen zutage liegende, wesentliche, geschichtliche Zusammenhänge werden [so] übersehen: (...) die französische Revolution, die außenpolitischen Umwälzungen und die innere Umformung der Staaten, die ihr folgten, auch die Wirtschafsstruktur Europas veränderten, dass der Krieg 1914-18, die folgenden Friedensschlüsse und Revolutionen und der Krieg 1939-45 das wirtschaftliche Leben auch der nächsten Zeit entscheidend bestimmten. War aber im Kapitalismus (...) das wirtschaftliche Geschehen auf das Verhalten dieses Wesens zurückführt, ist solchen gesamtgeschichtlichen Zusammenhängen gegenüber blind (...)
4. Auch weil der Begriff des Kapitalismus über das Ordnungsgefüge der Wirtschaft nichts Bestimmtes aussagt, eignet er sich nicht zur Bezeichnung wirtschaftlicher Wirklichkeit. Jeder legt in ihn Ordnungsvorstellungen herein, die ihm persönlich passen: Anarchie aller Produktion oder Wettbewerbswirtschaft oder Laissez faire oder Beherrschung des wirtschaftlichen Lebens durch einen von anonymen Kräften beherrschten Wirtschaftsstaat.
5. Wirtschaftliche Machtballungen sind keine Besonderheiten der Neuzeit oder des "Kapitalismus". Sie gab es vielmehr im Mittelalter und auch sonst in aller Geschichte. Verstehen wirtschaftlicher Wirklichkeit in aller Vergangenheit und in der Gegenwart und wahrscheinlich in aller Zukunft erfordert daher Verstehen wirtschaftlicher Macht und zugleich Durchschauen der auffallend gleichförmigen Kampfmethoden wirtschaftlicher Machtgruppen."
------ Jeder Versuch, die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus mit wissenschaftlicher Methodik zu durchdringen und verstehen zu wollen wird hiermit eher desavouiert als befördert. Die geschilderten historischen Prozesse werden von der Geschichtswissenschaft ja tatsächlich als Faktoren verfolt und mit der Entwicklung des Kapitalismus in Zusammenhang gebracht, zu Lebzeiten Euckens allerdings nun gerade nicht von der deutschen Historiographie. Darauf zu verweisen, dass wirtschaftliche Macht auch in anderen historischen Epochen und Eigentumsordnungen als dem Kapitalismus stattgefunden hat ist eine Binsenweisheit, die zu nichts führt. Die Frage der Macht könnte sich natürlich auch völlig anders, z.B. mit Foucault stellen lassen,das wäre allerdings eine heutige, damals noch nicht denkbare Sichweise. Eucken aber meinte damit seinerzeit ein voluntaristisches, an unmittelbar handelnden Fraktionen orientiertes Verständnis, das ohne historisch-ökonomische Gesetzmäßigkeiten auskommt. Dies ist nicht nur ein Rückfall sowohl hinter Marx als auch Max Weber, sondern selbst hinter Ricardo.
"6. Die Prognosen von Marx haben sich gerade in wesentlichen Zügen nicht als richtig erweisen. Die Verelendung der Massen, die er kommen sah, ist nicht eingetreten. Vielmehr hat sich in der Zeit der Industrialisierung das Realeinkommen der breiten Schichten stärker gehoben als je zuvor. Und auch der Konzentrationsprozess ist anders vor sich gegangen, als Marx dachte." ------
Diese Passage ist ebenso ärgerlich wie dumm. Erstens sprach Marx weniger von einer Verelendung der Massen an sich, sondern vielmehr von einer Polarisation des Klassenwiderspruchs. Diese kann sich entlang der Achse Reiche werden reicher - Arme werden ärmer abspielen, muss es aber nicht zwangsläufig. Entscheidend für die Entwicklung des Kapitalismus seit Marx war die immer weiterreichende Durchkapitalisierung sozialer Reproduktionsbereiche, die zur Zeit der Industrialisierung noch nicht kapitalistisch und somit wertschöpferisch organisiert waren, zumindest nicht konsequent. Kulturindustrie, Gesundheitswesen, Altenpflege, die allgemeine enorme Ausweitung des Dienstleistungssektors bis hin zur Pornoindustrie wären hier zu erwähnen: Bereiche, die bis dato eine relative Autonomie von den Verwertungsmechanismen kapitalistischer Märkte hatten und teilweise noch über Subsistenz- und Familienstrukturen geregelt wurden, wurden erst in Wert gesetzt und dann kräftig effizienzgesteigert. Damit wurden umfangreiche Sektoren des menschlichen Lebens, die zu Marxens Zeiten noch nicht der Kapitalsphäre angehörten von dieser kolonisiert - ein schlagendes Beispiel für die Polarisation des Klasssenwiderspruchs. Die Macht der herrschenden Klasse wurde hiermit nicht nur multipliziert, sondern potenziert, zugleich schuf sie die Voraussetzungen für eine Individuation, die Klassenlage zunehmend nicht mehr fühlbar werden lässt.
Dann: Die Armut ist ja nicht weniger geworden, sie wurde ausgelagert. Mit der Vernutzung der trikontinentalen Armut, die mit jeder ausgelagerten Billigproduktion, jedem Bezug billiger Rohstoffe aus Ländern, die außer Rohstoffen nichts anzubieten haben einhergeht, vor allem aber auch der Entwicklungspolitik in den armen Ländern, die dort enorme Vermögenswerte schuf, zugleich aber hunderte Millionen Menschen entwurzelte und ins existenzielle Elend stürzte wurde der Wohlstand der Arbeiterklasse in den Metropolen subventioniert. Wir profitieren von dieser Welt(un)ordnung jedes Mal, wenn wir Baumwollkleidung tragen, Kaffee trinken oder Gummi benutzen. Jeder bettelnde Obdachlose vor dem Lidl-Markt ist noch Profiteur des durch kapitalistische Entwicklung geschaffenen Welthungers.
btw. übrigens hatte Marx auch nicht exklusiv verkündet, dass die finale Krise des Kapitalismus bzw. die Intransigenz des Klassenwiderspruchs nun exklusiv bis zu Euckens Lebzeiten eintreten müsste.
Insgesamt betrachtet, erscheinen mir die Ausführungen Euckens wie ein Schönreden historisch gegebener Verhältnisse, um ohne Selbstzweifel innerhalb des Systems weiterwursteln zu können. Wobei ein angstfreies Weiterwursteln hinsichtlich menschlich korrekter Verhaltensweisen und sozialer Halbwegs-Gerechtigkeit bei aller historischen Inkonsistenz und Selbstwidersprüchlichkeit vielleicht nicht einmal das Schlechteste ist. [Einschub: Das etwa würde auch den Sozialstaat der 70er und 80er Jahre gegenüber Kapitalismuskritik einerseits und den zunehmend marktenthemmten Verhältnissen heute andererseits kennzeichnen. Dazu passt ja, dass Eucken einer der Vordenker dieses Sozialstaats war]
Aber es kann den Blick über den Tellerrand und die Systemkritik nicht ersetzen, und eine Fixierung auf die Perspektive des Weiterwurstelns blockiert den Blick fürs Wesentliche sogar ganz.
Also, medias in res:
"1. Was heißt Markt? Markt ist eine universale, menschliche Lebensform. Auf ihm werden Leistungen und Produkte zwischen Menschen getauscht. Märkte sind nicht etwa eine Erscheinung des so genannten "Kapitalismus", es hat sie, wie die Geschichte lehrt, zu allen Zeiten gegeben, und sogar in den Ländern zentralverwaltungswirtschaftlicher Lenkung setzen sie sich bis zu einem gewissen Grade immer wieder durch, und sei es in der Form des Schwarzmarktes. (...) Gleichwohl bestehen zwischen Sachgütern und Arbeitsmärkten Unterschiede, die zu beachten sind. Arbeit ist keine Ware. (...) Die Frage ist nicht: Arbeitsmärkte oder keine Arbeitsmärkte, sondern: Welches ist ihre richtige Form? Worum es geht, das ist, den Arbeitsmarkt menschenwürdig zu gestalten." ----- Im Kapitalismus, in dem das Gesetz der Kapitalverwertung das Grundprinzip jeder wirtschaftlichen Bewegung und Entwicklung darstellt, sind Märkte zwangsläufig anders organisiert und unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten als Märkte in anderen historischen Epochen. Zur "universalen, menschlichenLebensform", die Märkte darstellen könnten ansonsten auch antike Sklavenmärkte gerechnet werden. Abzustreiten, dass Arbeit eine Ware ist klingt mir wie ein Schönreden nicht so schöner Verhältnisse, als sei das verbale Betonen der Tatsache, dass die lohnabhängig Beschäftigten eine Menschenwürde und Interessen haben schon ihre Befreiung, genauer: als seien sie schon frei, weil sie gar nicht dem Diktat, ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen zu müssen unterliegen würden.
"2. Die Frage nach dem Wesen der Wirtschaft oder des "Kapitalismus" oder der "Krise des Kapitalismus" darf nicht am Anfang [ökonomischer Analyse der Verhältnisse] stehen. Damit gerät die Wissenschaft in Tiefsinn und Spekulation hinein und verliert (...) die wirkliche Wirtschaft aus dem Auge.
Die Flucht in den personifizierten Allgemeinbegriff "Kapitalismus" ersetzt die echte Untersuchung der Wirklichkeit. Beispiel: Jemand stellt die Frage, warum die Vernichtung von Weizen, Kaffee und anderen Lebensmitteln, die in Kanada, Brasilien und anderen Ländern vorgenommen wurde, geschah. Er erklärt, so handle eben der "Kapitalismus" und meint, damit sei die Frage beantwortet. Das ist sehr bequem; aber in Wahrheit ist überhaupt nichts geklärt.
3. Man glaubt mit solchen Schilderungen von den Taten des "Kapitalismus" modern zu sein und ist in Wahrheit in magisches Denken zurückgefallen. Es ist der alte Fehler des extremen Begriffsrealismus, der uns hier wiederum begegnet. - Nach zwei Seiten hin hat der Gebrauch des Begriffs "Kapitalismus" außerdem Schaden angerichtet:
Er erschwert geschichtliches Verstehen oder macht es unmöglich. (...) Der Kapitalismus führt in den den Augen dieser Betrachter nach seiner Geburt seine eigenen Existenz. Dass stets und in jedem Augenblick das wirtschaftliche Leben - und damit auch die Industrialisierung - ein Teil des geschichtlichen Gesamthergangs ist, mit dem es in fortwährender Wechselwirkung steht, und dass und wie es mit allen übrigen Lebensäußerungen der [Gesellschaften] dauernd Berührung hat, wird nicht gesehen. Die Figur des Kapitalismus mit ihrer Entwicklung vom Früh- zum Spätkapitalismus wird zum deus ex machina (...). Offen zutage liegende, wesentliche, geschichtliche Zusammenhänge werden [so] übersehen: (...) die französische Revolution, die außenpolitischen Umwälzungen und die innere Umformung der Staaten, die ihr folgten, auch die Wirtschafsstruktur Europas veränderten, dass der Krieg 1914-18, die folgenden Friedensschlüsse und Revolutionen und der Krieg 1939-45 das wirtschaftliche Leben auch der nächsten Zeit entscheidend bestimmten. War aber im Kapitalismus (...) das wirtschaftliche Geschehen auf das Verhalten dieses Wesens zurückführt, ist solchen gesamtgeschichtlichen Zusammenhängen gegenüber blind (...)
4. Auch weil der Begriff des Kapitalismus über das Ordnungsgefüge der Wirtschaft nichts Bestimmtes aussagt, eignet er sich nicht zur Bezeichnung wirtschaftlicher Wirklichkeit. Jeder legt in ihn Ordnungsvorstellungen herein, die ihm persönlich passen: Anarchie aller Produktion oder Wettbewerbswirtschaft oder Laissez faire oder Beherrschung des wirtschaftlichen Lebens durch einen von anonymen Kräften beherrschten Wirtschaftsstaat.
5. Wirtschaftliche Machtballungen sind keine Besonderheiten der Neuzeit oder des "Kapitalismus". Sie gab es vielmehr im Mittelalter und auch sonst in aller Geschichte. Verstehen wirtschaftlicher Wirklichkeit in aller Vergangenheit und in der Gegenwart und wahrscheinlich in aller Zukunft erfordert daher Verstehen wirtschaftlicher Macht und zugleich Durchschauen der auffallend gleichförmigen Kampfmethoden wirtschaftlicher Machtgruppen."
------ Jeder Versuch, die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus mit wissenschaftlicher Methodik zu durchdringen und verstehen zu wollen wird hiermit eher desavouiert als befördert. Die geschilderten historischen Prozesse werden von der Geschichtswissenschaft ja tatsächlich als Faktoren verfolt und mit der Entwicklung des Kapitalismus in Zusammenhang gebracht, zu Lebzeiten Euckens allerdings nun gerade nicht von der deutschen Historiographie. Darauf zu verweisen, dass wirtschaftliche Macht auch in anderen historischen Epochen und Eigentumsordnungen als dem Kapitalismus stattgefunden hat ist eine Binsenweisheit, die zu nichts führt. Die Frage der Macht könnte sich natürlich auch völlig anders, z.B. mit Foucault stellen lassen,das wäre allerdings eine heutige, damals noch nicht denkbare Sichweise. Eucken aber meinte damit seinerzeit ein voluntaristisches, an unmittelbar handelnden Fraktionen orientiertes Verständnis, das ohne historisch-ökonomische Gesetzmäßigkeiten auskommt. Dies ist nicht nur ein Rückfall sowohl hinter Marx als auch Max Weber, sondern selbst hinter Ricardo.
"6. Die Prognosen von Marx haben sich gerade in wesentlichen Zügen nicht als richtig erweisen. Die Verelendung der Massen, die er kommen sah, ist nicht eingetreten. Vielmehr hat sich in der Zeit der Industrialisierung das Realeinkommen der breiten Schichten stärker gehoben als je zuvor. Und auch der Konzentrationsprozess ist anders vor sich gegangen, als Marx dachte." ------
Diese Passage ist ebenso ärgerlich wie dumm. Erstens sprach Marx weniger von einer Verelendung der Massen an sich, sondern vielmehr von einer Polarisation des Klassenwiderspruchs. Diese kann sich entlang der Achse Reiche werden reicher - Arme werden ärmer abspielen, muss es aber nicht zwangsläufig. Entscheidend für die Entwicklung des Kapitalismus seit Marx war die immer weiterreichende Durchkapitalisierung sozialer Reproduktionsbereiche, die zur Zeit der Industrialisierung noch nicht kapitalistisch und somit wertschöpferisch organisiert waren, zumindest nicht konsequent. Kulturindustrie, Gesundheitswesen, Altenpflege, die allgemeine enorme Ausweitung des Dienstleistungssektors bis hin zur Pornoindustrie wären hier zu erwähnen: Bereiche, die bis dato eine relative Autonomie von den Verwertungsmechanismen kapitalistischer Märkte hatten und teilweise noch über Subsistenz- und Familienstrukturen geregelt wurden, wurden erst in Wert gesetzt und dann kräftig effizienzgesteigert. Damit wurden umfangreiche Sektoren des menschlichen Lebens, die zu Marxens Zeiten noch nicht der Kapitalsphäre angehörten von dieser kolonisiert - ein schlagendes Beispiel für die Polarisation des Klasssenwiderspruchs. Die Macht der herrschenden Klasse wurde hiermit nicht nur multipliziert, sondern potenziert, zugleich schuf sie die Voraussetzungen für eine Individuation, die Klassenlage zunehmend nicht mehr fühlbar werden lässt.
Dann: Die Armut ist ja nicht weniger geworden, sie wurde ausgelagert. Mit der Vernutzung der trikontinentalen Armut, die mit jeder ausgelagerten Billigproduktion, jedem Bezug billiger Rohstoffe aus Ländern, die außer Rohstoffen nichts anzubieten haben einhergeht, vor allem aber auch der Entwicklungspolitik in den armen Ländern, die dort enorme Vermögenswerte schuf, zugleich aber hunderte Millionen Menschen entwurzelte und ins existenzielle Elend stürzte wurde der Wohlstand der Arbeiterklasse in den Metropolen subventioniert. Wir profitieren von dieser Welt(un)ordnung jedes Mal, wenn wir Baumwollkleidung tragen, Kaffee trinken oder Gummi benutzen. Jeder bettelnde Obdachlose vor dem Lidl-Markt ist noch Profiteur des durch kapitalistische Entwicklung geschaffenen Welthungers.
btw. übrigens hatte Marx auch nicht exklusiv verkündet, dass die finale Krise des Kapitalismus bzw. die Intransigenz des Klassenwiderspruchs nun exklusiv bis zu Euckens Lebzeiten eintreten müsste.
Insgesamt betrachtet, erscheinen mir die Ausführungen Euckens wie ein Schönreden historisch gegebener Verhältnisse, um ohne Selbstzweifel innerhalb des Systems weiterwursteln zu können. Wobei ein angstfreies Weiterwursteln hinsichtlich menschlich korrekter Verhaltensweisen und sozialer Halbwegs-Gerechtigkeit bei aller historischen Inkonsistenz und Selbstwidersprüchlichkeit vielleicht nicht einmal das Schlechteste ist. [Einschub: Das etwa würde auch den Sozialstaat der 70er und 80er Jahre gegenüber Kapitalismuskritik einerseits und den zunehmend marktenthemmten Verhältnissen heute andererseits kennzeichnen. Dazu passt ja, dass Eucken einer der Vordenker dieses Sozialstaats war]
Aber es kann den Blick über den Tellerrand und die Systemkritik nicht ersetzen, und eine Fixierung auf die Perspektive des Weiterwurstelns blockiert den Blick fürs Wesentliche sogar ganz.
... link (9 Kommentare) ... comment
... older stories