Dienstag, 5. Februar 2013
Sexuelle Belästigung: Wo beginnt sie, wo hört sie auf?
Die Twitter-"Aufschreie" haben eines sehr deutlich gemacht: Sexistische Gewalt und sexuelle Belästigung sind in dieser Gesellschaft extrem weit verbreitet und durchdringen diese total, gerade auch in der Arbeitswelt. Und sie entsprechen heterosexistischen Hierarchieverhältnissen. Und solange Frauen sich nicht wehren, Männern nicht ihre Grenzen aufzeigen wird sich daran so schnell nichts ändern.

Dabei ist es aber sehr von der Situation, dem Milieu und Setting abhängig, was als sexuelle Belästigung empfunden wird und was nicht.

Von mir selbst weiß ich, dass ich zweimal im Leben Frauen sexuell belästigt habe. Ich weiß das deswegen, weil sie es mir mitgeteilt haben und ich dann mein belästigendes Verhalten abstellte. Ich weiß nicht, wie oft sonst noch Blicke, Redewendungen u.ä. meinerseits von anderer Seite als belästigend empfunden wurden. Und wie gesagt, es ist personen- milieu-und situationsanhängig, was als Belästigung gilt und was nicht.

Dunnemals in der linken Göttinger Studiszene bandelte eine Frau mal mit mir an indem sie mir auf einem hochernsten Politplenum von hinten an die Eier fasste und diese sanft msassierte. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen dies als Belästigung aufzufassen. Aber es geschah in einer Umgebung die als safe place galt, in einem Milieu, in dem ein hohes Maß an gegenseitiger Vertrautheit selbstverständlich war, die ganze Szene ein Ringelpiez mit anfassen.


Als Ende der 1980er bekannt wurde dass es zu Vergewaltigungen in Szenezusammenhängen gekommen war ging dieses Grundvertrauen völlig verloren, zusammen mit der Selbstverständlichkeit offener Beziehungen. Die linke Szene als eine Welt der freien Liebe sollte es nie wieder geben. Übergriffe einiger weniger Arschlöcher lieferten den Anlass, eine ganze Kultur der sexuellen Offenheit zum Untergang zu bringen. Wobei die Strukturen im Hintergrund weitaus sexistischer waren als es zunächst den Anschein hatte.


Die gleiche Zeit, Göttinger Klinikum. Ich hatte als Zivildienstleistender irgend etwas, ich glaube ein Transplantat in den OP zu bringen. In der OP-Schleuse lehnte eine schöne junge Ärztin mit langen rotblonden Haaren lasziv am Tresen und flirtete mit einem Pfleger. Ich meinte: "Kannst Du Deinen begehrenswerten Körper mal einen Meter zur Seite schwenken, ich bringe ein Organ." Sie lachte amüsiert und machte mir Platz. Es ging in der Uniklinik damals zu wie in Grey´s Anatomy. Als ich heutigentags meinem Physiotherapeuten, der dort seine Ausbildung gemacht hatte davon berichtete sagte der, heute hätte ich nach dem Spruch unweigerlich einen Gesprächstermin mit der Gleichstellungsbeauftragten. Das war damals entschieden anders, nicht, weil es sexistischer zugegangen wäre als heute sondern eher umgekehrt: Die Strukturen waren lockerer weil bestimmte Scheiße noch nicht passiert war. Wobei selbstbewusst von sich aus Männer aufreißende Frauen mir außerhalb dieser damaligen Milieus nicht wieder über den Weg gelaufen sind und heute ausgestorben scheinen, sehr schade eigentlich.

Ein anderes Milieu in dem diese Vertrautheit und diese Unbefangenheit im Körperkontakt besteht ist die Kletterszene, und das ist auch kein Wunder:Mensch ist da auf Leben und Tod aufeinander angewiesen, und Männlein und Weiblein pennen auch mit Selbstverständlichkeit im gleichen Biwaksack. Ohne gegenseitige Achtung und Wertschätzung, ohne Respekt geht da gar nichts, zugleich ist eine spontane Umarmung, ein spontaner Kuss so dermaßen selbstverständlich dass das keine Belästigungsgrenze überschreitet.

In einem normalen Unternehmen an einem normalen Arbeitsplatz ist das allerdings etwas ganz und gar Anderes. Und das übel paternalistische Verhalten z.B. von männlichen Vorgesetzten gegenüber weiblichen Untergebenen, besonders Azubis leider eher die Regel als die Ausnahme. Habe ja selbst mitbekommen, wie ein strunzbetrunkener Kollege, Top-Verkäufer, auf einer Betriebsfeier gleich zwei Frauen nacheinander angegrabbelt hatte. Von der einen fing er sich ein paar Fäuste ein, die andere war mehr so in Schockstarre. Konsequenzen: Keine.

Solange solche Verhältnisse alltäglich sind ist gar nichts gut.

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Voll PC, ey!
Ich kann es nicht oft genug wiederholen, ich kenne den Begriff political correct noch mit einer eindeutig positiven Wortbedeutung aus dem Umgangston der linksradikalen Szene der 1990er. Da wurde der Begriff zeitweise so inflationär verwendet, dass er Ausdrücke wie "geil", "cool", "toff" oder "dufte" ersetzte, "die Party war voll PC" meinte, dass das eine gute Party war. Zum Anderen gab es pc-Linke und non-pc-Linke, das waren dem Selbstverständnis nach Leute, die eine diskriminierungsfreie Linguistik und im allgemeinen auch eine moralische und an bestimmten Werten festgemachte Lebensweise, z.B. Vegetarismus für existenziell mit linken Werten verbunden hielten und solche, die genau das nicht taten und gerne mal die Moralfraktion mit politisch unkorrekten Scherzen provozierten.


Nein, aber das ist natürlich nicht gemeint, wenn jetzt um das Umschreiben von Kinderbüchern - tatsächlich nur minimale Textkorrekturen - eine heiße und leidenschaftliche Debatte geführt und hierzu in Kleinbloggersdorf mit Heißdampf-Hochdruckturbinen mit Heißdampfspeicherung eskortiert wird. Von der Tonalität ganz im Mainstreamlager schreibt Tante ZEIT hierzu dennoch etwas einigermaßen Ausgewogenes, das wenigstens die Vielschichtigkeit des Themas reflektiert. Wobei ich mich angesichts dieser Debatte und der Verbissenheit mit der sie geführt wird tatsächlich frage: Muss mensch zu allem eine Meinung haben?


http://www.zeit.de/2012/36/Politische-Korrektheit-Dusinis-Edlinger

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